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Archiv "§ 218-Diskussion in Bayern: Zwischen Hardlinern und Moderaten" (08.11.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

§ 218-Diskussion in Bayern

er Disput über eine Gret- chenfrage der deutschen Einigung — wie man's denn in Zukunft mit dem Schwangerschaftsabbruch halten sol- le — schlägt in Bayern erwartungsge- mäß besonders hohe Wellen.

Schließlich hatte die Staatsregie- rung im Einverständnis mit großen Teilen der Bevölkerung, zumal in den katholischen Gebieten des Frei- staates, noch im Frühjahr dieses Jah- res Normenkontrollklage beim Bun- desverfassungsgericht erhoben (sie- he Heft 14/1990). „Binnen angemes- sener Frist", hatte es in der Klage- schrift geheißen, solle der Bundesge- setzgeber zum Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches eine Neuregelung treffen, „die den verfassungsrechtli- chen Anforderungen genügt".

Wiewohl der auf Artikel 1 des Grundgesetzes (Schutz der Men- schenwürde) gestützte Appell zu- nächst nur der schleppenden parla- mentarischen Behandlung des „Be- ratungsgesetzes" gegolten hatte, fe- stigte sich der Tenor der Kontroll- klage, je länger die Diskussion über Ob und Wie des Schwangerschafts- abbruchs anhielt, in dieser Frage zur Grundlinie der Staatsregierung.

Kaum eine regierungsamtliche Äu- ßerung ist nicht mit ihr synchroni- siert. Vor allem die Hardliner im Münchner Kabinett wollen kein Nachdenken über mögliche gesamt- deutsche Lösungen dulden — schon gar nicht über „dritte Wege".

CSU-Chef Theo Waigel billigt der zweijährigen Übergangsfrist zwar konziliant zu, sie sei „verant- wortungsethisch vertretbar", will die Klage aber auch dann ihren Weg bis zur Entscheidung gehen lassen, wenn das längere Zeit dauern sollte.

Innenminister Edmund Stoiber nennt jede Form von Fristenlösung

„unakzeptabel": die deutsche Eini- gung könne nicht dazu führen, „daß in Bayern nun eine andere Rechts- ordnung eingeführt wird". Für Ju- stizministerin Mathilde Berghofer- Weichner ist „ein Zurückgehen hin- ter den geltenden Rechtszustand ausgeschlossen". Sozialstaatssekre- tärin Barbara Stamm postuliert, der Schutz des ungeborenen Lebens

„vertrage keine Abstriche". Alle zu- sammen sehen in einer Annäherung

an den bisherigen DDR-Rechtszu- stand eine „katastrophale Wertent- scheidung", die sich mit den Vorstel- lungen der CSU nicht in Einklang bringen lasse.

Ganz so militant gibt man sich draußen im weiten Flächenland nicht. Aber es gibt auch moderatere Stimmen. Ohne vorgehaltene Hand wird in engagierten Gesprächszir- keln — auch und gerade in katholi- schen! — die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Schwangerschaftsab- bruch überhaupt um einen strafbe- wehrten Rechtsvorgang handeln dürfe oder ob das Problem nicht viel

sinnvoller und mit weit besseren Lö- sungsaussichten auf die ausschließ- lich moralische Ebene verlagert wer- den solle.

In solchen um größere Klarheit bemühten Gesprächsrunden wird denn auch oft bezweifelt, daß die Staatsregierung gut beraten ist, wenn sie eine Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch „strikt ablehnt". In ihrem Zweifel sehen sich die Nachdenklichen unter ande- rem durch einen Rosenheimer Rechtsanwalt bestärkt, der auf Grund eigener Erfahrung und im Hinblick auf die Rechtspraxis der vergangenen Jahre annimmt, die Zahl der wegen Abtreibung verur- teilten Frauen liege „bei Null oder nicht weit davon entfernt".

Das mag ein wenig salopp for- muliert sein, läßt aber dennoch für ein Plädoyer zugunsten des Paragra- phen 218 keinen Raum. Eine Bestä-

tigung dafür kommt von unverdäch- tiger Seite — nämlich aus der hausei- genen Statistik des Justizministeri- ums, dessen Chefin mit so harten Bandagen gegen jede Änderung der Strafbewehrung kämpft.

