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Archiv "Zu viele Ärzte: Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit muß Vorrang haben" (22.05.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KBV-Vertreterversammlung

Zu viele Arzte:

Sicherung von

Qualität und Wirtschaftlichkeit

muß Vorrang haben

Kassenärztliche Versorgung

unter wachsendem Druck der "Ärzteschwemme"

Die Ärzteschaft ist bereit, alle Möglichkeiten zu nutzen, um das System der kassenärztlichen Versorgung zu stabilisieren.

Was die kassenärztliche Selbstverwaltung selbst zur Inte- gration der nachrückenden Ärztegeneration beitragen kann, welche rechtlichen, tatsächlichen und finanziell auch rea- lisierbaren Maßnahmen geboten sind- dies lotete die öffent- liche Diskussionsveranstaltung am Nachmittag der KBV-Ver- treterversammlung aus. Unter Leitung des Ersten Vorsitzen- den der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Prof. Dr. Sieg- tried Häussler, referierten und diskutierten Dr. med. Eckart Fiedler, der Hauptgeschäftsführer der KBV; Prof. Dr. jur. Georg Wannagat, der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts;

Dr. jur. Franz-Josef Oldiges, der Geschäftsführer des Bundes- verbandes der Ortskrankenkassen, und Ministerialdirektor Karl Jung, Leiter der Abteilung

"Gesundheitspolitik und Kran-

kenversicherung" im Bundesministerium für Arbeit und So- zialordnung. An der kontroversen Diskussion beteiligten sich auch zahlreiche Delegierte der KBV-Vertreterversammlung.

D

r. Eckart Fiedler verdeut_l_ichte die Dramatik des "Arzte- schwemme"-Problems und die damit verbundene Brisanz für das gesamte System der kassen- ärztlichen Versorgung, der Folgen für die Finanzierungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) anhand einiger mar- kanter Zahlen:

..,.. Ende 1984 waren 62 271 Kas- senärzte in eigener Praxis nieder- gelassen. Dies sind 13 443 Ärzte mehr als noch vor zehn Jahren - bei gleichzeitig sinkender Bevöl- kerungszahl in der Bundesrepu- blik. Die "Arztdichte" ist mit weni- ger als 400 Einwohnern auf einen Arzt eine der höchsten der Weit.

Zwischen 1962 und 1982, also in- nerhalb von 20 Jahren, war die Zahl der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte nur um 14 000 gewachsen. Mithin hat sich das Tempo des Zustroms in die Kassenarztpraxis in den letzten zehn Jahren verdoppelt.

Dies zeigt: Die Bildungseuphorie, das Gerede vom "Bildungsnot- stand" (so Georg Picht) der frü- hen sechziger Jahre waren die Wurzel für eine heute gesamtwirt- schaftlich kaum mehr verkraftba- re und gesundheitspolitisch nicht zu rechtfertigende "Überproduk- tion" teuer ausgebildeter nach ad- äquater Berufstätigkeit streben- der Ärzte.

1592 (28) Heft 21 vom 22. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

Alarmierende Prognosen über die Arztzahlenentwicklung, die von wissenschaftlichen Instituten be- reits in den siebziger Jahren ge- stellt wurden, sind inzwischen durch die Entwicklung längst überholt; sie mußten nach "oben"

korrigiert werden. Der Bruttozu- gang an Kassenärzten betrug im Jahr 1984 6,2 Prozent. netto (Sal- do zwischen Bruttozugang und Ausscheidequatel immerhin schon 3,5 Prozent. 1992 dürften schon 77 000 Kassenärzte sich in das Korsett der kassenärztlichen Versorgung zwängen. Bis 1994 dürfte mit 112 000 Neuapprobatio- nen zu rechnen sein, so daß die Zahl der berufstätigen Ärzte von zur Zeit rund 154 000 bis fast 190 000 wachsen dürfte.

Noch bestehende "Marktni- schen" -etwa im Bereich des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes, im betriebsärztlichen Dienst, in der Industrie oder anderswo - dürften also rasch genutzt wer- den.

lnfolge der Sparpolitik im Kran- kenhaussektor stagnierte bereits 1983 der Zuwachs an Planstellen am Krankenhaus (lediglich

+

0,2 Prozent). Bis 1990 dürften- so ei- ne Prognose des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versor- gung (ZI), Köln,- 10 000 Kranken- hausärzte das Krankenhaus ver- lassen, um sich als frei praktizie- rende Ärzte niederzulassen oder in andere, eventuell auch parame- dizinische Positionen überzu- wechseln. Die Zahl der Hoch- schulabsolventen im Fach Hu- manmedizin liegt zur Zeit jährlich zwischen 11 000 und 12 000. Auf- grund der in den letzten zehn Jah- ren verdoppelten Zahl der Hoch- schulzugänge, der Springflut an Hochschulabsolventen und der voraussahbaren demographi- schen Entwicklung läßt sich pro- phezeihen, daß bereits in abseh- barer Zeit rund 30 000 bis 50 000 Ärzte kaum Chancen haben wer-

den, ihren Beruf in der gewählten

Fachrichtung tatsächlich auszu- üben. Wegen der Engpaßsitua- tion, vor allem an den Kranken-

