• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte (EBB) Alt Rehse: Ein klares Zeichen gegen Rechts setzen" (20.06.2014)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte (EBB) Alt Rehse: Ein klares Zeichen gegen Rechts setzen" (20.06.2014)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1134 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 25

|

20. Juni 2014

Ein klares Zeichen gegen Rechts setzen

Am Ort der NS-„Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ in Alt Rehse soll eine Erinnerungs- und Bildungsstätte entstehen. Ärztinnen und Ärzte sind aufgerufen, mit Spenden dazu beizutragen.

Herr Richter-Reichhelm, was verbinden Sie spontan mit Alt Rehse?

Richter-Reichhelm: Alt Rehse ist für mich eine klassische Erinne- rungsstätte des kollektiven Täter- tums. Die Erinnerung daran wach zu halten, gerade jetzt in der Zeit, in der rechte Strömungen nicht zu unter- schätzen sind, halte ich für sehr wichtig. Alt Rehse ist – mit einem Alleinstellungsmerkmal in Deutsch- land – eine Stätte, bei der es um die Täterschaft geht. Dies zu fördern, ist neu für die Bundesgedenkstättenför- derung, die uns jetzt zugeneigt ist.

In Ihrer Zeit als Vorsitzender der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hatten Sie ja auch schon mit Alt Rehse zu tun.

Richter-Reichhelm: Nach der Wende war Alt Rehse mit seinen Liegenschaften der kassenärztli- chen Selbstverwaltung zugespro- chen worden. Es gab damals in der KBV-Vertreterversammlung sehr ernsthafte Diskussionen darüber, wie man das Gelände angemessen nutzen könnte. Gegen eine Nutzung

als Fortbildungsstätte wurde vorge- bracht: An einem Ort, an dem Ärzte zu Tätern geworden sind, kann man keine normale ärztliche Fortbildung machen. Zudem bestand damals die Sorge, dass das Gelände, auf dem immerhin drei Armeen stationiert waren, wegen Bodenverunreinigun- gen gar nicht mehr genutzt werden könnte. Schließlich wurde mit knapper Mehrheit entschieden, die Liegenschaft zurückzugeben.

Die Bewohner des Musterdorfs haben ihre Häuser zu einem fairen Preis von der Kassenärztlichen Ver- einigung (KV) Mecklenburg-Vor- pommern erwerben können. Der ganze Park ist an den Bund zurück- gegeben worden, das Gutshaus, in dem jetzt die „Erinnerungs-, Bil- dungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse“ geplant ist, an die Gemein- de Penzlin.

Zu dem Zeitpunkt hat die NS-Vergan- genheit von Alt Rehse also eher eine untergeordnete Rolle gespielt.

Richter-Reichhelm: Die war zwar in der Diskussion durchaus präsent,

insbesondere mit Blick darauf, dass man dort nicht einfach eine 08-15-Ausbildung hätte machen können. Das war jedem klar. Aber die Vertreterversammlung hat leider Alt Rehse nicht als Chance gese- hen, das NS-Thema aufzugreifen und sich an die Spitze der Bewe- gung zu setzen.

Nun gibt es ja nicht wenige Ärztinnen und Ärzte, die meinen, man sollte diese ganze NS-Erinnerungsarbeit ruhen las- sen. Wie würden Sie die davon über- zeugen, dass eine Spende für die Erin- nerungsstätte Alt Rehse sinnvoll ist?

Richter-Reichhelm: Man darf die Augen nicht einfach verschließen und sagen: Die Deadline ist über- schritten, das ist verjährt, und wir decken den Mantel des Schweigens darüber. Das wäre sicherlich falsch.

