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Archiv "FERNSEHKRITIK" (05.09.1991)

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bene Bindung der Lebenserhalts- Entscheidung an die persönliche Einwilligung immer mehr ausge- höhlt. Weil keiner "leiden" solle, müßten Expertenkommissionen für diejenigen bestimmen, die sich nicht entscheiden können, die verwirrt sind oder die keine Einwilligung un- terschrieben haben. Damit kehre die Euthanasie-Bewegung besonders in fortgeschrittenen Gesellschaften zu ihrer Doppelgesichtigkeit zurück.

~ Damals wie heute gehe es im Kern um eine Wertbestimmung des Menschen. Diese sei im Nationalso- zialismus eine gesellschaftliche Ko- sten-Nutzen-Abwägung für die

"Volksgemeinschaft" und die "Erb- gesundheit" gewesen. Heute sei die- se Wertbestimmung eingekleidet in eine individuelle Abwägung soge- nannter Lebensqualität, die jedoch nur allzu deutlich ihre fremdbe- stimmte Bewertung menschlichen Lebens zeige. Die Entscheidung über Nichtbehandlung oder die ,,le- tal injection" für schwerstbehinderte Neugeborene solle nach Ansicht Sin- gers aus ihrem Leiden und ihrem Glück begründet werden. Das mitt- lerweile berühmt gewordene Zitat Singers zur Güterahwägung bei schwerstbehinderten Säuglingen lau- tet: "Sofern der Tod eines geschädig- ten Säuglings zur Geburt eines ande- ren Kindes mit besseren Aussichten auf ein glücklicheres Leben führt, ist die Gesamtsumme des Glücks grö- ßer, wenn der behinderte Säugling getötet wird." Damit würden die Selbstbeobachtung klar durch die Außenperspektive und Fremdent- scheidung ersetzt und die Entschei- dung über Leben und Tod eines be- hinderten Säuglings einer gesell- schaftlichen Güterahwägung unter- worfen.

~ Damals wie heute habe sich die Euthanasie schönfärberisch mit dem Mitleidsbegriff geschmückt.

Schon Binding und Hoche hätten ih- re volkswirtschaftlichen Nützlich- keitsüberlegungen damit kaschiert, daß sie bei den "unheilbar Blödsinni- gen" von unerträglichen Leiden sprachen und davon , daß deren Tod

"für sie eine Erlösung" sei. Singer, dessen Ethik seiner eigenen Darstel- lung nach in rationaler Güterahwä- gung besteht, beziehe sich ebenfalls

auf Mitleid und Sorge um die Lei- denden.

~ Damals wie heute sei das Ideal eine krankheits- und leidens- freie Gesellschaft. In der nationalso- zialistischen Ideologie seien die Op- fer der "Euthanasie" als "Mon- stren", als "leere Menschenhülsen",

als "massa carnis" oder als "Kreatu-

ren" bezeichnet worden, die nicht einmal mehr getötet, sondern nur noch vernichtet werden könnten.

Heute bezeichne Singer die Opfer seiner rationalen Lebensrechts-Ab- wägungen als Menschen, die keine Personeneigenschaften besäßen und deshalb unter hoch entwickelten Tie- ren stünden. Deshalb könnten sie nicht mehr getötet, sondern nur noch ausgelöscht werden. "Die Schwellen für die Täter werden damit damals wie heute herabgesetzt: es fällt leich- ter, eine ,leere Menschenhülse' oder einen ,Menschen ohne Personeigen- schaften' zu töten als einen Men- schen," stellt das Memorandum fest.

~ Damals wie heute sei eine Ausweitung auf immer mehr Grup- pen von Menschen festzustellen, die nicht mehr als lebenswert angesehen werden. Tendenzen zur Ausweitung zeigten sich heute beispielsweise bei den weitgefaßten Diagnoseberei- chen der Patientenverfügungen der

"Deutschen Gesellschaft für huma- nes Sterben". Darin werde eine

"schwere Dauerschädigung des Ge- hirns" als Indikation gegen die Er- haltung des Lebens angegeben.

Die Tendenz zur Ausweitung finde sich auch in den Schriften Sin- gers. Wollte er in seinen frühen Schriften lediglich anenzephale Kin- der unter seine Kategorie der Men- schen ohne Personeneigenschaften gerechnet wissen, so beziehe er in seinen jüngeren Veröffentlichungen bereits Kinder mit Spina bifida oder Down-Syndrom ein, sofern eine me- dizinische Komplikation vorliege.

Tendenzen zur Eskalation zeig- ten sich auch in der amerikanischen Diskussion um die Vorenthaltung von Nahrung und Flüssigkeitszufuhr, was viele Ärzte in den USA bereits

als "Abbruch lebenserhaltender

Maßnahmen" betrachten würden.

dazu das Memorandum: "In diesem Zusammenhang von mercy killing zu sprechen, von Gnadentod, ist der A-2878 (30) Dt. Ärztehl. 88, Heft 311, 5. Septernher 1991

glatte Hohn." Die "Bioethiker" grif- fen in ihrer Lebensunwert-Diskussi- on auch die Menschenrechtstraditi- on an, weil diese streng naturwissen- schaftlich-rational nicht begründbar sei. Im Gegensatz dazu ist der Ar- beitskreis zur Erforschung der

"Euthanasie"-Geschichte der An- sicht, daß die Menschenrechte unter großen Opfern erkämpft worden sei- en, sie "haben sich historisch be- währt und bedeuten einen entschei- denden Zuwachs an Humanität".

Die "Bioethik" verabsolutiere die Freiheit auf Kosten von Gleich- heit und GeschwisterlichkeiL Sie etabliere mit ihrer Forderung nach uneingeschränkter persönlicher Au- tonomie ein neues Menschenbild, das zentrale Menschenrechte außer Kraft setze.

Das Memorandum ist erhältlich beim Arbeitskreis zur Erforschung

der "Euthanasie" -Geschichte, Dr.

Michael Wunder, Himmelstraße 26, W-2000 Harnburg 60. Kli

FERNSEHKRITIK

Panorama (Dienstag, 27. Au- gust, ARD). Der Patient hat früher ständig seine Schlafanzüge zerrissen.

Um diese "Aggressivität" abzubauen, wurde er einer schweren Hirnopera- tion unterzogen. Seitdem dämmert der Mann apathisch in der Klinik Waldheim im Bezirk Leipzig dahin.

Hirnverstümmelungen und Röntgen- kastrationen mit völlig veralteten Geräten wurden in der ehemaligen DDR, wie der sorgfältig recherchier- te Beitrag des Magazins zeigte, re- gelmäßig ohne Einwilligung der Pa- tienten oder ihrer Angehörigen vor- genommen. Die meisten Ärzte, die diese unmenschlichen Operationen ausgeführt haben, praktizieren nach wie vor. Die Leipziger Staatsanwalt- schaft ermittelt seit einem Jahr.

Die schockierenden Bilder von den Operationen und den noch im- mer in der Klinik untergebrachten verstümmelten Patienten, die dem Fernsehteam von der - inzwischen ausgewechselten - Klinikleitung wie Tiere im Zoo vorgeführt wurden, verdeutlichten anschaulich die noch heute bestehenden Mißstände in der Psychiatrie der Ex-DDR. Kli

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