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Archiv "Patientenrechtegesetz: Aufklärung auf Abwegen" (21.09.2012)

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A 1866 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 38

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21. September 2012

KOMMENTAR

Tim Neelmeier LL.B. (Bucerius), Rechtsanwalt

E

in „Rechtsrahmen, der Wettbe- werb um Qualität ermöglicht und fördert“ (1), wäre überfällig für das heutige Gesundheitswesen. Wenn etwa die Patientenaufklärung stärker auf die Gegebenheiten der jeweiligen Einrich- tung abstellen würde, könnten Investi- tionen in Personal und damit in Be- handlungssicherheit nachfragesteuernd erlöswirksam werden (2–4). Doch im geplanten Patientenrechtegesetz (5, 6) sucht man vergebens nach fortschrittli- chen Impulsen (7). Vielmehr scheint es, dass im politischen Windschatten einer harmlos klingenden Kodifizierung des

„geltende[n] Recht[s]“ (8) äußerst heik- le Details verabschiedet werden sollen, die jeder Arzt in seinem Alltag spüren dürfte. Nachdem die Bundesregierung die Änderungswünsche des Bundes - rates fast vollständig verworfen hat (5), stehen jetzt die letzten und entschei- denden Beratungen und Abstimmun- gen im Parlament an.

Bundesärztekammer (BÄK) und Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben schon bei der Vorlage des Refe- rentenentwurfs insbesondere gegen zwei geplante Rechtsänderungen pro- testiert (9):

Mit § 630 c Bürgerliches Gesetz- buch (BGB) sollen neuartige Informati- onspflichten eingeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung greifen diese

„grundsätzlich schon zu [Behandlungs-]

Beginn“. Was das heißen soll in Ab - grenzung zu den altbekannten (10) und in § 630 e BGB fortbestehenden Aufklä- rungspflichten, ist unklar (11). Auf die trotzige Behauptung der Bundesregie- rung, nur die Begrifflichkeit sei neu, ist jedenfalls kein Verlass.

Denn Gesetzesbegründungen wer- den vom Parlament nicht mitbeschlos- sen und binden daher kein Gericht.

Rechtswissenschaftler kritisieren

§ 630 c BGB bereits als „gänzlich ver-

unglückt“ (12) und sehen zu Recht kei- nen Sinn darin, inhaltsgleiche Pflicht- angaben im BGB doppelt zu statuieren (13). Wenn die Politik auf diese Kritik nicht reagiert, kann der Gesetzeswort- laut kein Irrtum sein, und es entstünde ein eigenständiger, zusätzlicher Haf- tungstatbestand der „Informations- pflichtverletzung“ in Verbindung mit

§ 280 BGB, dessen Auslegung durch die Gerichte völlig offen ist.

Besonders brisant sind in § 630 c Absatz 2 BGB die Sätze 2 und 3, die der Ärzteschaft eine „Verbesserung“ ihrer Rechtslage (14) sicher nicht bringen wer-

den. Auch hier sind BÄK und KBV alar- miert. Um gesundheitlichen Schaden vom Patienten abzuwenden, müssen ihm selbstverständlich schon jetzt Zwischen- fälle berichtet werden zwecks Entschei- dung etwa über einen Revisionseingriff (15). Nach dem Wortlaut des Regierungs- entwurfs müssten Ärzte künftig schon auf bloße Nachfrage eine Bewertung als Be- handlungsfehler mitliefern und damit sich selbst zivil- und berufsrechtlich (16, 17), Kollegen auch unmittelbar strafrechtlich, überführen. Wer dem nicht nachkommt, begeht eine selbstständig über § 280 BGB liquidierbare Verletzung des Be- handlungsvertrags. Selbst wenn sich die neue Pflicht wegen Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung als Papiertiger entpuppen sollte (18), macht das ihre Einführung nicht sinnvoller.

Der vorgesehene Geständniszwang widerspricht der Selbstbelastungsfrei- heit, einem Justizgrundrecht im Straf- verfahren, das auch Ärzten zusteht, so- weit keine Gesundheitsgefahren für den Patienten die Offenlegung kompro- mittierender Tatsachen erfordern (19, 20). Es ist nicht einzusehen, warum Ärzte auf bloße Nachfrage ihr Verhalten nachteilhaft bewerten sollen.

Das bei eigenen Fehlern vorgesehe- ne Beweisverwertungsverbot ist kein

Trost, weil der Arzt zwangsläufig auf Beweismittel (Behandlungsunterlagen et cetera) hinweisen beziehungsweise Anlass zu deren Anforderung geben würde. Dem wird die Rechtsprechung auch nicht ohne weiteres abhelfen können mit einer pauschalen Fernwir- kung (sogenanntes Verwendungsverbot [21]). Denn dann wiederum könnten schwarze Schafe durch Einräumung offensichtlicher Fehler einem ohnehin Anzeige erstattenden Patienten die Beweismittel aus der Hand schlagen.

Die Realität dürfte so aussehen: Vor der Behandlung lässt der Arzt den Pa-

tienten wie bisher (22) ein Aufklärungs- formular unterschreiben. Nach der Be- handlung lässt sich der Patient ein im Internet heruntergeladenes Formular vom Arzt unterschreiben, dass keine (beziehungsweise welche) Behand- lungsfehler begangen wurden. Das wä- re wohl das Ende des Vertrauensver- hältnisses zwischen Arzt und Patient, wie wir es heute kennen.