Zumal wir – ich wiederhole mich jetzt – leider in der Bevölkerung immer wieder Strömungen haben, die dem nationalsozialistischen Ge- dankengut hinterherweinen. Unser Ziel ist es, dort gegenzuhalten. Wir wenden uns ja nicht nur an die Ärz-

INTERVIEW

mit Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte (EBB) Alt Rehse

Spenden Alt Rehse:

Deutsche Apotheker- und Ärztebank Konto: 0001574213, BLZ: 30060601 Müritz-Sparkasse Konto: 641006713 BLZ: 15050100 Konteninhaber:

Gutshaus Alt Rehse gemeinnützige GmbH, Gutshaus 1, 17217 Penzlin

Erinnerungsort zur „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“: Gutshaus Alt Rehse mit restaurierter Fassade

T H E M E N D E R Z E I T

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 25

|

20. Juni 2014 A 1135 teschaft, sondern auch an die breite

Bevölkerung, an Schulklassen, die nach Alt Rehse kommen sollen. Sie sollen hier in Verbindung etwa mit Sachsenhausen oder anderen Kon- zentrationslagern eine Gesamt- schau bekommen: die Täter hier, die Opfer dort. Ich glaube, es stün- de der Ärzteschaft sehr gut an, dort mit relativ bescheidenen Eigenmit- teln, die wir schultern müssten, Flagge zu zeigen, ein klares Signal zu setzen gegen Rechts, gegen Dik- tatur und gegen eine Verzerrung der Gesundheitspolitik.

Was meinen Sie mit Verzerrung der Ge- sundheitspolitik?

Richter-Reichhelm: Was die Natio- nalsozialisten damals gemacht ha- ben, war ja ein Schwenk um 180 Grad. Jeder Arzt, auch heute, ist ei- gentlich der Überzeugung, dass er primär für seinen einzelnen Patien- ten da ist. Für den ist er verantwort- lich und für den muss er Hilfe und Linderung schaffen. Das wurde von den Nationalsozialisten umgekehrt:

Der einzelne Patient war nichts mehr, der gesunde Volkskörper war alles. Man sollte immer wieder da- rauf hinweisen, dass es einmal diese Phase gab.

Wie sieht es derzeit mit der Finanzie- rung des Projekts aus?

Richter-Reichhelm: Wir haben das positive Votum des Expertengremi- ums des Kulturstaatsministeriums.

Das hat im dritten Anlauf geklappt.

Der Bund über die Bundesgedenk- stättenverordnung und das Land Mecklenburg-Vorpommern sind be- reit, Geldmittel zur Verfügung zu stellen, wenn die nachhaltige Be- triebsführung gewährleistet ist. Da bin ich froh, dass nun die KBV mit

im Boot ist und entsprechende Geldmittel beisteuert. Das ganze Projekt wird rund 5,8 Millionen Euro kosten, und wir können damit rechnen, ungefähr 1,65 Millionen Euro vom Bund und 2,25 Millionen vom Land Mecklenburg-Vorpom- mern zu bekommen. Den Rest – 1,9 Millionen – müssen wir aus Eigen- mitteln finanzieren. Hier sind wir auf Spenden angewiesen.

Wenn man es auf den einzelnen Arzt herunterrechnet, wäre das pro Person doch eine überschaubare Summe.

Richter-Reichhelm: Bei rund 400 000 Ärzten wären das weniger als fünf Euro für den einzelnen Arzt.

Wir müssen ja alle Rechnungen erst mal selber bezahlen, also vorfinan- zieren. Wir brauchen also Eigenkapi- tal. Wir müssen nicht gleich den gan- zen Brocken von 1,9 Millionen Euro auf den Tisch legen, aber es muss schon sichtbar werden, dass wir auf einem guten Weg sind, diese Summe mit Spendengeldern zusammenzu- bekommen.

Sie haben als Verein das ehemals zum Rittergut Alt Rehse gehörende Guts- haus erworben. Was genau soll damit

passieren? Das meiste Geld wird ja wohl in Baumaßnahmen fließen.

Richter-Reichhelm: Das geht erst mal in Dach und Fach – von einer Festigung des Fundaments, das man wohl unterspritzen muss, bis zu einem völlig neuen Dach- stuhl, in dem jetzt der Holzwurm sitzt, und einer Neugestaltung der Außenfassade. Sämtliche Sanitär- einrichtungen und Fenster müssen erneuert werden. Abreißen und et- was Neues hinstellen wäre billi- ger, aber damit wäre der Bezug zur Vergangenheit verloren. Das Gutshaus steht zudem unter Denk- malschutz und darf gar nicht ver- ändert werden.

Was genau ist in dem Haus geplant?

