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ei der aktuellen Diskussion um die Strukturreform im Ge- sundheitswesen stehen alte/neue Reformkonzepte und Parolen wie etwa „Vorfahrt der Selbstverwaltung“, „Freiheitsmodell“,
„Mehr Eigenverantwortung“, „Soli- darische Wettbewerbsordnung“ un- verändert hoch im Kurs. Auch jene Parteien und politischen Gruppierun- gen, die nicht gerade als Gralshüter der Marktwirtschaft und ordoliberaler Positionen ausgewiesen sind, mischen gerne in der Kassenwettbewerbsdis- kussion und bei der Propagierung des Einkaufssystems mit: so die Sozialde- mokraten und die Bündnisgrünen.
Moderater sind da schon die Töne der Bonner Regierungskoalition und bei der Seehofer-Administration. Bei ei- nem Expertensymposium der Gesell- schaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) Ende März in Bonn stellte der neu amtie- rende, für die Vorbereitung der Struk- turreform zuständige Abteilungslei- ter, Dr. Ulrich Orlowski, klar: „Es wird keine Einkaufsmodelle in der Kran- kenversicherung, aber auch nicht in Sonderbereichen geben, auch nicht im Bereich der durch das Sozialgesetz- buch V (SGB V) abgesicherten Mo- dellversuche.“ Einverstanden mit den meisten Akteuren im Gesundheits- konzert zeigte sich der Beamte aus dem Seehofer-Ministerium mit der Auffassung, daß am Prinzip der ein- heitlichen Leistungsgewährung fest- gehalten werden müsse. Eine wesent- liche Voraussetzung für einen funktio- nierenden Kassenwettbewerb müsse der Risikostrukturausgleich sein. Das
Ministerium arbeitet daran, die Da- tengrundlage zu verbessern.
So sehr die SPD auch hinter dem Einkaufsmodell der Krankenkassen steht, so wollen sie doch nicht einen ruinösen Wettbewerb an allen Fron- ten. Für Klaus Kirschner, gesund- heitspolitischer Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, MdB aus Obern- dorf, darf es keinen zerfasernden Wettbewerb auf der Leistungsseite geben. Für ihn ist die Beibehaltung ei- nes einheitlichen Leistungskatalogs ein Muß. Der Wettbewerb könne sich aber auf der Vertragsseite abspielen, und zwar darauf ausgerichtet, die knappen Ressourcen in Schach und Proportion zu halten und die Bei- tragssätze durch preisgünstige Ver- tragsabschlüsse zu schonen. Aller- dings müsse einer einseitigen Ver- schiebung der Verhandlungsgewichte zugunsten der Leistungserbringer, insbesondere der Ärzte, ein Riegel vorgeschoben werden. Es könne nicht zugelassen werden, so Kirschner, daß die Vertragsärzte die von den Kran- kenkassen für richtig gehaltenen Ver- tragsstrukturen blockieren.
Marktfetischisten
Als wahre Marktfetischisten ver- halten sich zuweilen Funktionäre der Kassenverbände, insbesondere aus dem Lager der Ersatzkassen. Von sei- ten des Verbandes der Angestellten- Krankenkassen war zu hören: „Das Gesundheitswesen muß man verglei- chen mit dem Telekommunikations- markt und seinen Entwicklungsmög-
lichkeiten.“ So ganz ohne staatliche Oberaufsicht wollen die Ersatzkassen den Gesundheitsmarkt dem Wettbe- werb aber nicht überlassen. Der Vor- standsvorsitzende des Ersatzkassen- verbandes, Herbert Rebscher: „Man kann doch den Staat und staatliche Rahmenbedingungen nicht ganz auf Null setzen. Dann wären Ausgaben- steigerungen von sechs bis sieben Pro- zent pro Jahr unausweichlich.“ Der Vorstandschef des Innungskranken- kassenverbandes, Rolf Stuppardt, hängt eher einer etatistischen denn wettbewerblichen Steuerung des Ge- sundheitswesens an. Er plädiert – wie die SPD – für eine Globalbudgetie- rung, andernfalls werde es rasch zur Rationierung kommen.
Den (vermeintlichen) Anti-Part zu den Wettbewerbsverfechtern im Gesundheitswesen spielte Dr. jur.
Rainer Hess, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV), Köln. Er warnte davor, das gegliederte Gesundheitssiche- rungssystem zu chaotisieren, so daß ein Flickenteppich entsteht. Hess plä- diert für eine Flexibilisierung des Vertragsrechtes und einen dosierten Wettbewerb. Die Mitverantwortung der Kassenärzte und ihrer Körper- schaften für das Ausgabengebaren und stabile Strukturen könne aller- dings nur über das bewährte Kollek- tiv-Vertragssystem erhalten werden.
Die Alternative: Die Krankenkassen bestimmen allein über die Verteilung der knappen finanziellen Mittel und nehmen die Leistungserbringer je nach Bedarf und Nachfragesituation unter Vertrag, ist für die Kassenärzte keine akzeptable, auf die Stabilisie- rung ausgerichtete Reformoption.
Hess verwies auf die Tatsache, daß die Kassenärzte sich in den vergangenen Jahren „grundlohnkonform“ verhal- ten hätten – nicht erst seit Beginn der Budgetierungsphase ab 1993. Die KBV setzte auf ein flexibles Vertrags- system – bei Beibehaltung der Struk- turen der kassenärztlichen Versor- gung und deren Repräsentanz (also keine Zerschlagung der KVen in Sek- tionen). Die KBV befürworte Mo- dellversuche zur Auflockerung der Versorgungsstrukturen; entsprechen- de Verträge mit den Ersatz- und Be- triebskrankenkassen stünden kurz vor dem Abschluß. Dr. Harald Clade A-876 (24) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 14, 5. April 1996
P O L I T I K AKTUELL