Frau Berghofer-Weichners ho- her Beamter gibt bezüglich der Ver- urteilungen eine verblüffende Uber- sicht: 1985 in Bayern fünf, bundes- weit sieben; 1986 in Bayern drei, bundesweit keine; 1987 in Bayern sieben, bundesweit zwei; 1988 in Bayern 132, bundesweit zwei. Hin- tergrund: Die Zahl der gemeldeten Abtreibungen (nur der gemeldeten!) liegt gemäß einer Auskunft, die das Statistische Bundesamt dem

„Münchner Merkur" erteilte, seit 1976, dem Jahr der Neufassung des Paragraphen 218, bei durchschnitt- lich 83 000 jährlich.

Schürfen die Gesprächszirkel nur tief genug, so taucht dort nahezu regelmäßig die Frage auf, welcher Christ sich in dieser Auseinanderset- zung als der „bessere" und welcher als der „schlechtere" ausweist. In un- terschiedlichen öffentlichen Bekun- dungen findet diese Frage reichlich Nahrung. So verkündet das Landes- komitee der Katholiken in Bayern, es könne nicht hingenommen werden, wenn bei der Wiederherstellung ei- nes einheitlichen deutschen Rechts- gebietes eine „das Rechtsbewußtsein noch mehr aufweichende Regelung"

durchgesetzt werde. Die Junge Union Bayerns hingegen spricht sich dafür aus, die Abtreibungsfrage

„nicht mit dem Strafrecht zu regeln, sondern individuelle Lösungen zu suchen".

Manchem katholischen Tradi- tionalisten muß ein Schreck in die Glieder gefahren sein, als ausgerech- net die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier diese Auffassung vor der JU mit dem Hinweis begründete, auch in Ländern mit straffreier Ab- treibung wie beispielsweise den Nie- derlanden liege die Quote der Schwangerschaftsabbrüche nicht hö- her als in der Bundesrepublik.

Unerwarteten Zuspruch erfuhr die Junge Union von Alois Glück, dem Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Im Gegen- satz zu seinen Hardliner-Partei- freunden bekannte er sich dazu, „im Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990 (19) A-3499

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Strafrecht nicht den zentralen Punkt der Abtreibungsdebatte zu sehen".

Ein Vergleich mit der DDR-Praxis lasse erkennen, daß die rechtliche Si- tuation „praktisch keine Wirkung"

auf die Höhe der Abtreibungszahlen habe. Die Debatte solle daher in den nächsten zwei Jahren „nicht isoliert und schon gar nicht anklagend" ge- führt werden.

Von der Kirche nur „Ladenhüter"?

Unter diesen Umständen kann es kaum überraschen, wenn das Pro- jekt „Beratung" bei den einen nur ei- ne minimale, bei anderen aber eine zentrale Rolle im Gesamtkomplex Schwangerschaftsabbruch spielt.

Theo Waigel möchte mit Beratungs- stellen zunächst einmal eine Bresche in die Fristenlösung der DDR schla- gen. Barbara Stamm projiziert ans Ende der Übergangszeit ein „aus- gebautes Schwangeren-Beratungs- netz". Am weitesten hat sich die ka- tholische „Herder-Korrespondenz"

vorgewagt. Sie plädiert für eine „of- fene Fristenregelung mit ausgebau- ter Beratung in Verbindung mit so- zialen Hilfen."

Ob der bayerische Episkopat auch nur die mildeste Form solcher Vorstellungen teilen kann und will, ist zweifelhaft. Eine harte bis turbu- lente Debatte der Augsburger Diö- zesansynode weckte wenig Hoffnun- gen. Eine Gruppe von Synodalen, auch Geistlichen, zog verärgert aus dem Saal, um gegen die „lehramtli- che Grundlegung" des Augsburger Bischofs Josef Stimpfle zu protestie- ren. Denn der Oberhirte hatte in sei- nem Katalog zur Empfängnisverhü- tung und Familienplanung kein ein- ziges der erstarrten und ergrauten Argumente der Ecclesia ausgelassen.

Die „Protestanten" verwahrten sich zwar gegen den gelegentlich erhobe- nen Vorwurf, der Kirche gehe es in erster Linie um Disziplinierung und Machterhaltung, sprachen aber re- bellisch von „Ladenhütern". Unmu- tig fragten sie, welchen Sinn wohl die Beratungen einer Synode haben könnten, wenn „durch die lehramtli- che Erklärung eigentlich schon alles geregelt" sei.

