I 306/2009 JGK 20. Januar 2010 JGK C Interpellation
0080 Sutter, Grosshöchstetten (FDP)
Weitere Unterschriften: 0 Eingereicht am: 09.09.2009
Staatlich behinderter Wettbewerb bei medizinischen Hilfsmitteln
Im Rahmen der 6. IV-Revision beabsichtigt der Bund u.a., eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, um selber Hilfsmittel wie Rollstühle oder Hörgeräte einzukaufen und über ein staatliches Logistikzentrum zu vertreiben. Mit der damit einhergehenden Konzentration auf wenige Anbieter und Produkte gefährdet dieses Vorhaben potentiell zahlreiche KMUs mit innovativen Arbeits- und Ausbildungsplätzen in der ganzen Schweiz und besonders im Medizinal-Cluster des Kantons Bern. Statt auf marktwirtschaftlichen Wettbewerb setzt der Bund damit auf einen Staatseinkauf mit unabsehbaren Folgen für die Versicherten.
In Hinblick auf seine Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren zur 6. IV-Revision wird der Regierungsrat ersucht, die folgenden Fragen zu beantworten:
1. Ist sich der Regierungsrat bewusst, welchen ordnungspolitisch fragwürdigen Eingriff in die Wirtschaft der Bund hier plant?
2. Ist der Regierungsrat gewillt, sich für den Innovationsstandort Bern und die von diesem Eingriff potentiell betroffenen Unternehmen des Medizinal-Clusters mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen einzusetzen?
3. Wird der Regierungsrat auf die mit diesem Vorhaben verbundene Verletzung der Wirtschaftsfreiheit und des Gebotes der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns hinweisen?
Antwort des Regierungsrats
Aktuell kann die IV mit den Abgabestellen für Hilfsmittel Verträge abschliessen, um die Zusammenarbeit zu regeln und die Tarife festzusetzen. Besteht kein Vertrag kann der Bundesrat Höchstbeträge festsetzen, bis zu denen die versicherten Personen die Kosten vergütet bekommen. Die Produktionskosten werden in der Regel von der Hilfsmittelbranche geheim gehalten. Unter diesen Bedingungen sind Preisverhandlungen schwierig. Mit dem Festlegen von Höchstbeträgen kann die IV zwar ihre Kosten senken. Die Einsparungen gehen aber zulasten der versicherten Personen, welche gegenüber den Abgabestellen den vollen Preis schulden.
Die IV soll sparsam mit öffentlichen Geldern umgehen. Sie muss deshalb die Freiheit haben, marktwirtschaftlich zu agieren. Die „einfache und zweckmässige“
Versorgung ist ihr Auftrag. Im Rahmen der 6. IV-Revision will der Bundesrat der IV
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die Möglichkeit geben, Hilfsmittel mittels Vergabeverfahren selbst zu beschaffen und abzugeben. Auf diese Weise kann gespart werden, ohne Qualität und Leistung zu Lasten der Menschen mit einer Behinderung zu senken.
Vergabeverfahren sind ein legitimes Mittel um für Wettbewerb zu sorgen.
Anbietende werden gezwungen, ihre Preise offen zu legen. Die meisten Beschaffungen der öffentlichen Hand müssen über Ausschreibungen erfolgen.
Dieses Instrument stellt sicher, dass der Wettbewerb gefördert wird, öffentliche Mittel geschont werden und die Anbietenden in einem transparenten Verfahren fair behandelt werden.
Die Beschaffung und Abgabe der Hilfsmittel durch die IV stellt ein zusätzliches Instrument dar, welches parallel zu den bisherigen zur Verfügung steht. Es wird nicht zwingend, sondern eher als „letztes Mittel“ angewandt. Im Vordergrund stehen Märkte, die von wenigen Unternehmen beherrscht werden und bei denen mit dem Preis erhebliche Margen des Zwischenhandels finanziert werden. Dies trifft namentlich für die Hörgerätebranche zu. Die Herstellung findet oft in asiatischen Ländern statt. Die Produkte werden weltweit verkauft. Die Akustikerinnen und Akustiker erhalten häufig – neben der Vergütung ihrer Dienstleistungen durch die IV – einen erheblichen Bonus vom Produktionsbetrieb. Die öffentliche Ausschreibung stellt ein geeignetes Mittel dar, die vorstehend beschriebenen unerwünschten Mechanismen zu durchbrechen.
Der Regierungsrat unterstützt deshalb die im Rahmen der 6. IV-Revision vorgesehene Schaffung einer Rechtsgrundlage für Beschaffung und Abgabe von Hilfsmitteln durch die IV.
Zu den Fragen nimmt der Regierungsrat wie folgt Stellung:
1. Der Regierungsrat erblickt in der Beschaffung von Hilfsmitteln durch die IV keinen ordnungspolitisch fragwürdigen Eingriff in die Wirtschaft. Er ist im Gegenteil der Meinung, dass die öffentliche Ausschreibung einen wertvollen Beitrag für einen fairen Wettbewerb in der Hilfsmittelbranche leisten kann und die geplante Gesetzesänderung deshalb erwünscht ist.
2. Der Regierungsrat setzt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für den Innovationsstandort Bern ein. Dieser ist nach seiner Einschätzung durch die Vergabeverfahren bei der Beschaffung von Hilfsmitteln durch die IV nicht bedroht. Er sieht deshalb keinen Handlungsbedarf.
3. Der Regierungsrat vermag nicht zu erkennen, inwiefern eine öffentliche Ausschreibung bei der Beschaffung von Hilfsmitteln die Wirtschaftsfreiheit verletzt oder gegen das Gebot der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns verstösst.
An den Grossen Rat