• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gesundheitsstrukturreform/ Sachverständigenrat: Krankenversicherung soll „schlanker“ werden" (18.02.1994)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gesundheitsstrukturreform/ Sachverständigenrat: Krankenversicherung soll „schlanker“ werden" (18.02.1994)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

POLITI LEITARTIKEL

Gesundheitsstrukturreform/Sachverständigenrat

Krankenversicherung soll „schlanker" werden

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen hält die Bonner Gesundheitspolitik auf Trab: Nach ein- jährigem Überlegen hat der Rat, dem acht Ökonomen und Vertre- tern der medizinischen Wissenschaft angehören, einen 500 Seiten umfassenden „Sachstandsbericht" zur Vorbereitung der dritten Stu-

fe zur Strukturreform im Gesundheitswesen und zur Weiterentwick- lung der Krankenversicherung vorgelegt. Die Gutachter haben den Report unter der von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vorgegebenen Losung „Eigenverantwortung, Subsidiarität und Soli- darität bei sich ändernden Rahmenbedingungen" konzipiert.

U

m das Ergebnis des soeben vorgestellten Zwischenbe- richts des Sachverständigen- rates für die Konzertierte Aktion vorwegzunehmen: Konkrete, detaillierte und gar politisch kon- sensfähige Konzepte und Empfeh- lungen und Warnungen haben die

„Gesundheitsweisen" nicht formu- liert. Dies war auch nicht der Auf- trag. Vielmehr ging es, und dies be- tonte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer bei der Präsentation in Bonn, um eine vorurteilsfreie gründliche Sichtung der für die Re- formdiskussion relevanten Vorschlä- ge, Modelle und Reform-Optionen, ohne die Politik zu präjudizieren und die Verbände bei der weiteren Dis- kussion auszuschalten. Seehofer hat erneut versichert, auf der Basis des Zwischenberichtes und der für Ende 1994 avisierten Endfassung des Gut- achtens (einschließlich der Empfeh- lungen) solle die „Reform 2000" oh- ne Zeitdruck und unter aktiver Mit- wirkung aller Beteiligten vorbereitet werden. Seehofer gibt sich optimi- stisch: Der jetzt anstehende Reform- schritt müsse bei Fragen der Weiter- entwicklung und der Neukonzeption des Leistungskatalogs der gesetzli- chen Krankenversicherumg (GKV) möglichst unter vielen Beteiligten Konsens erreichen. Der Minister will zwar das tradierte System „nicht auf den Kopf stellen", weil Deutschland

„das beste Gesundheitswesen der Welt" habe. Allerdings will er, um das hohe Niveau zu erhalten und aus- zubauen, doch prinzipielle struktu- relle Änderungen vornehmen, den Leistungskatalog der Krankenkassen überprüfen, damit das System nicht

abdriftet, umkippt und auch langfri- stig finanzierbar bleibt.

Die Sachverständigen bemühen sich, der selbst vorgegebenen Marschrichtung treu zu bleiben: Sie erörtern, nachdem auch Grundanlie- gen und metaökonomische Ziele ein- bezogen werden, die Vor- und Nach- teile einzelner Reformmaßnahmen unter Beachtung ordnungspolitischer Axiome, zeigen die ganze Bandbreite von Reformalternativen und Optio- nen auf, um an den Extrem-Positio- nen darzustellen, was tatsächlich po- litisch realisierbar scheint und wie bei der Neustrukturierung des Lei- stungskatalogs ein „Balance-Akt"

zwischen „wünschenswerter ökono- mischer Differenzierung und ver- meidbarer sozialer Diskriminierung"

realisiert werden kann.

Funktioneller Ansatz

Wie der Vorsitzende des Rates, Prof. Dr. rer. pol. Klaus-Dirk Henke, Nationalökonom an der Universität Hannover, betonte, müssen die künf- tige Gesundheitspolitik und die akti- ve Reformgestaltung stärker „funk- tional" ausgerichtet werden. Es müs- se von der bisher dominierenden fis- kal- und wirtschaftspolitischen Be- trachtung einer immer mehr inter- ventionistischen Kostendämpfungs- politik umgeschaltet werden in eine stärkere Ziel- und Ergebnis-Orien- tierung (Output-Betrachtung). An- stelle der verengten Ausgaben- und Einnahmenbetrachtung müßten sich die Politik und die Beteiligten des Gesundheitswesens verstärkt um Sy- stemrationalität bemühen. Vermute-

te oder tatsächlich vorhandene Wirt- schaftlichkeits- und Rationalisie- rungsreserven müßten mobilisiert werden. Rationalisierung müsse Vor- rang vor Rationierung und Quotie- rung haben. Diese Maxime müsse be- achtet werden, statt den solidarisch finanzierten Leistungskatalog der Krankenversicherung heckenschnitt- artig zu kürzen und/oder Grundsi- cherungsleistungen auszugrenzen.

