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Archiv "Neue Bonner Politik . . . und aktuelle Probleme der Kassenärzteschaft" (20.05.1983)

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Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm, der an den Anfang seiner Ausführungen — ausdrücklich öf- fentlich — Dank und Anerkennung für die Honorarpolitik der Kassen- ärzte gestellt hatte, einen Dank da- für, daß sich die Kassenärzte der von ihm propagierten sozialpoliti- schen Atempause angeschlossen haben, bekannte sich zu sozialpo- litischen Prinzipien in ihrer besten Tradition: als Hilfe zur Selbsthilfe, zu einer „emanzipatorischen So- zialpolitik", die — wie er es formu- lierte — „zum aufrechten Gang be- fähigt". Aufschlußreich waren in diesem Zusammenhang seine Ab- sage etwa an allumfassende staat- liche „Betreuungsansprüche" und sein Bekenntnis zur Selbstverant-

•wortung. Schließlich war auch er- hellend, was er über den früheren Meinungsstreit in der christlich- sozialen Politik sagte: Erst Zustän- de-Reform oder erst Gesinnungs- Reform? Blüm: „Zustände und Bewußtsein müssen geändert werden!"

Was er damit meint, schien im Ver- lauf seines Referats immer wieder auf: Er will „Strukturen", vor allem in der Finanzierung der verschie- denen Sozialversicherungszwei- ge, verbessern, aber er will gleich- zeitig das Verantwortungsbe- wußtsein aller Beteiligten für das Funktionieren der entsprechen- den Einrichtungen stärken. Dabei nimmt er die Ärzte nicht aus, im Gegenteil, er schreibt ihnen eine strategische Rolle bei der Bildung eines „neuen Bewußtseins" zu.

Bei großer Übereinstimmung im Grundsätzlichen wurden aber auch unterschiedliche Standpunk- te in Einzelfragen von beiden Re- ferenten klar herausgearbeitet.

So hatte Muschallik in seinem Kurzreferat darauf hingewiesen, daß in der langen Geschichte un- serer Krankenversicherung immer die Politiker und niemals die Ärzte bestimmt haben, was Krankheit ist. Muschallik: „Wenn heute, sei es aus rein wirtschaftlichen Über- legungen oder aus programmati- schen Gründen, der Krankheitsbe- griff wieder enger gefaßt wird, wenn einiges an Leistungen der Solidargemeinschaft abgenom- men und wieder dem einzelnen überantwortet wird, sind wir als Kassenärzte verpflichtet, solche politischen Entscheidungen zu re- spektieren. Wir werden das auch loyal zu tun trachten, solange nicht die Grenzen unseres ärztli- chen Gewissens verletzt oder das Erfordernis einer klaren und ein- deutigen Gesetzesaussage miß- achtet werden." Dazu weiter:

Leistungsausgrenzungen ä la „Bagatellerkrankung"

sind abzulehnen

„Die sogenannte Negativliste ist das jüngste Beispiel einer gesetzli- chen Regelung, die diese Klarheit vermissen läßt. Die Entscheidung darüber, ob zum Beispiel eine Er- kältung eine Bagatellerkrankung, eine Befindlichkeitsstörung dar- stellt oder ob sie der Beginn einer schwereren Erkrankung ist, läßt sich auch vom erfahrenen Arzt meist nicht schon bei den ersten, oft vieldeutigen Symptomen fest- stellen. Damit käme in seine Ver- ordnungsentscheidung ein Mo- ment der Willkür, das geeignet wä- re, das notwendige Vertrauen zwi- schen Patient und Arzt zu bela- sten. Gerade weil schon von einer Negativliste Nr. 2 und 3 gemunkelt

wird, gerade weil dieser Bereich nicht den Charakter eines Krimis in Serie bekommen darf, spreche ich diese Dinge hier noch einmal in aller Deutlichkeit an. Leistungs- ausgrenzungen auf der Grundlage von ,Bagatellerkrankung` oder ,geringfügiger Gesundheitsstö- rung' bewegen sich auf medizi- nisch so unsicherem Boden, daß wir sie aus ärztlicher Sicht ent- schieden ablehnen."

