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Archiv "SOZIALSTAAT: Lastenumverteilung" (01.06.1989)

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Erträglichen" erreichen. Zu versuchen, die atmosphäri- schen Vorbedingungen für ei- ne kaum noch nachvollzieh- bare Situation freizulegen und ihre Entwicklung zu er- klären, bedeutet nicht, sie verstehen oder gar entschul- digen zu wollen!

Von einer objektiven Auf- arbeitung der Ereignisse ist ihre moralische Bewertung strikt zu trennen: Hier gibt es nichts zu beschönigen. Mögen auch die aktiv verbrecherisch tätig gewesenen Ärzte eine kleine Minderheit dargestellt haben, die überwiegende Mehrheit der deutschen Ärz- teschaft hat die Ereignisse zu- mindest schweigend toleriert, wenn vielleicht vereinzelt auch mit innerer Ablehnung.

Daraus stellt sich die Fra- ge für Gegenwart und Zu- kunft: Hat die belastete Ver- gangenheit zu einer Sensibili- sierung der Ärzteschaft und darüber hinaus der gesamten deutschen öffentlichen Be- wußtseinslage geführt? So er- schreckend es klingt, man muß dies fast bezweifeln!

So sollte man zum Beispiel meinen, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens in allen seinen Formen werde nach dieser Vergangenheit als ein unumstößliches mora- lisches Prinzip von allen Sei- ten uneingeschränkt aner- kannt. Wenn man aber sieht, wie „salopp" im Zusammen- hang mit der Diskussion um den § 218 über den Wert des werdenden Lebens diskutiert wird, dieses Leben zur Dispo- sition gestellt wird, weil es momentan als „lästig" emp- funden wird, lassen sich für den moralisch Sensibilisierten verwandte Grundströmungen erkennen; Leben wird einer subjektiven Bewertung unter- zogen! Am anderen Lebens- bereich ist es nicht anders:

Die Motivation für die „Eu- thanasie" Geisteskranker und Behinderter im Dritten Reich ist so weit nicht entfernt von einer Motivation, mit der in erstaunlicher Unbefangenheit heute der Alters-Euthanasie das Wort geredet wird.

Man möge mich nicht miß- verstehen: Ich bin weit davon

entfernt, mit dieser Feststel- lung die Verbrechen der NS- Zeit mit diesen heutigen Ten- denzen auf eine Stufe zu stel- len; ich meine nur, daß wir aus den vergangenen Ge- schehnissen — noch — nicht ge- nügend die erforderlichen moralischen Konsequenzen gezogen, keine neue „radika- le" ärztliche Ethik entwickelt haben — vielleicht weil eine neue, jüngere Generation in unbefangenem moralischen Selbstvertrauen glaubt, derar- tigen Anfechtungen gegen- über immun zu sein?

Prof. Dr. med. habil. H.

W. Opderbecke, Juvenellstra- ße 70, 8500 Nürnberg 90 SOZIALSTAAT

Zu dem Beitrag „Solidarität und Subsidiarität — Ersatzreligio- nen des Sozialstaats" von Prof. Dr.

med. Horst Baier in Heft 17/1989:

Nicht wundern

Der Beitrag hat in begrü- ßenswerter Offenheit und nüchtern die sozialpolitischen Verhältnisse und Hintergrün- de unserer „Anspruchsgesell- schaft" analysiert. Zu ergän- zen wäre allerdings: Der „Ge- nerationenvertrag" unserer staatlichen Rentenversiche- rung ist vor allem insofern äu- ßerst fragwürdig, als sie mit- tels des „Umlageverfahrens"

finanziert wird. Versiche- rungsmathematisch ist dieses

— im Gegensatz zum „Kapital- deckungsverfahren" — als ab- solut unsolide und „pseudo- sozial" zu bezeichnen.

Es funktioniert nur, wenn und solange

die demographische tannenbaumförmige Alters- pyramide eines Versicherten- kollektivs gegeben ist,

> die Verhältnisse von Wirtschaft und Arbeitsmarkt stabil sind.

Reduzierungen der not- wendig breiten Basis besagter Pyramide durch zum Beispiel starke Kriegsverluste an Menschen junger Jahrgänge oder infolge massiver Gebur- tenrückgänge machen den.

Generationenvertrag zur de- mographischen Illusion.