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Auf dem Podium der Vortragsveranstaltung die Referenten (v.l.n.r): Karl Jung, Mini- sterialdirektor im Bundesarbeitsministerium: Professor Dr. Georg Wannagat, Präsi- dent des Bundessozialgerichts a. D., und (rechts außen) Dr. Franz-Josef Oldiges, Ge- schäftsführer des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KBV-Vertreterversammlung

häusern, die sich bei Einführung der Praxisphase (AiP) noch ver- schärfen wird, besteht die Gefahr, daß viele Ärzte ohne ausreichen- de praktische Erfahrung und ohne abgeschlossene Weiterbildung in die freie Praxis drängen werden.

Heute beträgt die durchschnitt- liche ärztliche Tätigkeit zwischen Approbation und Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit 5,5 Jahre (Allgemeinärzte: 6,2 Jahre, Internisten: 8,5 Jahre).

Dr. Fiedler warnte davor, einer ge- sundheitspolitischen „Milchmäd- chenrechnung" Glauben zu schenken. Die These: mehr Ärzte bewirkten keine bessere gesund- heitliche Versorgung der Bevölke- rung, ein Überangebot an Ärzten sei volkswirtschaftlich kontrapro- duktiv, sei ebenso pauschal und verzerrend wie die aus dem Neid- komplex geborene Aufforderung, das Mengenproblem einfach durch einen Verdrängungswett- bewerb zu lösen oder auf die künftige Ärztegeneration abzu- wälzen. Wer so argumentiere, ent- ziehe jeglicher kassenärztlicher Berufsausübung die existentielle, wirtschaftliche Basis. Der innova- tive technische Fortschritt sei folglich nicht mehr darstellbar;

seine Früchte würden dem Pa- tienten vorenthalten. Die Kassen- ärzteschaft ist zu vertretbaren Sparopfern bereit; eine Solo-

„Duumvirn" bei der KBV-Vor- tragsveranstal- tung; Leitung:

Prof. Dr. Sieg- fried Häußler, Einführung: Dr.

Eckart Fiedler

Nummer zu Lasten einer Gruppe der Leistungsträger ist aber nicht zumutbar. Dies war die einhellige Meinung der Delegierten der Ver- treterversammlung.

Nachdrücklich befürwortet die KBV eine ausreichende Praxis- phase für jeden Berufsanfänger (den primärärztlich wie spezial- ärztlich Tätigen), ehe er die Be- rechtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung er- hält. Die durch die Änderung der Bundesärzteordnung vorge- schriebene 18monatige (später 24monatige) Phase als „Arzt im Praktikum" unter Aufsicht eines erfahrenen „Chefs" und in unter- geordneter Stellung sei zwar „ein Schritt in die richtige Richtung", könne aber nicht ein ausreichen-

des Maß an Berufserfahrung gera- de im kassenärztlichen Bereich vermitteln.

Mindestens

drei Jahre Vorbereitung

Das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Septem- ber 1984 vorgeschlagene soge- nannte Hausarzt-Modell, das eine mindestens dreijährige praktische berufliche Tätigkeit vorsieht, wer- tete Fiedler als einen Vorschlag zur Erlangung einer ausreichen- den Qualifikation — nicht zuletzt auch der Tatsache Rechnung tra- gend, daß der Kassenarzt einen Sicherstellungsauftrag habe und die Sachleistungen der gesetzli- chen Krankenversicherung über Solidargemeinschaften finanziert werden müßten. Ein hinreichend hoher Qualitätsanspruch und die ausreichende Berufsvorbereitung seien das notwendige Pendant zu dem die gesetzlichen Krankenver- sicherung tragenden Sachlei- stungsprinzip. Wegen der hohen Verantwortung der Ärzte in der Primärversorgung für den phar- makologischen, diagnostischen und therapeutischen Einsatz (die 27 000 praktischen Ärzte und Ärz- te für Allgemeinmedizin haben immerhin rund 45 Milliarden DM des 103-Milliarden-DM-Etats der Krankenkassen über ihr Ver- schreibungs- und Verordnungs- gebaren zu „verantworten") ist ei- ne qualifizierte, mindestens drei Jahre währende praktische Tätig- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 21 vom 22. Mai 1985 (31) 1593

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KBV-Vertreterversammlung

keit "vor Ort" existenznotwendig für den Kassenarzt, aber auch ausschlaggebend für die Erhal- tung der Finanzierungsfähigkeit der Gesetzlichen Krankenversi- cherung. Von der Qualität der Ausbildung der jungen Ärzte hängt aber auch die Existenz der gesamten Ärzteschaft ab.

Die Konsequenz für die KBV lau- tet deshalb: Die Bedarfsplanungs- regelung muß an die gegebene und in Zukunft sich noch ver- schärfende Überversorgungssi- tuation angepaßt werden. ln Be- tracht kommt lediglich eine zeit- lich begrenzte, regionale, aber auch arztgruppenspezifische Sperrung überversorgter Gebiete.

