tionen erfaßt werden können, son- dern wegen ihres den einzelnen Be- handlungsfall übergreifenden Cha- rakters in eine „Hausarzt-Grundver- gütung" zusammengefaßt werden sollten. Nur auf den ersten Blick mag dies als Widerspruch zur der von uns angestrebten Einzelleistungsvergü- tung erscheinen. Tatsächlich aber basiert eine hausärztliche Grundver- gütung, sofern sie in sinnvoller Weise zusammengehörende Leistungs- schritte bündelt, auf der angemesse- nen Bewertung und Vergütung jeder einzelnen Leistung. Die so gefunde- ne Bewertung muß natürlich nach dem klassischen Prinzip der Einzel- leistungsvergütung weiterentwickelt werden. Insofern wäre diese Hono- rierung der Leistungskomplexe nichts anderes als eine Einzellei- stungsvergütung größerer Einheiten.
Daneben wird es nach wie vor haus- ärztliche Leistungen geben, die wei- terhin als separate Leistungen zu be- trachten und zu honorieren sind.
Dritter Lösungsansatz:
Neue hausärztliche Auf- gaben durch die Pflege Wenn nun wieder Stimmen laut werden sollten, die an Sparzwänge oder an angeblich noch nicht ausge- schöpfte Wirtschaftlichkeitsreserven erinnern, dann ist wirklich „Vogel Strauß" am Werk. Denn gute und leistungsstarke Versorgung zu er- warten und zugleich den Kopf in den Sand zu stecken, wenn es um die Be- reitstellung der notwendigen finan- ziellen Mittel geht, ist „Tischlein- Deck-Dich-Mentalität" mit den Ärz- ten als Bedienungspersonal.
Konkret: Wir alle wissen, daß in absehbarer Zeit noch größere Her- ausforderungen auf die ambulante Versorgung zukommen werden. Die Stichworte lauten: veränderte Le- bensbedingungen, veränderte Pa- tientenbedürfnisse, Überalterung der Bevölkerung — vor allem Pflege- bedürftigkeit und geriatrische Ver- sorgung. Die Politik erkennt einen derart großen Leistungsbedarf, daß sie eine eigenständige Pflegeversi- cherung für unverzichtbar hält. In diesem Zusammenhang ist die Fest- stellung interessant, daß derselbe
Bundesarbeitsminister, der sein Ge- sundheits-Reformgesetz und auch den darin enthaltenen Grundsatz der Beitragssatzstabilität mit nicht mehr zu verkraftenden Lohnneben- kosten begründet hatte, nun plötz- lich die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern für eine Pflegever- sicherung — umgerechnet auf „Lohn- stückkosten" — nicht mehr als gravie- rende Belastung für Arbeitsmarkt und Wirtschaft wertet.
Aus ökonomischer Sicht kann Norbert Blüm hier durchaus zuge- stimmt werden. Schon beim Gesund- heits-Reformgesetz war das Lohnne- benkosten-Argument mehr als frag- würdig. Konsequent zu Ende ge- dacht, muß die Forderung an Mini- ster Blüm und seine jetzt für die GKV zuständige Kollegin Gerda Hasselfeldt lauten: Notwendige Lei- stungen müssen angemessen finan- ziert und honoriert werden. Die Kas- senärzteschaft ist ohne Ausnahme für eine vernünftige Lösung der Pfle- geproblematik. Sie ist auch bereit, nach Kräften mitzuarbeiten.
Dies betrifft in erster Linie den Hausarzt. Wer sonst soll auf ärztli- cher Seite den politischen und ge- sellschaftlichen Anspruch „soviel ambulante, soviel häusliche Pflege wie möglich" verwirklichen? Der Hausarzt als erster Ansprechpartner wird behandeln, begleiten und bera- ten. Das sind wesentliche Leistun- gen, die den Arzt fordern, für die aber auch die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden müs- sen. Ärztliches Engagement kann auf Dauer nicht von der Substanz le- ben. An unserer Forderung, ärztli- che Leistungen wieder nach der ein- zig angemessenen Vergütungsform zu honorieren, führt kein Weg vor- bei. Die Einzelleistungsvergütung muß kommen, wenn die ambulante Versorgung auch in einigen Jahren noch die Leistungsfähigkeit aufbrin- gen soll, die ihr schon jetzt, aber ver- stärkt noch in der Zukunft abver- langt wird.
Anschrift des Verfassers
Dr. med. Ulrich Oesingmann Erster Vorsitzender der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3
5000 Köln 41
Memorandum gegen die neue Lebensunwert-Diskussion:
„Bioethik setzt Menschenrechte außer Kraft"
Vor dem „bioethischen" Stand- punkt des Australiers Peter Singer, der zwischen „lebenswertem" und
„lebensunwertem" Leben unter- scheidet, warnt der Arbeitskreis zur Erforschung der „Euthanasie"-Ge- schichte in einem „Memorandum ge- gen die neue Lebensunwert-Diskus- sion ", das unter anderem von Ärz- ten, Theologen und Historikern un- terzeichnet wurde. Die Verfasser der Schrift, Dr. Michael Wunder und In- grid Genkel (beide Hamburg), wol- len der „Bioethik" die Menschen- rechtstradition und damit ein bewah- renswertes Menschenbild entgegen- setzen. Helga Kuhse, eine Mitarbei- terin Singers hatte den „bioethi- schen" Standpunkt im Deutschen Ärzteblatt (16/1990) vorgestellt. Die- ser Artikel hatte eine heftige Leser- diskussion ausgelöst (DA 37 und 38/1990), in der vor allem die Begrif- fe „lebenswert" und „lebensunwert"
auf Kritik stießen.
