A1176 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 23⏐⏐5. Juni 2009
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ach dem Scheitern der Ab- stimmung über ein Gesetz zu Patientenverfügungen konnte am 28.Mai zumindest über ein anderes Ge- setzesvorhaben entschieden werden, über das bereits seit Jahren heftig de- battiert wird. In freier, fraktionsüber- greifender Abstimmung beschloss der Bundestag, dass schwerstabhän- gige Heroinsüchtige in Zukunft mit synthetischem Heroin (Diamorphin) zulasten der gesetzlichen Kranken- versicherung behandelt werden kön- nen. Der entsprechende fraktions- übergreifende Gesetzentwurf erhielt 349 Ja-Stimmen bei 198 Gegenstim- men und drei Enthaltungen. Die Uni- on scheiterte mit ihrem Antrag, der vorsah, die Abgabe von Diamorphin zunächst weiter im Rahmen von Modellprojekten zu untersuchen. Die Anträge der Grünen und der FDP, die sich für eine Lockerung der Take- home-Regelung einsetzten, fielen in der namentlichen Abstimmung eben- falls durch.
Dem nun beschlossenen Gesetz zufolge wird Diamorphin künftig nicht mehr als illegale Droge einge- stuft, sondern als verschreibungsfä-
higes Betäubungsmittel zugelassen werden. Als Ersatz für Heroin können es Schwerstabhängige bekommen, die seit mindestens fünf Jahren opiat- abhängig sind, bereits zwei Therapi- en erfolglos hinter sich haben und mindestens 23 Jahre alt sind. Vorneh- men dürfen die Behandlung nur Ärz- te und Ärztinnen mit suchtmedizini- scher Qualifikation. Diese soll zudem auf Einrichtungen beschränkt sein, die bestimmte personelle Vorgaben erfüllen und ein Sicherheitskonzept vorlegen können. Mit diesen strengen Kriterien will der Gesetzgeber einen Missbrauch der neuen Regelung ver- hindern und die potenzielle Zielgrup- pe überschaubar halten.
Signifikante Überlegenheit Um Apotheken vor Überfällen und Einbrüchen zur Heroinbeschaffung zu bewahren, soll das Diamorphin ferner nicht den für Medikamente üblichen Vertriebsweg nehmen, son- dern direkt vom Pharmahersteller zur behandelnden Einrichtung ge- liefert werden.
Die Substitution von Diamorphin war zuvor im Rahmen eines wissen-
schaftlich begleiteten Bundesmo- dellprojekts untersucht worden, das 2002 vom Zentrum für Interdiszi- plinäre Suchtforschung der Univer- sität Hamburg startete. An sieben Standorten (Bonn, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln, München) erhielten mehr als 1 000 Schwerstopiatabhängige ran- domisiert entweder eine Methadon- oder eine Heroin-Substitutions- therapie. Der 2006 veröffentliche Forschungsbericht zeigte eine signi- fikante Überlegenheit der Dia- morphinsubstitution gegenüber der Methadonbehandlung hinsichtlich der gesundheitlichen Situation als auch der Verringerung des illegalen Beikonsums. Es sank die Beschaf- fungskriminalität; teilweise gelang den Betroffenen der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben.
Angesichts dieser Ergebnisse be- grüßte jetzt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bät- zing, die Entscheidung des Bundes- tages. „Das ist ein Durchbruch für die Behandlung von Schwerstopiat- abhängigen, für den wir lange gekämpft haben. Durch diese Be- handlungsform sichern wir das Überleben von Schwerstopiatab- hängigen, denen anders nicht gehol- fen werden kann, und geben ihnen dadurch wieder eine Perspektive für ihr Leben“, erklärte sie.
Auch der Präsident der Ärzte- kammer Hamburg, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, würdigte den Beschluss des Deutschen Bundesta- ges als eine „wichtige und längst überfällige Entscheidung und einen großen Erfolg für alle, die sich seit Jahren dafür eingesetzt haben“.
„Die Entscheidung wird Menschen, die schwerstabhängig sind, gesund- heitlich helfen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern“, sagte Montgomery. Dies bestätigten die Ergebnisse der Studien eindeu- tig. Die Ärztekammer Hamburg, die auch das Modellprojekt in ihrer Stadt unterstützte, hat sich seit Lan- gem dafür eingesetzt, dass die kon- trollierte Heroinabgabe in die Regel- versorgung der Krankenkassen übernommen wird. „Nun muss der Beschluss rasch umgesetzt werden“, meinte der Kammerpräsident. I Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Foto:ddp
P O L I T I K
BUNDESTAG