Stellungnahme und ihre Teilnahme an fast der gesamten Diskussion und der Abschiedsbeifall nichts ändern.
Was Ingeborg Retzlaff, Vorsitzende des entsprechenden Ausschusses, als Arbeitsergebnis vortrug, ist m. E. so- wohl wegen der Klarheit als auch we- gen der Ausgewogenheit (Mehr- und Minderheitenvotum) der Darstel- lung (und weil es den Delegierten bereits vor dem Ärztetag zur Kennt- nis gelangte!) beispielhaft für Be- schlußvorlagen. Die klare Entschei- dung für das Mehrheitsvotum dieser Vorlage dürfte wohl auch (im Ver- gleich mit einer kürzlich im DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATT veröffent- lichten umfangreichen Recherche) die überwiegende Meinung der Ärz- tinnen in den neuen Bundesländern ausdrücken, manchen nicht einmal weit genug gehen.
Die erfreuliche Einigkeit bei der Wahl des Präsidenten entsprach der Erwartung: auch die ostdeutschen Ärzte sind bei Karsten Vilmar gut aufgehoben. Spannungsreich verlief die Wahl der Vizepräsidenten. Der Chronist war zufrieden — auch wenn diese Auffassung möglicherweise nicht alle ostdeutschen Delegierten teilen —, daß den neuen Bundeslän- dern hier keine Sonderstellung ein- geräumt wurde. Der Vorschlag, für diese keinen Vizepräsidentenplatz von vornherein freizuhalten, sondern auf Integration zu setzen, hätte von einem ostdeutschen Delegierten kommen sollen. Von westdeutscher Seite und besonders bei Hinweis auf die im Verhältnis kleine Zahl der ostdeutschen Delegierten klang er trotz gleicher Begründung eben doch etwas nach „Besitzstandswahrung".
Aus ostdeutscher Sicht wohl weni- ger, aus westdeutscher möglicher- weise überraschend: das Hin und Her um die Kandidatur gleich zweier Ärztekammerpräsidenten aus den neuen Ländern. Eine Strategie des
„getrennt Marschieren und vereint Schlagen" war dies wohl nicht. Daß dann bei der Wahl der Vertreter der angestellten Ärzte die ostdeutschen Kandidatinnen (mußten es zwei sein?) trotz eines Achtungserfolges auf der Strecke blieben, war beim derzeitigen Überwiegen der Zahl dieser Kolleginnen in den neuen Ländern schon eher zu bedauern.
Ein „Deutscher Ärztetag" kann sich selbstverständlich nicht nur auf die Erörterung der Probleme Ost- deutschlands beschränken, aber dort brennt, was in 40 Jahren (Alt-)Bun- desrepublik organisch gewachsen ist,
„Ein gemeinsames Gesundheits- wesen zu schaffen, in dem die Ver- sorgung der kranken Menschen in Cottbus von gleicher Qualität ist wie in Aachen, ist . . . eine besonders dringliche Aufgabe. Dies wird ohne die Mitarbeit der Ärzteschaft nicht zu leisten sein", betonte Dr. Hans- Jochen Vogel, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, in seinem Grußwort zum 94. Deutschen Ärzte- tag. Nicht westdeutsche Überheb- lichkeit, sondern Sensibilität und Einfühlungsvermögen seien dabei gefragt. „Die Lebensleistung der ost- deutschen Ärztinnen und Ärzte, die unter schwierigen Bedingungen das in ihren Kräften Stehende geleistet haben, um den Patienten zu helfen, kann sich sehen lassen. Sie erfordert Achtung und die selbstkritische Prü- fung, ob Westdeutsche unter glei- chen Bedingungen ähnliches erreicht hätten", sagte Vogel.
Auch wenn das Gesundheitswe- sen der alten Bundesrepublik gegen- über dem der früheren DDR viele Vorzüge habe, dürfe nicht überse- hen werden, daß es nach gemeinsa- mer Auffassung in vielen Teilberei- chen reformbedürftig sei. Offenheit für Anregungen aus den neuen Län- dern sei, so Vogel, notwendig, eben- so Mut, auch unkonventionelle Vor- schläge zu prüfen und gegebenen- falls praktisch zu erproben. Das Ge- sundheitswesen sei zwar als Feld für waghalsige Experimente denkbar un- geeignet. Schulterklopfende Selbst- zufriedenheit und übergroßes Be- harrungsvermögen schadeten ihm aber ebenso sehr. Neues und Beste- hendes miteinander zu verknüpfen,
unter den Nägeln. So war es wohl — trotz aller Bemühungen von beiden Seiten — ein echtes „Vereinigungs- parlament" noch nicht. Aber gottlob gibt es Ärztetage ja in jedem Jahr . . . Dr. Gerhard di Pol, Leipzig
dafür biete die deutsche Vereinigung eine hervorragende Chance.
Auf den besonderen histori- schen Rahmen des 94. Deutschen Ärztetags wies der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr.
Alfred Dregger, hin: „Sie kommen in Hamburg zusammen, um auch als Ärzte das Zusammenwachsen Deutschlands zu vollziehen. Ich freue mich besonders, daß Vertreter aus allen Bundesländern in diesem Jahr an Ihrer Veranstaltung teilneh- men können", sagte er. Wenn auch der medizinische Standard regional noch recht unterschiedlich sei, so sei er doch überzeugt, daß die bestehen- den Unterschiede mit dem tatkräfti- gen Engagement der Ärzte in abseh- barer Zeit behoben sein werden.
Auf sein derzeit dringendstes politisches Anliegen ging demgegen- über Dr. Norbert Blüm (CDU) ein, Bundesminister für Arbeit und So- zialordnung. „Wir haben für das Le- bensrisiko ‚Krankheit' eine gut aus- gebaute solidarische und soziale Ab- sicherung, die sich seit Jahrzehnten bewährt hat. Eine solche Absiche- rung gibt es für Pflegebedürftige bis- her nicht. Hier steht unsere gesamte Gesellschaft in der Verantwortung:
Denn Solidarität mit denen, die sich selbst nicht helfen können, ist ein Grundprinzip unseres Sozialstaa- tes", sagte Blüm.
Die finanziellen Lasten von Pfle- gebedürftigkeit tragbar zu machen, sei eine zentrale Aufgabe dieser Le- gislaturperiode. „Die Vorarbeiten für einen Gesetzentwurf zur solidari- schen Absicherung des Pflegerisikos sind angelaufen. Wir brauchen in der Frage der Absicherung des Pflegeri- sikos einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Die Bundesärztekammer wird hierzu einen wichtigen Beitrag leisten können", fügte der Minister
hinzu. ❑
I Offen für Anregungen aus den neuen Ländern
Freundliche Grüße und aktuelle Politik
A-1854 (22) Dt. Ärztebl. 88, Heft 21, 23. Mai 1991