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in politischer Kompromiss ist dann gelungen, wenn sich beide Seiten als Sieger fühlen. So geschehen am 15. November, als die Parteichefs von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, in Berlin ein gemein- sames Finanzierungskonzept für das Gesundheitswesen vorstellten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ein„Prämienmodell light“, das deutlich geringere Pauschalen vorsieht als ur- sprünglich von der CDU geplant. Auch sollen die Kassenbeiträge der Arbeit- geber nur teilweise von den Lohnkosten abgekoppelt werden.
Das Papier ist der Schlusspunkt eines seit Monaten andauernden Streits der Schwesterparteien um eine gemein- same gesundheitspolitische Linie. Ins- besondere CSU-Sozialexperte Horst Seehofer hatte in der Vergangenheit massiv gegen die CDU-Pläne einer ein- heitlichen Kopfpauschale und des dafür nötigen steuerfinanzierten sozialen Aus- gleichs Stimmung gemacht. Der ehema- lige Bundesgesundheitsminister kriti- sierte das Reformkonzept der CDU als ungerecht und nicht finanzierbar. Bera- tungen zwischen Fachpolitikern beider Parteien blieben ohne Ergebnis.
Weil die Zeit angesichts der anstehen- den Landtagswahlen in Schleswig-Hol- stein und Nordrhein-Westfalen dräng- te, verhandelten zuletzt die Parteichefs selbst über ein gemeinsames Konzept.
Herausgekommen ist ein Mischmodell aus dem bisherigen Solidarsystem und den CDU-Kopfpauschalen. Dabei sollen den Krankenkassen einheitliche Prämien pro Versicherten zufließen. Einen Groß- teil davon trägt der Arbeitnehmer. Ver- fügt er nur über ein geringes Einkommen, fällt die Prämie niedriger aus. Der Ar- beitgeberanteil wird bei 6,5 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens festge- schrieben und dient zur Aufstockung der Gesundheitsprämie sowie zur Finanzie- rung des sozialen Ausgleichs.
Konkret heißt das: Der Arbeitgeber überweist für den Arbeitnehmer einen Betrag von 6,5 Prozent des Bruttolohns an eine bei der Finanzverwaltung ange- siedelte Clearingstelle. Insgesamt sollen dort 65 Milliarden Euro zusammen- kommen. Daraus fließen 60 Euro je Versicherten an die Krankenkassen.
Der Rest, etwa 25 Milliarden Euro, geht in den Sozialausgleich.
Der Arbeitnehmer wird mit einer monatlichen Prämie von 109 Euro, aber maximal sieben Prozent seines Brutto- einkommens belastet. Gleiches gilt für heute beitragsfrei mitversicherte Ehe- gatten. Kinder zahlen nach den Unions- plänen auch künftig keine eigene Ge- sundheitsprämie. Die Finanzierung der Mitversicherung erfolgt aus Steuermit- teln. Hierfür ändert die Union an einem Punkt ihr Steuerkonzept. Der Spitzen- steuersatz soll nur von derzeit 42 Pro- zent auf 39 Prozent gesenkt werden.
Geplant war zunächst eine Rück- führung auf 36 Prozent. Die Kranken- kassen erhalten für jeden Versicherten eine einheitliche Prämie von 169 Euro.
Das ist die Summe, die nach Berech- nungen der Union im Durchschnitt für die Gesundheitsversorgung der Versi- cherten nötig ist.
„Hering mit langen Ohren“
Was bereits in der Theorie kompliziert klingt, führt nach Meinung von Kriti- kern in der konkreten Umsetzung zu ei- nem erheblichen bürokratischen Mehr- aufwand. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nannte die Unions-Eini- gung „verheerend“. Die CDU-Kopf- pauschale werde ergänzt durch eine
„bürokratische Kopfgeburt“. Die Frak- tionsvorsitzende der Grünen im Bun- destag, Krista Sager, spottete: „CDU und CSU erinnern an eine Familie, die sich nicht einigen kann, was sonntags
auf den Tisch kommen soll: Kaninchen oder Fisch. Jetzt suchen sie einen Hering mit langen Ohren!“
Erstmals werde mit konkreten Zahlen geplant
Deutliche Kritik äußerte aber auch die Arbeitgeberseite. Der Kompromiss- vorschlag sei „an Komplexität kaum noch zu überbieten“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte, mit den Plänen werde die Finanzierung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung nicht auf eine zu- kunftssichere Basis gestellt.
Für Merkel und Stoiber ist das Uni- ons-Konzept dennoch eine klare Ant- wort auf die von Rot-Grün favorisierte Bürgerversicherung.Auch weil erstmals mit konkreten Zahlen geplant werde und man sich nicht wie Rot-Grün mit bloßen Absichtserklärungen begnüge.
Wahlkampftauglich ist das abge- speckte Prämienmodell in jedem Fall, gibt es doch auf den ersten Blick nur Gewinner. Geringverdiener werden be- zuschusst, und Bezieher mittlerer und höherer Einkommen können mit deut- lichen Entlastungen rechnen. Zudem sollen die Steuern gesenkt werden. Bei der Finanzierung allerdings setzt die Union auch auf das Prinzip Hoffnung:
mehr Steuereinnahmen durch mehr Wachstum. Prämienkritiker Seehofer ist skeptisch, ob diese Rechnung auf- geht. In Tutzing sagte der Sozialexperte:
„Mit einer Einheitsprämie von 264 Euro haben wir begonnen. Jetzt sind wir bei 109 Euro. Das ist doch eine beachtliche Leistung!“ Samir Rabbata P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4719. November 2004 AA3145
CDU/CSU
Einigung im Gesundheitsstreit
Angela Merkel und Edmund Stoiber haben sich auf ein gemeinsames Konzept zur künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens verständigt.
Das Gesundheitskonzept von CDU und CSU im Internet:
www.aerzteblatt.de/plus4704