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Archiv "Patientenrechtegesetz: Kodifizierung ohne Zugewinn" (16.09.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 37

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16. September 2011 A 1885 PATIENTENRECHTEGESETZ

Kodifizierung ohne Zugewinn

Über den Glauben an die bewusstseinsprägende Kraft und die verhaltenslenkende Wirkung von Rechtsnormen

D

er Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, stellte im März gemein- sam mit den Bundesministerien der Justiz und für Gesundheit das Grundlagenpapier „Patientenrechte in Deutschland“ vor. Auf dieser Grundlage werden nun gesetzliche Regelungen beraten, die im kom- menden Jahr in Kraft treten sol- len. Dabei wurde und wird das Fehlen eines speziellen Patienten- rechtegesetzes in fachkundigen Kreisen kaum je als Defizit emp- funden. Die bislang geltenden all- gemeinen Normen des Vertrags- und des Deliktsrechts ermöglichen der Rechtsprechung eine Fortschrei- bung des Rechts entsprechend den Entwicklungen der Medizin und den Anschauungen in der Gesell- schaft. Die wesentlichen Maßgaben ärztlicher Berufsausübung wurden unabhängig von der Gesetzgebung

durch die Judikatur formuliert – so die Anforderungen an die Sorgfalt bei der Behandlung, an die Orga - nisation des Behandlungsgesche- hens, die Pflicht zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Pa- tienten und daher angemessener Aufklärung vor dem Eingriff, die Pflicht zur Dokumentation sowie zur Einsichtsgewähr in die Kran- kenunterlagen.

Neben der Begründung von Patientenrechten hat die Judikatur auch die Durchsetzung von An- sprüchen erleichtert, indem sie die Verfahrensgrundsätze der Zivilpro- zessordnung erheblich modifizier- te. Die Gerichte gewähren im Falle einer Klageerhebung eine ganze Reihe von Beweiserleichterungen und Beweislastumkehrungen zu- gunsten des Anspruch stellenden Patienten. Zudem wurden spezielle Grundsätze für den Prozess ausge-

prägt, durch die das Informations- gefälle zwischen den Parteien ver- ringert, die Verständigungsschwie- rigkeiten zwischen Medizinern und Juristen überbrückt und die Rolle des medizinischen Sachverständi- gen, dessen Beiziehung in der Re- gel unausweichlich ist, auf ein ad - äquates Maß zurückgeführt wird.

Ziel ist die Herstellung von „Waf- fengleichheit“.

Neue Fehlerkultur etablieren Eine Gesamtschau ergibt, dass Pa- tientenrechte in Deutschland ak - tuell hoch entwickelt, im interna - tionalen Vergleich führend sind.

Entgegen landläufiger Ansicht be- stehen heute durchaus gute Aus- sichten auf Anspruchsdurchsetzung bei Medizinschadensfällen.

Gleichwohl sollen Patienten- rechte nunmehr kodifiziert werden.

In mancherlei Hinsicht lässt sich auch durchaus Handlungsbedarf feststellen. Dies gilt einmal im Hinblick auf die Rechte der Patien- ten gegenüber Leistungsträgern.

Maßnahmen zur Steigerung der Ver sorgungsqualität, etwa durch eine Verkürzung der Bewilligungs- verfahren von Sozialversicherungs- trägern oder durch eine bessere Ein lösung des Anspruchs auf Ver - sorgungsmanagement, erscheinen sinnvoll und umsetzbar. Auch das Streben nach verstärkten Maßnah- men der Fehlerprophylaxe verdient Zustimmung. Gerade bei Perso- nenschäden gilt: Schadenverhütung ist besser als jede Schadenver - gütung. Genannt seien an dieser Stelle nur die Stichworte Quali - tätssicherung, Risikomanagement, Beschwerdemanagement. Entschei- dende Bedeutung kommt der Samm- lung und Übermittlung von Infor- mationen über Fehler und Beinahe- Fehler zu. Wichtige Arbeit leistet bereits das Aktionsbündnis Patien- Erklärte Ziele des Grundlagen-

papiers vom März 2011 sind größere Transparenz, bessere Rechtsdurchsetzung, Verbesse- rung der Gesundheitsversor- gung, Abbau von Vollzugsdefizi- ten. So soll der medizinische Behandlungsvertrag als beson- derer Vertragstyp in das Bürger- liche Gesetzbuch (BGB) aufge- nommen werden. Er soll sowohl die Tätigkeit von Ärzten als auch die von Heilpraktikern, Hebammen, Psycho- und Phy- siotherapeuten sowie Angehöri- gen anderer Heilberufe erfas- sen. Dabei wird insbesondere eine gesetzliche Festlegung der Aufklärungs- und Dokumentati- onspflichten angestrebt.

Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Fehlerprophylaxe. Risiko- management- und Fehlermel- desysteme sollen gestärkt und das Beschwerdemanagement in Krankenhäusern gefördert werden. In einem Abschnitt mit der Überschrift „Kodifizierung eines umfassenden Haftungs- systems“ geht es um die Fixie- rung einzelner judizieller Be- weislastsonderregeln im BGB.

Außerdem ist die Stärkung der Verfahrensrechte bei Behand- lungsfehlerverdacht durch ein- heitliche Schlichtungsverfahren, spezialisierte Kammern bei den Landgerichten und einen ver- besserten Rechtsschutz gegen Berufungsentscheidungen ge-

plant. Die Patientenrechte ge- genüber Leistungsträgern sol- len gestärkt werden: Kranken- kassen sollen Patienten bei dem Verdacht eines Behand- lungsfehlers unterstützen.

Der Anspruch des Patienten auf ein Versorgungsmanagement – insbesondere nach Entlassung aus dem Krankenhaus – soll besser eingelöst werden. Bewil- ligungsverfahren von Sozialver- sicherungsträgern sollen ver- kürzt werden. Schließlich sollen Patientenvertreter an bestimm- ten Entscheidungen des Ge- meinsamen Bundesausschus- ses sowie weiterer Gremien der gesetzlichen Krankenversiche- rung stärker beteiligt werden.

GRUNDLAGENPAPIER „PATIENTENRECHTE“

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A 1886 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 37

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16. September 2011 tensicherheit, das durch die Bünde-

lung von Expertenwissen in Ar- beitsgruppen praktische Leitfäden und Handlungsempfehlungen zur Umsetzung von Patientensicher- heit entwickelt.

In Kliniken ist die Einrichtung eines Risikomanagements gebo- ten, das die Steigerung der Patien- tensicherheit durch die Verringe- rung iatrogener Schäden zum Ziel hat. Es dient der Fehlerpräventi- on und ist damit Teil eines umfas- senden Qualitätsmanagements. Vo- raussetzung ist ein funktionieren- des System der Risikoidentifikati- on. Als Informationsquellen kom- men Patientenbeschwerden, Ak- tenanalysen, Peer Reviews sowie Behandlungsfehler- und Schadens- melderegister in Betracht. Ein wich- tiges Instrument ist das kranken- hausinterne Fehlerberichtssystem, in dem alle Zwischenfälle, Kom- plikationen, Fehler und Beinahe- fehler des Krankenhauspersonals gesammelt werden.

Dabei dient ein effektives Risi- komanagement nicht nur der Pa- tientensicherheit, sondern zugleich der Haftungsprävention. Mit Hil- fe der gewonnenen Erkenntnisse können Organisationsmaßnahmen getroffen werden, wie etwa die Er- teilung von Dienstanweisungen oder die Veränderung des Arbeits- umfeldes. Auf diese Weise kann die Gefahr einer Haftung des Krankenhausträgers wegen Orga- nisationsverschuldens gemindert werden. Eine Studie des Deut- schen Krankenhausinstituts aus dem Jahr 2009 zeigt indes, dass ein Risikomanagement in der deut- schen Krankenhauslandschaft noch lange nicht allerorts etabliert ist.

Rund ein Fünftel aller Kranken- häuser betreibt kein Risikoma - nagement, bei weiteren 40 Prozent befindet es sich erst in der Pla- nungs- und Vorbereitungsphase.

Anzumerken bleibt, dass eine ge- setzliche Anordnung der Einrich- tung krankenhausinterner Fehler- berichtssysteme als solche wenig bewirkt, solange die Angst vor Schuldzuweisungen und interner Sanktionierung einen offenen Um- gang mit Fehlern verhindert.

Wichtig ist die Etablierung einer

neuen Fehlerkultur, nachzudenken ist über den Ausschluss arbeits- rechtlicher Sanktionen bei der Meldungen eigener und fremder Fehler.

Gefahr der Defensivmedizin Die beabsichtigte Kodifikation des medizinischen Behandlungsvertrags im Bürgerlichen Gesetzbuch soll die bestehenden Rechte verdeutlichen.

