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Schweizer Alltag

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Academic year: 2022

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Medien, Moden, Medizin

«Was passiert mit dem alten Toaster?», fragt meine Frau. Tja, welches Schicksal steht ihm wohl bevor?

Irgendwann gehört man halt zum alten Eisen – warum sollte es einem Brotröster besser gehen als uns allen?

Aber irgendwie ist es ungerecht, denn er funktioniert nach wie vor tadellos und umweltfreundlich sparsam.

Nur sein Styling passt nicht mehr in unsere Zeit: sehr Siebzigerjahre. Auf seinen Flächen tummeln sich neon- grüne und strassenverkehrsdienstorange Blumen auf braunem Hintergrund. Doch das war mal der letzte Schrei und wird sicher irgendwann wieder total «in»

sein. «Ins Gästezimmer?», schlage ich vor. Resolut schüttelt meine Frau den Kopf. «Was willst du denn dort noch hineinmüllen?», protestiert sie. «Dort stehen schon Aschis alte Kunstleder-Sitzgruppe, Grosis Nierentisch und jede Menge Nippsachen, von denen du dich nicht trennen magst.» Fieberhaft überlege ich, um dem alten Toaster ein schmachvolles Ende zu ersparen. Das Gäste-WC scheidet sozusagen aus – dort röstet sich niemand Brot. Im Hobbykeller wäre eine kleine Stärkung ab und zu ganz nett, aber dafür reichen die Vorrats-Bierharassen aus. «Oberste Fächer in der Küchenoberzeile!», ordne ich an. «Falls der neue Toaster mal ausfällt, haben wir dann einen Ersatz.»

Zufrieden greife ich wieder zur Zeitung. Es ist ein be - ruhigendes Gefühl, einen Zusatztoaster zu haben, der neben dem Reserveföhn, dem zweiten Fondue-Set, der Ersatzkaffeemaschine und dem Back-up-Stabmixer Asyl gefunden hat.

«Magst du ein paar spanische Nüssli?», fragt meine Frau. Ja nicht! Seit dem ersten Advent schlemmen wir nun schon, essen uns durch Patienten-Geschenk- Guetsli berge, Spirig-Lachs, Pharma-Weihnachtsstollen und -Rollschinkli, verdrücken die traditionellen Ge- richte, die meine Frau in solchen Mengen kocht, wie wenn die Kinder noch im Hause wohnten, und testen unsere Leberfunktion mit viel zu viel Glühwein, Punsch und Champagner. Zu viel der guten Dinge … Ich schaue unter den Weihnachtsbaum. Zwar sind die meisten der Geschenke schon in Gebrauch, wie die neuen Finken und der Calida-Pyjama Jahrgang 2011, aber noch immer türmen sich die guten Gaben:

Bücher, Videokassetten, Pralinen, noch mehr Alkohol, selbst gemachte Leckereien wie Margriths Chutneys im Einweckglas. Welch eine Gabenflut! Im Bücherregal

haben wir die Weihnachtskarten aufgestellt: eine schö- ner als die andere. Mit Profifotos von verschneiten Bergdörfern (ja, das gab es einmal …), hand-, fuss- und mundgemalte religiöse Sujets, von Göttimeiteli und -buben gebastelte, mit dem Computer selbst gestal- tete Karten … Welch eine Flut von lieben und kreativen Grüssen! Vom ungewohnten Faulenzen tut mir der Rücken weh und ich beschliesse, ein heisses Bad mit Rheuma-Badesalz zu nehmen. Als ich mich wohlig in den Fluten räkele, denke ich an die, denen es jetzt anders geht als uns. An Menschen, denen Erdbeben oder Hochwasser ihre Hütte und ihre wenigen Hab - seligkeiten nahm. Die frieren, nicht wissen, wo sie ein trockenes Fleckchen zum Schlafen finden und woher die nächste Mahlzeit kommen soll. Die Bilder im Fern- sehen von halbverhungerten Bürgerkriegsflüchtlingen vermitteln nicht den Magenschmerz, der Hunger aus- löst, die Qual, die Durst hervorruft. Ich denke an meine Kinder, denen Vater Staat es ermöglicht, quasi gratis an der Universität zu studieren. Wenn mal eine Vorlesung ausfällt, jubeln sie. In Guatemala und Burkina Faso ju- beln die Kinder, wenn sie lernen dürfen, anstatt auf den Feldern und Plantagen oder in Bergwerken zu schuf- ten. Ich lasse ein wenig mehr heisses Wasser zulaufen:

Es kommt in Trinkwasserqualität in gewünschter Tem- peratur an fünf Orten in unserem Haus aus einer chrom- glänzenden Mischbatterie aus der Wand. Kein gelb- schlammiges, bakterien- und protozoenverseuchtes Nass, das in tagelangen Märschen unter Lebens gefahr von den Trinkstellen wilder Raubtiere geholt werden muss. Mit Shampoo im Haar überlege ich, dass meine Chancen, von zu Hause in die Praxis zu kommen, ohne überfallen, beraubt und ermordet oder von einer Terroristenbombe zerfetzt zu werden, exzellent sind.

Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass meine Frau ver- gewaltigt wird und meine Kinder verschleppt werden, um als Prostituierte, Sklaven oder Kindersoldaten ver- kauft zu werden, wenn ich das Haus verlasse, um mei- ner gesicherten, gut bezahlten Arbeit nachzugehen, die mir Freude macht. Als ich heute Morgen wählen ging, musste dort kein Sicherheitsdienst die Urnen bewachen, kein UN-Beamter die Wahl überwachen und ich bin ziemlich mir sicher, dass

alles demokratisch und legal zuging.

Das ist mein Alltag. Bin ich mir des- sen genug bewusst?

Schweizer Alltag

ARSENICUM

1024

ARS MEDICI 24 2011

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