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Archiv "Modellprojekt: Heroin als Medikament" (07.01.2002)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A26 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 1–2½½½½7. Januar 2002

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as Modellprojekt zur heroinge- stützten Behandlung Opiatabhän- giger steht vor dem Start: In Bonn hat die Anmeldephase bereits begon- nen; sechs weitere Städte (Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt/Main, Karls- ruhe und München) folgen in den nächsten Monaten. Im Rahmen der Arzneimittel- und Therapiestudie er- halten 1 120 Drogenabhängige, bei de- nen bisherige Therapieversuche nicht erfolgreich waren oder bei denen die Methadonsubstitution nicht befriedi- gend verläuft, versuchsweise injizierba- res Heroin als Medikament. Eine Kon- trollgruppe bekommt parallel die Er- satzdroge Methadon. Die Heroinbe- handlung gilt als „ultima ratio“ und soll das bisherige Drogenhilfesystem ergän- zen. Das Bundesinstitut für Arzneimit- tel und Medizinprodukte (Bonn) hat dem vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Ham- burg ausgearbeiteten Forschungsdesign zugestimmt.

Die geplante Therapiestudie* ist eine klinisch kontrollierte Vergleichs- untersuchung nach den Richtlinien der „Good Clinical Practice“ sowie des Arzneimittel- und des Betäu- bungsmittelgesetzes. Sie erstreckt sich über 24 Behandlungsmonate. Die Stu- die soll die Wirksamkeit der Heroin- behandlung bei definierten Ziel- gruppen im Vergleich zur etablierten therapeutischen Alternative, der Me- thadonsubstitution, überprüfen. Da- bei ist die medikamentöse Interventi- on mit einer psychosozialen Therapie kombiniert.

120 000 bis 150 000 Personen konsu- mieren schätzungsweise in Deutschland regelmäßig Heroin. Etwa 29 000 bis 40 000 Drogenabhängige erhalten (Le- vo-)Methadon. Dazu kommen nach Schätzungen von 1997 etwa 20 000 Pati- enten, die mit Dihydrocodein substitu- iert werden, wobei die Mehrheit inzwi- schen in eine Methadonbehandlung ge- wechselt haben dürfte. Damit werden etwa 35 bis 40 Prozent der Heroinab-

hängigen substituiert. Etwa 700 Dro- genabhängige befinden sich in ambu- lanter Rehabilitation und knapp 10 000 Abhängige in der stationären Entwöh- nungsbehandlung. Aus verschiedenen Evaluationsstudien zur Methadonsub- stitution geht hervor, dass die Metha- donbehandlung eine wirkungsvolle Therapie der Heroinabhängigkeit ist.

Doch etwa 10 bis 20 Prozent der Patien- ten profitieren nur gering von der Substitutionsbehandlung.

Die Risiken einer nicht behandelten Opiatabhängigkeit sind individuell, sozi- al und gesellschaftlich hoch. Insbeson- dere langjährig Opiatabhängige, die sich in keiner systematischen Behandlung befinden, haben ein hohes Mortalitäts- risiko; sie sind stark von chronischen Erkrankungen wie Hepatitis, Aids, anderen Infekten und psychiatrischen Störungen betroffen. Durch Infektionen ist auch das soziale Umfeld gesund- heitlich gefährdet.

Auf gesellschaftli- cher Ebene ver- ursacht die Opiat- abhängigkeit be- trächtliche Kosten infolge von Kri- minalität und Be- handlung von Be- gleiterkrankungen.

Besonders in den Großstädten ist die Belastung durch offene Drogensze- nen ein großes Problem.

