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Archiv "Kritik-Kultur im Arbeitsleben: „Bitte bringen Sie gleich eine Lösung mit“" (07.12.2001)

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E

s fängt oft harmlos an. Sie kochen ein Nudelgericht.

Ihre bessere Hälfte steckt den Kopf zur Küchentür her- ein und sagt: „Gibt es wieder Spaghetti?“ Hand aufs Herz:

In den meisten Fällen werden Sie glauben, allein aus Blick und Tonfall schließen zu kön- nen, wie die Frage gemeint ist. Und schon geht es los: „Ja, ich weiß, es ist das dritte Mal in dieser Woche, aber . . .“, oder: „Musst Du immer übers Essen meckern?“

Der Kommunikationsbera- ter Thomas Lünendonk (Text- kasten) hat kein spezielles Saucenrezept parat, wohl aber Analysen und Tipps für sol- che Situationen. Er rät, die Anmerkung neutral aufzu- nehmen und zu fragen, wie sie eigentlich gemeint ist, zum Beispiel durch einen Satz wie

„Hast Du Lust darauf?“ Es sei besser, zunächst Informa- tionen einzuholen, wie etwas überhaupt gemeint ist, statt eine Aussage sofort zu in- terpretieren – und wegen ei- nes Missverständnisses einen Streit vom Zaum zu brechen.

Das Spaghetti-Beispiel hat mehr mit dem Arbeitsleben zu tun, als es scheint. Privat wie beruflich sind es oft Klei- nigkeiten, über die man sich ärgert oder die anderen an ei- nem selbst missfallen. In bei- den Lebensbereichen fällt es vielen Menschen schwer, Kri- tik anzunehmen oder zu äu- ßern. Eine gute Übung ist es, sich selbst zu befragen: Was fällt mir an aktiver Kritik leicht, was schwer? Was an passiver, also daran, Kritik an- zunehmen?

Kritik fällt bei angenehmem Verhältnis leichter

Die Antworten werden un- terschiedlich ausfallen. Doch wenn man die Ergebnisse ei- ner Gruppe sammelt, gibt es Überlappungen. Viele Men- schen mögen es nicht, wenn sehr viel jüngere Kollegen et- was auszusetzen haben, wenn die Kritik im Beisein von an- deren geäußert wird oder wenn sie von jemandem kommt, der selbst keine Kritik verträgt.

Selbst zu kritisieren fällt vie-

len eher leicht, wenn jemand betroffen ist, zu dem man ein angenehmes Verhältnis hat, wenn es sich lediglich um

„Formfehler“ handelt und wenn es sachliche Inhalte sind, die besprochen werden.

Die Trennung persönlich – sachlich ist Fiktion

Von der letzten Differenzie- rung hält Lünendonk aller- dings nicht viel. „Die Tren- nung persönlich – sachlich ist eine Fiktion“, meint er. Kritik werde immer angenommen unter dem Blickwinkel: „Wie steht der andere zu mir?“ Zur Verdeutlichung verweist der Berater auf Erkenntnisse aus der Kommunikationswissen- schaft. Wie eine Aussage auf- genommen wird, ist immer abhängig von der Beziehung zwischen den beiden, die miteinander spre-

chen. „Die Bezie- hung dominiert den Prozess – es muss nicht eine Liebesbeziehung sein“, betont Lünendonk.

Das lässt sich gut an Schulz von Thuns Sche- ma „Vier Seiten einer Nachricht“* verdeutli- chen. Sagt eine Kolle- gin: „Hier zieht es ganz schön“, dann stellt sie fest, dass es zugig im Raum ist (Sachinhalt). Gleichzeitig steckt in dem Satz eine Selbst- offenbarung, vermutlich: „Mir ist kalt.“ Sie enthält auch einen Appell: „Macht jemand das Fenster für mich zu?“ Die Re- aktion auf eine solche Aussa- ge hängt dann von der Bezie- hungab. Je nachdem, wie das

Verhältnis ist, bekommt die Kollegin zu hören: „Soll ich Ihnen eine Jacke holen?“

Oder auch: „Ziehen Sie sich doch wärmer an.“

Solche simplen Beispiele verdeutlichen, dass man sehr unterschiedlich auf Äußerun- gen, also auch Kritik, reagie- ren kann. Um wirklich zu ver- stehen, was das Gegenüber meint, und um bei Kritik nicht in kürzester Zeit in Streit zu geraten, rät Lünendonk: Auf jeden Fall die Ruhe bewahren.

Das Tempo muss heraus aus der Kommunikation; wenn man sich nur noch Sätze um die Ohren haut, misslingt das Gespräch: „Dann ist Kri- tik wie ein Schwert in der Menschenmenge.“ Deshalb sollte man sich für Kritik auch Zeit lassen: „Mal eben schnell ist keine gute Strategie.“

Als Gerüst gibt Lünendonk denjenigen, die er in Kommu- nikationsfragen berät, eine Li- ste von Hilfsregeln der Kom- munikation (nach Ruth C.

