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Archiv "Die „Schutzwürdigkeit“ des Lebens in der Diskussion um die Fristenregelung: II." (05.09.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

„Schutzwürdigkeit" des Lebens

ter den 1712 Frauenärzten sich 93 Prozent für eine Änderung der bisherigen gesetzlichen Regelung aussprachen. Dabei darf aber nicht vernachlässigt werden, daß 94,28 Prozent die Tötung eines Embryos als die Vernichtung eines Rechts- gutes deklarierten, welche nur aus schwerwiegenden Gründen zu ver- antworten sei. Ob solch schwer- wiegender Grund gegeben ist, wenn es sich bei dem empfange-

nen Kind um eine Störung oder Überlastung der jeweiligen Eltern handelt, bleibt doch sehr fragwür- dig.

Wenn sich 65,48 Prozent der Frau- enärzte für eine soziale Indikation aussprachen, dann taten sie das allein hinsichtlich des Zusatzes:

„Wenn die Gesundheit der Mutter durch unzumutbare und im gege- benen Zeitpunkt unabänderliche soziale Faktoren ernstlich gefähr- det ist."

Da es um dieses Unzumutbare, Un- abänderliche und Ernstlichgefähr- dende jedoch immer wieder große Meinungsverschiedenheiten geben wird, wäre die Fristenlösung einfa- cher zu handhaben. Das erscheint mir als Begründung völlig ausrei- chend zu sein.

Falls wir aber unsere Fähigkeiten zum Sozialwesen entwickeln wol- len, haben wir gerade als Ehepart- ner dazu besondere Gelegenheit.

Denn sie reift dadurch heran, daß wir als Eltern unsere Kinder akzep- tieren und integrieren, indem wir unsere Frustationen überwinden, die durch ihr Dasein ausgelöst werden können, sei es während der Schwangerschaft oder nach der Geburt. In diese Bewährungs- probe sind Eltern immer von neu- em gestellt, auch bei sogenannten Wunschkindern.

Wir können die zahlreichen Kin- desmißhandlungen nicht durch die Legalisierung des Schwanger- schaftsabbruches im Sinne der Fri- stenregelung lösen, sondern nur durch Intensivierung der Kommuni- kationsfähigkeit der Elternteile zum Kinde. Diese Kommunikationsfä-

higkeit lernt man nur von liebenden Eltern, die ihren Kindern positive Lebens- und Reifungsmöglichkei- ten vermittelten, obgleich ihnen El- ternschaft zunächst nur etwas war, das ihnen geschehen ist, obwohl diese Tatsache nach Bräutigam

„auf die Dauer nicht hingenommen werden sollte."

„Eine Familie zu gründen, Kinder empfangen und erhalten zu kön- nen, sie ein Stück ihres Weges füh- ren zu dürfen, ist das wertvollste, das einem Menschen überhaupt gelingen kann." Dieser abschlie- ßenden Aussage Bräutigams ist nur beizupflichten, wenn der Mensch dieses Werk vollbringt in der Überwindung seiner persönli- chen Angst: eingeengt, gestört und überlastet zu werden. Dazu sollten sich die Familien gegenseitig hel- fen, und der Staat sollte solche angstüberwindende Funktionen un- terstützen. Darin würde ich vor der Fristenlösung die grundlegende Hilfe sehen, die ganz sicherlich noch nicht ausgeschöpft ist. So kä- men wir der „Menschlichkeit des Lebens", die angeblich durch die Fristenlösung angestrebt werden soll, eher näher, als durch eine Kündigungsfrist für den Embryo auf drei Monate.

Dr. med. E. Pechel St.-Petrus-Krankenhaus Chefarzt der Gynäkologisch- geburtshilflichen Klinik 56 Wuppertal 2

Carnaper Straße 48

II.

Anläßlich der Debatte im Deut- schen Bundestag für Abänderung des § 218 brandet die Diskussion um die Änderung dieses Straf- rechtsparagraphen besonders hoch; dieser Vorgang wird ver- ständlich, da ein Großteil der Ab- geordneten, ich fürchte, sogar die Mehrheit, eine derartige Abände- rung dieses Paragraphen anstrebt, die eine Durchlöcherung des Prin- zips der absoluten Schutzwürdig- keit menschlichen Lebens bedeu- tet.