Blüm, der die von Muschallik ge- pflegte direkte und offene Art des Meinungsaustausches ausdrück- lich würdigte, bekannte sich indes zur Negativliste: „Ich stehe zu dem Ausschluß bestimmter Arzneimit- tel aus der Leistungspflicht der Krankenkassen. Auch dies be- trachte ich nicht als ein Patentre- zept, das es ja offenbar so wenig

in der Medizin gibt wie in der Poli- tik. Aber ich halte es für ein päd- agogisches Lehrmittel, Aufmerk- samkeit für die Notwendigkeit zu wecken, daß die Krankenversiche- rung nicht für alles zuständig sein kann."

Es ist ein Teil der Bewußtseinsän- derung, auf die Blüm abzielt, näm- lich: bewußt zu machen, „daß das Leben nicht nur aus Risiken be- steht, die man solidarisch in den großen Sozialversicherungen ab- decken könnte".

Blüm: „Zu dieser notwendigen Umstellung, die im Kopf beginnt und mit Hilfe des Geldbeutels aus- gelöst wird, müssen auch die Ärz- te beitragen. Wir können sie nicht aus der Last der Beweisführung und des Argumentierens, auch des Gespräches mit den Patien- ten, befreien." Nur mit totalem Re- glement ließen sich alle Unklarhei- ten in der Negativliste beseitigen, aber dieser Preis sei zu hoch, ihm und doch auch den Ärzten.

In der Diskussion, die sich im Ver- lauf des Vormittags an die Refera- te anschloß, wurden dem Bundes- arbeitsminister noch einmal Argu- mente gegen die Methode der gesetzlichen Negativliste vorge- halten:

Neue Bonner Politik

. . . und aktuelle Probleme der Kassenärzteschaft

Schwerpunkte aus den Referaten

von Hans Wolf Muschallik und Norbert Blüm

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Dr. Hans Wolf Muschallik dankt Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm, der in seinem Referat und in der sich anschließenden lebhaften Diskussion mit Mitglie- dern der Vertreterversammlung klar Stellung bezogen hatte zu vielen die Kassen- ärzteschaft bedrückenden Fragen (manche aber auch weiter offen ließ)

Prof. Dr. Siegfried Häußler (Stutt- gart) erinnerte daran, daß der frü- here Arbeitsminister Theodor Blank vor mehr als zwei Jahrzehn- ten mit einer Krankenversiche- rungsreform gescheitert ist, weil seine Methoden falsch waren.

Besser als ein Ausschluß soge- nannter Bagatellarzneimittel sei eine prozentuale Selbstbeteili- gung bei allen Arzneimitteln, selbstverständlich mit Obergrenze und sozialen Ausnahmeregelun- gen. Dr. Klaus-Dieter Kossow (Achim-Uesen) unterstrich den Vorschlag prozentualer Kostenbe- teiligung und wies den Minister noch einmal darauf hin, daß soge- nannte Bagatellarzneimittel in der Allgemeinpraxis sehr schwer aus- zugrenzen sind: „Nicht nur die Ärzte müssen die Regelung nach- vollziehen können, sondern vor al- lem auch die Patienten." Und Dr.

Karl Nicklas (Frankfurt/Main) be- tonte, daß das Gespräch, das der Arzt mit dem Kranken führt, der Arzt-Patient-Begegnung dienen soll und nicht der Diskussion solch mißlicher Umstände, wie sie durch die sogenannte Negativliste geschaffen wurden.

Es bleibt abzuwarten, ob die ebenso sachliche wie deutliche Kritik eine vorbeugende Wirkung wenigstens für zu erwartende wei- tere „Negativlisten" entfaltet ...

Das Fortsetzungsdrama

„Honorarverzicht"

muß jetzt ein Ende haben!

