A2842 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 42⏐⏐19. Oktober 2007
P O L I T I K
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arnungen der Ärzteschaft vor Lücken in der ärztlichen Ver- sorgung weist das Bundesgesund- heitsministerium dieser Tage als un- begründet zurück. In Deutschland gebe es ausreichend Ärzte. In der Tat stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der berufstäti- gen Ärztinnen und Ärzte von 273 880 im Jahr 1995 auf 307 577 im Jahr 2005. Die reale Versorgungssi- tuation ist jedoch wesentlich kom- plexer: Steigende Patientenzahlen, eine regional unterschiedliche ärztli- che Versorgungsdichte sowie Nach- wuchsmangel bei einigen ärztlichen Berufsgruppen führen zu einem fühl- baren Ärztemangel.Besonders betroffen sind nach der jüngsten „Studie zur Altersstruk- tur und Arztzahlentwicklung“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesärztekammer (BÄK) vor allem ländliche Gebiete in Ost- und neuerdings auch in West- deutschland sowie ostdeutsche Kran- kenhäuser, an denen die Versorgung zum Teil nur noch durch ausländi- sche Ärzte aufrechterhalten werden kann. Mit Sorge sehen die beiden ärztlichen Organisationen in die Zu- kunft. Mehr als 41 000 Ärztinnen und Ärzte werden ihren Berechnun- gen zufolge in den kommenden fünf Jahren in den Ruhestand gehen. Aus- reichender Nachwuchs sei jedoch nicht in Sicht – weder in der ambu- lanten noch in der stationären Ver- sorgung. Auch die Einwanderung von momentan jährlich etwa 1 500
ausländischen Ärztinnen und Ärzten könne die Lücke nicht stopfen.
„Uns bricht der Nachwuchs weg“, sagte Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe, Präsident der BÄK, bei der Präsentation der Studie in Ber- lin. „Der Anteil der Absolventen und jungen Ärzte sinkt Jahr für Jahr, obgleich das Angebot an freien Stel- len so groß wie nie zuvor ist.“ Die Studie belegt: Der Schwund an Me- dizinstudierenden beträgt im Ver- lauf des Studiums bis zum Eintritt in die Patientenversorgung mittlerwei- le 41 Prozent (Erstsemester 1997).
Sie wechseln in andere Berufsfelder oder werden im Ausland ärztlich tätig. Momentan geben 28 Prozent der Krankenhäuser an, of- fene Stellen im ärztlichen Dienst nicht besetzen zu können (Ost 55 Prozent, West 24 Prozent). Offen- sichtlich könne Deutsch- land vielen jungen Ärz- tinnen und Ärzten kei- ne berufliche Perspektive mehr bieten, bedauerte Hoppe. Grün- de sieht er trotz einer verbesserten Vergütung im Krankenhaus unter anderem in weiterhin schlechten Ar- beitsbedingungen sowie Defiziten in der Weiterbildung.
„Wir brauchen attraktive Arbeits- bedingungen, weniger Bürokratie und eine leistungsgerechte Bezah- lung ärztlicher Arbeit“, forderte auch Dr. med. Andreas Köhler für den am- bulanten Bereich. „Wir laufen ansons- ten in einen eklatanten Ärztemangel hinein“, warnte der KBV-Vorstands- vorsitzende. Besonders betroffen sei die hausärztliche Versorgung, aber auch bei Augenärzten, Gynäkologen, Dermatologen sowie Neurologen fehle Nachwuchs.
Der Studie zufolge sind in Nord- deutschland momentan acht von 114 Bezirken hausärztlich unterversorgt,
in Ostdeutschland 13 von 99 Bezir- ken. Allerdings gebe es in Ballungs- gebieten auch noch eine Überversor- gung, räumte Köhler ein. Es sei je- doch beispielsweise nicht möglich, Berliner Ärzte zum Umzug in die 60 Kilometer entfernte Uckermark zu bewegen. „Jeder potenzielle Nach- folger einer allgemeinmedizinischen Praxis stellt sich die Frage, ob die demografische Entwicklung mit häufig überalterter Bevölkerung, fehlenden Kollegen zur Besetzung des Notdienstes und einer mangel- haften Infrastruktur dauerhaft den Lebensunterhalt seiner Familie si- chern kann.“ Köhler wies auf ver- schiedene Anstrengungen der Kas- senärztlichen Vereinigungen in den letzten Jahren, wie Umsatzgarantien in unterversorgten Gebieten, hin.
Wichtig sei es nun, dass die Neuord- nung der ambulanten Vergütung zü- gig umgesetzt werde und auch die Möglichkeiten der flexibleren Be- rufsausübung, die mit dem Vertrags- arztrechtsänderungsgesetz geschaf- fen wurden, genutzt würden.
Die Ärztegewerkschaft Marbur- ger Bund (MB) forderte indes die Bundesregierung auf, ein Sofortpro- gramm zur Verbesserung der Attrak- tivität des Arztberufs umzusetzen.
Dieses müsse unter anderem eine Aufstockung der Honorare im am- bulanten Sektor sowie eine Erhö- hung der Klinikbudgets weit über die beschlossenen 0,64 Prozent be- inhalten. Die für 2008 angekündigte Gesetzesinitiative des Bundesge- sundheitsministeriums, ärztliche Ar- beitsbedingungen dadurch zu ver- bessern, indem man Pflegekräften mehr ärztliche Kompetenzen über- tragen wolle, bezeichnete der MB- Vorsitzende, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, als „ideologiebehaf- tete Alibimaßnahme“. I Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
ARZTZAHLENTWICKLUNG