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Archiv "Der kranke Arzt: Chance zum besseren Verständnis des Patienten" (04.02.2000)

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A-237 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 5, 4. Februar 2000

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

eit dreißig Jahren bin ich Arzt, und seit drei Jahren bin ich krebskranker Patient. Vom Beginn meiner Patientenkarriere an habe ich gespürt, dass dieses Gesche- hen bedeutend für mein Arztsein wer- den und dass umgekehrt mein Arzt- sein einen besonderen Umgang mit der Krankheit bewirken würde. Diese Interdependenz hat sich in den ver- gangenen Jahren bestätigt und dazu geführt, mich eingehender damit auseinander zu setzen. Ei- ne erste Überraschung war, dass sich zu diesem Thema so gut wie keine wissenschaftliche Litera- tur fand. Meine Kenntnisse aus der Literatur zum Thema „Arzt und eigene Krankheitserfah- rung“ sind also spärlich, meine Selbsterfahrung aber groß, so dass ich trotz fehlender wissen- schaftlich gesicherter Fakten wagen will, Thesen zur Diskus- sion zu stellen und diese zu einer berufspolitischen Forderung zu- zuspitzen.

Wie wirkt sich das Arzt- sein auf den Umgang mit eige- ner Gesundheit und Krankheit aus?

Zur Beantwortung dieser Frage soll die typische Patientenkarriere eines Arztes konstruiert werden.

Die ganz normale Hypochondrie

Unser Mediziner, nennen wir ihn Schmidt, beginnt mit dem Medizinstu- dium und ist bald mit zu präparieren- den Leichen in der Anatomie und im Sektionssaal sowie mit ersten Kran- ken in den klinischen Fächern kon- frontiert. Er reagiert in der Weise,

dass er die Faktizität des Leidens und Todes auf sich selbst bezieht und bei kleinsten Symptomen Ängste vor ganz bestimmten Erkrankungen ent- wickelt, die er gerade direkt am Men- schen oder im Lehrbuch kennen ge- lernt hat. Er sieht sich den Sympto- menkatalog dieser Erkrankungen noch einmal an und stellt mit Schrecken fest, dass er einen Großteil

dieser Symptome von sich kennt, oder er entwickelt sie in der Nacht darauf.

Schmidt leidet also unter einer reaktiven Hypochondrie. Entweder er verbietet sich strikt diesen Unsinn und trinkt weiter sein Bier, oder er geht mit großer Angst zum Arzt, um den Morbus Hodgkin oder den Ho- denkrebs bestätigt zu bekommen.

Auch dies endet mit dem Verbot der Hypochondrie – denn alle Befunde sind negativ, und normalerweise fin- det sich ein erfahrener väterlicher Kollege, der Schmidt milde lächelnd klarmacht: „Das habe ich auch als jun- ger Medizinstudent erlebt, das geht

vorbei.“ Schmidt ist beruhigt und ab sofort gesund, egal wie stark der Kör- per sich bemerkbar macht, und hier- mit ist das Kind mit dem Bade ausge- schüttet. Die Hypochondrie ist verbo- ten, und die Warnsignale bei begin- nenden Krankheiten sind es leider auch: Schmidt ist gesund, das hat so zu sein, das ist so.

Diese Verdrängung, Ver- leugnung oder Dissimulation al- les Kranken im eigenen Orga- nismus wird nun durch den nächsten Schritt im Mediziner- Dasein immens verstärkt. Der nunmehr approbierte Arzt lernt durch seine unmittelbare tägli- che Erfahrung, dass Patienten krank und Ärzte gesund zu sein haben. Beispielsweise teilt ihm sein Chef mit, dass er in 30 Be- rufsjahren nicht einen Tag ge- fehlt habe. Er lernt auch, noch mit 38,4 Grad Celsius hoch- konzentriert am Operations- tisch zu stehen. Und falls doch einmal ein Arzt krank sein soll- te, dann ist er alt gewesen – und das bin ich ja noch nicht, denkt Dr. Schmidt. Schließlich möchte Dr.

Schmidt Vorbild für seine Patienten sein – also Gesundheit und Lebens- kraft ausstrahlen.