Auf das wirtschaftlich Wesentliche war Dr. Muschallik schon bei der Begrüßung der Ehrengäste— unter ihnen Dr. Irmgard Adam-Schwaet- zer, die Generalsekretärin der F.D.P., und Dr. med. Karl Becker als Repräsentant der CDU — zuge- steuert: „Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten darf sich nach unserer Auffassung Gesundheits- politik nicht in Kostendämpfungs- bemühungen erschöpfen; denn medizinischer Fortschritt läßt sich auf Dauer auch in der Kassenarzt- praxis nicht kostenneutral reali- sieren."

In seinem Referat selbst sprach Muschallik das nun „seit zwei Jah- ren laufende Fortsetzungsdrama"

Honorarverzicht konkret an:

„Es ist kein Widerspruch zu unse- ren Bemühungen um Kosten- dämpfung, und es ist schon gar nicht die Unfähigkeit, zwischen unseren materiellen Interessen und dem christlichen Abendland zu differenzieren, wenn ich unver- blümt der Erwartung Ausdruck ge- be, daß nach zweijährigem freiwil- ligen Verzicht auf Anpassung un- serer Honorare dieses Moratorium jetzt ein Ende haben muß. Die Kas- senärzte müssen nun wieder die Möglichkeit erhalten, Mittel für moderne Praxisinvestitionen und zur Aufrechterhaltung der perso- nalen Dienste zu erarbeiten.

Eine der Säulen unserer Freiberuf- lichkeit ist die Vertragsfreiheit. Ih- re Anerkennung schließt aus, daß man uns ,Lohnleitlinien` vor- schreibt, ob das nun eine Regie- rung tut, eine Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen oder wer auch immer. Die Honorarverhand- lungen sind Angelegenheit der Selbstverwaltung der Kassenärzte und ihrer Vertragspartner, der Krankenkassen. Diese gemeinsa-

me und gleichberechtigte Selbst- verwaltung kann am ehesten ge- stärkt werden, wenn sie vom politi- schen Gängelband befreit wird und man den reglementierenden Gesetzesdruck von ihr nimmt, dem sie in den letzten Jahren in zunehmendem Maße ausgesetzt war."

Eine konkrete Antwort auf die Ho- norarfrage erfolgte nicht. Hinge- gen unterstrich der Minister sein Verständnis vom Vorrang der Selbstverwaltung. Dr. Blüm:

„Wenn Subsidiarität ein Kennzei- chen und wenn Entstaatlichung ein Ziel unserer Sozialpolitik sind, dann muß die Trennungslinie zwi- schen Staat und Sozialversiche- rung deutlicher erkennbar sein. Es kann der Sozialversicherung gar nichts Besseres passieren, als daß sie von der Hektik eines Gesetzge- bers abgehängt wird, dem ständig was Neues einfällt! Ich sehe in der Selbstverwaltung die Erfüllung des Subsidiaritätsprinzips."

Und Blüm weiter: „Selbstverwal- tung ist flexibler, als es ein Gesetz- geber sein kann. Ein Gesetzgeber steht immer unter großen Presti- gebedürfnissen, ganz besonders kurz vor Wahlen. Selbstverwal- Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 20 vom 20. Mai 1983 19

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tung kann näher an der Praxis sein, der Gesetzgeber steht immer im Zwang, unter großen Verallge- meinerungen zu arbeiten, von Kiel bis Konstanz alles über den Kamm der Gleichheit zu scheren."

Der erfahrene Sozialpraktiker Nor- bert Blüm sieht in der Selbstver- waltung vor allem auch einen im Gesetzgebungsverfahren so nicht vorhandenen lntegrationsfaktor, und zwar den Integrationsfaktor Kompromiß.

Der Arbeitsminister baute auf die- se wohlklingende Argumentation allerdings auch seine Abwehr der Vermutungen auf, die geplanten Änderungen bei der Finanzierung einzelner Versicherungszweige würden zu einer Wiedereröffnung des deklaratorisch stillgelegten

"Verschiebebahnhofs" führen. Dr.

