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uch Bundesgesundheitsmini- ster Horst Seehofer nimmt für seinen Ansatz in Anspruch, ein „geschlossenes Konzept“eingebracht zu haben, um eine Sofort- bremsung im ausgabenexpansiven Krankenhaussektor zu erreichen.
Aus der Sicht der Bundesregierung ist eine rasche und zum 1. Januar rück- wirkende Verabschiedung des „Ge- setzes zur Stabilisierung der Kranken- hausausgaben 1996“ Grundvoraus- setzung, um auch den ambulanten Be- reich zu disziplinieren und strukturel- le Weichenstellungen vorzunehmen.
Seehofer hofft auf die Konsens- und Kompromißbereitschaft der Länder und die Unterstützung sowohl der Krankenkassen als auch der Lei- stungserbringer, daß das als Vor- schaltgesetz konzipierte Stabilisie- rungsgesetz für den Kliniksektor ver- abschiedet wird. Falls dieses scheitert, werde es keine Strukturreform in der Krankenversicherung und keinen strukturellen Systemumbau geben, prophezeite Seehofer.
Sosehr die beiden Reformkon- zepte noch auseinander liegen, das Hauptziel ist identisch: Das 1995 ent- standene Defizit bei den gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 10 Milli- arden DM soll mit aller Macht auf Null zurückgefahren werden. Sowohl Re- gierungsparteien als auch Opposition wollen das System langfristig finanziell stabilisieren, befürworten gleiche Startbedingungen aller Krankenkas-
sen und Kassenarten als Vorausset- zung für einen sozial austarierten Wettbewerb innerhalb der Kranken- versicherung. Während CDU/CSU und FDP das System durch flexiblere Vertrags- und Leistungsgestaltung auflockern wollen und das Stabilisie- rungsziel mit strengen Regeln für Bei- tragserhöhungen bewehren wollen, sieht die SPD das Heil in einer zentra- listischen Globalbudgetierung mit ei- ner Durchgriffshaftung auf alle Sekto- ren, falls die jährlichen Ausgabenstei- gerungen einer Kasse je Mitglied die Veränderungsraten des Brutto-In- landsproduktes übersteigen. Was groß- spurig sowohl von der Koalition als auch der Opposition als strukturelle Erneuerung und als eine ordnungspoli- tische Wende angekündigt wurde, ist in Wahrheit nichts weiter als eine erneute drakonische Finanzreform der gesetz- lichen Krankenversicherung unter strikten Kostendämpfungsvorgaben.
Die SPD verlangt, wie die Bünd- nis-Grünen, eine Gesamtbudgetie- rung zumindest bis Ende 1996. „Eine isolierte Gesetzgebung, wie sie von der Bundesregierung präsentiert wird, führt zwangsläufig zu Verlage- rungseffekten zwischen einzelnen Gesundheitsbereichen“, warnte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Kirschner.
Nicht akzeptabel ist für die SPD eine
„Vermanschung“ tragender Elemen- te der gesetzlichen mit denen der pri- vaten Krankenversicherung. Eine Beitragsrückerstattung bei Nicht- inanspruchnahme der Kassen, eine Kostenerstattung oder ein Splitting in Regel- und Wahlleistungen im Be- reich des Zahnersatzes kämen nicht in Frage. Dies sei ein Privatisierungsmo- dell „durch die Hintertür“ (SPD). So- sehr der Koalitions- vom SPD-Ent- wurf inhaltlich abweicht, Überein- stimmung gibt es insoweit, daß so- wohl der Gesetzentwurf der Regie- rung als auch der der SPD die bisher stringente sektorale Budgetierung ab- lehnen. Dadurch ergäben sich Fehl- steuerungen im System; bestehende
Strukturen würden zementiert, intra- sektorale Innovationen unterbunden, und der Leistungswettbewerb zwi- schen den Sektoren würde gebremst.
Auch befinden sich beide Entwürfe auf dem „sozialen Wettbewerbstrip“
in der Krankenversicherung – als ob vom Gesetzgeber diktierter Wettbe- werb die heile Ausgabenwelt im Ge- sundheitswesen bescheren würde!
Als Beitrag zur Modernisierung des Gesundheitswesens „verkauft“ die SPD die Förderung kooperativer Pra- xisformen, wählbare Hausarztmodel- le, die Förderung kombinierter Bud- gets verschiedener Leistungsbereiche oder Kooperationsverträge von Kas- senärzten und Krankenhäusern.
Kampfansage an Ärzte
Die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) hat die SPD-Vor- schläge, die auf eine Zerschlagung der Kassenärztlichen Vereinigungen hin- auslaufen, denn auch als eine Kampfansage an die Kassenärzte be- zeichnet. Zum Schaden der Patienten solle die wohnortnahe fachärztliche Betreuung durch freiberuflich tätige Ärzte geopfert werden. Die SPD will die Krankenhäuser weit über den jetzt schon gegebenen Rahmen hinaus in- stitutionell für die ambulante fachärzt- liche Versorgung öffnen. Daran sind auch die Krankenhausträger, zum Teil auch die Krankenkassen, interessiert.
In diesem zentralen Punkt unterstüt- zen dagegen die Organisationen der Ärzteschaft Bundesgesundheitsmini- ster Seehofer, der dem teuersten Sek- tor des Gesundheitswesens, den Kran- kenhäusern, nicht noch die fachärztli- che Versorgung zuschanzen will. Mit Recht befürchtet Seehofer, daß bei ei- ner Schaffung neuer Kapazitäten im ambulanten Bereich die ambulanten Leistungen zwangsläufig ausgeweitet werden, ohne daß gleichzeitig die Ausgaben für stationäre Leistungen zurückgehen werden. Der umgekehr- te Weg ist dagegen erfolgverspre- chend: Eine engere personale Verzah- nung und eine Neuorientierung der hochspezialisierten Medizin sind die Voraussetzung für durchgreifende Konsolidierungsbemühungen im Ge- sundheitswesen. Dr. Harald Clade A-360 (16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 7, 16. Februar 1996
P O L I T I K AKTUELL