DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Das Plenum während der Beratungen der KBV-Vertreterversammlung im Kongreßsaal des „Maritim", Lübeck-Travemünde
Diskussion: Sofortmaßnahmen — ja, aber nicht nur Symptome angehen!
auch ein Mehr an Gesundheit er- zielt wird." Und: „Endlichkeit auf der Beitragsseite bedeutet auch Endlichkeit auf der Leistungssei- te!" Aus dem vom Bundesarbeits- ministerium erstmals im März 1985 vorgelegten gesundheitspo- litischen Gesamtkonzept („10 Thesen") ließen sich konkrete Maßnahmen für ein „schnelles Handeln noch im Jahr 1985" ablei- ten. Die Selbstverwaltung sei ge- beten, aktiv mitzuwirken. Künftig sollten auch, wie vom Gesetzge- ber seit 1977 gefordert, medizini- sche Orientierungsdaten berück- sichtigt werden. Das Bundesar- beitsministerium spekuliert mit der Berufung eines „Rates der Weisen" im Gesundheitswesen, der mit ähnlichen Kompetenzen wie etwa der „Sozialbeirat" im Bereich der Rentenversicherung oder wie der „Sachverständigen- beirat zur Begutachtung der wirt- schaftlichen Entwicklung" in der Wirtschaftspolitik ausgestattet wäre. Dieses „unabhängige" Gre- mium (voraussichtlich vier ärzt- liche Vertreter und zwei Wirt- schaftswissenschaftler) solle Prio- ritäten für die einzelnen Ausga- benblöcke der GKV benennen und Empfehlungen mit mittelfri- stiger Perspektive abgeben. HC
Die Diskussion beschränkte sich nicht auf das eigentliche Thema der Vortragsveranstaltung „Zu viele Ärzte", sondern es wurden eine große Zahl aktueller Proble- me der ärztlichen Berufspolitik, der Gesundheitspolitik und der fi- nanziellen Lage der Krankenversi- cherung angesprochen.
Dies war aber im wesentlichen nur Ausdruck für die wohl allge- mein bestehende Meinung der Diskussionsteilnehmer und auch der ganzen Versammlung, daß die rasche Zunahme der Arztzahlen Ursache für viele dieser Probleme ist und in Zukunft erst recht sein wird, wenn sich die Entwicklung der Arztzahlen ungebremst fort- setzen sollte. Die Ärzteschwem- me, das ist die eigentliche Misere, sagte ein Delegierter, und daran hätten weder die Ärzte noch die Krankenkassen noch etwa der heutige Bundesarbeitsminister schuld, sondern die Ärzte- schwemme sei Folge einer ver- fehlten Bildungspolitik. Daraus er-
gibt sich auch schon, wo die mei- sten Redner das Übel angepackt sehen wollten, nämlich an der Wurzel: Es dürfen nicht so viele junge Menschen zu Ärzten ausge-
bildet werden.
So gab es Forderungen wie: „Man braucht doch bloß mal fünf Jahre lang die Zulassungen zum Medi- zinstudium zu halbieren". Oder man erinnerte daran, daß die Ap- probationsordnung eine Ausbil- dung in kleinen Gruppen und am Patienten vorschreibt. Um dem zu entsprechen, müsse die Kapazi- tätsverordnung geändert werden.
Ohne eine Anpassung der Studen- tenzahlen an die tatsächlichen Ausbildungskapazitäten werde es keine Lösung geben — wobei man allerdings berücksichtigen müs- se, daß solche grundlegenden Veränderungen erst in acht Jah- ren wirksam werden könnten. Bis dahin kann man nur versuchen, an den Symptomen, an den Auswir- kungen der Misere zu kurieren.
