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Archiv "Versicherungsvertragsgesetz: Verkehrte Welt oder strategisches Ziel" (13.08.2004)

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ie noch von Hertha Däubler-Gme- lin, Vorgängerin im Amt der jetzi- gen Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, eingesetzte Kommissi- on zur Reform des Versicherungsver- tragsrechtes hat ihren Abschlussbericht im April 2004 übergeben. Die Kommis- sion stellt das fast hundert Jahre alte Versicherungsvertragsrecht für alle Ver- sicherungssparten auf eine aktuelle Grundlage. Begrüßenswert aus der Sicht der Versicherten sind vor allem die vorgeschlagenen erweiterten Be- ratungs-, Aufklärungs- und Informa- tionspflichten der Versicherungen bei Vertragsabschluss, aber auch für Ver- sicherungsvermittler. Außerdem sollen Mindeststandards für die Versicherungs- sparten als Maßnahmen zur Verbesse- rung der Transparenz und des Verbrau- cherschutzes geschaffen werden.

Alterungsrückstellungen

Ein wesentliches Problem der privaten Krankenversicherung (PKV) ist die Übertragbarkeit der Alterungsrückstel- lungen bei einem Versicherungswech- sel. Die Kommission hat sich hierzu mit zahlreichen Sachverständigengut- achten auseinander gesetzt, jedoch keine Lösung vorgeschlagen. Gegen eine Transferierbarkeit der Alterungsrück- stellungen spricht die Risikoentmi- schung, das heißt, junge gesunde Ver- sicherte wechseln die Versicherung und finden als „gute Risiken“ eine neue Versicherung, wohingegen die verblei- benden Kranken in der Regel nicht wechseln, weil sie mit ungünstige- ren Versicherungsbedingungen rechnen müssen; zugleich wird der Tarif wegen der Abwanderung der Gesunden unbe- zahlbar. Insoweit setzt der Versiche-

rungswechsel unter Mitnahme der Alte- rungsrückstellungen einen ähnlichen Risikostrukturausgleich wie in der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) voraus, was immer mehr zu einer Auf- gabe der PKV und zur Angleichung der Versicherungssysteme führen würde. In diese Richtung zielt der gerade einge- führte Basistarif der PKV, der unter an- derem auch den Versicherungswechsel und die Mitgabe eines Teils der Alte- rungsrückstellungen vorsieht, aber unter Inkaufnahme eines unternehmensüber- greifenden Schadenspools, der als Risi- kostrukturausgleich im Zusammenhang mit dem eingeführten Kontrahierungs- zwang und der Aufgabe des Risikoäqui- valenzprinzips wirkt. Quintessenz: Wett- bewerb in der privaten Krankenver- sicherung mit Versicherungswechsel und Mitnahme der Alterungsrückstellungen ist nur zum Preis eines Systemwechsels mit einer Angleichung der Strukturen von PKV und GKV und damit einer Aufgabe des gegliederten Krankenver- sicherungssystems zu haben.

Völlig gegen die Interessen der Versi- cherten richten sich die Vorschläge der Kommission zur Einführung von „Ma- naged-Care-Elementen“ in die PKV.

Unter „Managed Care“ werden alle Maßnahmen einer Versicherung ver- standen, die mit der Erbringung der von ihr geschuldeten Leistungen zusammen- hängen, wie zum Beispiel die Feststel- lung der medizinischen Notwendigkeit einer Leistung, Maßnahmen der Kosten- und Qualitätssteuerung, unter anderem durch umfassende Betreuung und The- rapie schwerer Einzelfallerkrankungen, die Beratung des Versicherten über die Berechtigung von Ansprüchen der Lei- stungserbringer, die unmittelbare Ab- rechnung mit Leistungserbringern (also Quasi-Sachleistungsgewährung) anstel- P O L I T I K

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A2214 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004

Versicherungsvertragsgesetz

Verkehrte Welt oder strategisches Ziel

Angleichung von Gesetzlicher und privater Krankenversicherung

fenden Arztpraxen liegt der Satz bei 30 Prozent.

Der KBV-Vorsitzende verwies dar- über hinaus auf die in der Öffentlichkeit immer noch kaum bekannte Tatsache, dass falsch abrechnende Ärzte bei einer gedeckelten Gesamtvergütung nicht die Krankenkassen oder die Beitrags- zahler schädigen, sondern ihre korrekt abrechnenden Kollegen. Es liege also im Interesse der KVen, Betrügern auf die Spur zu kommen und ihnen das Handwerk zu legen. „Unterstellungen, wonach in den KVen nach dem Motto ,eine Krähe hackt der anderen kein Au- ge aus‘ kriminelle Ärzte geschützt wer- den, sind deshalb absolut abwegig“, sag- te Richter-Reichhelm. Diese Erfahrung hat auch AOK-Chefermittler Scherler gemacht: „Eine Sperrhaltung der KVen oder anderer Verbände aufseiten der Leistungserbringer gibt es nicht.“ Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit mit den KVen sei gut, deren Know-how oft unersetzlich.

