A 1302 Deutsches Ärzteblatt
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28. Juni 2013 und die Marktüberwachung geltensollen. Während die Kommission am geltenden System festhalten möchte, will Roth-Behrendt die Markteinführung für einen Teil der Medizinprodukte grundlegend neu gestalten. „In der Vergangenheit sind zu viele Medizinprodukte wie Hüft- prothesen oder Brustimplantate bei Tausenden von Patienten eingesetzt worden, die vorher nicht ausrei- chend getestet wurden. Das darf nicht sein“, sagte Roth-Behrendt.
Die SPD-Politikerin fordert daher für Hochrisikoprodukte, die in den Körper implantiert werden oder Arz- neimittel in den Körper abgeben, wie Insulinpumpen, einen zentrali- sierten Marktzugang analog zur Arz- neimittelzulassung. Die Zulassung soll über die Europäische Arzneimit- telagentur in London erfolgen.
Dieser Forderung schließt sich die Bundesärztekammer (BÄK) an. „Die Befugnis der Hersteller, eine Benann- te Stelle europaweit frei auszuwäh- len, begründet einen Preiswettbe- werb der Benannten Stellen, der da- zu verleitet, Ermessensspielräume zugunsten der Hersteller und des schnellen Marktzutritts neuer Medi- zinprodukte und zulasten der Pro- duktsicherheit auszunutzen“, heißt es in einer Stellungnahme der BÄK.
Bislang müssen die Hersteller nämlich lediglich bei einer der ins- gesamt 78 im europäischen Binnen- markt angesiedelten Prüforganisa- tionen den Nachweis erbringen, dass ein medizintechnisches Gerät – unabhängig von seiner Klassifi- zierung – im Einklang mit den Si- cherheitsstandards der EU ist. Von welcher Benannten Stelle sich die Unternehmen die Marktkonformität bescheinigen lassen, ist ihnen über- lassen. Sobald das Produkt ein CE- Zeichen besitzt, darf es nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerken-
nung EU-weit vertrieben werden.
Verpflichtende klinische Prüfungen eines Medizinproduktes, wie sie beispielsweise in den USA gefordert werden, hätten nach Ansicht der BÄK den Vorteil, dass auch die Wirksamkeit und Sicherheit des Produkts und nicht nur dessen Eig- nung für den vorgesehenen Verwen- dungszweck belegt werden müssen.
„Bei dem System, das ich vor- schlage, wird die Zulassung zudem nicht hinausgezögert, wie es bisher der Fall ist, sondern würde innerhalb von neun Monaten erteilt werden“, betont Roth-Behrendt. Die Sozial- politikerin bemängelt allerdings die aus ihrer Sicht unzureichende Ex- pertise des Personals einiger Be- nannter Stellen sowie substanzielle Unterschiede in der Qualität der Konformitätsbewertungen in den einzelnen Staaten und einen Mangel an Transparenz. Hier sieht sie drin- genden Verbesserungsbedarf.
Unangekündigte Kontrollen
Verbesserungen bei der klinischen Bewertung, Marktüberwachung und Rückverfolgbarkeit der Produkte soll es aber auch nach dem Vorschlag der EU-Kommission geben. Die Be- hörde will beispielsweise die Be- nannten Stellen verpflichten, bei den Herstellern unangekündigte Kontrol- len durchzuführen. Auch soll es künftig obligatorische Stichproben geben, um zu überprüfen, ob die vertriebenen Produkte identisch mit denen sind, für die eine Marktkon- formität erteilt wurde.Hochrisikoprodukte der Klassen III und II b wiederum sollen nach den Vorstellungen der Brüsseler Behörde künftig einer zusätzlichen Kontrolle durch eine neu zu gründende Exper- tengruppe unterliegen. Ihr sollen Be- hördenvertreter der einzelnen Mit- gliedsländer angehören. Das Gremi-
NEUE MEDIZINPRODUKTE-VERORDNUNG
Härtere Gangart gefordert
In Brüssel steht eine Reform der Gesetzgebung für Medizinprodukte
und In-vitro-Diagnostika an. Die EU-Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat ringen noch um die Details der neuen Regelungen.