Muschallik hatte in seinem Referat diese Gefahr angesprochen:

"Wir haben in den letzten Jahren

oft und vernehmlich - und auch hier war unsere Selbstverwaltung ohne Einfluß - die Politik des fi- nanziellen ,Verschiebebahnhofs' beklagt. Gewaltige Summen wur- den da zwischen haushaltsrecht- lich getrennten Zweigen der So- zialversicherung hin- und herge- schoben, zur Entlastung des Bun- deshaushalts und letztlich zur Be- lastung der Versicherten. Der neue Bundesarbeitsminister hat diesen Betrieb mit veränderter Zugfolge und Richtung zu unse- rem Bedauern vorerst weiterge- führt, sicherlich der Not gehor- chend, nicht dem eignen Triebe.

Äußerungen von ihm geben mir indes die Zuversicht, daß wir künf- tig keinen Anlaß für eine solche Kritik mehr haben dürften. Hoff- nung und Zweifelliegen aber nahe beisammen.

Mich beschleicht Sorge, wenn ich an die von der neuen Bundesre- gierung geplante Neuordnung der Mischfinanzierung im Kranken- hauswesen denke. Dabei geht es nicht nur um den Abbau der Mischfinanzierung von Bund und Ländern beim Krankenhausneu-

bau, sondern auch um die Beseiti- gung der Trennung von Investi- tions- und Pflegekosten. Die Deut- sche Krankenhaus-Gesellschaft fordert dies schon seit geraumer Zeit. Nach ihrer Auffassung sollten die gesamten Kosten der Kranken- häuser über den Pflegesatz ge- deckt werden .. .

..,.. Die Überbürdung der Investi- tionskosten auf die Krankenkas-

Minister Blüm zum Stichwort

"Selbstbeteiligung''

"Auch an dieses Stichwort und diese Aufgabe gehe ich ohne jede Befangenheit und ohne Ideologie heran. Zu- nächst muß man einmal fest- halten, daß die ganze Kran- kenversicherung auf Selbst- beteiligung basiert. Sie wird nicht vom lieben Gott finan- ziert, sondern aus den Bei- trägen der Versicherten.

Wenn Selbstbeteiligung ei- nen weitergehenden Sinn haben soll, dann muß sie mit Steuerungseffekten verbun- den, auf das Verhalten der Menschen gerichtet sein. Ich will keine Selbstbeteiligung, die lediglich die Finanzmittel erhöht; dann könnten wir auch gleich die Beiträge er- höhen."

sen in Form alle Kosten deckender Pflegesätze würde einen gewalti- gen Kostenschub in der gesetzli- chen Krankenversicherung bewir- ken und neue Beitragssatz- erhöhungen zur Folge haben. Der ohnehin teuerste Sektor würde für unsere gesetzliche Krankenversi- cherung noch teurer werden. Die Folgen würden sich aber nicht nur in einer Erhöhung der Beitragssät- ze bemerkbar machen, sie würden auch die Glaubwürdigkeit der Po- litik der Kostendämpfung insge- samt erschüttern.

Wer gibt uns denn die Gewähr, daß der ambulante Bereich nicht wieder dazu herhalten soll, die von Bund und Ländern abgeschüttelte Last der Krankenhausfinanzierung mit auf seine Schultern zu nE!h- men? Hier könnte ein neuer Ver- schiebebahnhof entstehen, des- sen Umschlagskapazität noch grö-

ßer ist als die des alten."

..,.. Die kassenärztliche Selbstver- waltung ist zwar entschlossen - wie Muschallik betonte-, die be- währte Strategie des "soviel am- bulant wie möglich" fortzusetzen, aber: "Wir sind ganz entschieden gegen eine Kostendämpfung als Solo-Nummer der Kassenärzte!"

Was weiteren Anlaß zur Besorgnis in Sachen ,,Verschiebebahnhof"

bietet, wurde von Minister Blüm nicht bestritten. So wird die Verla- gerung der Tuberkulose-Heilfür- sorge von der Rentenversicherung auf die gesetzliche Krankenversi- cherung geplant, was die Kran- kenkassen jährlich 300 Millionen DM zusätzlich kosten dürfte. Vom Krankengeld sollen schließlich nicht nur Beiträge an die Renten- versicherung, sondern neuerdings auch an die Bundesanstalt für Ar- beit geleistet werden; auch das Mutterschaftsgeld soll beitrags- pflichtig werden. Schließlich wird