Der direkte Zusammenhang zwi- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 21 vom 22. Mai 1985 (45) 1599
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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KBV-Vertreterversammlung
Eines der Be- schlußgremien der KBV, der Länderausschuß, hatte am Vortag der Vertreter- versammlung alle zur Diskus- sion und zur Entscheidung anstehenden kassenärztlichen Fragen, die auch Gegen- stand der Be- richterstattung in diesem Heft sind, gründlich beraten
Alle Fotos aus Travemünde:
Bohnert-Neusch
schen einem Zuviel an Ärzten und den finanziellen Schwierigkeiten in der gesetzlichen Krankenversi- cherung wurde immer wieder un- terstrichen. Das betrifft zunächst einmal das Phänomen, daß mehr Ausgaben für das Gesundheitswe- sen eben nicht ein Mehr an Ge- sundheit bedeuten können. Je- denfalls nicht im Sinne verbreite- ter simplifizierender Vorstellun- gen — andererseits ist aber ein Teil der Ausgabensteigerungen in den letzten Jahren auf begrüßenswer- te neue diagnostische und thera- peutische Verfahren zurückzufüh- ren, die man ja dem Patienten nicht vorenthalten kann.
Andere suchen das Heil in einer Reduzierung der sogenannten versicherungsfremden Leistun- gen. Interessanterweise war es gerade Dr. Oldiges vom BdO, der vor übersteigerten Erwartungen an eine solche Durchforstung des Leistungskataloges der Kranken- versicherung warnte. Auch Mini- sterialdirektor Jung wies darauf hin, daß der Umfang dieser Lei- stungen allgemein überschätzt werde. Im übrigen, so Jung, sei der Grundgedanke der einnah- menorientierten Ausgabenpolitik schon ungefähr 20 Jahre alt, und für den Bundesarbeitsminister sei es nun einmal politische Vorgabe,
daß die Beitragsbelastung der Versicherten und der Wirtschaft nicht mehr wachsen darf. Das sei auch allgemeine Überzeugung al- ler wesentlichen politischen Kräfte.
Auch Professor Wannagat dämpf- te die Erwartungen: Der Staat ha- be zwar auch für die Kassenärzte eine Fürsorgepflicht; wenn ihr Einkommen unter das Existenzmi- nimum zu sinken drohe, dann müsse der Staat wohl dafür sor- gen, daß es nicht noch mehr Kas- senärzte gibt. Andererseits aber habe die Freiheit der Berufswahl und damit auch die Wahl einer be- ruflichen Ausbildung in Gesetzge- bung und Rechtsprechung einen hohen Rechtswert. Man werde nicht damit rechnen können, daß eine Einschränkung dieser Frei- heit von nennenswerten politi- schen Kräften auch nur in Erwä- gung gezogen wird. So bleibe nur übrig, den unterhalb dieser hohen rechtlichen Schwelle noch vor- handenen Spielraum auszunut- zen. Wannagat verwies hier insbe- sondere noch einmal auf die Be- darfsplanung in der kassenärzt- lichen Versorgung.
Bei allen Maßnahmen zur Drosse- lung des Zustroms zum Medizin- studium, so zog Dr. Fiedler ein Fa-
zit, muß die Qualität vor der Quan- tität Vorrang haben.
Die Bundesregierung steht dem von der KBV vorgeschlagenen
„Hausarztmodell" prinzipiell nicht ablehnend gegenüber. Sie will prüfen, ob die Vorbereitungszeit auch nach 1988 zumindest teilwei- se erhalten bleiben soll. Seit jeher hat es eine praktische Erfahrungs- und Erprobungsphase zwischen der Erteilung der Approbation und der Zulassung zur kassenärzt- lichen Tätigkeit gegeben. Und Dr.
Fiedler pochte darauf: gerade im Hinblick auf das Gebot der Wirt- schaftlichkeit im haus- und pri- märärztlichen Sektor sollten die Qualitätsanforderungen nicht zu niedrig gestellt werden!
Mit einem Dank an alle Referen- ten und Diskussionsredner been- dete der KBV-Vorsitzende, Profes- sor Dr. Siegfried Häußler, die Ver- anstaltung. Am Tagungsort Trave- münde lag ein von ihm ausge- sprochener Gedanke nahe: Die nahe Grenze zur DDR machte es erst recht bewußt, daß wir in ei- nem Land leben, in dem freiberuf- liche Kassenärzte ihre Sorgen frei diskutieren und ihre Freiheit mit- gestalten können. Diese Veran- staltung der KBV war dafür ein le- bendiger Ausdruck. gb 1600 (46) Heft 21 vom 22. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A