Ärztemuster zur freien Auswahl

Nach jahrzehntelanger Arbeit als Arzt mit strotzender Gesundheit schleichen sich aber doch Symptome ein, die hartnäckig dem Verbot von Hypochondrie widerstehen und ein- fach nicht weggehen wollen: Kopf- schmerzen, Schlafstörungen, Magen-

Der kranke Arzt

Chance zum besseren

Verständnis des Patienten

Der ärztliche Werdegang prägt den Umgang mit der eigenen Krankheit. Solche Erfahrungen können aber auch für die ärztliche Fort- und Weiterbildung genutzt werden.

S

Thomas Ripke

kranke Der Arzt

Wandel

Themen der Zeit

Patienten vom

Arzt zum

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schmerzen, Erschöpfung und Über- druss. Aber es gibt gegen diese lästi- gen Wehwehchen zum Glück in den Schränken auf der Station oder in der Praxis Ärztemuster zur freien Aus- wahl: Analgetika, Benzodiazepine, Histamin-H2-Blocker oder Antide- pressiva. Nach der Hypochondrie und der zum Dogma erklärten Gesundheit macht Dr. Schmidt jetzt die dritte Pha- se durch. Er behandelt Symptome mit heimlicher, manchmal sporadi- scher, oft auch zu Abhängigkeit führender Selbstmedikation.

Auf keinen Fall geht Dr.

Schmidt zum Arzt. Er ist doch selber einer, weiß es deshalb besser, und Dr. Schmidt miss- traut Kollegen. Er weiß, dass überall nur mit Wasser ge- kocht wird.

Aber eines Tages – und dann leider oft zu spät – bricht der Staudamm. Die Angst überflutet das Bewusstsein, und/oder ein Symptom macht objektiv arbeitsunfähig. Nun steigt Dr. Schmidt in die vierte Phase nach Hypochondrie, dogmatischer Gesundheit und Selbstmedikation ein. Er ak- zeptiert es, krank zu sein, und sucht einen Arzt auf. Dieser vermag vielleicht nichts ein- deutig zu diagnostizieren;

dann wiederholen sich die oben angegebenen Phasen, nur dass Dr. Schmidt darin be- stätigt ist, wiederum hypochondrisch zu sein, und sich deshalb umso mehr alle subjektiven Krankheitssignale verbietet. Angenommen, der Arzt fin- det aber eine objektiv, instrumentell fassbare Krankheit. Dann hat Dr.

Schmidt auch für sich selbst unwider- legbar diese Krankheit. Das ist in ge- wisser Weise erleichternd; denn we- nigstens ist er kein Hypochonder mehr.

Jetzt heißt es für Dr. Schmidt, vernünftig zu sein. Als wissenschaft- lich ausgebildeter und praktizieren- der Arzt geht er mit sich selber auch wissenschaftlich um. Er ist nicht krank, sondern er hat eine Krankheit, die er sich im Labor oder auf dem Röntgenbild ansehen kann. Außer- dem gibt Dr. Schmidt so schnell nicht auf. Die Krankheit ist eine Sache, die diagnostiziert, therapiert und ausge-

merzt werden muss. Als Arzt jedoch, der diese Krankheit wie die eines an- deren Patienten ansieht und behan- delt, ist und bleibt er gesund. Die Krankheit ist ihm fremd, sie gilt es zu vernichten, herauszuschneiden, von ihm als gesundem Arzt abzutrennen.

Dr. Schmidt konsultiert in eige- ner Sache Kollegen; es sind mehrere Kollegen, weil er sich nicht entschließen kann,

einem allein zu vertrauen. Als Person ist er auch für die behandelnden Ärz- te beileibe nicht krank. Er wird als mit-diagnostizierender und mit-thera- pierender kompetenter, also gesunder Kollege angesehen und respektiert.

Der Kollege – gegenüber dem Kolle- gen Patienten ein bisschen befangen und unsicher – ist froh, mit dem Kolle- gen von Kollege zu Kollege über den gemeinsamen Fall fachlich qualifiziert diskutieren zu können. Denn darin kennen beide sich aus, und schließlich wollen sie sich auch gegenseitig be- weisen, dass sie kompetent sind und eine hochqualifizierte Fallbespre- chung zu Wege bringen – der Fall ist dabei fast zufällig nicht ein dritter Pa- tient, sondern einer der beiden Ärzte.

Dr. Schmidt, der zunächst froh war, als Kollege ernst genommen zu

werden, stellt bald fest, dass sein sub- jektives Verhalten nicht mit dem dia- gnostischen und therapeutischen Wis- sensstand korrespondiert. Vor der Tu- mormarkerkontrolle drückt er sich aus Angst vor einem Anstieg, und Calcium-Tabletten nimmt er einfach nicht ein, weil sie ihm zu groß sind.