die Einbeziehung der Krankenver-

sicherung der Knappschaftsrent- ner in den allgemeinen Bela- stungsausgleich der Krankenver- sicherung der Rentner erwogen. Allein die letztere Maßnahme wür- de bei den übrigen Krankenversi- cherungsträgern mit minus 800 Millionen DM zu Buche schlagen. Addiert man alles, so würde aus den geplanten Maßnahmen eine Belastung der gesetzlichen Kran- kenversicherung resultieren, die die Zwei-Milliarden-DM-Grenze überschreitet, wie auch Dr. Eckart Fiedler unterstrich.

Muschalliks Appell an den Mini- ster, sich dafür einzusetzen, daß die neue Kostenverschiebung nicht geschieht, blieb ohne rech- ten Widerhall. Der Bundesarbeits-

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Blick in das Plenum der KBV-Vertreterversammlung, die am 9. Mai in der Stadthalle Kassel aktuelle Probleme der kassenärztlichen Versorgung erörterte und richtung- weisende Entschließungen verabschiedete (im folgenden veröffentlicht)

minister verteidigte vielmehr die geplanten Maßnahmen nicht nur mit dem Hinweis, daß der Mehrbe- lastung der Krankenkassen auch Mehreinnahmen gegenüberstün- den, sondern auch ganz prinzi- piell. Er wird versuchen, den Grundsatz durchzusetzen, daß Lohnersatzleistungen behandelt werden wie Lohn: „So hoch sie sind, so hoch werden sie mit Bei- trägen belastet." Das habe mit dem bisherigen „Verschiebebahn- hof" nichts zu tun. Vielmehr gehe es darum, die Beziehungen zwi- schen den Sozialversicherungs- trägern in Ordnung zu bringen:

„Bevor wir die Sozialversicherung vom Staat her abgrenzen, müssen wir erst einmal die Sozialversiche- rungen untereinander auf verläßli- che Füße stellen."

Auch zur Krankenhausfinanzie- rung vertrat Bundesarbeitsmini- ster Dr. Norbert Blüm einen teil- weise anderen Standpunkt als Mu- schallik: „Ich glaube, daß wir das Mischsystem Bund — Länder in der Finanzierung überprüfen müssen, denn ich sehe in finanziellen Mischsystemen auch die Gefahr einer Verantwortungsverwi- schung. Ich glaube, wir müss'en Kompetenz und Konsequenz wie- der unter ein Dach bringen. Wer die Kompetenz hat, der muß auch die Konsequenzen seiner Ent- scheidungen tragen."

Das zielte eindeutig auf die verfas- sungsgemäß zuständigen Bundes- länder. Aber Blüm ging noch wei- ter: „Wir sollten auch das jetzige duale System überprüfen, das spaltet zwischen Investitions- und Betriebskosten." Letztere gehen bekanntlich voll in die von den Kassen zu zahlenden Pflegesätze ein, während die Investitionen der öffentlichen Hand obliegen.

Dr. Eckart Fiedler mahnte in der Diskussion, dieses duale Finanzie- rungssystem der stationären Ver- sorgung beizubehalten und sich nicht der bisherigen Investitions- pflichten der öffentlichen Hand zu entledigen. Vielmehr gelte es, das

„Selbstkostendeckungsprinzip"

als Wurzel des Übels, nämlich der überproportionalen Kostensteige- rung im Krankenhaus, zu beseiti- gen. Wenn aber die öffentliche Hand sich ihrer Investitionspflicht künftig entziehe, dann handele es sich bei dieser tiefgreifenden Än- derung des Finanzierungssystems mit Verlagerung der Kosten allein auf die Krankenversicherung doch um einen echten „Verschiebe- bahnhof".

Prof. Dr. Hans J. Sewering (Mün- chen) ging in der Diskussion auf den rhetorischen Unterschied zwi- schen dem bisherigen „Verschie- bebahnhof" und der „Entflech- tung" ein, wie sie der Minister bei der Finanzierung der einzelnen Sozialversicherungszweige anvi- siert, und kritisierte, daß der Kran- kenversicherung dabei ziemlich viel „zugeflochten" wird.

