E
in richtig schöner Tag“: So heißt ein Bilderbuch von Bruno Blume und Jacky Gleich über die zeitgenaue Planung eines Familienausflugs und das Scheitern derselben. Erst kommen Mut- ter und Vater nicht in die Gänge. Dann fluten die Kinder das Bad. Der Einkauf muss erledigt werden, sonst kann man nicht starten . . . Die Kinder sind am Abend offensichtlich zufrieden, trotz der vielen Desaster.Eine zeitgenaue Planung hatte auch die 16-köpfige Arbeitsgruppe aus Uni- on und SPD vor Augen, als sie im April begann, Eckpunkte für die nächste Ge- sundheitsreform zu erarbeiten. Ähnlich wie im Kinderbuch ist seither der Zeit- plan völlig aus den Fu-
gen geraten. Am 2. Juli sollen die Eckpunkte vorgelegt werden, heißt es nach wie vor. Doch von abschließender Zu- friedenheit fehlt jede Spur.
Tagelang äußerten
sich nach stockenden Verhandlungen Anfang Juni Koalitionäre über die Ge- staltungsmöglichkeiten eines Gesund- heitsfonds, den Beiträge von Arbeitge- bern und Versicherten sowie Steuergelder speisen sollen. Bevor der Vorschlag aus- führlicher erörtert werden konnte, kam die nächste Nachricht: Demnach sollen wesentlich mehr Steuergelder ins Ge- sundheitssystem fließen als ursprünglich gedacht. „Ja, wir haben uns da geeinigt“, erklärte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am 26. Juni nach ei- ner Koalitionsrunde am Vorabend.
Zuvor hatte der neue SPD-Vorsitzen- de Kurt Beck öffentlich darüber nachge- dacht, ob man nicht 30 bis 45 Milliarden Euro an Steuergeldern ins Gesundheits- wesen leiten sollte. „Das Ganze hat kei- nen Sinn, wenn am Ende die Beiträge
nicht deutlich sinken“, schränkte aber die langjährige Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen, Birgit Fischer (SPD), ein. Der hessische Ministerprä- sident Roland Koch (CDU) konterte, Steuererhöhungen in solchen Dimen- sionen seien völlig ausgeschlossen. Am letzten Juniwochenende äußerte sich schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Das kann man vergessen“, sag- te sie auf einer Parteiveranstaltung. Es gehe allenfalls darum, dass die Kranken- versicherung von Kindern über Steuern finanziert werde.
Ulla Schmidt erklärte umgehend, es werde über Steuererhöhungen zwischen 16 und 24 Milliarden Euro verhandelt, eine Summe, die man für eben jene Ver- sicherung von Kindern und „familienpo- litische Leistungen“ benötigen würde.
Gleichzeitig wolle die SPD die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stabil halten oder senken, versi- cherte die Ministerin. Kaum einer wird an diese Prognose noch glauben. Ulla Schmidt hat sie schon einmal monate- lang vertreten, bis sie sich angesichts des Schuldenabbaus bei den Krankenkassen und deren schwieriger Einnahmesitua- tion nicht mehr halten ließ. Bei einem GKV-Finanzloch von circa sieben Milli- arden Euro im nächsten Jahr werden sich die Bürger keine Illusionen machen.
Wenig erbaulich ist zudem, dass in der Diskussion um die Gesundheitsreform derzeit nicht Entschlossenheit und Weit- sicht zu erkennen sind, sondern gegen- seitige Lähmung. Die ausgewiesenen Gesundheitspolitiker haben einen guten Einblick ins System, sind aber durchweg ideologisch festgelegt. All jene, die we- gen ihrer Posten mitverhandeln dürfen oder sich zur Einmischung berufen fühlen, scheinen offener für neue Wege und Kompromisse. Aber sie haben bei genauerem Hinsehen zu wenig Ahnung vom Gesundheitswesen und seinen komplexen Regelungserfordernissen.
Unverhohlen hat am 22. Juni der Wis- senschaftliche Beirat beim Bundeswirt- schaftsministerium die Debatte kritisiert, als er sein Gutachten „Mehr Wettbewerb im System der GKV“ vorlegte. Der Vor- sitzende, Prof. Dr. Axel Börsch-Supan, bezeichnete eine Fondsfinanzierung wie angedacht als ökonomischen und politi- schen Fehlgriff. Ein solcher Fonds schaffe keine Nachhaltigkeit und nicht mehr Wettbewerb. Zu glauben, man halte sich so alle Wege für Reformen in späteren Legislaturperionen offen, sei ein Irrtum:
„Den kriegt man so schnell nicht weg.“
Die Wissenschaftler um Börsch-Su- pan wurmt, dass die Koalitionäre nach jetzigem Erkenntnisstand ein Kernpro- blem der GKV wieder nicht lösen wer- den: „Es besteht in der wachsenden Kluft zwischen den medizinischen Mög- lichkeiten und dem, was in einem System der Zwangsabgaben nachhaltig finan- zierbar ist“, heißt es im Gutachten. Der Konflikt, einerseits die lohnabhängigen Sozialbeiträge senken zu wollen, ande- rerseits aber das Gesundheitswesen auf einem modernen Stand zu halten, schwe- le nach wie vor. Ein richtig schöner Tag fürs Gesundheitswesen – der ist noch lange nicht in Sicht. Sabine Rieser P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 26⏐⏐30. Juni 2006 AA1787
Gesundheitsreform
Steuern statt steuern
Das Gesundheitswesen soll stärker durch staatliche Mittel finanziert werden. So lautet die jüngste Idee der großen Koa- lition – wie andere zuvor wird sie in Varianten vorgetragen.
Da passt schon noch ein Blatt Papier dazwischen:
Angela Merkel im Gespräch
mit Ulla Schmidt Foto:ddp