E
ine Reform der europäischen Medizinprodukte-Gesetzge- bung steht in Brüssel zwar nicht erst seit dem französischen Brustimplan- tate-Skandal auf der Agenda. Doch spätestens seither ist klar: Die Re- geln für die Markteinführung und die Kontrolle vor allem von Hochrisiko- produkten müssen strenger werden.Für die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt, federfüh- rende Berichterstatterin bei der neu- en Gesetzgebung im Europäischen Parlament (EP), soll der Patient im Mittelpunkt stehen: „In den letzten Jahren konnten wir große Verände- rungen in Richtung einer personali- sierten und stärker an den Bedürf- nissen der Patienten orientierten Medizin beobachten. Jetzt müssen wir sehen, dass wir die neue Ver- ordnung so gestalten, dass die EU beim Thema Medizingeräte auf den neuesten Stand der Dinge kommt.“
Rechtssicherheit verbessern
Im kommenden Jahr sollen die über- arbeiteten Vorschriften auf den Weg gebracht werden. Nach den Plänen der EU-Kommission sollen dafür die bisherigen Richtlinien zu Medi- zinprodukten und aktiv implantier- baren Geräten zu einer Verordnung zusammengefasst werden. Damit würden die Regelungen europaweit vereinheitlicht und mehr Rechtssi- cherheit hergestellt. Parallel dazu hat die Behörde im Herbst letzten Jahres einen neuen Verordnungsvor- schlag zu den In-vitro-Diagnostika vorgelegt (siehe 3 Fragen an).Über wesentliche Punkte der geplanten Neuregelung zu den Medizinprodukten herrscht bereits Einigkeit zwischen Kommission, Parlament und den Regierungen.
Unstimmigkeiten gibt es allerdings noch darüber, welche Vorausset- zungen für das Inverkehr bringen
Foto: BVMed-Bilderpool
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28. Juni 2013 A 1303 um soll die Befugnis erhalten, dieBenannten Stellen um die Vorlage einer Vorabbewertung eines Medi- zinprodukts zu ersuchen, wenn dies aus wissenschaftlich belegbaren Gründen erforderlich erscheint.
Mittelständische Medizintechnik- unternehmen befürchten neue Inno- vationshürden durch die geplanten Verschärfungen. Die Sicherheit von Medizinprodukten sei mit dem Ver- fahren für die CE-Kennzeichnung bereits ausreichend gegeben, betont Jan Wolter, Leiter des Fachverban- des Medizintechnik von Spectaris, dem deutschen Industrieverband für optische, medizinische und mecha- tronische Technologien. Und Lu- dolf Schmitz, Geschäftsführer von Schmitz und Söhne, meint: „Bevor über schärfere Marktzugangsregeln gesprochen wird, sollten andere Länder die in Deutschland zum Teil strengeren Regeln übernehmen.“
Verschärfungen beim Marktzu- gang hält auch der CDU-Europaab- geordnete Dr. Peter Liese für wenig sinnvoll: „Den Patienten bringt es wesentlich mehr, wenn die Kontrol- len am Markt verstärkt werden.“
Auch der Bundesverband Medizin- technologie (BVMed) wehrt sich
gegen eine Abkehr vom bisherigen System. „Eine behördliche Zulas- sung lehnen wir ab, da sie weder die Patientensicherheit erhöht noch den Marktzugang beschleunigt“, argu- mentiert Vorstandsvorsitzender Dr.
Meinrad Lugan. Verbesserungen sei- en aber bei der Auswahl und Überwachung der Benannten Stellen notwendig, um ein einheitlich hohes Niveau in Europa zu erreichen.