Die BGB-Novelle hätte noch eine besonders bizarre „Nebenwirkung“:

Zwar müssten auch geringfügige Be- handlungsfehler gegenüber dem Pa- tienten offenbart werden, stirbt der Patient jedoch nach einem besonders schweren Behandlungsfehler, dann bestünde mangels „abzuwendender Gesundheitsgefahren“ keine Offenba- rungspflicht, und ein Recht zu Nachfra- gen der Angehörigen ist im Gesetzent- wurf nicht enthalten.

Nicht einmal das Versprechen von Transparenz kann dieser Gesetzent- wurf halten. Vertragliche und delikti- sche Arzthaftung dürften sich in ver- wirrender Weise auseinanderentwi- ckeln, weil erstere gesetzlich fixiert wird und letztere den Gerichten vorbe- halten bleibt (18).

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit3812

PATIENTENRECHTEGESETZ

Aufklärung auf Abwegen

T H E M E N D E R Z E I T

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A 2 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 38

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21. September 2012

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 38/2012 ZU:

PATIENTENRECHTEGESETZ

Aufklärung auf Abwegen

LITERATUR

1. Stüwe H: Medizin und Markt: Wettbewerb und die Folgen. Dtsch Arztebl 2011;

108(51–52): A 2743.

2. Neelmeier T, Schulte-Sasse U: Adverse Selektion medizinischer Leistungserbrin- ger – Marktversagen infolge Informations- asymmetrie und Verantwortungsgefälle.

GesR 2012; 11: 65–72.

3. Plagemann H, Plagemann F: (Mehr) Wett- bewerb im Gesundheitswesen? NJW 2012; 65: 2613–17.

4. Neelmeier T, Schulte-Sasse U: Hypoxie durch Organisationsverschulden – Foren- sische Begutachtung von Führungsverhal- ten in Gesundheitseinrichtungen. Rechts- medizin 2012; 22: (Heft 5, im Erschei- nen). Online vorab publiziert, www.sprin gerlink.com/content/0937–9819/preprint.

5. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz), BT-Drs 17/10488, http://dipbt.bundestag.

de/extrakt/ba/WP17/452/45245.html.

6. Krüger-Brand HE, Rieser S: Patientenrech- tegesetz: Klarstellung im BGB. Dtsch Arzt- ebl 2012; 109(4): A 128–9.

7. Hart D: Ein Patientenrechtegesetz ohne Ei- genschaften – Über den Mangel an legis- lativer Eigenständigkeit. GesR 2012; 11:

385–8.

8. Zöller W (Patientenbeauftragter der Bun- desregierung): Patientenrechtegesetz.

MedR 2011; 29: 229–30.

9. BÄK/KBV (09.03.2012): Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ und des BMG – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patien- tenrechtegesetz), 11–5. www.bundesa erztekammer.de/downloads/StellBAeK_

KBVPatientenrechtegesetz_

09032012.pdf.

10. BGH: Urt. v. 10.07.1954 – VI ZR 45/54, NJW 1956, 1106–8.

11. Olzen D, Metzmacher A: Erste Überlegun- gen zum Referentenentwurf für ein Pa- tientenrechtegesetz. JR 2012; 2012:

271–8.

12. Katzenmeier C: Das Patientenrechtegesetz auf dem Prüfstand – Transparenz, Versor- gungsqualität, Rechtsdurchsetzung im Ge- sundheitswesen. SGb 2012; 59: 125–9.

13. Spickhoff A: Patientenrechte und Gesetz- gebung – Rechtspolitische Anmerkungen zum geplanten Patientenrechtegesetz.

ZRP 2012; 45: 65–9.

14. Deutscher Richterbund (März 2012): Stel- lungnahme zu einem gemeinsamen Refe- rentenentwurf des BMJ und des BMG für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patien- tenrechtegesetz). www.drb.de/cms/index.

php?id=763.

15. Schelling P, Warntjen M: Die Pflicht des Arztes zur Offenbarung von Behandlungs- fehlern – Zugleich Überlegungen zum Ent- wurf eines Patientenrechtegesetzes.

MedR 2012; 30: 506–12.

16. BGH: Urt. v. 10.01.1984 – VI ZR 64/82, NJW 1984, 799–800.

17. BGH: Urt. v. 24.01.2002 – VII ZR 206/00, NJW 2002, 1340.

18. Wagner G: Kodifikation des Arzthaftungs- rechts? – Zum Entwurf eines Patienten- rechtegesetzes. VersR 2012; 63:

789–802.

19. Neelmeier T: Schädigung in Kauf genom- men – Der Bundesgerichtshof stellt in ei- nem Mordprozess klar, wann Organisati- onsfehler und eine verzögerte Patienten- rettung vorsätzliche Straftaten darstellen.

Dtsch Arztebl 2012; 109(17): A 856–8.

20. Kudlich H: Grenzen des Tötungsvorsatzes im Medizinstrafrecht. NJW 2011; 64:

2856–8.

21. Passauer M, Stephan G: Kommentierung zu § 97 (Rn 16–18) InsO. In: Kirchhof H-P, Lwowski H-J, Stürner R: Münchener Kom- mentar zur Insolvenzordnung (Bd. 1), 2.

Aufl., 2007, München.

22. Steffen E, Pauge B: Arzthaftungsrecht – Neue Entwicklungslinien der BGH-Recht- sprechung (Rn 475, 704), 11. Aufl., 2010, Köln.

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

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