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Archiv "Drogenpolitik: Streit um Heroin auf Rezept" (03.04.2009)

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A646 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 14⏐⏐3. April 2009

P O L I T I K

G

egen Ende der Legislaturpe- riode wird der Ton innerhalb der Großen Koalition merklich rauer.

Neuer Streitpunkt ist die diamor- phingestützte Substitutionsbehand- lung. Schwerstdrogenabhängige sol- len künftig mit synthetisch herge- stelltem Heroin (Diamorphin) auf Kosten der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) behandelt werden.

Das wollen zumindest der Bundesrat sowie Abgeordnete der SPD, der FDP, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen. Mit ihren fast gleich- lautenden Entwürfen zu einem „Ge- setz über die diamorphingestützte Substitutionsbehandlung“ stoßen sie jedoch auf „erhebliche Bedenken“

vonseiten der Union. Für eine Über- nahme der Diamorphin-Behand- lung in die GKV-Regelversorgung reiche derzeit der Kenntnisstand nicht aus, monieren Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion in einem eige- nem Antrag und fordern, das mittler- weile abgeschlossene Modellprojekt zur kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige fortzuführen.

2002 startete das vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg wissenschaft- lich begleitete Bundesmodellprojekt.

An sieben Standorten (Bonn, Frank- furt/Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, München) erhielten mehr als 1 000 Schwerstopiatabhän- gige randomisiert entweder eine Methadon- oder eine Heroin-Substi- tutionstherapie. Der 2006 veröffent- liche Forschungsbericht zeigte gesundheitliche Verbesserun- gen bei den Behandelten beider

Studienarme. Für die eng begrenzte Gruppe von Drogenabhängigen war die Diamorphinbehandlung der Me- thadonbehandlung jedoch hinsicht- lich der gesundheitlichen Situation als auch der Verringerung des illega- len Beikonsums signifikant überle- gen. Es sank die Beschaffungskrimi- nalität; teilweise gelang den Betrof- fenen der Wiedereinstieg in das Ar- beitsleben.

Einwände von KBV und Krankenkassen

Bei einer Sachverständigenanhö- rung des Gesundheitsausschusses am 23. März in Berlin bestätigten dies die Vertreter der Modellstädte.

Sie berichteten von durchweg guten Erfahrungen: Viele Schwerstabhän- gige konnten stabilisiert und entkri- minalisiert werden, einige erreich- ten sogar die Abstinenz. Auch die Befürchtung, dass zu viele Patienten kommen würden, sei durch die en- gen Zugangsvoraussetzungen nicht eingetroffen, berichtet Marlis Brede- horst von der Stadt Köln. Es gebe sogar noch freie Therapieplätze.

Ebenso wie die Städte befürwor- ten auch die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft eine strenge Vergabe von Diamorphin an einen begrenzten Kreis schwerstkranker Opiatabhängiger. Die mit dem Mo- dellprojekt verbundene Studie weise nach, dass die Diamorphin-Behand- lung für eine bestimmte Patienten- gruppe alternativlos sei, sagte Dr.

med. Christoph von Ascheraden bei der Anhörung. Es gehe in erster Li-

nie darum, Leben zu retten. „Nur wer überlebt, kann eine abstinenz- orientierte Therapie anfangen“, be- tonte von Ascheraden. Von einer reinen Fortsetzung des Modellpro- jekts, wie sie die Union vorschlägt, sind nach Ansicht der Bundesärzte- kammer dagegen keine neuen Beur- teilungskriterien zu gewinnen.

Nach den Gesetzentwürfen von Bundesrat und der interfraktionellen Abgeordnetengruppe soll eine solche Behandlung nur in Betracht kom- men, wenn die Betroffenen mindes- tens 23 Jahre alt und seit fünf oder mehr Jahren abhängig sind und zu- dem bereits zwei erfolglose Therapi- en absolviert haben. Kritik an diesen Kriterien äußerte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Sie sei- en „prototypisch für Heroinabhän- gige“ und deshalb ungeeignet, um Schwerstabhängige abzugrenzen, gab Dr. med. Paul Rheinberger zu be- denken. Wendete man sie an, käme für die Heroinabgabe die Mehrheit der etwa 140 000 Opiatabhängigen infrage. Eine flächendeckende Si- cherstellung der Heroinvergabe durch Vertragsärzte sei einer Umfrage un- ter den Kassenärztlichen Vereinigun- gen aus dem Jahr 2007 zufolge nicht gewährleistet.

Ähnliche Einwände führte der GKV-Spitzenverband an. Nach sei- nen Schätzungen erfüllen etwa 70 000 Abhängige die Kriterien der Heroinvergabe. Damit summierten sich die Kosten der Diamorphin- Therapie auf 0,7 bis eine Milliarde Euro, rechnete Axel Meeßen vor.

Ein großes Manko ist für Dr. med.

Bernhard Egger vom AOK-Bun- desverband zudem die Qualität der psychosozialen Betreuung, die nicht flächendeckend sichergestellt wer- den könne. Ohne sie nutze Dia- morphin auf Rezept jedoch nur

wenig. I

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

DROGENPOLITIK

Streit um Heroin auf Rezept

Nicht nur die Große Koalition ist sich uneins, ob Schwerstdrogenkranke mit Diamorphin auf Kassenkosten behandelt werden sollten. Auch innerhalb der Ärzteschaft gehen die Meinungen darüber auseinander.

Von durchweg guten Erfahrungen mit einer strengen Vergabe von Diamorphin an Schwerstabhänigige berichteten Vertreter der Modellstädte.

Foto:ddp [m]

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