Schließlich hat er genug davon, von den ärztlichen Kollegen immer nur gesagt zu bekommen: „Sie als Kollege wissen am besten, was für Sie gut ist.“ Er fühlt sich dadurch allein ge- lassen und sehnt sich nach einer Autorität, die wirklich für ihn sorgt, der er vertrauen kann. Er sehnt sich nach einem Arzt, der kompetent ist, der sich wirklich für ihn engagiert und in seinen Vorschlägen souverän und un- abhängig ist. Hier kommt Dr.

Schmidt in die fünfte Phase. Er wird von Dr. Schmidt, dem ge- sunden Arzt, der eine Krankheit hat, zu Schmidt, dem kranken Arzt und Patienten, der zwar mit- reden und mitbestimmen möchte, aber nicht mehr als Arzt, sondern als Leidender. Er möchte, dass sein Vertrauensarzt ihm ver- ständnisvoll und warmher- zig zuhört, sich aber auch – wenn es medizi- nisch angemessen ist – ihm gegenüber durchzu- setzen versucht. Hier verlassen wir Schmidt, den Patienten, denn ab hier ist seine weitere Krankheitskar- riere nur noch wenig von seinem Arzt- sein bestimmt.

Auswirkungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis

Aber Dr. Schmidt hat bei all die- ser privaten Stellung zum eigenen Ge- sund- und Kranksein doch auch einen Beruf: Er ist Arzt und er behandelt andere Patienten. Wie kann sich diese etwas überzeichnete Krankenge- schichte eines Arztes auf dessen Be- handlungsmethoden auswirken?

Zunächst die negativen Möglich- keiten: Hypochonder und aggravie- rende Patienten, überhaupt Patienten mit somatoformen Störungen werden von Dr. Schmidt nicht voll akzeptiert und abgewertet, solange er diese Sym- A-238 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 5, 4. Februar 2000

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Karikatur: Franziska Becker

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ptome bei sich selbst nicht akzeptie- ren kann. Gerade weil Dr. Schmidt später von Zeit zu Zeit heimlich zur Selbstmedikation greift und er dar- über ein schlechtes Gewissen hat, kann er Selbstmedikation und erst recht abhängigkeitsgefährdende Dro- geneinnahme bei Patienten nur verur- teilen. Dadurch ist ihm der verständ- nisvolle Blick verstellt.

Chance zum besseren Verständnis des Patienten

Da Dr. Schmidt mit eigener Krankheit sachlich wissenschaftlich umzugehen gedenkt, falls er wider Erwarten irgendwann krank werden sollte, erwartet er glei- ches auch von seinen Patien- ten. Durch seinen Behand- lungsstil hält er sie an, Krank- heit grundsätzlich als fremde Sache begreifen zu lernen, die nicht zu ihnen gehört und zu vernichten ist. Das mag für viele Patienten und Krankheiten das angemes- sene Verfahren sein. Aber diese Sicht ist einseitig und macht blind für anderes.

Das Kranksein als bedeut- same Lebensäußerung, als Lebensveränderung und als subjektives Leid – ebenso wie die Gesundung durch Selbstheilungs- kräfte – wird vernach- lässigt, solange der Arzt selber noch in seiner versachlichen- den krankheitsentfrem- deten Phase steckt. Deswe-

gen kann Dr. Schmidt auch genuin seelische Erkrankungen weniger ak- zeptieren als körperliche. Sie lassen sich nicht strikt abgegrenzt als fremde Sachen fassen.

Dr. Schmidts eigenes Kranksein kann auch positive Auswirkungen auf die Behandlung seiner Patienten ha- ben. Dazu kommt es aber erst, nach- dem er beschlossen hat, zum Arzt zu gehen, eine objektive Krankheit dia- gnostiziert wird und Dr. Schmidt dies akzeptiert. Plötzlich kann er Patien- ten, die er wegen ihres Misstrauens, ihres Kontrollbedürfnisses, ihrer An- spruchshaltung und ihrer Arztwech-

selei gefürchtet und abgewertet hat, von innen heraus verstehen. Denn er ist selber misstrauisch, muss kontrol- lieren, hat hohe Ansprüche und braucht mehrere Ärzte. In den Pati- enten mit Angst vor körperlichen Krankheiten erkennt Dr. Schmidt nun sich selbst. Da seine eigene Angst letzten Endes berechtigt war, kann er sie jetzt bei den Patienten besser ak- zeptieren, mehr noch, es entsteht eine erkennende Resonanz, die von den Patienten dankbar aufgenommen wird. Dies gilt allerdings nur, wenn Schmidt gelernt hat, mit der Angst zu

leben oder sie gar zu überwinden.