Nicht nur durch den „Eid des Hip- pokrates", sondern auch aufgrund unserer biologischen Kenntnisse sind wir Ärzte von Berufs und Be- rufung wegen zur Erhaltung des Lebens, im engeren Sinne zur Er- haltung des biologischen Lebens berufen und aufgerufen. Daß die- ses biologische Leben auf unserer Erde mit „Disteln und Dornen"

nicht und nie frei von Schwierigkei- ten, Spannungen, Notlagen, Hun- ger, Seuchen, Katastrophen usw.

sein wird, lehrt ein Blick in die ge- schichtliche Zeit und wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

Wenn darüber hinaus der Naturwis- senschaftler weiß, daß individuelles Leben, also auch das menschliche Leben mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle beginnt, muß ich Ihre Diskussionsbemerkungen um die Schutzwürdigkeit des Lebens für besonders verkrampft, verstellt und verschränkt halten. Der Chan- cengleichheit jedes Menschen wi- derspricht im allgemeinen eine qualitative Abwägung der Schutz- würdigkeit dieser oder jener Le- bensindividualität.

Dieser Widerspruch zur Chancen- gleichheit des Lebens, nämlich sei- ne Qualifizierung aufgrund beste- hender Leistungsfähigkeit, ein Ge- danke, der vor allem in der natio- nalsozialistischen Zeit sich auszu- prägen begann, zieht die ganze Diskussion um den § 218 in so viel Grundsätzliches um Schutzwürdig- keit und Bestand des menschli- chen Lebens.

Außer in menschenverachtenden Tyranneien und Diktaturen, etwa in marxistischer Ausprägung, galt in der gesamten Geschichtlichkeit und sollte auch heute noch das in- dividuelle und unwiederholbare, menschliche Leben den umfassen- sten grundsätzlichsten und sicher- sten Schutz der Gesellschaft, also auch des Staates, erhalten. Dieses Anliegen dürfte vorzügliche und besondere Ausprägung in einem sozialen Rechtsstaat erfahren.

Aus dieser Sicht kann ich die Argu- mentation und Fragestellung über-

2594 Heft 36 vom 5. September 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

„Schutzwürdigkeit" des Lebens

haupt nicht begreifen, daß ein Kind zur „Unzeit" zur Welt kommt. Dar- aus folgt, daß auch Oma und Opa und der Kriegsversehrte zur „Un- zeit" Wohnung, Kleidung und Er- nährung benötigen. Weiterhin: Wo sind denn die Familien mit 8 — 10

— 14 Kindern unserer Vorfahren, denen bei weitem nicht die techni- schen und materiellen Errungen- schaften zur Verfügung standen wie heute. Wieso können Sie glo- bal von einer Notlage jener Famili- en sprechen, die vielleicht 2, 3, höchstens 4 Kinder haben, die bei uns in Deutschland, vielleicht ab- gesehen von der Sowjetzone und den russisch und polnisch verwal- teten deutschen Ostgebieten, im allgemeinen noch immer in einer Wohlstandsgesellschaft leben?

Nach Ventilieren dieser Frage müßten Sie mir zugeben, daß es weniger materielle Notlagen, als Egoismus und Luxuswunsch sind, welche „Vater und Mutter durch die Geburt überfordern".

Haben Sie noch nie gehört, daß ein Kind die Ehepartner binden und versöhnen kann, daß ein zunächst abgelehntes oder mit Sorgen er- wartetes Kind schließlich mit Freu- den aufgenommen, erzogen und als Glücksfall betrachtet wird, selbst in einer heute ohnedies sel- tenen, kinderreichen Familie? Ich staune, daß Sie als Kollege, der sich mit der Nahtstelle von Psyche und Soma befaßt, hierin so wenig Einblick haben. Noch nie habe ich von einem Kranken erfahren, daß er betroffen von seiner Mutter ge- hört hat, er sei ein ungewolltes Kind.

Wie darf ich das verstehen, daß für viele Frauen eine zu frühe (die meisten Erstschwangerschaften sind meines Erachtens zu spät) Schwangerschaft die Frau in ihrer sozialen Existenz im Kern trifft?