Das Ziel der Studie ist es des- halb, zu prüfen, ob mit der medizini- schen Verordnung von pharmakolo- gisch reinem He- roin in einem strukturierten und kon- trollierten Behandlungssetting für be- stimmte Gruppen von Heroinabhän- gigen eher die Ziele erreicht werden, die sonst mit Standardbehandlungen der Suchttherapien verknüpft sind:

Schadensminimierung, Integration ins Hilfesystem, Verringerung des illega- len Konsums und der entsprechenden Begleitprobleme, gesundheitliche, psy- chische und soziale Stabilisierung, Kontrolle und Überwindung der Ab-

Modellprojekt

Heroin als Medikament

Im Frühjahr startet das Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger. Die Studienleiter stellen im folgenden Beitrag das Studiendesign vor.

Das Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung richtet sich an Opia- tabhängige, bei denen in der Vergangenheit keine Therapien erfolgreich

waren. Foto: dpa

* Die Studienleiter des Projektes sind Prof. Dr. med. Mi- chael Krausz, Prof. Dr. med. Dieter Naber und Prof. Dr.

Peter Raschke sowie der Vorsitzende des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer, Dr. med. In- go Flenker. Weitere Informationen erhalten Sie im Inter- net unter www.heroinstudie.de

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hängigkeit. Dazu soll die Wirksamkeit von i. v. Heroin mit oralem Methadon bei gleich gehaltenen therapeutischen Settings verglichen werden. Gleichzei- tig sollen Therapieeffekte infolge spe- zifischer Settings (Case Management mit integrierter motivierender Ge- sprächsführung versus Drogenbera- tung mit psychoedukativer Gruppen- therapie) evaluiert werden. Hinzu kommen Spezialstudien zu krimino- logischen, versorgungsrelevanten, ko- gnitiv-motorischen und neurophysiolo- gischen Fragestellungen. Die vier mal zweiarmige Studie wird multizentrisch, randomisiert und kontrolliert durchge- führt. Die zentrale Hypothese: „Die heroingestützte Behandlung ist eine therapeutisch sinnvolle Ergänzung des Drogenhilfesystems bei der Behand- lung von spezifischen Zielgruppen von Heroinabhängigen. Die heroingestütz- te Behandlung führt bei den Patienten gegenüber der oralen Methadonsubsti- tution zu positiveren Effekten.“

Das Modell wendet sich an behand- lungsbedürftige Heroinabhängige, die vom bisherigen Drogenhilfesystem the- rapeutisch nicht wirksam erreicht wer- den oder die von den Substitutionsbe- handlungen mit Methadon nicht ausrei- chend profitieren. Die Behandlungs- bedürftigkeit ergibt sich aus der Dauer der Drogenkarriere sowie den Formen gesundheitlicher, psychischer und so- zialer Verelendung.

Die zentralen Zugangsbedingungen sind: Mindestalter von 23 Jahren, Opiat- abhängigkeit von mindestens fünf Jah- ren, aktuelle Hauptdiagnose der Opiat- abhängigkeit nach den Kriterien von ICD-10, täglicher, vorwiegend intra- venöser Heroinkonsum oder fortge- setzter Heroinkonsum unter der Substi- tutionsbehandlung, körperliche Krank- heitssymptome oder psychische Sym- ptome. Die Patienten dürfen innerhalb der letzten sechs Monate nicht an einer suchttherapeutischen Behandlung teil- genommen haben, müssen aber eine Vorerfahrung mit Drogentherapien oder einen negativen Verlauf einer gemäß den Leitlinien der Bundesärzte- kammer durchgeführten Substitutions- behandlung sowie einen Wohnsitz be- ziehungsweise einen gemeldeten Auf- enthalt seit mindestens zwölf Monaten in der betreffenden Region, die die

Heroinbehandlung durchführt, aufwei- sen können.

Die medizinische Behandlung beruht auf regelmäßigen Kontakten zum be- handelnden Arzt, um den Therapiever- lauf abzustimmen und eventuelle Kom- plikationen frühzeitig zu berücksichti- gen. Ausführliche körperliche und La- bor-Untersuchungen erfolgen zu Be- handlungsbeginn sowie nach einem Mo- nat, drei, sechs und zwölf Monaten. Der Behandlungsverlauf wird über wöchent- liche Urinanalysen kontrolliert.

