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Archiv "Die Ärzteschaft ist gefordert" (05.11.1999)

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it der Implementierung der Gesundheitsreform durch die neue Regierung und die damit bewirkte Stärkung der Rolle der Krankenkassen auf der einen Seite und den unterschiedli- chen Interessen innerhalb der Ärzte- schaft auf der anderen Seite gerät die Rolle des Arztes zunehmend in Ge- fahr, an Bedeutung zu verlieren.

Auch scheinbar neue Phänomene wie

„evidence based medicine“, die es zwar schon lange Zeit gibt, deren Umsetzung jedoch sträflich vernach- lässigt wurde, scheinen die Rolle des älteren und erfahrenen Arztes, der intuitiv weiß, was er für den Patienten zu tun und zu lassen hat, in Frage zu stellen. Es geht um die Einschrän- kung der Therapie- und Entschei- dungsfreiheit des Arztes.

Die vierte Dimension, die den Arzt heute bedroht, sind ökonomi- sche Rahmenbedingungen, die bei steigender Ärztezahl und limi- tiertem Globalbudget seine per- sönliche Liquidität reduzieren.

Warum konnte es zu alledem kommen, und warum ist die Ärz- teschaft nicht in der Lage, ge- schlossen gegen die anderen In- teressenvertreter (Krankenkas- sen, Politiker, Administratoren) vorzugehen?

Ein Grund hierfür ist der Mangel an verfügbarer Zeit, weil sich der Arzt in erster Linie um die Patientenversorgung küm- mern muß und wenig Valenzen beste- hen, sich berufs- und gesellschaftspo- litischen Ereignissen intensiv zu wid- men. Andererseits hat die Ärzteschaft auch selbst zu dem Dilemma beigetra- gen, da sie sich mit ihren verschiede- nen Fachgesellschaften untereinan- der streitet, aus finanziellen oder in- haltlichen Gründen bestimmte Thera- pien oder Krankheiten in den einen, nicht aber in den anderen Bereich hin- einzuschreiben.

So gibt es Konflikte zwischen den niedergelassenen und den Kran- kenhausärzten, zwischen den Haus- ärzten und den Fachärzten, zwischen den Hämatologen/Onkologen und denjenigen urologischen, gynäkologi- schen, gastroenterologischen und sonstigen Fachärzten, die bösartige Erkrankungen in ihrem Fachgebiet behandeln wollen, zwischen denen,

die naturwissenschaftlich handeln, und denjenigen, die sich Homöopa- then und Naturheilkundler nennen, sowie Konflikte zwischen Rehabili- tationsmedizinern und Akutmedizi- nern und der jüngeren und der älte- ren Ärztegeneration. Am Ende freu- en sich die Krankenkassenvertreter, die Politiker und die Administrato- ren, die die Rolle des Arztes schritt- weise reduzieren und seine Bedeu- tung im Gesundheitssystem minimie- ren.

Dennoch gibt es Tätigkeitsmerk- male, die allen Ärzten zu eigen sind:

die Subjektivität des ärztlichen Er- kenntnis-, Entscheidungs- und Hei- lungsprozesses; häufig die Irreversi- bilität der Handlungen. Vor allem aber die Tatsache, daß es der Arzt nicht mit Erkenntnis- und Hand- lungsobjekten, sondern mit Personen zu tun hat, macht ethische Normen zu einem konstitutiven Bestandteil des

ärztlichen Handelns. Ist tatsächlich das ärztliche Ethos in einer Zeit, in der die ärztliche Tätigkeit weniger als Auftrag, für den Kranken und leiden- den Menschen dazusein, noch verein- bar mit der Neigung, die ärztliche Tätigkeit als Dienstleistung und den Arzt als Anbieter von qualitätsgesi- chertem Service anzusehen? Sollten die Ärzte sich nicht mehr darüber klarsein, daß das auf den Patienten ausgerichtete Handeln bis heute der Kern der Medizin ist, auf den hin das gesamte System von Forschung, Wis- senschaft und Technik und Versiche- rung sowie Politik, auf den die gesam- ten gesellschaftlichen Anstrengungen von Ausbildung, Organisation und sozialen Sicherungen ausgerichtet sind?

Nichts ist wichtiger als das tra- ditionelle Arzt-Patienten-Verhältnis, die personelle Zweierbeziehung, die

vom Patienten initiiert wird oder zu- mindest werden sollte. Medizin, das heißt hier die ärztliche Tätigkeit, fin- det immer im Einzelfall statt, in der persönlichen Zweierbeziehung zwi- schen Arzt und Patient. In einer Me- dizinwelt, in der der Gesamtapparat funktionalisiert ist und der Arzt auf die Rolle des Anwenders von Wissen- schaft reduziert wird, auf einen sach- kompetenten Experten, auf einen Techniker im modernen Sinne des Wortes, haben wir die Figur des hoch- spezialisierten, auf einem eng be- grenzten Gebiet fachkompetenten Funktionärs, der an die Stelle des Arztes treten wird.

Die Gefahr ist: Je enger die Fach- kompetenz begrenzt ist, desto mehr ist ihr Träger entlastet von Anforde- rungen an Wissen und Können, an Entscheidung und Verantwortung, entlastet von Ansprüchen an seine Person. Die Spezialisierung, Techni- sierung und Funktionalisierung einer hochorganisierten, hoch- arbeitsteiligen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft droht die Einheit zu zerstören, die die Grundlage des Heilberufes als einer ganzheitlichen Aufgabe ist, die Einheit der Person. Wie sonst kann es dazu kommen, daß der heute noch immer die Autorität suchende Patient im Medizinsystem seinen Arzt nicht mehr findet und ihn beim Wun- derheiler, Heilpraktiker und Hand- aufleger sucht.

Gesundheit ist nicht nur priva- tes, sondern auch öffentliches Gut.

Um so wichtiger ist es, den Begehr- lichkeiten von Verbändelobbies jeg- licher Art einen Riegel vorzuschie- ben. Das setzt auch voraus, daß Ärz- te sich darüber bewußt sind, welche Verantwortung sie tragen; eine die eigenen Bedürfnisse in den Hinter- grund stellende, anstrebbare Vorge- hensweise, das besonnene Vorgehen im einzelnen Fall. Die Umsetzung evidenz-basierender Medizin und die Durchführung von Qualitäts- sicherungsmaßnahmen sollten in Ko- operation mit den Krankenkassen, pharmazeutischen Unternehmen und Politikern geeignet sein, der Arzt- Patienten-Beziehung Autorität zu- rückzugeben.

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas S. Lübbe A-2802 (34) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 44, 5. November 1999

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Die Ärzteschaft ist gefordert

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