Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 4|
24. Januar 2014 A 137 NEUROCHIRURGIENavigation per App
Eine smartphonebasierte Technolo- gie unterstützt Chirurgen bei der Planung und Durchführung einer bestimmten neurochirurgischen Operation – dem Anlegen eines Ka- theters bei Patienten, die unter ei- nem Hydrozephalus leiden. Das neuartige Verfahren hat die Charité – Universitätsmedizin Berlin ge- meinsam mit einem Potsdamer Me- dizinproduktehersteller entwickelt.
Bei der Erkrankung ist das Ver- hältnis zwischen Produktion und Abbau von Hirnwasser gestört. Da- durch kann im Kopfinnenraum ein zu hoher Druck entstehen. Behan- delt wird dies durch die Implantation eines Ableitungssystems, das das überschüssige Hirnwasser in den Bauchraum des Patienten umleitet.
Mehr als 23 000 solcher Operatio- nen finden jährlich in Deutschland statt. Ein Routineeingriff für Neuro-
chirurgen, bei dem der hirnwasser- aufnehmende Katheter in der Regel freihändig im Hirnventrikel platziert wird. Dies erfolgt aber nicht immer ausreichend präzise und kann zu Re- visionsoperationen führen.
„Mit der Entwicklung eines Füh- rungsinstruments, das mit Hilfe ei- ner iPhone-App positioniert wird, ist es jetzt möglich, eine sehr viel höhere Genauigkeit bei der Platzie- rung des Katheters zu erzielen“, er- läuterte Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Thomale vom Arbeitsbereich Päd - iatrische Neurochirurgie der Cha - rité und Entwickler dieser neuen Methode. Der Chirurg sieht sich vor der Operation nicht mehr nur die MRT- und CT-Aufnahmen an, son- dern plant mit der App den Eingriff.
Im ersten Schritt wird die Aufnah- me des Kopfes mit den Hirnwasser- kammern in die App importiert. Da-
nach kann der Operateur mit weni- gen Fingertipps den Eintrittspunkt und die Lage der Katheterspitze festlegen. Die Software errechnet daraus den nötigen Winkel, der an dem Führungsinstrument einge- stellt werden muss, so dass der Ka- theter zielgenau durch das Hirn zum Ventrikel geführt werden kann.
Die Experten erwarten, dass das Verfahren die Fehlerquote deutlich vermindern kann. Zudem ist die App kostenfrei im Appstore erhält- lich. Daher bleiben die Kosten für das Führungsinstrument in einem überschaubaren Rahmen. Eine pro- spektive, randomisierte Multicen- ter-Studie läuft derzeit an zehn deutschen Kliniken, um die erfolg- reiche Handhabung auf breiter Ebe- ne zu testen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.
Weitere Informationen: Priv.- Doz. Dr. med. Ulrich W. Thomale, Arbeitsbereich Pädiatrische Neuro- chirurgie, Campus Virchow-Kli - nikum, http://kinderneurochirurgie.
charite.de EB
MOLEKULARE BILDGEBUNG
Seltene Anämien erforschen
Weltweit leiden etwa 1,6 Milliarden Menschen an Blutarmut – circa zehn Prozent der Betroffenen sind an seltenen Formen der Anämie er- krankt. Diese Varianten der Erkran- kung eindeutig zu erkennen, ist schwierig, da entsprechende Dia - gnoseverfahren bislang fehlen. In dem europäischen Forschungspro- jekt CoMMiTMenT (Combined
Molecular Microscopy for Therapy and Personalized Medication in Rare Anaemias Treatments) arbeiten Wissenschaftler daran, seltene Anä- mien mit bildgebenden Verfahren besser zu identifizieren. Koordi- niert wird das Projekt von Dr. Lars Kaestner am Institut für Molekulare Zellbiologie der Universität des Saarlandes. Die Europäische Union
fördert die Arbeit für fünf Jahre mit sechs Millionen Euro.
Die genauen Zusammenhänge zwischen molekularen Ursachen und klinischen Symptomen bei Blutarmut sind nur unzureichend erforscht, etwa bei der Sichelzell - anämie. „Wir wollen die zellulären Ursachen und Funktionsweisen bei den seltenen Formen der Anämie verstehen, um so Ansätze für neue, auf den Patienten zugeschnittene Therapien zu entwickeln“, erläuter- te Kaestner. Dazu werden spezielle bildgebende Technologien so kom- biniert, dass molekulare Defekte einzelner roter Blutzellen sichtbar gemacht werden können. Oft sind laut Kaestner bei Anämie-Patienten zum Beispiel Transportkanäle in den Blutzellen verändert. Sie kom- men daher als charakteristisches biologisches Merkmal zur Diagno- se in Betracht.
Neben der Arbeitsgruppe aus Deutschland beteiligen sich For- scher aus Dänemark, Großbritan- nien, den Niederlanden, der Schweiz und Spanien an dem Vorhaben. EB Die Aufnahme
zeigt Erythrozyten, die mit einem bestimmten optischen Verfahren, dem Hoffman- Modulations- Kontrast, aufgenom- men wurden.
Foto: Lars Kaestner/Saar-Uni