Vor derartigen Risiken so- ziologischer, politischer und wirtschaftlicher Art hätten verantwortungsbewußte Poli- tiker und Konzeptoren von Rentenversorgungseinrich- tungen nicht die Augen ver- schließen dürfen wie seiner- zeit in den 50er Jahren im Bundesarbeitsministerium und den übrigen beteiligten Regierungsressorts.

Da auch in der Folgezeit trotz dieser Risiken . . . in Bonn die Etats für diverse so- ziale Wohltaten erweitert wurden, darf sich niemand über die nun erkennbar kom- menden Probleme und Miß- stände unseres staatlichen Rentensystems, das Versagen des „solidarischen Genera- tionsvertrags" und den Be- darf ausreichender Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt be- klagen oder wundern.

Dr. med. Hans-Joachim Tepe, Finkengrund 7, 3118 Bad Bevensen-Medingen

Lastenumverteilung

In seinem Aufsatz zeich- net Prof. Dr. Baier ein düste- res Bild des bundesdeutschen Sozialstaates. Die scheinbar empirische Betrachtung und historische Analyse ist jedoch verknüpft mit einem Höchst- maß unterschwellig-subjekti- ver Interpretation. Daraus re- sultierende Aussagen und Folgerungen sind von sozialer Wirklichkeit wie auch Not- wendigkeit weit entfernt.

Kann man wirklich von

„maßlosen Ansprüchen" der Bürger und von einer staat- lich garantierten „totalen Da- seinsvorsorge" ausgehen?

Entscheidend ist hier der bei der Bewertung angelegte Maßstab. Vergleicht man die Ansprüche der Bürger mit ei- nem rein marktwirtschaftlich orientierten System wie den USA, so mögen sie überhöht erscheinen. Ist es aber aus humanistischer Sicht geurteilt zuviel, nach einem Leben ge- leisteter Arbeit Anspruch auf angemessene Versorgung und Sicherung zu erheben, ohne sich in ständigem Kampf ums Überleben, gar

einem „struggle for life" nach Darwinscher Manier, bewäh- ren zu müssen? Den Sozial- staat in diesem Zusammen- hang als eine „Schöpfung der Bürokraten" zu bezeichnen, gar ein „Inschachhalten der Bevölkerung" und „Unter- drückung spontaner Lebens- neigungen" . . . zu beobach- ten, ist unhistorisch und rea- litätsfern. Die nicht zuletzt unter dem Druck der Arbei- terbewegung entstandene So- zialgesetzgebung erwuchs aus der Einsicht in soziale Not- wendigkeiten, nicht aus büro- kratischem Kalkül.

Geradezu absurd mutet die negative Interpretation der Gewißheit einer sozialen Sicherung an. Gerade sie ist es doch, die Vertrauen in die Zukunft stärkt. Die nach- wuchshemmende Zukunfts- angst ist . . . größtenteils aber in vielfältigen anderen Bedro- hungen begründet.

Es wird die unmenschliche

„legalisierte Kindstötung", ei- ne zumindest nicht unum- strittene Interpretation gera- de der Sozialindikation des

§ 218, beklagt, andererseits bezeichnet der Verfasser selbst den Menschen als ver- dinglichte „Ressource" und spricht von „Aufzucht" von Kindern. Diese Wortwahl steht im Widerspruch zu vor- her erhobenen moralischen Ansprüchen.

Unverständlich auch ist der mehrfach hergestellte Zu- sammenhang mit dem „völ- kisch-rassischen Machtstaat"

des Nationalsozialismus, der eine in Methode und Inhalt unvereinbare Gegensätzlich- keit darstellt. Solidarität und eine „Sozialmoral der Spar- samkeit" sind keine leeren Formeln, sondern ideelle Werte, die den praktischen Anforderungen unserer Zeit entsprechen. Der Genera- tionsvertrag ist volkswirt- schaftliche Realität, nach der jahrzehntelang gehaushaltet wurde. Dementsprechend dienen eventuelle Gewinn- einbußen der Arzneimittelin- dustrie nicht den Zielen ein- zelner Politiker, sondern der sozialen Sicherung aller Westdeutschen. Ein Gefühl A-1638 (10) Dt. Ärztebl. 86, Heft 22, 1. Juni 1989

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H. Lutz, Bayreuth

Ultraschallfibel Innere Medizin

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b Nieren von ventral (Anhebung der Ranken)

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von Gesamtverantwortlich- keit ist keine „sozialideologi- sche Verklebung", sondern eine reale Notwendigkeit für unsere Existenzsicherung.