Eine gesetzliche Regelung soll im Wesentlichen eine klarstellende Funktion erfüllen. Dies wird für not- wendig erachtet, nachdem die im Jahre 2003 veröffentlichte „Charta der Patientenrechte“ nicht ansatz- weise das gewünschte Rechtsbe- wusstsein geschaffen habe. Man ver- spricht sich zudem von dem Gesetz einen Gewinn an Rechtssicherheit.

Dieses Zutrauen in eine Kodifi- zierung erstaunt. Juristen wissen, dass mit dem Erlass eines Gesetzes die Probleme oftmals erst beginnen.

Nicht selten werden damit mehr Fragen aufgeworfen als beantwor- tet. Die Forderung nach einem Pa- tientenrechtegesetz verträgt sich im übrigen nicht mit der zunehmend geübten Kritik an der Gesetzesflut im modernen Rechtsstaat. Letztlich droht bei einer Überregulierung die Gefahr einer Defensivmedizin, die entweder zu wenig tut, weil sie nichts mehr wagt, oder zu viel un- ternimmt, etwa an diagnostischen Maßnahmen, um sich für alle Fälle zu wappnen. In den USA ist Defen- sivmedizin als Folge überzogener Arzthaftung ein großes Problem, und auch hierzulande sind Anzei- chen dafür längst unverkennbar.

Mit der Ankündigung der „Kodi- fizierung eines umfassenden Haf- tungssystems“ weckt das Grundla- genpapier hohe Erwartungen. Doch sollen nur einige von der Rechtspre- chung entwickelte Beweisrechts- sonderregeln gesetzlich fixiert wer- den, nämlich die Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegrün - denden Kausalität bei Vorliegen ei- nes groben Behandlungsfehlers und die Fehlervermutung bei Verwirkli- chung eines voll beherrschbaren Ri- sikos. Befunderhebungs- oder Be- fundsicherungsfehler etwa werden nicht erwähnt, so dass sich die Fra- ge stellt, ob die daran bislang an-

knüpfenden beweisrechtlichen Fol- gen nicht mehr gelten sollen – wie bei jeder Lücke die Frage nach einer Analogie oder aber einem Umkehr- schluss aufgeworfen ist.

Eine Neuerung stellt die Einfüh- rung einer allgemeinen Verschul- densvermutung im Falle eines scha- densursächlichen Behandlungsfeh- lers dar. Eine nennenswerte Haf- tungsverschärfung ist damit indes nicht verbunden. Der Nachweis des Verschuldens bereitet in der Praxis kaum je Probleme, wenn das Vor- liegen eines Behandlungsfehlers feststeht. Weitergehende Forderun- gen, etwa nach einer Beweislastum- kehr bezüglich der Kausalität bei jedem Behandlungsfehler, nach ei- ner Reduzierung des Beweisma- ßes im Schadensersatzprozess oder nach einer Ersetzung der Arzthaf- tung durch eine „Heilbehandlungs- risikoversicherung“, fanden keinen Eingang in das Grundlagenpapier, weswegen es – trotz mancher von Behandlungsseite beklagter „Zu- mutung“ – Patientenvertretern und Verbraucherschützern nicht weit genug geht.

Dringendere Probleme lösen Bei der Vorbereitung des Patienten- rechtegesetzes erstaunt der Glaube an die bewusstseinsprägende Kraft und die verhaltenslenkende Wir- kung von Rechtsnormen. Die Ge- fahr negativer Rückwirkungen ei- nes übermäßigen Einsatzes von Recht auf das ärztliche Berufsethos und die Vertrauensbeziehung zwi- schen Arzt und Patient wird hinge- gen unterschätzt oder gar nicht er- kannt. Andererseits ist der Gesetz- geber erstaunlich zurückhaltend bei Grundsatzproblemen, die dringend einer Lösung zugeführt werden müssen. Der Frage nach einer ge- rechten Verteilung der knappen Ressourcen werden sich die Ent- scheidungsträger im Gesundheits- wesen nicht dauerhaft entziehen können. Hier ist der Gesetzgeber mehr als auf anderen Gebieten auf- gerufen, gesetzliche Vorgaben zu treffen, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu gewährleisten.

Prof. Dr. iur. Christian Katzenmeier Institut für Medizinrecht, Universität zu Köln

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