I 237/2009 ERZ 4. November 2009 ERZ C
Interpellation
1921 Sutter, Grosshöchstetten (FDP)
Hänsenberger-Zweifel, Burgdorf (SP-JUSO) Hostettler, Zollbrück (SVP)
Rufer-Wüthrich, Zuzwil (BDP) Schärer, Bern (Grüne)
Weitere Unterschriften: 0 Eingereicht am: 08.06.2009
Konfessionelle Neutralität der Volksschule
In letzter Zeit häufen sich Medienberichte, in denen über die angeblich stetig wachsende Anzahl «gläubiger Studierender» an den pädagogischen Hochschulen berichtet wird. Es wird insbesondere befürchtet, dass die künftigen Lehrkräfte später
a) Schülerinnen und Schüler religiös zu indoktrinieren versuchen könnten (Verletzung der konfessionellen Neutralität der Volksschule) und
b) Lehrplaninhalte (z.B. Evolutionstheorie und Sexualkundeunterricht) nicht oder nur in verzerrender Weise im Unterricht vermitteln würden.
In diesem Zusammenhang wird der Regierungsrat ersucht, die folgenden Fragen zu beantworten:
1. Wie beurteilt der Regierungsrat die diesbezügliche Situation an der pädagogischen Hochschule im Kanton Bern?
2. Erachtet der Regierungsrat die in den Medien geäusserten Befürchtungen über drohende missionarische Aktivitäten an der Volksschule als begründet?
3. Falls ja, was beabsichtigt der Regierungsrat zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die konfessionelle Neutralität der Volksschule gemäss Artikel 4 VSG und die integrale Umsetzung des Lehrplans auch in Zukunft gewährleistet bleiben?
Antwort des Regierungsrates
Die Medienberichte über die angeblich wachsende Anzahl „gläubiger Studierender“ an den pädagogischen Hochschulen sind der Erziehungsdirektion bekannt. Der Regierungsrat nimmt zu den Fragen wie folgt Stellung:
1. Nach Auskunft der PH Bern sind die Einstellungen der Studierenden an der PH Bern zu religiösen, im weiteren Sinn weltanschaulichen Fragen höchst heterogen. Ein Teil der Studierenden hat ein distanziertes Verhältnis zur Religion, ein grosser Teil kann als
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suchend und interessiert bezeichnet werden. Daneben gibt es Studierende mit stark bekennendem Glauben. Dies wird an der PH Bern von allen Beteiligten – Studierenden, Dozierenden und Institutsleitungen – wahrgenommen. Als besonders problematisch wurde dieser Umstand bisher nicht angesehen. Allerdings wird diesbezüglich die Situation innerhalb der PH Bern aufmerksam beobachtet.
Die Gruppe der Studierenden mit stark bekennendem Glauben ist sehr heterogen. Ein grosser Teil wird als tolerant und gesprächsbereit wahrgenommen und richtet sich nach dem vorgegebenen Berufsethos. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass es Studierende gibt, welche – zumindest zu Beginn ihrer Ausbildung – die Absicht haben, ihr Umfeld von ihrem persönlichen Glauben zu überzeugen.
Aufgrund der an der PH Bern auftretenden unterschiedlichen Glaubenshaltungen sind durchaus Spannungsfelder vorhanden. Diese werden aber nicht nur als störend wahrgenommen. Sie können für einen konstruktiven Dialog auch bereichernd sein.
Schwierige Situationen können dann auftreten, wenn Studierende ihre eigenen Wertvorstellungen (religiöse und andere) verabsolutieren und Mühe haben, andere Werthaltungen zu akzeptieren.
Zum verbindlichen Auftrag der Pädagogischen Hochschule gehört es, den Studierenden wissenschaftlich fundierte Inhalte und Methoden zu vermitteln. Dies gilt selbstverständlich auch für die Sexualerziehung oder in Bezug auf Fragen nach der Entstehung und Entwicklung von Leben bzw. für die Evolutionstheorie. Es gibt keinen Anlass, auf streng religiöse Einstellungen Rücksicht zu nehmen und deshalb auf Wissenschaftlichkeit und Professionalität zu verzichten.
Die Ausbildung an der PH Bern legt grossen Wert darauf, dass die Studierenden Haltungen wie Offenheit gegenüber einer Wertevielfalt, Achtung und Respekt im Umgang mit anderen Überzeugungen sowie professionelles und verantwortliches Handeln einüben können. Die PH Bern bietet dazu spezielle Veranstaltungen an, in denen die angedeuteten Spannungsfelder aufgenommen und zur Diskussion gestellt werden.
2. Zur Frage, ob die in den Medien geäusserten Befürchtungen über drohende missionarische Aktivitäten an der Volksschule begründet sind, kann sich der Regierungsrat nicht konkret äussern. Eine Häufung oder eine Zunahme kann nicht festgestellt werden.
Allgemein kann festgehalten werden, dass viele Lehrpersonen mit stark bekennenden Glaubenshaltungen damit im Schulalltag höchst verantwortungsvoll umgehen. Sollten Lehrkräfte ihr schulisches Umfeld von ihrem persönlichen Glauben überzeugen wollen, gibt es eine Reihe von Hindernissen, die solchen Versuchen entgegentreten:
Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern reagieren meist ablehnend auf solche Überzeugungsversuche und die Schulleitungen und Schulbehörden sind im Allgemeinen wachsam gegenüber Beeinflussungsversuchen von Lehrkräften.
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Umgang mit der eigenen weltanschaulichen – nicht nur religiösen – Position innerhalb des Schulalltags auch für professionell handelnde und verantwortungsbewusste Lehrkräfte anspruchsvoll ist. Es ist nicht immer möglich, neutral zu bleiben. Aus pädagogischer und ethischer Sicht ist es manchmal nötig, Stellung zu beziehen. Da Lehrkräfte für Schülerinnen und Schüler auch Bezugspersonen darstellen, kann es vorkommen, dass sie gezielt nach ihren Haltungen gefragt werden.
3. Unabhängig von einer möglichen künftigen Entwicklung kann festgehalten werden, dass aus heutiger Sicht genügend Sicherheit besteht, dass die konfessionelle Neutralität und die Umsetzung des Lehrplans in diesem Bereich gewährleistet bleiben.
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Lehrerinnen und Lehrer übernehmen mit der Anstellung an einer öffentlichen Schule entsprechende Berufspflichten. Dazu gehört unter anderem die Respektierung der konfessionellen Neutralität gemäss Volksschulgesetz, was jegliche Form von religiöser Indoktrinierung ausschliesst. Die Lehrpersonen sind verpflichtet, ihren Unterricht auf der Grundlage des Lehrplans zu erteilen. Sie können nicht nach eigenem Belieben obligatorische Themen des Lehrplans weglassen oder ideologisch umdeuten. Bei der Sexualerziehung gibt es zudem Bestimmungen über den Einbezug der Eltern sowie über Dispensationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler.
Der Regierungsrat erachtet es als selbstverständlich, dass Lehrerinnen und Lehrer auf missionarisches Tätigsein verzichten, was eine für die Schülerinnen und Schüler sichtbare eigene Haltung der Lehrperson zu weltanschaulich-religiösen Fragen nicht ausschliesst. Sofern sich in Einzelfällen Schwierigkeiten ergeben, so liegt es in der Verantwortung der Schulleitung, allenfalls der Schulkommission und des Schulinspektorats, mit der betreffenden Lehrperson das Gespräch zu suchen und nötigenfalls entsprechende Massnahmen bzw. Sanktionen zu ergreifen.
An den Grossen Rat