Patienten mit seelischem Leid in- folge körperlicher Erkrankung er- möglichen dem Arzt, etwas von sei- nem eigenen Leid zu spüren. Wie bei der Angst führt dies auch wieder zu produktiver Resonanz, wenn Dr.

Schmidt gelernt hat, sein Leiden zu verarbeiten. Patienten mit Schmerzen sind für ihn, auch wenn sie diese stark betonen, keine aggravierenden Pati- enten mehr. Er weiß, wie gravierend seine eigenen Schmerzen zum Bei- spiel in einsamen Nächten waren, und

auch wenn er dies dem Patienten nicht sagt, spürt dieser die Gemeinsamkeit und lebt darüber auf.

Patienten mit negativer Compli- ance, die Dr. Schmidt immer heimlich verachtet hat, verachtet er nie mehr, ist er doch selber ein Patient, der mal mit positiver, mal mit angeblich nega- tiver Compliance reagiert, das heißt autonom und oft auch irrational ent- scheidet, welche Behandlungsange- bote er annimmt und welche er ver- wirft oder vergisst.

Er lernt, besser zuzuhören und den Patienten seine Wärme und sei- nen Schutz zu geben, weil er selbst Ärzten und Schwestern unendlich dankbar ist, die ihm dies in Zeiten von Krankheitskrisen gegeben haben. Zu Patienten mit ähnlicher oder gleicher Diagnose bildet sich ein neues intensives Vertrau- ensverhältnis heraus, weil die horizontale Beziehung Patient/Patient die verti- kale Beziehung Arzt/Pati- ent ergänzt, ohne dass der Arzt viel an seiner Kom- munikationsstruktur ge- ändert hat. So wird Dr.

Schmidt, nachdem er sei- nen frisch entdeckten Dia- betes im Griff hat, zum

Diabetes-Spezialisten.

Seine Patienten füh- len sich bei ihm bes- ser aufgehoben als bei einem gesunden Arzt.

(Ich selbst hatte früher vor Krebspatienten und ihrem Schicksal Angst, heute sind sie meine Lieblings- patienten.) Das Verständnis des Arztes für die Neigung vieler Patien- ten zu Wegen abseits der Schulmedi- zin nimmt deshalb zu, weil er selbst solche Wege erwogen hat oder auch schon gegangen ist.

Bei allen positiven Auswirkun- gen der eigenen Erkrankung auf die Behandlung von und die Beziehung zu Patienten darf jedoch nicht verges- sen werden, dass diese in der Regel erst eintreten, nachdem der Arzt ernsthaft und unübersehbar körper- lich krank geworden ist und dies selbst gut verarbeitet hat.

Vorher, und das gilt für den Großteil der ärztlichen Tätigkeit, dro- A-239 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 5, 4. Februar 2000

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Karikatur: Franziska Becker

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hen eher die negativen Auswirkun- gen: die Abwertung von Patienten mit somatoformen Störungen, die Ausgrenzung von Erkrankungen als objektivierbare, fremde Störungen und die Abwertung von Patienten, die ein ganzheitlicheres Krankheitsver- ständnis und Krankheitserleben ha- ben.

Wichtiges Thema für die ärztliche Fortbildung

Die Krankheitskarriere von Dr.

Schmidt macht deutlich, dass der Um- gang des Arztes mit eigener Gesund- heit und Krankheit bedeutsame Aus- wirkungen auf die Behandlung der Patienten hat. Dieses Zusammen- hangs ist sich der Arzt bis zum eigenen Krankheitsfall kaum je bewusst. Aber nur durch die Wahrnehmung dieser Zusammenhänge hat der Arzt die Chance, in seiner Beziehung zu den Patienten die negativen Auswirkun- gen zu vermeiden und die positiven auszubauen. Dies aber geht am besten im Gespräch mit anderen sympathi- sierenden Betroffenen, die vielleicht manchmal mehr sehen, als man selber sehen möchte.