Dabei geht es keineswegs um ei- ne generelle Einschränkung der freien Niederlassung, sondern le- diglich um eine lokale Einschrän- kung, nämlich der zeitlich be- schränkten freien Wahl des Nie- derlassungsortes. Dies gebietet auch das Postulat der Verhältnis- mäßigkeit. Bei allen Maßnahmen geht es nicht darum, den kassen- ärztlichen Sektor gegenüber dem Nachwuchs "abzuschotten", also nicht um honorarpolitischen Pro- tektionismus, sondern um die Realisierung von solchen Alterna- tiven, die möglichst viele Kollegen und Kolleginnen in das kassen- ärztliche System integrieren, statt es zu sprengen.

Hier ist der Geschäftsführer des AOK-Bundesverbandes, Dr. jur.

Franz-Josef Oldiges, beim Wort zu nehmen: Bei allen Maßnahmen muß die Selbstverwaltung Vor- fahrt haben, nicht zuletzt bei der auch von der Kassenärzteschaft nachhaltig befürworteten Struk- turreform in der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn, so auch der Tenor der Diskussions- beiträge, es darf nicht wieder pas- sieren, daß die Ärzteschaft zu So- lidaritätsopfern veranlaßt wird, in einem großen Kraftakt zur Lösung fremdverursachter Probleme bei- tragen muß und zum "Dank" noch den Knüppel des Gesetzgebers zu

spüren bekommt. HC

Georg Wannagat:

Fallpausehai- system und Ergänzung der Bedarfsplanung

Unter verfassungsrechtlichen Aspekten prüfte Professor Dr. Ge- org Wannagat das Problem. Wan- nagat, ehemaliger Präsident des Bu ndessozialgerichtes, ist auch Mitverfasser eines einschlägigen, von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen in Auftrag gegebenen Gutachtens.

Die Kassenverbände favorisieren bekanntlich die Einführung einer Verhältniszahl, ähnlich der, die bis zum Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts vom 23. März 1960 bestanden hat.

Um es vorwegzusagen: Wanna- gats Ausführung vor der Vertreter- versammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung sind wenig geeignet, eine solche For- derung zu stützen. Professor Wannagat ist zwpr der Auffas- sung, daß sich die Zustände seit 1960 wesentlich geändert haben, er schlägt jedoch zur Behebung der sich abzeichnenden Schwie- rigkeiten ein Stufensystem vor;

erst auf der letzten Stufe sind da- nach auch Zulassungsbeschrän- kungen zu vertreten, an erster Stelle hingegen Änderungen im Vergütungssystem.

Die Ausführungen von Professor Wannagat im einzelnen:

Grundsätzlich ist der Gesetzgeber befugt, bei wesentlicher Ände- rung der Verhältnisse von frühe- ren Entscheidungen des Bundes- verfassungsgerichts abzuwei- chen. Und eine solche wesent- liche Änderung sei in der kassen- 1594 (32) Heft 21 vom 22. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

ärztlichen Versorgung seit 1960 eingetreten, denn

..,. die Arztzahlen haben sich nahezu verdoppelt, dem steht eine damals wachsende, jetzt schrumpfende Bevölkerungszahl gegenüber.

..,. Die Krankenkassenbeiträge er- höhten sich von damals 6,4 Pro- zent auf heute 12 Prozent.

..,. Das Vergütungssystem hat we- sentliche Änderungen erfahren.

Damals sei eine Gesamtvergütung an die Kassenärztlichen Vereini- gungen gezahlt worden, bei der die Kassen von einer vermehrten Zulassung von Kassenärzten

"überhaupt nicht berührt waren".

Heute werde die Gesamtvergü- tung aufgrund von Einzelleistun- gen (Ausnahme: Fallpauschale bei Laborleistungen) ermittelt.

Damit trage allein die Krankenver- sicherung das Risiko der Morbidi- tät und das Risiko der Zahl der ärztlichen Verrichtung. Das aber sei deswegen besonders bedenk- lich, weil mit einem deutlichen Ansteigen der Arztzahlen, vor al- lem der Kassenarztzahlen, zu rechnen ist. Wannagat: "Die rapi- de Zunahme der Kassenarztdichte in Verbindung mit dem System der Einzelleistungsvergütung ge- fährdet die Beitragsstabilität Das System der Einzelleistungsvergü- tung führt dazu, daß die Ärzte durch ihre Behandlungsweise un- mittelbar ihr Einkommen beein- flussen können."

Die Entwicklung gefährde somit Beitragsstabilität und sachge- rechte kassenärztliche Versor- gung, davon seien 90 Prozent der Bevölkerung unmittelbar betrof- fen, mithin handele es sich um ein überragendes Gemeinschaftsgut Zur Abwehr der diesem drohen- den schweren Gefahr könnte auch die Berufswahlfreiheit ein- geschränkt werden, falls ein sol- ches gesetzgeberisches Eingrei- fen unumgänglich sei. Dabei müß- te eine Form des Eingriffs gewählt werden, die die Grundrechte am wenigsten einschränkt. Oder an-

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