Gesundheitsreform
Debatte um
Hausarztmodelle
Umfrage: Ärzte schlecht auf neue Aufgaben vorbereitet
D
ie ungeliebte Praxisgebühr wird keinesfalls beerdigt. Allenfalls wurde bekannt, dass in verschie- dene Krankenkassen an so genannten Hausarztmodellen getüftelt wird (dazu auch DÄ, Heft 17/2004). Für eine Teil- nahme daran winkt den Patienten eine finanzielle „Belohnung“, die mit der umstrittenen Zuzahlung für Arztbesu- che verrechnet werden soll.Neu ist, dass mit der Etablierung von Hausarztmodellen erstmals strukturelle Elemente der Gesundheitsreform Ge- stalt annehmen. Wie diese zu bewerten sind, ist auch unter Ärztevertretern nicht abschließend geklärt. Vor einer Ausdün- nung der fachärztlichen Versorgungs- dichte warnte der Präsident der Bundes- ärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe. Gelassen reagierte hinge- gen der Erste Vorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, auf
die Kassenpläne. Um abschließend urtei- len zu können, müsse man zunächst Er- fahrungen sammeln, sagte der KBV-Chef.
Als Erste hatte die Barmer Ersatz- kasse eine Vereinbarung mit dem Deut- schen Hausärzteverband zur Integrier- ten Versorgung geschlossen. Barmer- Patienten, die sich in ein Disease-Man- agement-Programm zu KHK (korona- rer Herzkrankheit) einschreiben, müs- sen sich künftig auf einen Hausarzt fest- legen, den sie zuerst aufsuchen müssen.
Über ähnliche Verträge brütet man der- zeit auch bei anderen großen Kassen.
Wie diese Modelle letztlich genau aus- sehen und ob sie (wie der Barmer-Ver- trag) nach § 140 SGB V (Integrierte Versorgung) oder nach § 73b SGB V (Hausarztzentrierte Versorgung) gebil- det werden, ist noch unklar.
Für Verunsicherung unter den Ärz- ten sorgt insbesondere der im SGB V festgeschriebene Passus, nach dem die Krankenkassen mit „besonders qualifi- zierten Hausärzten“ Verträge zu schlie- ßen haben. Besondere Qualifikations- merkmale zu fordern sei der „untaug- liche Versuch, die Einheit der Haus- ärzteschaft aufzubrechen“, warnte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr.
med. Hans-Jürgen Thomas.
Der stellvertretende Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. med. Hans- Martin Hübner, befürchtet darüber hin-
aus das Ende der freien Arztwahl. Mit dem „Köder“ der Praxisgebührerstat- tung sollen die Patienten „auf den Leim einer Zuteilungsmedizin“ gehen. Diese Sorge ist nach Einschätzung des Vorsit- zenden des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, unbegründet. Jeder Patient könne entscheiden, ob er einem solchen Programm beitrete. Zudem verbleibe ein Patient auch ohne das neue Versorgungs- modell durchschnittlich 17 Jahre bei sei- nem Hausarzt. Weigeldt kündigte ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt wei- tere Verträge mit anderen Kassen an.
Fraglich ist, ob das Hausarztmodell sofort umsetzbar ist. Nach einer aktuel- len Untersuchung der Bertelsmann- Stiftung fühlen sich etliche Hausärzte nur unzureichend auf die neue Heraus- forderung vorbereitet. Jeder zweite Be- fragte glaubt nicht, seine Patienten auf Anhieb sicher durch die komplexen Versorgungsketten lotsen zu können.
Gut ein Viertel sieht sich durch dieAus- bildung nur unzureichend auf die neue Herausforderung vorbereitet. Die Mei- nungen der Patienten hingegen sind wi- dersprüchlich: 81 Prozent der Befragten können sich eine hausarztzentrierte Versorgung gut vorstellen. Aber: Soll- ten die Krankenkassen aus nicht nach- vollziehbaren Gründen die freie Arzt- wahl einschränken, steht nur jeder Fünfte hinter dem Modell.Samir Rabbata P O L I T I K
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A1218 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1830. April 2004
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it der Gesundheitsreform 2004 sind gerade die Möglichkeiten, anstelle der traditionellen Sach- leistung Kostenerstattung für ärztliche Leistungen zu wählen, auf alle gesetzlich Krankenversicherten ausgedehnt wor- den. Vom Bundesministerium für Ge- sundheit und Soziale Sicherung wurde die Regelung in § 13 SGB V mit dem Hinweis auf „mehr Durchblick bei ärzt- lichen Leistungen“ als Fortschritt ver- kauft. Das Privileg, Kostenerstattung wählen zu können – so die Gesetzes- begründung –, soll allen Mitgliedern der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugute kommen, um ihnen auch die Möglichkeit zu eröffnen, Leistungser- bringer in anderen Mitgliedstaaten der EU in Anspruch nehmen zu können. In der Begründung heißt es weiter, dass da- mit auch das Prinzip der Eigenverant- wortung gestärkt werden soll und die Entscheidung für Kostenerstattung zu-dem das Kostenbewusstsein der Versi- cherten verstärken kann. Diese Errun- genschaft soll nun für Privatversicherte eingeschränkt werden. Die Kommission für das Versicherungsvertragsrecht beim Bundesministerium der Justiz hat in ih- rem Abschlussbericht Vorschläge zur Er-
weiterung der Steuerungsmöglichkeiten der privaten Krankenversicherung (PKV) unterbreitet.Unter der Überschrift „man- aged care“ soll eine Direktabrechnung zwischen Arzt und Privatversicherung über den Kopf des Privatpatienten hin- weg ermöglicht werden. Der Privatpati- ent wird zum Sachleistungsempfänger.
Die dadurch gewonnene Transparenz der Privatassekuranz erweitert zwar deren Möglichkeiten der Rechnungskontrolle durch Kostenträger, sie dient allerdings nicht rein altruistischen Zielen – wie in- ternationale Erfahrungen mit managed care belegen, wird sie nutzbar für unter- nehmerisch gewinnorientierte Risikose- lektion der „zu kranken Patienten“ und
„zu teuren Versicherten“; damit wird für Verbraucherschützer ein neues Betäti- gungsfeld eröffnet. Der Privatpatient war bisher „Herr“ über seine Rechnung; die Schaffung des „gläsernen Patienten“ und des „gläsernen Arztes“ über Direktab- rechnung und Steuerung der Behandlung stellt das System der privaten Kranken- versicherung mit der bewussten Tren- nung der beiden Rechtsverhältnisse in- frage. Die Annäherung der PKV an GKV-Sachleistungsbedingungen ist ein weiterer strategischer Schritt in Richtung Selbstaufgabe. Renate Hess