Richter-Reichhelm: Im Erdge- schoss wird es eine Dauerausstel- lung zur Geschichte des Ortes Alt Rehse und zur „Führerschule“ ge- ben. Dazu gibt es schon ein klares Konzept. Deutlich soll hier auch der Weg, der hin zu Aussonderung und Tötung von kranken und be- hinderten Menschen führte, aufge- zeigt werden. In der Ebene darü- ber, vormals der Beletage, wird Platz sein für Wechselausstellun- gen, Vortragsräume, für eine klei- ne Cafeteria, Sanitärräume, Gar- deroben und Büroräume für das Personal. Für das Obergeschoss sind Seminarräume vorgesehen.

In Kenntnis der Nazi-Ideologie soll dort über aktuelle medizin- ethische Themen diskutiert wer- den. Da gibt es ja gerade bei der Genomforschung, der Stammzell- forschung und den modernen me- dizinischen Verfahren, PID et ce- tera viele Dinge, über die man dis-

kutieren muss

Das Gespräch führte Thomas Gerst.

Manfred Richter- Reichhelm, enga- giert sich seit dem Ausscheiden als letzter ehrenamtli- cher KBV-Vorsitzen- der (2000–2004) für die Erinnerungs-, Bildungs- und Be- gegnungsstätte Alt Rehse.

Heilen und Vernichten im Dienste des Nationalsozialismus

Die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ war das ideologische Zentrum der NS-Ärzteschaft. Seit 1934 ent- standen im mecklenburgischen Alt Rehse auf einer Fläche von 69 Hektar mehr als 60 Neubauten. In Alt Rehse wurde ein Paradigmenwechsel in der Medizin und Gesundheitspolitik ideologisch und ästhetisch untermauert:

Nicht mehr das Individuum stand nun im Mittelpunkt ärztlichen Handelns, sondern der Volkskörper.

Der Arzt übernahm die Rolle des „Gesundheitsführers des Volkes“. Neue ethische Grundprinzipien legitimierten die Voraussetzungen für eine umfassende Umsetzung der Politik von Heilen und Vernichten. Bis 1943 erfolgte in Alt Rehse die „weltanschauliche Schulung“ von mehr als 10 000 Ärzten, Hebammen und Apothekern.

Mehr zur Geschichte, zu aktuellen Veranstaltungen und zum Erinnerungsprojekt unter www.gutshaus-ar.de

Reichsärzteführer Gerhard Wagner 1935 bei der Eröffnung von Alt Rehse

Foto: Georg J. Lopata Foto: Archiv Deutsches Ärzteblatt

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Auch wenn Patienten und Angehörige (und Ärzte!) gerne nur einen Arzt in Zivil sehen würden, der vier Hände hat und alles allein macht, sind wir in den letzten 40 Jahren

Die US-Forscher hatten jedoch nicht ausschließen können, dass eine verminderte Inanspruchnahme der Mammo- graphie für den Rückgang verantwortlich ist. Weniger Mammographien

„Selbstverständlich bekam man auch eine Uniform, für den Werktag einen schmucklosen Trainingsanzug, für Sonn- und Feiertage einen braunen, mit weißer Paspelierung und

Demnach ist es Ärztinnen und Ärzten nicht gestat- tet, „für die Zuweisung von Patien- tinnen und Patienten oder Untersu- chungsmaterial ein Entgelt oder an- dere Vorteile

Im Moment wird diese Dis- kussion in der Sicherheit geführt, dass am Ende alles gut geht, weil es ja immer noch den Kollektivvertrag gibt, der die Versorgung sicherstel- len muss..

Sein erklärtes Ziel ist es, eine breite Ge- schlossenheit der Delegierten zu errei- chen, um dem neuen Vorstand auf diese Weise die erforderliche Rückendek- kung gegenüber den

Hintergrund: Bei der Einführung des Fallpauschalensystems (Diagnosis Related Groups, DRGs) ab 2003 soll den Krankenhäusern eine Mengensteuerung über ein

Aber: Eine sol- che Parallelorganisation sollte nicht jetzt schon tätig werden und Verträge machen, die auch eine KV schließen kann?. Das