Apropos Fachwissen: Oberstaatsan- walt Hans-Jürgen Mahnkopf, Staatsan- waltschaft Hannover, klagte über die komplexe Rechtslage. „Was strafrecht- lich auf den ersten Blick wie Betrug aussieht, kann durch das historisch ge- wachsene und deshalb nicht immer stringente Sozialrecht abgedeckt sein“, sagte er. Die Ankläger schlagen sich mit weiteren Problemen herum: Personal- mangel, hochkomplizierte Sachverhalte (für die den Ermittlern Wissen fehlt) und die Schwierigkeit, fachkundige Sachverständige zu bestellen (unter an- derem, weil Ärzte nicht gegen Kollegen aussagen wollen). Ohne eine Vorprü- fung durch die KVen und Krankenkas- sen seien die Staatsanwaltschaften oft überfordert.

Intensiv diskutiert wurden beim 5.

Lüneburger Sicherheitsforum vor allem Detailfragen: Was ist noch so eben er- laubt, und was gilt schon als Betrug oder Korruption? – ein Denkmuster, das Dr. jur. Ulrich Steffen, Sozietät Taylor Wessing, Hamburg, als typisches Merk- mal unserer Gesellschaft ausgemacht hat: „Jeder versucht an der Grenze des Erlaubten das Beste für sich rauszuho- len“, kritisierte er. Diese Energie könne sinnvoller eingesetzt werden. Steffen:

„Die Kultur im System stimmt einfach nicht mehr.“ Jens Flintrop

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le von Kostenerstattung sowie die Bera- tung über medizinische Leistungen und Leistungserbringer. Begründet werden diese Maßnahmen damit, dass der PKV größere Einflussmöglichkeiten auf Ko- sten und Qualität der medizinischen Versorgung der Versicherten einge- räumt werden müssen. Auch die Privat- assekuranz will weg vom Image des

„Payers“ und zum „Player“ werden. Die damit auch der PKV zugedachte Rolle des Fürsprechers ihres Versicherten un- terstellt eine uneigennützige Unterstüt- zung und Hilfsbereitschaft von Versiche- rungsunternehmen, zum Beispiel bei der Wahl des richtigen Arztes und der richti- gen Behandlung, und verkennt dabei, dass es sich um Wirtschaftsunternehmen handelt, die sich im beinharten Wett- bewerb um Marktanteile behaupten müssen. Die PKV verfolgt in erster Linie ökonomische Ziele, wie etwa eine Ausgabensenkung.

Offenbar sollen alle negativen Erfah- rungen mit Managed Care in der Hand von Kostenträgern, wie sie in den USA, aber auch in staatlichen

Gesundheitssystemen, in de- nen sie als Rationierungsin- strument eingesetzt werden, nochmals durchlitten wer- den. Die medizinische Qua- lität erweist sich dabei als höchst gefährdet, weil häufig den verantwortlichen Versicherern oder Health- Maintenance-Organisatio- nen die Fachkompetenz fehlt und der allen Systemen immanente Kostendruck die Entwicklung einer diffe- renzierten Qualitätssiche- rung behindert. So wurden in den USA seit Einführung von Managed Care 600 Ge- setze mit dem Ziel des Ver- braucher- oder Patienten- schutzes und zur Sicherung der medizinischen Qualität erlassen. Dort gilt inzwi- schen: „Managed Care has failed to manage care.“

In der Schweiz werden die dort mit der Krankenver- sicherungsreform eingeführ- ten Managed-Care-Versor- gungsformen von der Be- völkerung nicht angenom-

men; nur acht Prozent der Versicherten schreiben sich in solchen Versorgungs- verbünden ein. Einige Schweizer Kran- kenversicherungen räumen denn auch ein, dass Risikoselektion kostengünsti- ger als Qualitätssicherung ist. Sosehr zu befürworten ist, dass auch private Versi- cherungsunternehmen ihren Spielraum für unterschiedliche Tarifangebote nut- zen, so unverständlich ist der ungezügel- te Drang der PKV, auf das Patient-Arzt- Verhältnis Einfluss nehmen zu wollen.

Der Wettbewerbs- und Kostendruck wird zu einer ökonomischen Überla- gerung des medizinischen Leistungs- geschehens mit erheblichen Nachteilen für den Privatversicherten führen – beginnend bei der Aufgabe der freien Arztwahl bis hin zur Dominanz des Wirtschaftlichkeitsprinzips vor der me- dizinischen Notwendigkeit. Folgerichtig schlägt die Kommission denn auch vor, das Wirtschaftlichkeitsgebot in der PKV zu verstärken.