Cohn) mit auf den Weg:

❃ Vertritt Dich selbst in Deinen Aussagen; sage „ich“

und nicht „wir“ oder „man“.

❃ Wenn Du eine Frage stellst, sage, warum Du fragst und was Deine Frage für Dich bedeutet. Sprich über Dich und vermeide das Interview/

Verhör.

❃ Sei, was Du bist. Mache Dir bewusst, was Du denkst und fühlst, und wähle, was Du sagst und tust. Lünendonk gibt ein Beispiel: „Wenn Sie eine Miezekatze sind, machen Sie nicht den Stubentiger.“

❃ Halte Dich mit Interpre- tationen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen Dei- ne persönlichen Gefühle/Re- aktionen aus.

❃ Beachte Signale Deines Körpers. Er kann Dir oft mehr über Dich sagen als Dein Ver- stand.

❃ Benutze diese Regeln als Leitlinien für Dich selbst und spiele nicht „Kommuni- kationspolizei“ bei anderen.*

Lünendonk findet die Re- geln hilfreich. Manches muss man aber regelrecht einüben, V A R I A

A

A3308 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 49½½7. Dezember 2001

ritik-Kultur im Arbeitsleben

„Bitte bringen Sie

gleich eine Lösung mit“

Kritik anzunehmen fällt oft schwer. Selbst ange- messen zu kritisieren ist ebenfalls keine leichte Aufgabe – Tipps für Gespräche zur rechten Zeit und am rechten Ort.

Wirtschaft

*in: Schulz von Thun, Miteinander reden, rororo

Quelle: dta-Akademie, Hamburg

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und dennoch wird das eine oder andere schwierige Ge- spräch schlecht verlaufen.

Dann sei es sinnvoll, es nach- zubereiten und zu prüfen, was denn schief gelaufen ist. Man könne sich für ein schlech- tes Gespräch auch einmal bei einem Kollegen entschuldi- gen. Lünendonk rät dazu auch, weil es im Berufsleben, anders als im Privatbereich, selten körperliche Auffang- möglichkeiten für fehlge- schlagene Kritik gibt: „Sich zu umarmen oder zur Versöh- nung zu küssen ist selten möglich.“

Sich angemessen und zeit- nah zu kritisieren hat unter Kollegen einen unschätzba- ren Vorteil: Man staut seinen Ärger nicht auf. Ist das der Fall, geht nämlich schnell un- ter, was der Betroffene sehr gut kann und was man an ihm und seiner Arbeit schätzt. Lü-

nendonk rät, sich bewusst die Vorzüge von Kollegen ins Ge- dächtnis zu rufen – und auch Lob nicht zu vergessen. Aner- kennende Worte zu Kollegen sind nämlich häufig die Aus- nahme, in Redaktionen eben- so wie in Praxen oder Kran- kenhäusern.

Wenn Lob und Kritik zu verteilen sind, solle man mit der Kritik beginnen, schlägt

Lünendonk vor. Zum einen warte jeder gelobte Mitarbei- ter auf das „Aber . . .“, das Kritik einleite, und könne die positiven Anmerkungen nicht ganz genießen. Zum anderen sei ein Lob am Ende eines Ge- sprächs oder einer Teamsit- zung der bessere Übergang in den Arbeitsalltag.

In manchen Fällen nutzt aber auch das beste Kritikge-

spräch nichts, und zwar dann, wenn sich nichts ändert. „Ir- gendwann müssen Dinge eine Konsequenz haben“, stellte Lünendonk klar. Als Beispiel schilderte er die Geschichte eines Schlussredakteurs, der in einer Zeitungsredaktion am Ende über die Abwick- lung von Texten und Seiten wacht. Der Mann war völlig überfordert mit seiner Aufga- be und vergrätzte nach und nach das gesamte Team. Nach etlichen Gesprächen und Ver- suchen, die Situation zu ver- bessern, ließ sich eine Verset- zung nicht umgehen.

Schließlich zitierte Kom- munikationstrainer Lünen- donk noch eine Lösung für Konflikte, die vor Jahren an der Tür eines früheren Chefs hing: „Bitte bringen Sie den anderen gleich mit. Bitte bringen Sie gleich eine Lö- sung mit.“ Sabine Rieser V A R I A

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 49½½7. Dezember 2001 AA3309

Kritik einmal anders

Thomas Lünendonk ist Fachjournalist und Kommunikations- berater. Seit knapp 20 Jahren arbeitet er als Kommunikati- onstrainer bei Zeitungsverlagen und verschiedenen Einrich- tungen publizistischer Bildungsarbeit. Der Artikel entstand im Anschluss an eine Fortbildung für Journalisten zum Thema

„Kritik-Kultur in der Redaktion“. Wer sich für eine Beratung des Praxis- oder Klinikteams interessiert, kann sich ebenfalls an Lünendonk wenden, da er entsprechende Kollegen für die- sen Sektor/dieses Aufgabenfeld empfehlen kann. Weitere Informationen per E-Mail: luenendonk@luenendonk.de Rie

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