Nötig erscheinen daher Selbster- fahrungsgruppen zum vertraulichen, empathischen Gespräch über den Umgang mit eigener Erkrankung während des Studiums und der Fach- arztausbildung. Wichtig wäre zudem der Einbau dieses Themas in die ärzt- liche Fortbildung mit Qualitätszir- keln, Balintgruppen und Supervisi- ons-Gruppen. Angesichts der bisher fast tabuartigen Ausgrenzung dieses Themas wird bis dahin allerdings noch ein langer Weg zu gehen sein.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-237–240 [Heft 5]

Anschrift des Verfassers Dr. med. Thomas Ripke Facharzt für Allgemeinmedizin Lehrbeauftragter für Medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg

Mönchhofstraße 11 69120 Heidelberg

Ärzteschaft gründet Forschungsinstitut

Europafähige

Perspektiven entwickeln

Die Ärzteschaft will sich mit europarechtlichen Einflüssen auf das deutsche Gesundheitswesen auseinander setzen.

as europäische Gemeinschafts- recht macht auch vor dem deutschen Gesundheitswesen nicht Halt. Vor diesem Hintergrund haben Vertreter der deutschen Ärzte- schaft einen gemeinnützigen Träger- verein gegründet, der sich mit dem deutschen Gesundheitswesen unter Berücksichtigung des europäischen Wettbewerbsrechts befassen will. Ein rechtlich und finanziell selbstständi- ges wissenschaftliches Forschungsin- stitut an der Universität Frankfurt am Main soll die notwendigen Fragestel- lungen aufbereiten.

„Bisher ist es nicht hinreichend gelungen, gesellschaftspolitische, me- dizinische und ökonomische Orientie- rungen in der Gesundheitsversorgung zu verzahnen“, betonte Dr. med. Die- ter Everz, Präsident der Landesärzte- kammer Rheinland-Pfalz und Vorsit- zender des Trägervereins. Dieser De- fizite nehme sich der Europäische Ge- richtshof (EuGH) immer stärker durch eine erweiterte Rechtspre- chung an.

Frühwarnsystem errichten

„Unser Anliegen ist es daher, Akteure aus möglichst allen Berei- chen des Gesundheitswesens unter dem Dach des Forschungsinstituts zusammenzufassen“, erläuterte Dr.

Heinrich Hanika, Geschäftsführer und Justiziar der Bezirksärztekam- mer Pfalz. Hanika sieht in dem Zusammenschluss ein neutrales Fo- rum wie auch eine Art „Frühwarn- system“, um künftig unliebsamen Überraschungen wie nach den EuGH- Urteilen zur Kostenerstattung bei Zahnbehandlungen und beim Er- werb medizinischer Erzeugnisse im

Ausland mit seinen weitreichenden Folgen vorzubeugen. Gleichzeitig machte er darauf aufmerksam, dass ein vergleichbares Urteil des Euro- päischen Gerichtshofs für den sta- tionären Sektor im Frühjahr 2000 zu erwarten sei.

Aktivitäten der Mitglieder bündeln

Prof. Dr. Ingwer Ebsen vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt erinnerte zu- dem daran, welches „Durcheinander“

der Kartellsenat des Oberlandesge- richts Düsseldorf im vergangenen Jahr mit seiner Entscheidung zur Festsetzung der Festbeträge für Arz- neimittel durch die Spitzenverbände der Krankenkassen ausgelöst habe.

Es sei ein Trugschluss, zu glauben, Entscheidungen dieser Art führten notwendigerweise zu einer Deregulie- rung nationaler Gesundheitsmärkte, sagte Ebsen. „Wenn die Selbstverwal- tungsregulierungen zu Fall gebracht werden, dürfte der Gesetzgeber vieles in die Hände der staatlichen Bürokra- tie geben. Aus verschiedenen ein- leuchtenden Gründen wird das deut- sche Gesundheitswesen kaum allein den Gesetzen von Angebot und Nach- frage geöffnet“, führte der Sozial- rechtler aus. Ziel des Forschungsinsti- tuts sei es daher, die Aktivitäten der Mitglieder zu bündeln, um auch „eu- ropafähige“ sozialpolitische Perspek- tiven entwickeln zu helfen.

Interessenten für eine Mitglied- schaft wenden sich an die Gesellschaft für Europäische Gesundheits- und Sozialpolitik, c/o Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Deutschhausplatz 3, 55116 Mainz. Petra Spielberg

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