Welchen Kosten-Nutzen hat und welchen Zwecken dient „Transparenz"?

Sewering stellte zudem die Frage, was es kosten würde, etwa die im Programmpapier der Christlich- Demokratischen Arbeitnehmer- schaft bereits vor der Regierungs- übernahme im September 1982 vorformulierte „Transparenz" zu

finanzieren, und welchen Nutzen sie haben würde, zumal heute vom Kostenbewußtsein des Patienten nicht mehr viel die Rede ist, son- dern nur noch von der Kontrolle des Arztes. Blüm hätte sich besser einmal bei den Repräsentanten der Krankenkassen in Bayern er- kundigt, was diese beispielsweise von der jetzt in Baden-Württem- berg geplanten Aufwärmung des in Bayern längst ad acta gelegten Lindauer Transparenzprojekts hal- ten, nämlich nichts mehr, nach- dem sich herausgestellt hat, wie wenig Nutzen es bei unverantwort- bar hohen Kosten bringt.

Blüm gestand seine Gesprächsbe- reitschaft über die Wege verbes- serter Transparenz zu. Außerdem sei auch dies eher eine Aufgabe der Selbstverwaltung, die den Spielraum des Machbaren erpro- ben könne.

Für Blüm ist schon die Konzertier- te Aktion in erster Linie auch eine Einrichtung der Transparenz und nicht der Reglementierung. Zu ei- nem System, das an die Selbstver- antwortung appelliere, gehöre auch eine größere Transparenz;

das Interesse der Beitragszahler wie der Öffentlichkeit sei berech- tigt, den Fluß des Hundert-Milliar- den-Finanzstroms der Kranken- Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 21 vom 27. Mai 1983 21

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versicherung zu verfolgen. Selbst- verständlich müsse bei dieser Transparenzaufgabe der notwen- dige Datenschutz gewahrt wer-

den. Er sehe auch ein, daß das seit

Jahrtausenden bestehende Tabu der Arzt-Patient-Beziehung unan- getastet bleiben müsse.

Für Muschallik ist die Forderung nach Transparenz an sich kein Schreckgespenst. Im Gegenteil, die Möglichkeit lückenloser Nach- prüfung unter Beachtung der rechtsstaatliehen Grundsätze un- seres Landes könnte, so Muschal- lik, "uns vielleicht zukünftig davor bewahren, daß man die Kassen- ärzteschaft durch Publizierung fal- scher, weit überhöhter Zahlen über angebliche Einkommen in Mißkredit zu bringen sucht, wie das von bestimmter Seite noch in der Frühjahrssitzung der Konzer- tierten Aktion im Gesundheitswe- sen versucht worden ist. Der An- spruch auf Transparenz endet je- denfalls dort, wo die Bewahrung des Arztgeheimnisses und der Schutz persönlicher Daten des Pa- tienten ihre Offenlegung ver- bieten."

Verlängerte Vorbereitungszeit ist wichtig zur

Erhaltung der Qualität

Die Kassenärzteschaft spricht selbstverständlich dem Staat und der Politik nicht etwa deren Ord- nungsbefugnisse ab. Die kassen- ärztliche Selbstverwaltung muß ja bei einigen Problemen, deren Re- gelung außerhalb ihrer Kompe- tenz liegt, selbst nach dem Staat rufen. Das gilt vor allem im Hin- blick auf die Gefahren, die sich aus der anhaltenden Überproduk- tion an jungen Ärzten, denen es an ausreichender ärztlicher Ausbil- dung mangelt, für die soziale Krankenversicherung ergeben.

Muschallik in diesem Zusammen- hang: "Die Einführung einer ver- längerten Vorbereitungszeit auf die kassenärztliche Tätigkeit, über die zur Zeit abschließende Bera- tungen im Gange sind, begrüße

ich ausdrücklich. Die verlängerte Vorbereitungszeit kann selbstver- ständlich nur eine Interimslösung darstellen. Sie bürdet den Kassen- ärzten zusätzliche Lasten auf, oh- ne das Kernproblem zu lösen.