Erlauben Sie mir, daß ich einflech- te, diese verbogene Betrachtungs- weise nicht zu verstehen. Eine Schwangerschaft trifft doch eine Frau in ihrer ureigensten und ihr zugehörigen Mütterlichkeit. Inso- fern bedeutete sexuelle Betätigung

und Lusterleben nur insoweit „Risi- ko oder Nachteile", als es sich um Verbreitung von Geschlechtskrank- heiten handelt; das natürliche Er- gebnis eines sexuellen Aktes in Gestalt eines neuen Menschen kann doch nie „Risiko oder Nach- teil" sein. Wie darf ich es verste- hen, daß es „ungewollte Kinder"

gibt?

Die Probleme, die heute einer kin- derreichen Familie, bzw. einer ledi- gen Mutter aufgegeben sind, soll- ten in einem Staat, der sich „sozia- ler Rechtsstaat" nennt, lösbar sein können. Hier scheint mir allerdings ein weites Feld für Maßnahmen und Reformen auf den verschie- densten Gebieten zu liegen.

Immerhin bestätigen Sie den auch von mir beobachteten Tatbe- stand, daß Patientinnen, die abge- trieben haben, hierin eine „Ursa- che von Schuldgefühlen und von andauernden Verstimmungen" fin- den müssen. Aber dieses Schuld- gefühl entfällt doch nicht dadurch, daß der im Schwangerschaftsab- bruch liegende Tötungsvorgang le- galisiert wird; auch ein Mörder wird lebenslang „Gewissensbisse"

haben. Können Sie sich ehrlich zu der Meinung bekennen, daß ir- gendeine staatliche, gesetzliche Regelung, bei uns sogar entgegen den Bestimmungen des Grundge- setzes, je ein Gewissen entlasten könnte? Und gewissenlose Lumpen lassen sich ohnedies von keinen papierenen Bestimmungen, Geset- zen und Verordnungen beeindruk- ken.

Dr. med. Wolfgang Garmann Leitender Arzt

der Inneren Abteilung am Städtischen Krankenhaus 8972 Sonthofen

Schlußwort

Unter den zustimmenden und kriti- schen Zuschriften, die ich auf mei- ne Stellungnahme vom 25. April 1974 bekommen habe, sind diese beiden dem DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT zugegangenen bemerkens-

wert, weil sie offenbar andere grundsätzliche Positionen deutlich werden lassen.

Wenn ich in der Äußerung von Herrn Kollegen Garmann keinen

„Trost finden kann", wie er es mir nahelegt, so liegt das sicher nicht einfach an dem herablassenden Ton gegenüber meinen „sicher gut gemeinten", aber „oberflächlichen Argumentationen", die er für be- sonders „verkrampft, verstellt und verschränkt" (er meint wohl be- schränkt) hält. Er nimmt „Familien mit 8, 10 und 14 Kindern unserer Vorfahren" als Vorbild und findet, wo ich Existenzsorgen und Über- forderung von Vater und Mutter durch die Geburt weiterer Kinder sehe, nur „Egoismus und Luxus- wunsch". Er spricht im Zusammen- hang der Schwangerschaftsunter- brechung von „Mördern", die auch

„lebenslang ‚Gewissensbisse — ha- ben und von „gewissenlosen Lum- pen", die sich von Gesetzen ohne- hin nicht beeindrucken lassen. Es ist mir erst nach längerem Nach- denken deutlich geworden, wie „die deutschen Ostgebiete" und „die menschenverachtenden Tyranneien und Diktaturen marxistischer Aus- prägung" in unsere Diskussion kommen. Sollte seine Argumenta- tion in der Zeit wurzeln, als die deutsche Zukunft im Osten gese- hen wurde, als im 3. Reich der Schutz des Lebens im Mutterleib, jedenfalls bei den als deutsch be- zeichneten Frauen, streng geachtet und das Leben von geborenen und ungeborenen Juden, Angehörigen anderer Völker und politisch an- ders Denkenden wertlos und au- ßerhalb jeden Rechts war, so daß fünf Millionen planmäßig vernichtet wurden? Ohne diese Perspektive aus der Vergangenheit müßte in der Gegenwart doch deutlich wer- den, daß westliche Demokratien wie England, Schweden und viele andere seit vielen Jahren die Schwangerschaftsunterbrechung gesetzlich geregelt haben und die- se Frage mit Tyranneien und Dik- taturen marxistischer Ausprägung wirklich nichts zu schaffen hat?

An keiner Stelle habe ich die zu- künftige Leistungsfähigkeit der

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 36 vom 5. September 1974 2595

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