Die Bundesärztekammer hat inzwi- schen alle Vorschläge abgelehnt, die das

eigenständige Profil der privaten Kran- kenversicherung aufgeben und auf eine Angleichung von Gesetzlicher und privater Krankenversicherung gerich- tet sind. Stattdessen ist die PKV als Alternative und Referenzgröße des gegliederten Krankenversicherungs- systems zu erhalten.

Abschriften zur GKV?

Dazu bedarf es anderer strategischer Ansätze als die von der Kommission vorgeschlagenen „abgehalfterten“ Ma- naged-Care-Maßnahmen. Sinnvoll wäre ein gemeinsam mit der Ärzteschaft ver- einbartes Qualitätssicherungskonzept für die privatärztliche Versorgung mit Anreizen für Ärzte sowie ein aktu- elles, den Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergebendes Vergü- tungssystem, das sowohl qualitäts- immanente Inhalte als auch sinnvolle mengenbegrenzende Strukturen auf- weist, ohne die innovativen Anreize für die privatärztliche Versor- gung aufzugeben. Die Auf- gabe der freien Arztwahl durch direkte Vertragsbe- ziehungen zwischen Arzt und Versicherung käme der Preisgabe eines zentralen Elementes der privaten Krankenversicherung gleich und würde mit den dabei angestrebten Steuerungs- möglichkeiten die Einfüh- rung des Sachleistungsprin- zips in die privatärztliche Versorgung begünstigen, das mit dem GKV-Moder- nisierungsgesetz als weite- rer „Fortschritt“ für gesetz- lich Krankenversicherte sukzessive aufgegeben wird.

Die politisch initiierte Ver- mischung der Systeme durch Einführung privatärztlicher Elemente in die GKV und eines Quasi-Sachleistungs- prinzips in die PKV zeigt die politische Richtung.

Erstaunlich ist dabei, dass Teile der PKV diesen Weg in die Selbstaufgabe vehe- ment unterstützen.

Renate Hess,Bundesärztekammer P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004 AA2215

§

Neues Versicherungsvertragsrecht: Es wird ernst

Die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechtes, vom Bundesmini- sterium der Justiz am 7. Juni 2000 eingesetzt, hat ihren Auftrag, das 1908 in Kraft getretene Gesetz zum Versicherungsvertragsrecht in seinen allgemeinen Bestim- mungen und ebenso das Vertragsrecht der einzelnen Versicherungszweige zeit- gemäß und übersichtlich zu gestalten, mit dem Abschlussbericht und einem Gesetzesvorschlag im April 2004 erfüllt. Auf dieser Grundlage will das Bundes- justizministerium noch im Herbst einen Referentenentwurf für ein neues Versiche- rungsvertragsgesetz vorlegen. Der Kommissionsentwurf ist dabei Grundlage für die gesetzliche Regelung. In diesem Gesetz werden nicht nur die Pflichten der Vertragspartner – wie zum Beispiel die Informations- und Beratungspflichten der Versicherungen, Anzeige- und Auskunftspflichten des Versicherungsnehmers – geregelt, sondern auch gesetzliche Mindeststandards für die verschiedenen Ver- sicherungszweige geschaffen. Außerdem ist eine weitgehende Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechtes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beabsichtigt. Grundlage hierfür war ein rechtsvergleichendes Gutachten zum Ver- sicherungsvertragsrecht in Europa, das vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, erstellt wurde. Neben den Vorschriften des Allgemeinen Teils der geplanten Gesetzesneuregelung, der für alle Versiche- rungszweige gilt, werden spezielle Vorschriften für einzelne Versicherungszweige vorgeschlagen. Soweit es die private Krankenversicherung betrifft, soll die Krank- heitskostenversicherung durch Maßnahmen des Leistungsmanagements („Man- aged Care“), durch die Möglichkeit der Direktabrechnung mit Leistungserbringern und durch die Einführung eines Wirtschaftlichkeitsgebotes für privatärztliche Leistungen inhaltlich erweitert werden. Eine Transferierbarkeit von Alterungsrück- stellungen bei Versicherungswechsel ist nicht vorgesehen.

Die Kommission hat vorgeschlagen, das neue Versicherungsvertragsgesetz am 1. Januar des zweiten Jahres nach der Verkündung in Kraft treten zu lassen; dies bedeutet, zum Beispiel bei einer Verkündung im Sommer 2006 ein In-Kraft-Treten am 1. Januar 2008. Der Zeitaufwand bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes ist ins- besondere in dem erheblichen Umstellungsaufwand der Versicherungswirtschaft begründet. (Siehe auch Deutsches Ärzteblatt, Hefte 18 und 19/2004.) RH Textkasten

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