Sicherlich wurden in der Vergangenheit oft Gemein- schaftsappelle mit unlauteren Motivationen vorgetragen, doch rechtfertigt dies nicht eine Ablehnung der Idee von Gemeinverantwortlichkeit schlechthin. Die Verbindung von „sozialdemokratischem Neokorporatismus" und der Rolle der Gewerkschaften mit dem faschistisch-hierar- chischen Obrigkeitsstaat, die über die Subsidiaritätsinter- pretation suggeriert wird, ist unzulässig und läßt politische Motivation neben der Bewäl- tigung der Sachproblematik eindeutig in den Vordergrund treten. Sie erinnert zudem in besonders fataler Weise an

HUNGERSTREIK

Zu dem „Seite eins"-Beitrag

„Kein Zwang!" in Heft 16/1989:

Prestigekampf

Die in Ihrem Kommen- tar „Hungerstreiks - kein Zwang!" wiedergegebenen Erklärungen des Weltärzte- bundes, des Deutschen Ärz- tetages und der Bundesärzte- kammer basieren auf Erfah- rungswissen und ärztlicher Berufsethik, die eine Zwangs- behandlung grundsätzlich ab- lehnt. „Künstliche Ernäh- rung" wurde als medizini- scher Terminus meines Er- achtens erstmalig für die Säuglingsernährung mit Kuh- milch verwendet; eine Thera- pie, deren Indikation, Darrei- chung und Dosierung nach medizinischen Gesichtspunk- ten erfolgt. „Zwangsernäh- rung" hingegen ist ein Ge- waltakt, werden dabei die physiologischen Schluckme- chanismen benutzt, wird sie zu einer „Zwangsfütterung".

Bedient sich die Zwangser- nährung der medizinischen Technik, so wird der Arzt mit seiner Apparatur zum aus- führenden Organ und Erfül- lungsgehilfen. Daß er sich sei- ne Pflicht zu freiem Entschei-

den von Stalin dogmatisierten Begriff von Sozialfaschismus.

Der abschließende Lö- sungsvorschlag, Vermögens- streuung aus Staatsbesitz als Hilfe für private Rücklagen und Versicherungen, über- sieht die Ungleichheit in den Chancen für Privatrückla- gen . . . Der Ausweg aus dem unbezweifelten Problem der Finanzierung unseres Sozial- staates liegt vielmehr in einer stärkeren Umverteilung der Lasten. Die gesellschaftlichen Kräfte, die in unserem Staat beispielsweise in Form von ständig steigenden Unterneh- mensgewinnen am meisten profitieren, haben auch für die Beseitigung negativer Fol- gen und den Erhalt des sozia- len Gleichgewichts in höch- stem Maße aufzukommen.

Jan Müller, Riemeister- straße 169, 1000 Berlin 37

den und Handeln nicht neh- men läßt, ist sein gutes Recht.

Vielleicht ist ein Blick in die Kinderstube angebracht:

Gutgemeinte Zwangsfütte- rung wird von besorgten Müt- tern häufig genug praktiziert, bekanntlich immer mit nega- tivem Erfolg. Denn dabei wird die Nahrungsaufnahme unweigerlich zu einem - of- fensichtlich willkommenen - Prestigekampf zwischen dem Kleinkind und der energi- schen Bezugsperson, und die beim Füttern und „Stopfen"

ständig wiederholte Emotion von Unlust- und Abwehrer- lebnis eskaliert zu einer schließlich unüberwindbaren Reflexbahnung von Abwehr- mechanismen wie Würgen, Erbrechen und Appetithem- mung bereits bei Vorstellung oder Anblick von Eßbarem.

Einzige Therapie beim Kind:

Vermeidung von Überange- bot und Zwang, dafür stilles Angebot ohne Aufforderung!

Mögliche Parallele zum Hun- gerstreik: Gewaltanwendung mobilisiert die Energie zu Abwehr und Durchhalten, stilles Angebot lähmt die Streikenergie.

Dr. med. Hans Gött, Nelli- Schmithals-Straße 21a, 6550 Bad Kreuznach 1

A-1640 (12) Dt. Ärztebl. 86, Heft 22, 1. Juni 1989

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