Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 3315. August 2008 A1745
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er auf Sicherheit aus ist, wird wahrscheinlich nicht nach Kolumbien reisen. Denn wenn man sich an den deutschen Nach- richten orientiert, ist das südameri- kanische Land angefüllt mit Kid- nappern und Drogenhändlern. Wen allerdings Sicherheit anödet, so könnte man meinen, der ist in Ko- lumbien gut aufgehoben. Den 26- jährigen Medizinstudenten Marc ödet die Rasenkantenschneidermen- talität seiner deutschen Heimat an.So entschließt er sich, sein prakti- sches Jahr in einem Krankenhaus in Cali zu verbringen. Cali ist mit 2,4 Millionen Einwohnern die zweit- größte Stadt Kolumbiens und deut- schen Nachrichtenzuschauern vor allem durch das Cali-Kartell be- kannt, ehedem ein Zusammen- schluss von Kokainproduzenten, dem mehr als tausend Morde zur Last gelegt werden.
Fünf Minuten nach Beginn seiner ersten Schicht ist Marc bereits Teil der kolumbianischen Realität. Auf sich allein gestellt, soll er eine Pa- trone aus dem Brustkorb eines jun- gen Mannes entfernen. Nur mithilfe der erfahrenen Schwester und unter den Augen der allgegenwärtigen Jungfrau Maria gelingt es ihm, die starke Blutung zu stoppen und das
Leben des Mannes zu retten. Marc trägt die Patrone fortan als Glücks- bringer um den Hals. An einer Seite des Projektils ist der Buchstabe „J“
eingeritzt. Marc ist erfüllt von einer wilden Gier nach Leben. Betont furchtlos stürzt sich der junge Deut- sche in den kolumbianischen Alltag, schlägt alle Warnungen seines ängstlichen Gastvaters in den Wind.
Nach der Arbeit streift er durch die Armenviertel der Stadt. Marc freun- det sich bald mit der Kioskbesitze- rin Wanda an, kauft ihrem kleinen Bruder Kokain ab und spielt mit ih- nen Fußball auf staubigen Sport- plätzen. Doch bevor er es richtig versteht, wird aus seinem Abenteuer in der Fremde tödlicher Ernst und als ihn der mordende Gangleader
„J“ in sein Refugium einlädt, muss Marc feststellen, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt.
Mit „Dr. Alemán“ taucht der junge deutsche Regisseur Tom Schreiber tief in das Leben und den Rhythmus von Cali ein. Großartige Bilder lassen die Atmosphäre der kolumbianischen Metropole haut- nah erleben. Schreiber gelingt es, die Lebensfreude und die Le- bensängste der Menschen inmitten eines von Gewalttätigkeiten durch- zogenen Alltags zu erspüren. Dabei
entwirft er ein vielschichtiges Ge- sellschaftsbild.
Insbesondere in medizinethischer Hinsicht ist das mit dem deutschen Drehbuchpreis 2006 ausgezeichnete Script von Oliver Keidel bemer- kenswert. Es präsentiert ungeschönt den deprimierenden Alltag in Marcs Krankenhaus. Die Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens muss er dabei nicht nur für sich selbst, sondern vor allem als Arzt beant- worten. Ist das Leben eines Berufs- killers ebenso schützenswert wie das Leben einer schwangeren Frau und ihres ungeborenen Kindes?
Darf er als Arzt überhaupt über eine solche Gewichtung nachdenken oder
muss er ungeprüft jede Anordnung seines Vorgesetzten ausführen?
„Dr. Alemán“ ist ein rasant insze- nierter Abenteuerfilm, dem es eben- so gelingt, die Atmosphäre einer ko- lumbianischen Großstadt wie die Gefühle der in ihr lebenden Men- schen einzufangen. Anhand des von August Diehl gewohnt kompro- misslos dargestellten Mediziners Marc wird der Zuschauer in diese fremde Welt hineingezogen. Der Film startet am 14. August in den
deutschen Kinos. I
Falk Osterloh
DR. ALEMÁN
Vom Wert des Lebens
Während eines praktischen Jahres in einem kolumbianischen Krankenhaus muss sich der Medizinstudent Marc entscheiden, wofür es sich im Leben zu kämpfen lohnt.
Erfüllt von einer wilden Gier nach Leben stürzt sich der junge Deutsche in den kolumbianischen Alltag.
Ungeschönt präsentiert der Film den deprimierenden Alltag in Marcs Kran- kenhaus.
Fotos:filmpresse meuser