Da in Bayern auch ernste Vor- gänge amüsante Züge annehmen können (was der Autor für eine der liebenswertesten Eigenschaften der Menschen im Freistaat hält), so soll hier auch die leicht skurrile Behand- lung möglicher böser Auswirkungen einer möglichen „konkurrierenden Gesetzgebung" nicht unerwähnt bleiben. Daß Bundesländer mit die- sem Verfassungsvehikel eigenständi- ge Rechtsbereiche herstellen könn- ten, ist zwar auch für das Bayerische Justizministerium „völliger Unsinn".

Aber, so fügte man doch grantig hin- zu, konkurrierende Gesetzgebung bedeute ja, daß der Bund „Kompe- tenzen an sich reißen" könne, und davon sei beim Strafrecht und somit auch beim Paragraphen 218 „längst Gebrauch gemacht" worden. Die da- zugehörige politische Grantlerei an der Peripherie reicht von der Emp- fehlung, die Probleme der Abtrei- bung „auf die gesündere Basis einer bayerischen Staatsangehörigkeit" zu stellen, bis zum Schmerzensschrei der Bayernpartei, auch die Diskussi- on um den Paragraphen 218 gehöre zu den unbayerischen Erscheinun- gen, die am Freistaat und zugleich am ganzen Föderalismus nagen.

Entsprechend wenig wollen die militanten katholischen Kreise na- türlich von Frau Professor Dr. Rita Süßmuth und ihrem „nördlichen"

dritten Weg wissen. Eine Frau, die sich sowas ausdenkt (selbst wenn die ebenfalls „nördliche" Frauenärztin Dr. Ingeborg Retzlaff, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, maßgeblichen Anteil an den Vor- schlägen der Bundestagspräsidentin hat), gehöre einfach nicht in eine C-Partei. Sie solle zurücktreten.

Dennoch — oder vielleicht auch gerade deswegen — sind es zwei Er- eignisse der jüngsten Zeit wert, als Vorstöße in eine Zone gemäßigten und nicht ausschließlich traditionell vorgeformten Denkens beachtet zu werden.

Das eine: In Zusammenarbeit mit der Münchner Universitäts- Frauenklinik hat das Bayerische So- zialministerium einen 30-Minuten- Film zum Thema „Leben mit dem Ungeborenen" drehen lassen, der die Vorstellung „Mensch von Anfang an" zu festigen vermag und durch

überzeugende Ultraschall-Aufnah- men beeindruckt.

Das andere: Professor Dr. Jan- Diether Murken, Leiter der Abtei- lung für pädiatrische Genetik und pränatale Diagnostik der Kinderkli- nik der Uni München, wandte sich vehement dagegen, im Zusammen- hang mit dem Schwangerschaftsab- bruch von Totschlag oder gar Mord zu sprechen. Der „Süddeutschen Zeitung" sagte er, ein Abbruch sei immer der letzte Ausweg aus einer Konfliktsituation, die nie ohne Kum- mer zu lösen sei: „Einer Frau, die sich dazu entschließt, sollte man lie- ber Verständnis und Hilfe entgegen- bringen, als sie mit Schlagworten wie Mord und Totschlag noch mehr zu belasten."

Beide Ereignisse lassen erwar- ten, daß in der Debatte bei aller Mi- litanz auch moderatere Überlegun- gen Raum finden können. Sie lassen es überdies als möglich erscheinen, daß die Gesichtspunkte der Frauen in dieser Debatte mindestens das gleiche Gewicht gewinnen könnten wie die der Männer.

Auch und sogar in Bayern.

Kurt Gelsner

FERNSEHKRITIK

Chefarzt Dr. Welby (Samstag, 27. Oktober, ZDF). Ärzte sind heute aus (fast) keiner Fernsehreihe mehr wegzudenken. Auch der Spielfilm von Alexander Singer aus dem Jahr 1984 beruht auf einer erfolgreichen Serie. Er wartet in geballter Form noch einmal mit allen Klischees auf, die der Zuschauer anscheinend von diesem Genre erwartet: Konflikte im Krankenhausalltag, Entscheidungen im Operationssaal, ein junger Arzt in der Krise, ein erfahrener Arzt, der ins Abseits gestellt werden soll. Au- ßerdem noch ein Vater-Sohn-Kon- flikt und eine rührselige Liebesge- schichte. Wenn auch nicht von be- sonders hohem Niveau, so bietet die- ser Film doch wenigstens gute Unter- haltung mit einem unvermeidlichen Happy-End: Dr. Welby, der in sym- pathischer Form von Robert Young verkörpert wird, bleibt seinen Pa- tienten als mitfühlender Arzt erhal- ten. Kli A-3500 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990

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