Wenn wir dennoch an diesem Inte- rim mitgewirkt haben, dann des- halb, weil damit immerhin ein Schritt in Richtung auf die Erhal- tung der Qualität der ambulanten ärztlichen Versorgung getan wird, welche Grundpfeiler unseres Wir- kans sein und bleiben muß. Diese Qualität wird durch die überhohe Zahl von Studienanfängern in der Medizin und die damit verbunde- nen Mängel in der praktischen Ausbildung gefährdet. Die vorran- gige Lösung des Problems muß daher in einer deutlich stärker pra- xisbezogenen Ausbildung liegen, die wiederum nur möglich ist, wenn der Zugang zum Medizinstu- dium gedrosselt wird."

..,. Aus der Vormittagssitzung der KBV-Vertreterversammlung und dem Dialog mit dem Bundesar- beitsminister sei an dieser Stelle noch ein Teilthema hervorgeho- ben: der sogenannte "Rezept- skandal". Muschallik bekannte of- fen, "daß-und wie könnte es bei nahezu 60 000 Kassenärzten an- ders sein - nicht jeder Arztkittel porentief rein ist. Gerade in jüng- ster Zeit ist ein betrügerisches Verhalten einiger Ärzte bei Arznei- verordnungen und durch Abrech- nung nicht erbrachter Leistungen aufgedeckt und angeprangert worden. Im Interesse der weit überwiegenden Mehrheit der Ärz- te, die täglich ihren Dienst anstän- dig und aufopfernd leisten, erkläre ich deshalb in aller Öffentlichkeit:

Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen werden diese kleine Gruppe sogenannter Kollegen zur Re- chenschaft ziehen und ohne Anse- hen der Person unnachsichtlich aus ihren Reihen entfernen."

Die Antwort des Ministers war sehr geeignet, dem Vorwurf kollektiven Mißbrauches entgegenzuwirken.

Keine Frage, Mißbrauch von Soli- dareinrichtungen ist eine Form

von Diebstahl, nicht nur eine Ver- letzung der Solidarität. Aber- wie der Minister betonte - man muß sich einer vereinfachenden öffent- lichen Diskussion in die Quere stellen, die aus Ausnahmen auf die Regel schließt. Einzelnen Miß- brauch, Fehlverhalten, wird es im- mer geben; Blüm: "Aber nur ein Polizeistaat maßt sich an, jeden Mißbrauch ausradieren zu kön- nen."

Die Ärzteschaft wird

in Sachen Versorgungswerke nicht locker lassen!

Über den "Garten der Kranken- versicherung" hinausschauend, machte der Minister auch einige Bemerkungen zur Rentenversi- cherung, deren Probleme "im Konsens" zu lösen, er während der nächsten Monate seine ganze Kraft widmen werde. Daraus ergab sich selbstverständlich die auch prompt (von Dr. Klaus Dehler, Nürnberg) aufgeworfene Frage, wer alles in diesen Konsens einbe- zogen werden solle - etwa auch die Opposition, deren von Eugen Glombig, MdB, vertretene "Har- monisierungs"vorstellungen auch auf die Einbeziehung berufsstän- discher Versorgungswerke in die Rentennivellierung abzielten?

Wer ganz mißtrauisch bleiben will, kann konstatieren, daß "letzte Klarheit" in der Antwort auf diese Frage nicht formuliert wurde. Die Bundesregierung hat eine "Har- monisierungskommission" einge- setzt, deren Vorschläge Dr. Blüm geduldig abwarten will. Er glaubt, daß "Harmonisierung" notwendig ist; aber er will in einer Neuord- nung weder den Beamtenstatus unterlaufen noch die Lebensversi- cherung tangiert wissen.

Die Ärzteschaft wird jedenfalls auch in dieser Frage nicht locker lassen. Sie kann dabei gewiß auf das Schlußwort des Ministers bau-

en: "Sie werden in mir nicht in

jedem Falle einen bequemen, aber immer einen Offenen-Dialog-Part-

ner finden." DÄ

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