Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 34–3523. August 2004 AA2281
S E I T E E I N S
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ürde der Zahnersatz vom kom- menden Jahr an tatsächlich mittels einer Pauschale finanziert, müssten die Versicherten hierfür monatlich rund 6,70 Euro aufbrin- gen. Das hat dieser Tage die Barmer Ersatzkasse vorgerechnet. Aber lei- der weiß derzeit niemand, inwieweit der einst zum Zahnersatz ausgehan- delte Kompromiss überhaupt noch Bestand hat. Als Bedingung für das„Unions-Ja“ zur Gesundheitsreform hatten CDU und SPD beschlossen, den Zahnersatz aus der paritäti- schen Finanzierung zu nehmen und über pauschalierte Beiträge zu fi- nanzieren.
Knapp ein Jahr nach der Einigung und unzähligen Diskussionen über Bürgerversicherungen und Kopf- pauschalen später verhärten sich jetzt die Fronten zwischen diesen
Glaubensschulen. Davon betroffen ist auch der – eigentlich schon umsetzungsreife – Zahnersatzkom- promiss. Eigentlich galt es nur noch zu regeln, wie für die rund 21 Millionen Arbeitslosen und Rent- ner die Beiträge erhoben werden.
Doch scheint jetzt diese Frage zur willkommenen Sollbruchstelle für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zu werden.
Die Krankenkassen weigern sich wegen des bürokratischen Mehrauf- wandes, die Beiträge individuell ein- zuziehen. 250 Millionen Euro, so die Barmer, würde dies kosten. Eifrig springt die Union den Kassen zur Seite und fordert, die Sozialversi- cherungsträger mit dem Beitragsein- zug zu betrauen – nicht nur, weil die Christdemokraten eine unbürokra- tische, kostengünstigere Regelung
wünschen, sondern weil die „kleine Pauschale“ als Blaupause für ihre große Reform umgesetzt werden soll.
Schmidt aber sperrt sich dage- gen. Von der Hoffnung getrieben, die Pauschale eventuell doch noch durch prozentuale Beiträge ersetzen zu können, will sie das einst mitge- staltete Gesetz in letzter Minute kippen. Dadurch hofft die hart(z)- gebeutelte Regierung, ihr soziales Image aufbessern zu können. Bis- her musste vor allem Rot-Grün den Kopf für die schwarz gefärbten Kompromisse hinhalten. Damit soll jetzt Schluss sein. Die fünf Landtags- wahlen in den nächsten zehn Mona- ten verdeutlichen, warum.
Setzt sich Schmidt durch, wäre es für sie ein Etappensieg gegen die Kopfpauschale im Prestigestreit um das bessere Reformmodell.Timo Blöß
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ie gemeinsame Selbstverwaltung ist gestärkt aus der hitzigen Som- mer-Diskussion um die Arzneimittel- festbeträge hervorgegangen. Sein Ende hat der „Pillenpoker“ indes noch nicht gefunden. Nachdem das Bundesgesundheitsministerium mit einem Schreiben vom 12. August den Beschluss des Gemeinsamen Bun- desauschusses (G-BA) zur Bildung der neuen Festbetragsgruppen für Arzneimittel bestätigt hat (dazu Aktuell in diesem Heft), wird die Pharmaindustrie auf anderen Wegen versuchen, die geplante Festbetrags- regelung zu kippen.Der G-BA muss nun einerseits mit einem offenen Musterprozess rech- nen, andererseits mit weiterem ver- deckten Widerstand. Ein Prozess dürfte kaum eine Überraschung brin- gen, haben doch bereits mehrere Ge-
richte die Festbetragsregelung durch die Selbstverwaltung als rechtmäßig erklärt. Schwieriger wird es für den Ausschuss, sich gegen Tricks und Be- vormundungsversuche der Politik zu wehren. So könnte nämlich die Phar- maindustrie über eine vom Ministeri- um geforderte konkretere Definition von „Nebenwirkungen“ noch einmal Oberwasser gewinnen. Vermag es ein Medikament, erhebliche oder leichte Nebenwirkungen (dies ist Ausle- gungssache) zu reduzieren, gilt es als innovativ und fällt nicht unter die Festbetragsregelung. Zumindest an- gehalten ist der G-BA vom Bundes- gesundheitsministerium, dies künftig zu beachten. Als „Warnschuss“ will G-BA-Vorsitzender Dr. jur. Rainer Hess das nicht verstanden wissen. Es handele sich lediglich um eine „juri- stische Meinung“ des Ministeriums.
In der Tat, der G-BA hat eine wichtige Nagelprobe bestanden. Das Ministerium hat sich hinter seine Entscheidung gestellt und damit das Spannungsfeld zwischen beiden ent- schärft. Seinem Vorsatz, transparent zu arbeiten, aber auf Druck von außen nicht zu reagieren, blieb der G-BA treu. Und dass, obwohl er in der Phar- maindustrie einen nicht zu unterschät- zenden Gegner hatte. Bis zum Bun- deskanzler waren die Manager der Arzneimittelhersteller vorgedrungen und hatten im Beisein von Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt bei einem gemütlichen Abendessen für Verständnis für ihre Interessen geworben. Unter diesem massiven politischen Druck hätte die gemein- same Selbstverwaltung in der Öffent- lichkeit viel verlieren können: ihren Ruf. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann