ach 21 Jahren als Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages trat Prof. Dr. med. Dr. h. c. Karsten Vilmar (69) nicht mehr zur Wahl an.
Vilmar hat in der Öffentlichkeit das
„Gesicht“ der Ärzteschaft in den bei- den letzten Jahrzehnten maßgeblich und nachhaltig geprägt. Die Chancen, die das Medienzeitalter dem Politiker, auch dem ärztlichen Berufspolitiker bietet, nämlich Politik personifiziert zu präsentieren, hat er zu nutzen ge- wußt. Er hat allerdings auch die Risi- ken der Mediengesellschaft erfahren müssen. Die haben ihn gerade in den letzten Monaten noch einmal erreicht.
Anläßlich seines Abschieds wurde im- mer wieder sein bitteres Wort vom
„sozialverträglichen Frühableben“ be- müht, das mancher Journalist und mancher Politiker als Waffe gegen ihn und gegen die Ärzteschaft benutzt.
Wenn man Vilmar vollständig zitiert und richtig interpretiert, hat das Schlagwort durchaus aufklärerischen, konstruktiven Wert. Aber das kommt vor allem bei den schnellen Medien nicht rüber. Ironie, auf die sich Vilmar durchaus versteht, ist nicht unbedingt Sache von Hörfunk und Fernsehen.
Karsten Vilmar hat seine Sache – und das ist die Vertretung von Patien- ten- gleichermaßen wie von Ärztein- teressen – medial insgesamt vorzüg- lich vertreten. Zugute kam ihm dabei seine Fähigkeit, komplizierte Sach- verhalte einfach und plastisch auszu- drücken, zugute kam ihm vor allem aber seine Glaubwürdigkeit. Und die rührt daher, daß er aus Überzeugung argumentiert, sich politischen Dro- hungen und Verführungen widersetzt und schließlich keine persönliche Ei- telkeit erkennen läßt. Vilmar ist im Privaten wie in der Öffentlichkeit ein Mensch ohne Dünkel und Allüren.
Vor allem aber ist er ein Mann, der ein Ziel, das er sich gesetzt hat, nie aus dem Auge verliert. Standfest, be-
harrlich, geduldig verfolgt er seine gesundheitspolitischen Ideale, auch dann, wenn die Realisierung jahr- zehntelang auf sich warten läßt. So streitet Vilmar in unauffälliger Be- harrlichkeit seit rund dreißig Jahren für neue Strukturen des ärztlichen Dienstes am Krankenhaus: weg von überholten Hierarchien, hin zu befrie- digenden Lebensstellungen für mög- lichst viele Ärzte.
Erinnert sei auch, um nur ein wei- teres Beispiel zu nehmen, an Vilmars unermüdliche Aufklärung über den Zusammenhang von Altersstruktur der Bevölkerung, Multimorbidität, Leistungsausweitung und Kostenex- pansion. Der Zusammenhang ist von
Gesundheitspolitikern, die es hätten wissen müssen, lange geleugnet wor- den, heute findet er sich in Gesetzes- begründungen.
Unbeirrbar auch sein Einsatz für die unveräußerlichen Prinzipien der ärztlichen Ethik, die er als Grundlage für den Arztberuf schlechthin ansieht.
Vilmar hat schon früh auf wiederauf- kommende Gefahren durch Euthana- sie beziehungsweise Sterbehilfe hin- gewiesen. In dem Zusammenhang ist auch Vilmars offene, nichts beschöni-
gende Auseinandersetzung mit ärztli- chen Verfehlungen in der NS-Zeit zu nennen.
Mit Karsten Vilmar verbunden ist schließlich die Erarbeitung gesund- heitspolitischer Grundsatzprogram- me der Ärzteschaft, zusammengefaßt in den Blauen Papieren. Von Anfang an, seit 1973/74, hat er hierbei aktiv mitgemacht. Vilmar hat dabei nicht nur Ziele gesteckt, sondern sich selbst mit Problemen und Lösungsvorschlä- gen auseinandergesetzt, Fachleute hinzugezogen und die Ergebnisse selbst mitformuliert. Wie überhaupt Karsten Vilmar ein „Funktionär“ war, der nicht kommandierte und andere zur Arbeit trieb, sondern selbst an- packte – bis in die Details. Insoweit ist Professor Vilmar nie der typische Eh- renamtler gewesen – und doch war er das, denn bis zu seiner Pensionierung, korrekt mit dem 65. Lebensjahr, ar- beitete er als Arzt; er war Oberarzt an einem Bremer Klinikum, Unfallchir- urg und, wie seine Kollegen bestätigen,
„Spezialist für vermurkste Fälle“.
Seinen Verhandlungspartnern hat er es meist nicht leicht gemacht, er war zwar diplomatisch, in der Sache aber standfest. Er überrascht immer mit präsentem Faktenwissen und ärgert sich über Inkompetenz oder Fakten- resistenz bei Gesprächspartnern. Was vereinbart wird, vertritt er standhaft nach außen und innerärztlich.
Obwohl „Krankenhausarzt“ und ausgewiesener „MB-Mann“, wirkte Vilmar immer integrierend. Er war sich bewußt, als Präsident der Bun- desärztekammer die gesamte Ärzte- schaft zu vertreten, zugleich aber für das Gemeinwohl mitverantwortlich zu sein. In dieser Weise überzeugt hat er zuletzt noch Horst Seehofer, den früheren Bundesgesundheitsminister, der vom Saulus zum Paulus geworden ist. Eine solche Wandlung bei Andrea Fischer wird Vilmar als aktiver Präsi- dent der Bundesärztekammer nicht mehr erleben können. Er wird aber gewiß seinem Nachfolger Jörg-Diet- rich Hoppe ein solches Erlebnis wünschen. Norbert Jachertz PS Das Deutsche Ärzteblatt dankt Vilmar dafür, daß er die Mei- nungsfreiheit gegen manche Widerstän- de stets verteidigt hat. Das ist Lesern wie Redaktion zugute gekommen. NJ
A-1618 (22) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 24, 18. Juni 1999
P O L I T I K 102. DEUTSCHER ÄRZTETAG
Karsten Vilmar
Ein Mann, der sein Ziel nie aus dem Auge verliert
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Karsten Vilmar