Wiederaufbereitung strittig
Der europäische Dachverband für Medizintechnologie, Eucomed, be- fürchtet sogar, dass ein zentralisier- tes Prüfverfahren zu Verzögerungen beim Markteintritt von Innovatio- nen führen kann. Erfahrungen aus den USA zeigten, dass die Patienten dort erst mit einer Verspätung von rund drei bis fünf Jahren von Neu- einführungen profitierten.Uneinigkeit herrscht auch noch darüber, wie künftig mit der Wie- deraufbereitung von Medizinpro- dukten verfahren werden soll. Die EU-Kommission will den Mitglieds- ländern weiterhin die Möglichkeit bieten, auch Einmalprodukte auf - zubereiten. Roth-Behrendt spricht sich hingegen dafür aus, Produkte,
die zum einmaligen Gebrauch be- stimmt sind, grundsätzlich nur als Einwegprodukte zu behandeln:
„Wir brauchen mehr Transparenz und Kontrolle darüber, wie Me - dizinprodukte aufbereitet werden.
Patienten haben das Recht zu wis- sen, ob die Nadel oder das Skal- pell, das bei ihrer Operation be- nutzt wurde, vernünftig sterilisiert wurde. Nur die höchsten Stan- dards der Wiederaufbereitung sind bei Medizinprodukten akzeptabel.“
Außerdem müsse klargestellt sein, dass in diesen Fällen die Haftung automatisch vom Produzenten auf den Aufbereiter übergeht, fordert Roth-Behrendt.
Die BÄK wiederum hält nichts von einem Verbot der Wiederaufbe- reitung von Einmalprodukten: „Dies würde dem Hersteller, nicht aber unbedingt dem Anwender oder gar dem Patienten nutzen“, schreibt die BÄK in ihrer Stellungnahme. Sinn- voller sei es, EU-weit durch Schu- lung und qualifizierte Überwachung die Wiederaufbereitung von Medi- zinprodukten insgesamt auf den an- erkannten Stand von Wissenschaft und Technik zu bringen.
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Petra Spielberg
Was sind die zentralen Aspekte der geplanten Neufassung der Vorschrif- ten zu den In-vitro-Diagnostika?
Liese: Bei In-vitro-Diagnostika gibt es zunächst die gleichen Probleme wie bei Medizinprodukten. Das gegenwärtige System stellt nicht ausreichend sicher, dass Tests von schlechter Qualität nicht auf dem Markt kommen. So hat zum Beispiel das Paul-Ehrlich-Institut festge- stellt, dass einige HIV- und HCV-Tests, die in anderen Mitgliedstaaten zugelas- sen waren, deutlich schlechtere Ergeb- nisse lieferten. Es kann dramatische Auswirkungen für die Patienten haben, wenn beispielsweise ein HIV-Test falsch- negativ ist. Daher müssen wir genau wie bei Medizinprodukten das System der Benannten Stellen stärken und Kontrol- len auch nach der Zulassung einführen.
Welche Maßnahmen fordern Sie speziell für Gentests?
Liese: Bei Gentests gibt es leider ei- ne Reihe von unseriösen Anbietern auf dem Markt, vor allem über das Internet. Vor einigen Jahren wur- de über Tests berichtet, wonach die DNA einer Person an vier verschiede- ne Labore geschickt wurde und vier verschiedene Ergebnisse herauska- men. Dies muss sich dringend än- dern. Nur seriöse Anbieter dürfen zugelassen sein.
Wie soll sichergestellt werden, dass Gentests EU-weit ethischen Grund- sätzen folgen?
Liese: In Deutschland wurde nach vie- len Diskussionen im Jahr 2010 ein Gendiagnostikgesetz beschlossen.
Selbst wenn es bei der Umsetzung ei- nige Diskussionen gibt, so besteht doch großes Einvernehmen darüber, dass Gentests nur nach einer ange- messenen Beratung durchgeführt werden dürfen. Dies ist für prädiktive Tests und für vorgeburtliche Tests be- sonders wichtig. Das Aufkommen des Praena-Test und möglicher ähnlicher Tests macht die Sache noch wichtiger.
Das Prinzip der informierten Zustim- mung ist ein Basisprinzip der Charta der Grundrechte und auch der Helsin- ki-Deklaration. Daher muss es sich auch in der europäischen Gesetzge- bung wiederfinden. Ich habe konkrete Formulierungsvorschläge eingebracht, die nach Ansicht von Juristen auch durch das gegenwärtige EU-Recht ge- stützt werden.
3 FRAGEN AN . . .
Dr. med. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament
Foto: dpa