Anerkannt werden vom Sachver- ständigenrat früher bereits begrün- dete und anerkannte Feststellungen:

Das Gesundheitswesen als ein inno- vativer, personalintensiver, beschäfti- gungspolitisch unverzichtbarer Wirt- schaftssektor dürfe auch bei künfti- gen Reformansätzen nicht isoliert in den Vordergrund gerückt werden.

Die Sachverständigen plädieren für eine gesamtwirtschaftliche Be- trachtung des Ressourcen-Einsatzes.

Ständig müßten neue Prioritäten ge- setzt und nach Effektivität- und Effi- zienzverbesserung gesucht werden.

Die Interdependenzen und Querver- bindungen zu anderen Soziallei- stungsträgern und Parafisci (insbe- sondere der Renten- und Arbeitslo- senversicherung) sowie zu den öf- fentlichen Haushalten müßten strikt beachtet werden. Allerdings sei wis- senschaftlich keine optimale „Ge- sundheitsquote" im Sinne eines be- stimmten Prozentsatzes der Ausga- ben für die Gesundheitssicherung, gemessen am Bruttosozialprodukt, als Leitlinie für das politische Han- deln ableitbar. Ratsvorsitzender Henke setzte sich für eine stärkere medizinische Orientierung des Ge- sundheiswesens statt dessen überwie- gender finanzieller Ausrichtung ein.

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 7, 18. Februar 1994 (17) A-401

(2)

POLITIK

Seehofer sieht sich bereits jetzt streckenweise durch die von den Sachverständigen bekräftigten Es- sentials bestätigt. Der Minister baut wie der Rat auf Evolution des Sy- stems. Das System müsse qualitäts- orientiert bleiben. Hochleistungsme- dizin müsse auch künftig für jeden zur Verfügung stehen — unabhängig von Alter oder Einkommen Auch der soziale Ausgleich stehe nicht zur Disposition. Allerdings müsse das Gewicht schon aus finanziellen Gründen mehr auf Eigenverantwor- tung gelegt werden. Eine überzogene Solidarität innerhalb der gesetzli- chen Versicherung müsse abgebaut werden. Dies habe aber nichts mit ei- ner Reprivatisierung oder Entsolida- risierung zu tun, wie es jetzt schon von der Opposition behauptet wird.

Auch die Prinzipien der Gliede- rung und Freiheitlichkeit müßten er- halten bleiben, insbesondere das Prinzip der freien Arztwahl und der Selbstverwaltungs-Autonomie. Über- haupt sollten die Selbststeuerungs- maßnahmen mehr in den Vorder- grund gerückt und der Staat mehr auf seine Aufsichts- und Kontroll- kompetenzen zurückgedrängt wer- den.

Der zum Teil politisch verabso- lutierte Grundsatz der Beitragssatz- stabilität wird als problematisch be- zeichnet, aber als derzeit wohl nicht verzichtbar bewertet. Der Rat spricht sich dafür aus, für die ärztliche Dia- gnose und Behandlung, soweit als möglich, Standards vorzugeben. Da- durch soll auch die Qualität der me- dizinischen Leistungen gesichert werden. Überhaupt müsse dem Qua- litätspostulat in Zukunft mehr Auf- merksamkeit geschenkt werden.

Die Sachverständigen und See- hofer sehen die Hauptschwierigkeit bei künftigen gesundheitsreformeri- schen Bemühungen, insbesondere bei einem Splitting des Leistungskatalogs in Kern- und Zuwahlleistungen, in ei- ner notwendigen medizinisch fun- dierten Abgrenzung und einer prakti- schen Umsetzbarkeit beider Teilbe- reiche. Auch bei einer Begrenzung auf Grund- und Kernleistungen dürfe die flächendeckende medizinische Versorgung nicht leiden.

Eine retrospektive Analyse der GKV-Ausgaben ergibt: Die demo-

LEITARTIKEL

graphische Entwicklung — isoliert be- trachtet — fällt als Hauptverursacher beim Anstieg der Gesamtausgaben kaum ins Gewicht. Gelänge es, die jährlichen durchschnittlichen Wachs- tumsraten der Ausgaben in der Kran- kenversicherung von sechs Prozent (in den letzten 15 Jahren) durch strukturelle Änderungen auf künftig unter fünf Prozent zu drücken, so könnte das Ausgabenvolumen in den nächsten 15 Jahren mit stabilen Bei- tragssätzen finanziert werden. Aller- dings führt die Kumulation von De- mographie, steigender Multimorbidi- tät, medizinischem Fortschritt, An- spruchs-Niveau und der Zahl der chronisch Kranken und Langzeit- Pflegebedürftigen zu einem exponen- tiell wachsenden Leistungsbedarf, der zu Gegensteuerungsmaßnahmen veranlassen müsse.

Handlungszwang

• Wenn die Zahl der berufstäti- gen Ärzte begrenzt werden soll (auch aus Versorgungs- und Kostenüberle- gungen), so sollte vor allem bei der Zulassung zum Studium und bei den Examensanforderungen angesetzt werden. Niederlassungssperren für weitergebildete Ärzte werden kri- tisch bewertet. Der Rat spricht sich für eine engere personal ausgerichte- te Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor, für mehr Koope- ration und Arbeitsteilung aus.

