Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 17|
29. April 2011 A 927 BÜRGERVERSICHERUNGArbeitgeber sollen mehr zahlen
Seit Jahren favorisiert die SPD eine Bürgerversicherung, um die gesetzliche Krankenversicherung gerechter zu finanzieren. Jetzt legt sie erstmals ein konkretes Konzept vor,
das den Arbeitnehmer entlasten und die Wirtschaft wieder stärker zur Kasse bitten will.
W
ährend Bundesgesundheits- minister Philipp Rösler in der Regierungskoalition und mit den Ländern um das Versorgungsgesetz ringt, versucht die Opposition, sich mit eigenen Vorschlägen für die Ge- sundheitspolitik zu profilieren. Einer davon ist die sogenannte Bürgerver- sicherung, deren Eckpunkte das SPD-Präsidium Mitte April verab- schiedet hat. Die Sozialdemokraten versprechen nicht weniger, als eine„solidarische, gerechte und leis- tungsfähige“ Lösung für die Finan- zierung der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) gefunden zu haben.
Grundidee des SPD-Konzepts ist eine einheitliche gesetzliche Kran- kenversicherung für alle. Die priva- ten Krankenversicherung würde ab- geschafft. Dadurch würden dann auch die Beiträge der Besserverdie- nenden und Selbstständigen in den Gesundheitsfonds einfließen. Wer vor der Einführung der Bürgerver- sicherung privat versichert ist, soll die Wahl haben: Er kann in die Bür- gerversicherung wechseln oder bei seiner alten Versicherung bleiben.
Neue Kunden für die private Kran- kenversicherung würde es nicht mehr geben. Die Versicherer kön- nen aber Verträge zur Bürgerversi- cherung anbieten.
Auch bei der Finanzierung der GKV plant die SPD weitreichen - de Änderungen: Die Arbeitgeber sollen wieder paritätisch an den GKV-Kosten beteiligt werden. Zur- zeit zahlen sie 7,3 Prozent des beitragspflichtigen Bruttolohns an die GKV, die Arbeitnehmer 8,2 Prozent. Für beide gilt die Bei - trags bemessungsgrenze von derzeit 49 500 Euro pro Jahr. Dies soll sich mit der Bürgerversicherung ändern:
Arbeitgeber hätten auf die gesamte Lohnsumme ihrer Angestellten ei- nen Prozentsatz zu zahlen – ohne
Bemessungsgrenze. Der zu erwar- tende Beitragssatz läge bei 7,08 Prozent und würde für die Arbeitge- ber eine zusätzliche Belastung von fünf Milliarden Euro bedeuten.
Ausgehend von diesen Zahlen er- hielte die GKV für einen Angestell- ten mit einem Einkommen von 100 000 Euro pro Jahr 7 080 Euro von dessen Unternehmen. Derzeit
sind es nur 3 386 Euro. Arbeitneh- mer sollen im Gegenzug entlastet werden. Sie würden bei einer Bür- gerversicherung lediglich 7,6 Pro- zent ihres Bruttolohns zahlen, und das auch nur bis zur Beitragsbemes- sungsgrenze. Weitere Einkünfte sollen dabei nicht berücksichtigt werden. Die Entlastung der Arbeit- nehmer beliefe sich auf circa fünf Milliarden Euro. „Mit dem Konzept zeigt die SPD, dass sie die wahre Inter essenvertreterin der Arbeitneh- mer ist“, betonte Andrea Nahles, Generalsekretärin der SPD.
Das dritte Standbein der GKV- Finanzierung bilden Steuerzuschüs- se. Im Moment belaufen sich diese auf 15,3 Milliarden Euro. Die Pläne zur Bürgerversicherung sehen eine
jährliche Steigerung dieser Summe um 300 Millionen Euro vor. Finan- zieren wollen die Sozialdemokraten dies über eine Anhebung der Abgel- tungsteuer von 25 auf 30 Prozent Damit würden auch Kapitalmarkt- erträge in die GKV einfließen.
Kritik an der Bürgerversicherung gab es nicht nur vonseiten der pri- vaten Krankenversicherungen, son-
dern auch vom linken Flügel der Sozialdemokraten. Es sei „nicht nachzuvollziehen, warum man Ar- beitnehmer mit hohem Einkommen nicht stärker heranzieht“, bemän- gelt Juso-Chef Sascha Vogt. Er for- dert eine Erhöhung der Beitragsbe- messungsgrenze für die Arbeitneh- mer und die Berücksichtigung aller Einkünfte, wie Mieten und Zinsen.
„Wir wollen vermeiden, dass die Krankenkassen zu Finanzämtern werden“, erwiderte Nahles auf die Kritik. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel erklärte, dass damit nicht nur Besserverdienende, son- der auch Leistungsträger mit durch- schnittlichem Einkommen belastet
würden. ■
Dr. rer. nat. Marc Meißner
„Wir wollen, dass es keine Zweiklas- senmedizin mehr gibt“, betont Andrea Nahles (rechts, dane- ben Sigmar Gabriel).
Die SPD stellt mit der Bürgerversicherung eine Alternative zur
„Kopfpauschale“ vor.
Foto: dapd