Lehrstück über
innerärztliche Demokratie
Im äußersten nordöstlichen Winkel Bayerns, in Wunsiedel im Fichtelgebirge, fand in diesem Jahr der Bayerische Ärztetag statt — der 43. Nicht einmal ein Jahr ist es her, da war diese Ecke Bayerns noch
„fest vom Eisernen Vorhang einge- schlossen", so formulierte es der Er- ste Vorsitzende des dortigen Ärztli- chen Kreisverbandes, Dr. Erwin Gei- ßendörfer. Nicht nur ihm war das Er- staunen über die schnelle Entwick- lung seit dem 9. November 1989 an- zumerken. Bayerns Kammerpräsi- dent, Prof. Dr. Hans Joachim Sewe- ring, sprach treffend von einem
„Wunder".
Der 43. Bayerische Ärztetag stand ganz unter dem Eindruck der deutschen Vereinigung. Gäste aus der vormaligen DDR, vornehmlich Vertreter der mit Bayern verbunde- nen Sächsischen Ärztekammer und Kassenärztlichen Vereinigung, beob- achteten aufmerksam, wie demokra- tische Selbstverwaltung funktioniert.
Inzwischen macht sich in Bayern bemerkbar, daß die AiP-Phase das drängende Problem des starken Arztnachwuchses nur verschiebt. In Bayern zeigt sich, daß die Weiterbil- dungsmöglichkeiten nach der AiP- Phase knapp werden. Der Baye- rische Ärztetag sieht hier fürs erste keinen anderen Ausweg, als die Per- sonalbedarfszahlen im ärztlichen Dienst anzupassen. Er sprach sich ohnehin für eine Neuberechnung der
„Anhaltszahlen" aus; die sei wegen des medizinischen Fortschritts, der immer kürzeren Liegezeiten und Zu- nahme der arbeitsintensiven ärztli- chen Arbeitsleistungen im Kranken- haus längst fällig.
Der Bayerische Ärztetag bekräf- tigte ferner, daß es über vorstationä- re Diagnostik und nachstationäre Behandlung nicht zu einer Verwi- schung der Aufgabenbereiche von Klinik und Praxis kommen darf. Die- se Bekräftigung dürfte im Zusam- menhang mit den auch in Bayern bis- her nicht zustande gekommenen dreiseitigen Verträgen über „prä/
post" stehen. Die Selbstverwaltung (Kassenärzte, Krankenhäuser, Kran- kenkassen) wird wohl ein Angebot des bayerischen Sozialministers Dr.
Gebhard Glück annehmen, in sei- nem Hause und mit seiner nach- drücklichen Unterstützung weiter zu verhandeln. Glück, der Gast auf dem Ärztetag war, formulierte für solche Verhandlungen „Grundgedanken", mit denen die Ärzteschaft wahr- scheinlich gut leben kann: über die vor- und nachstationäre Behandlung dürfe der Krankenhaussektor nicht zu Lasten der freien Praxis ausgewei- tet werden; Krankenhausbehand- lung dürfe nur verordnet werden, wenn eine ambulante Behandlung nicht ausreiche. Dem Subsidiaritäts- prinzip zufolge sei die Verordnung von Krankenhausbehandlung aus- drücklich zu begründen. Entspre- chendes gelte für die nachstationäre Behandlung. Kammer-Präsident Prof. Sewering erinnerte an die viel- fältigen Klammern zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor und wies den in der Öffent- lichkeit immer wieder geäußerten Vorwurf, es gebe einen „tiefen Gra- ben", energisch zurück.
Differenzen über die Beitragssatzstabilität
In einer anderen Frage stimm- ten Glück und Sewering weniger überein. Glücks Rede vor dem 43.
Bayerischen Ärztetag war zum Teil einer Rechtfertigung des Grundsat- zes der Beitragssatzstabilität gewid- met. Er sprach ihm eine ordnungspo- litisch gestaltete Funktion zu und lobte den wohltätigen Einfluß auf die tatsächlich im Augenblick stabi- len Beitragssätze. Trotz Beitragssta- bilität gebe es jedoch keinen Einnah- mestillstand. Beitragssatzstabilität zwingt laut Glück, Wirtschaftlich- keitsreserven zu nutzen und Mittel zwischen den Versorgungssektoren nach gesundheitspolitischen Priori- täten umzuschichten. Prof. Sewering dagegen: Es müsse „nun einmal an-
erkannt werden, daß sich der Be- handlungsbedarf und die Krank- heitshäufigkeit, mit der wir konfron- tiert sind und die wir Ärzte bewälti- gen müssen, nicht an den Beitrags- einnahmen orientieren kann. So kann hier unter Umständen ein Kon- flikt entstehen, den wir kooperativ bewältigen müssen".
Solche Geplänkel zwischen Staat und Selbstverwaltung, die hier- zulande eher eine Selbstverständ- lichkeit sind, kamen den Gästen aus der ehemaligen DDR noch unge- wohnt vor (aber sie lernen schon kräftig dazu). Neu muß für sie auch sein, daß die selbstbewußten Ärzte- tagsdelegierten nicht immer einer Meinung mit dem gewählten Vor- stand waren, etwa bei der Ersatzdro- gentherapie oder in seinem Krebsre- gister; hier zeigte sich unter den De- legierten die Bereitschaft, frühere Überzeugungen aufzugeben (ein Be- richt über einzelne interessante Er- gebnisse folgt). NJ
FERNSEHKRITIK
Frauengeschichten (Dienstag, 16. Oktober, ARD). In einem Beitrag von Manfred Bannenberg wurde in der Reihe „Frauengeschichten" Lis Spans, die Gründerin der Kinder-A- IDS-Hilfe, vorgestellt. Der Film be- ginnt mit fröhlichen Bildern von ei- ner Karnevalsfeier, bei der für die gute Sache gespendet wurde. Dann Bilder, die Betroffenheit auslösen.
Sie zeigen die kleine an AIDS er- krankte Anna, die von Lis Spans auf- genommen und bis zu ihrem Tod ge- pflegt wurde. Die einfühlsamen Ge- spräche mit der 49jährigen, die Ein- blicke in ihre Arbeit und ihr Privatle- ben geben, machen deutlich, wie sie sich für die von ihr ins Leben gerufe- ne Initiative einsetzt. Und das erfolg- reich. Erste Frucht ihrer Arbeit ist die Einrichtung einer Kinder-AIDS- Station in der Düsseldorfer Uni-Kli- nik. Es hätte jedoch noch besser her- ausgestellt werden können, daß eine finanzielle Absicherung Vorausset- zung ist für ein entsprechendes so- ziales Engagement. Trotz dieser klei- nen Schwäche ein eindrucksvolles Porträt einer bewunderungswürdi- gen Frau. Kli A-3290 (22) Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990