Für eine Neudefinition des Lei- stungskatalogs bietet der Rat vier

„Optionen" an, nämlich eine Aus- grenzung versicherungsuntypischer, nicht versicherbarer und versiche- rungsferner Leistungen; eine Zwei- teilung des Katalogs in Kern- und Zuwahlleistungen; die Möglichkeit für den Versicherten, auf Leistungen völlig zu verzichten, für die er bei er- mäßigten Prämien selbst das Risiko übernimmt; und die Beibehaltung ei- ner Grundversorgung, die solidarisch zu finanzieren ist.

Neue Formen der Leistungsbe- stimmung und -finanzierung bedürf- ten grundsätzlicher, politisch schwie- riger Klärungen von Umfang und Struktur des Versichertenkreises so- wie der Art der jeweiligen Mittelauf- bringung (Steuern, Sozialversiche-

rungsbeiträge, Prämien, Direktbetei- ligung, Konsumausgaben).

Der Rat plädiert dafür, die Art der Krankenversicherungsträger und ihre Rechtsformen zu analysieren und den Wettbewerb nach Leistungs- bereichen und zwischen den einzel- nen Krankenkassen und Kassenarten zu überprüfen. Dabei sollten mög- lichst viele Autonomie-Zonen ge- schaffen werden, um die Gesund- heitsleistungen und den Leistungska- talog von privaten und gesetzlichen Krankenversicherern zu bestimmen und um Freiräume zu schaffen.

Als markante Schwächen der Fi- nanzierung des Krankheitsrisikos be- zeichnet der Rat vor allem „gravie- rende verteilungspolitische Mängel infolge zahlreicher Verstöße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip". Dis- kussions- und reformbedürftig seien die vom Rat konstatierte Diskrimi- nierung der Mehrverdiener-Fami- lien, die Privilegierung von Nicht-Ar- beitseinkommen bei Pflichtversicher- ten, die starke Tarifdegression jen- seits der Beitragsbemessungsgrenze, traditionelle Gebühren- und Preis- differenzierungen zwischen gesetzli- cher und privater Krankenversiche- rung und „zahlreiche Manipulations- möglichkeiten" der Versicherten und Leistungsträger zu Lasten der Soli- dargemeinschaft. All jenen, die nach mehr Steuerfinanzierung und Etatis- mus rufen, schreibt der Rat ins Stammbuch: Unter Effizienz- und Allokationsaspekten schneidet die steuerfinanzierte Gesundheitsversor- gung am schlechtesten und die priva- te Pflichtversicherung — trotz einiger Schwachstellen — insgesamt am be- sten ab. Das vorherrschende kollekti- ve Vertragsrecht in der Krankenver- sicherung könnte von einem Einzel- vertragsrecht abgelöst werden, wobei kollektiven Rahmenverträgen, zu- mindest anfangs, eine begrenzende Wirkung zugestanden werden könne.

Bleibt zu hoffen, daß sich Sach- verständigenrat und Politik künftig stärker der Versorgungssituation kranker Menschen widmen. Es darf nicht dazu kommen, wie der AOK- Bundesverband schon moniert, daß über die „Sicherung der menschli- chen Gesundheit diskutiert wird wie über die Gestaltung von Kfz-Versi- cherungen". Dr. Harald Clade A-402 (18) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 7, 18. Februar 1994

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dem Erwerber von Wohneigentum biete ein Bausparvertrag neben der Sicherheit bei der Finanzie- rung weitere Vorteile: beim Bauspardarlehen seien – an- ders als beim Hypothekar- kredit

Wie bereits im Sachverständigen- Sondergutachten von 1996 unterstri- chen wird, leidet die gesetzliche Kran- kenversicherung nach Überzeugung von Schwartz nicht so sehr unter

Damit auch weiterhin Organ- transplantationen möglich sind, ha- ben sich die deutschen medizinischen Fachgesellschaften für Neurologie, Anästhesie und Intensivmedizin so-

Für das Geisterfahrer- Abwehrsystem wurde als Standort Dornbirn gewählt, weil hier ungewöhnlich viele Falschfahrer die Autobahn- ausfahrt trotz sperrender Schilder mit der

Was groß- spurig sowohl von der Koalition als auch der Opposition als strukturelle Erneuerung und als eine ordnungspoli- tische Wende angekündigt wurde, ist in Wahrheit nichts

Eine weitere Option: Geprüft wird, ob den Versicherten (nicht nur den freiwillig Versicherten) die Wahl zwischen dem herkömmli- chen Sachleistungs- oder dem

Postuliert wird: Beitrags- erhöhungen für vermeidbare/unwirt- schaftliche Entwicklungen (Steige- rung von Verwaltungsausgaben, Er- probungsregelungen und Satzungslei- stungen)

Genauso müssen „die Fragen des Transports (zu Fuß, mit dem Auto, Schulbus, Fahrrad oder Kombinationen daraus) wie auch Lösungen für die ver- kehrstechnisch sichere Ge- staltung