Medizinische und

psychosoziale Betreuung

Die Patienten werden in Ambulanzen mit interdisziplinären Betreuungsteams behandelt. Die Patienten der Experi- mentalgruppe erhalten Heroin bis zu dreimal täglich in der jeweiligen Ambu- lanz. Die Tageshöchstdosis i. v. Heroin beträgt 1 000 mg, die Einzeldosis maxi- mal 400 mg. Ab dem zweiten Behand- lungstag kann zusätzlich Methadon zur Nacht gegeben werden. Die Patienten der Kontrollgruppe erhalten einmal täglich Methadon als trinkfertige Ein- zeldosis in der Ambulanz. Eine Tages- höchstdosis wird nicht vorgegeben; den Erfahrungen entsprechend muss mit Verordnungen zwischen 40 und 160 mg Methadon (in Einzelfällen bis zu 250 mg) täglich gerechnet werden.

Im Modellprojekt werden zwei un- terschiedliche Verfahren der psycho- sozialen Betreuung Opiatabhängiger eingesetzt: Case Management als ein strukturiertes, stark eingreifendes, nachgehendes Konzept der Betreuung mit hoher Kontaktdichte inklusive der Methode der motivierenden Ge- sprächsführung sowie Drogenberatung mit einem Psychoedukationsprogramm von zwölf Sitzungen über drei Monate hinweg in einem gruppentherapeuti- schen Setting mit nachfolgenden Auf- frischungssitzungen.

Die klinische Arzneimittelstudie läuft 24 Monate. Organisatorisch wird sich die Gesamtstudie über einen etwa 36-monatigen Zeitraum erstrecken. An die Anmeldephase schließt sich eine Vorbereitungs- beziehungsweise Über- gangsphase an, an deren Ende die ran- domisierte Zuweisung und der Behand-

lungsantritt stehen. Die Studie ist in zwei Phasen unterteilt: In den ersten zwölf Monaten wird eine stratifizierte vier mal zweiarmige randomisierte Kontrollgruppenstudie durchgeführt, die die Wirkungen der Heroin- gegen- über der Methadonbehandlung unter vergleichbaren Therapiesettings über- prüft (erste Studienphase). In der zwei- ten Studienphase wird zwölf Monate lang eine Follow-up-Studie durchge- führt, die die längerfristigen Effekte (Stabilisierung und Anbindung an das Drogenhilfesystem) sowie die Integra- tion in das regionale Versorgungs- system oder die reguläre Beendigung der Heroinbehandlung untersucht. Es werden sämtliche Patienten der Experi- mentalgruppe (Heroin) in die zweite Studienphase übernommen. Bis auf eine zufällig ausgewählte Gruppe der Kontrollpatienten, denen die nach zwölf Monaten frei gewordenen Plätze der Heroinbehandlung zur Verfügung gestellt werden, scheiden die Patienten der Kontrollgruppe (Methadon) aus der Studie aus und werden im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung weiter behandelt.

Auf jeden Fall werden die Patienten der Experimentalgruppe behandelt. Da sie aus heutiger Sicht nach Abschluss der Studie kein Heroin mehr erhalten können, werden sie, wenn sie dies wol- len, auf ein anderes Opioid wie bei- spielsweise Methadon umgestellt. Er- bringt die Auswertung der Hauptziel- kriterien am Ende der ersten Studien- phase jedoch einen signifikanten Über- legenheitsnachweis von Heroin ge- genüber der Kontrollbehandlung mit Methadon, so können Patienten, bei denen die Heroinbehandlung erfolg- reich verlaufen ist und die dies wün- schen, nach den 24 Monaten im Rah- men einer Anschlussstudie unter be- stimmten Bedingungen mit Heroin wei- ter behandelt werden. Eine solche Stu- die bedarf dann einer gesonderten Zu- stimmung der Ethikkommission und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Michael Krausz

Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52, 20246 Hamburg T H E M E N D E R Z E I T

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