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anchmal hat man schon das Gefühl, es wäre ge- sünder, mit Handschuhen und Atemschutzmaske an die Bearbeitung der älteren Akten heranzugehen.“ Der Historiker Dr.phil. Thomas Gerst steht in einem großen Kellerraum des Deutschen Ärzte-Verlags und weist auf die end- los scheinenden Reihen von Akten- ordnern in Stahlregalen: „Was man hier sieht, sind die Aktenbestände des Historischen Archivs der deutschen Ärzteschaft.“
Die Einrichtung des Historischen Archivs geht zurück auf einen Be- schluß des Vorstands der Bun- desärztekammer im vorigen Jahr und erfolgt mit Unterstützung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung.
Ziel soll es sein, den Erhalt derjenigen Altakten der beiden ärztlichen Spit- zenorganisationen, die historisch be- deutsam sind, langfristig zu sichern und zudem der historischen For- schung zugänglich zu machen.
Darüber hinaus sollen, wenn sich Gelegenheit zur Übernahme bietet und soweit das Archiv entsprechend
eingerichtet ist, von außerhalb wichti- ge Vorgänge aus dem Bereich ärztli- cher Standespolitik – seien es Bestän- de anderer ärztlicher Organisationen oder private Nachlässe – ins Histori- sche Archiv der deutschen Ärzte- schaft übernommen werden. So ver- fügt das Archiv bereits mit den Hand- akten des Ersten Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Westdeut- schen Ärztekammern (1947 bis 1949) und langjährigen hessischen Kam- merpräsidenten, Dr. med. Carl Oele- mann, über äußerst aufschlußreiches Aktenmaterial aus der frühen Nach- kriegszeit. In die Jahre vor 1945 zu- rück gehen eine Reihe von Akten aus der Verwaltung von Reichsärztekam- mer und Kassenärztlicher Vereini- gung Deutschlands sowie die Mikro- Verfilmung der Reichsärztekartei.
Die Akten von Bundesärztekam- mer und Kassenärztlicher Bundesver-
einigung werden nicht wahllos ins Hi- storische Archiv übernommen. Denn eine Verwaltung produziert nicht aus- schließlich Schriftstücke, die für die Nachwelt unbedingt erhaltenswert sind. Eine Fachkraft sorgt deshalb dafür, den Umfang der weiter zu bear- beitenden Akten auf das historisch bedeutsame und langfristig aufzube- wahrende Material zu reduzieren.
Von zentraler Bedeutung für die weitere Benutzung – vor allem bei der Übernahme von ungeordnetem Ak- tengut – ist die inhaltliche Er- schließung der aufbewahrten Akten.
In einem „Findbuch“ werden die ein- zelnen Akten systematisch mit inhaltli- cher Kurzbeschreibung und Laufzeit erfaßt. Ist die Bearbeitung abgeschlos- sen, können – so die Planung nach Auf- bau des Archivs – die Aktenbestände des Historischen Archivs der deut- schen Ärzteschaft nach Ablauf der all- A-2272
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Der Grundstock für ein Historisches Archiv wurde mit Akten der Bundesärztekammer
und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gelegt.
Ärzteschaft
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Wissen um di
Traditio
gemein üblichen Sperrfrist von 30 Jah- ren auch von auswärtigen Benutzern im Rahmen eines historischen For- schungsprojektes eingesehen werden.
Bundesärztekammer und Kas- senärztliche Bundesvereinigung kom- men mit der Einrichtung eines histo- rischen Archivs, das in räumlicher Nachbarschaft zum Archiv des Deut- schen Ärzteblattes eingerichtet wird, nicht lediglich einer inzwischen vom Gesetzgeber auch öffentlich-rechtli- chen Körperschaften auferlegten Verpflichtung nach (die Alternative zu einem eigenen Archiv wäre die Abgabe der Akten an das Bundesar- chiv). Das wurde bereits bei der von der Bundesärztekammer in Auftrag gegebenen „Geschichte der deut- schen Ärzteschaft“, die aus Anlaß des 100. Deutschen Ärztetags 1997 erschien, bekundet. Das Wissen um die eigene Tradition ist viel- mehr ein wichtiges Rüstzeug für die Bewältigung gegenwärti- ger berufspolitischer Probleme.
Gleichzeitig bekennt man sich zu der Verantwortung, die man als die gesundheits- und sozial- politische Entwicklung Deutsch- lands mitgestaltende Standes- vertretung gegenüber histori- schen Forschungsinteressen hat.
Die Basis für ein Histori- sches Archiv der deutschen Ärzteschaft ist gelegt. Nicht ge- sichert ist zur Zeit freilich die langfristige Institutionalisierung.
Diese erst würde eine kontinuier- liche Bestandserweiterung gewähr-
leisten. DÄ
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e eigenen nen
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Vor der inhaltlichen Erschließung muß man sich zunächst gründlich mit dem äußeren Erscheinungsbild der Akten
beschäftigen.
Die Arbeit im Archiv
Erst danach rückt die historische Bedeutung vieler Schriftstücke in den Vordergrund – wie etwa bei dem hier abgebildeten Schrei- ben Karl Haedenkamps vom 5. Dezember 1946, in dem er den interzonalen Zusam- menschluß der Ärzte- kammern anregt.
Ein besonders krasses Bei- spiel für den Erhaltungszu- stand der älteren Akten. Bei der Bearbeitung werden alle Akten aus den zumeist ro- stenden und verstaubten Ordnern genommen und in alterungsbeständige Archiv- mappen eingebunden.
Je älter die Akte, desto mehr frißt sich der Rost von Büroklammern und Heftern durch das Papier. Diese Me- tallteile müssen entfernt werden, um langfristig den Verlust des bearbeiteten Ak- tenguts zu verhindern.
Vor Licht und Staub geschützt, bei trockener und konstant kühler Temperatur, landen die fertigen Aktenmappen schließlich in übereinander gestapelten Archivboxen.
Unten rechts im Bildausschnitt Mikroverfilmung der Reichsärztekartei, Stand 1943.
Fotos: Eberhard Hahne