Die Verquickung von Selbst- und Fremdbestimmung finde sich, so das Memorandum, schon 1920 bei dem Strafrechtler Karl Binding und dem Neuropsychiater Alfred E. Ho- che in ihrer heute wieder verbreite- ten Schrift „Die Freigabe der Ver- nichtung lebensunwerten Lebens — ihr Maß und ihre Form". Binding und Hoche hätten darin die rechtlich erlaubte Tötung für Schwerkranke mit „Wunsch nach Erlösung", für Bewußtlose und „unheilbar Blödsin- nige" befürwortet (vgl. die Serie Me- dizin im Nationalsozialismus, DA 17/1988 ff. — Besonders Rolf Winau:
Die Freigabe der Vernichtung „le- bensunwerten"
Lebens, DA 7/1989).
In den meisten Bundesstaaten der USA, in denen es zu Teil-Legali- sierungen gekommen sei (Living- will-Gesetze), werde die vorgeschrie- Dt. Ärztebl. 88, Heft 36, 5. September 1991 (29) A-2877
bene Bindung der Lebenserhalts- Entscheidung an die persönliche Einwilligung immer mehr ausge- höhlt. Weil keiner "leiden" solle, müßten Expertenkommissionen für diejenigen bestimmen, die sich nicht entscheiden können, die verwirrt sind oder die keine Einwilligung un- terschrieben haben. Damit kehre die Euthanasie-Bewegung besonders in fortgeschrittenen Gesellschaften zu ihrer Doppelgesichtigkeit zurück.
~ Damals wie heute gehe es im Kern um eine Wertbestimmung des Menschen. Diese sei im Nationalso- zialismus eine gesellschaftliche Ko- sten-Nutzen-Abwägung für die
"Volksgemeinschaft" und die "Erb- gesundheit" gewesen. Heute sei die- se Wertbestimmung eingekleidet in eine individuelle Abwägung soge- nannter Lebensqualität, die jedoch nur allzu deutlich ihre fremdbe- stimmte Bewertung menschlichen Lebens zeige. Die Entscheidung über Nichtbehandlung oder die ,,le- tal injection" für schwerstbehinderte Neugeborene solle nach Ansicht Sin- gers aus ihrem Leiden und ihrem Glück begründet werden. Das mitt- lerweile berühmt gewordene Zitat Singers zur Güterahwägung bei schwerstbehinderten Säuglingen lau- tet: "Sofern der Tod eines geschädig- ten Säuglings zur Geburt eines ande- ren Kindes mit besseren Aussichten auf ein glücklicheres Leben führt, ist die Gesamtsumme des Glücks grö- ßer, wenn der behinderte Säugling getötet wird." Damit würden die Selbstbeobachtung klar durch die Außenperspektive und Fremdent- scheidung ersetzt und die Entschei- dung über Leben und Tod eines be- hinderten Säuglings einer gesell- schaftlichen Güterahwägung unter- worfen.
~ Damals wie heute habe sich die Euthanasie schönfärberisch mit dem Mitleidsbegriff geschmückt.
Schon Binding und Hoche hätten ih- re volkswirtschaftlichen Nützlich- keitsüberlegungen damit kaschiert, daß sie bei den "unheilbar Blödsinni- gen" von unerträglichen Leiden sprachen und davon , daß deren Tod
"für sie eine Erlösung" sei. Singer, dessen Ethik seiner eigenen Darstel- lung nach in rationaler Güterahwä- gung besteht, beziehe sich ebenfalls
auf Mitleid und Sorge um die Lei- denden.
~ Damals wie heute sei das Ideal eine krankheits- und leidens- freie Gesellschaft. In der nationalso- zialistischen Ideologie seien die Op- fer der "Euthanasie" als "Mon- stren", als "leere Menschenhülsen",
als "massa carnis" oder als "Kreatu-
ren" bezeichnet worden, die nicht einmal mehr getötet, sondern nur noch vernichtet werden könnten.
Heute bezeichne Singer die Opfer seiner rationalen Lebensrechts-Ab- wägungen als Menschen, die keine Personeneigenschaften besäßen und deshalb unter hoch entwickelten Tie- ren stünden. Deshalb könnten sie nicht mehr getötet, sondern nur noch ausgelöscht werden. "Die Schwellen für die Täter werden damit damals wie heute herabgesetzt: es fällt leich- ter, eine ,leere Menschenhülse' oder einen ,Menschen ohne Personeigen- schaften' zu töten als einen Men- schen," stellt das Memorandum fest.
~ Damals wie heute sei eine Ausweitung auf immer mehr Grup- pen von Menschen festzustellen, die nicht mehr als lebenswert angesehen werden. Tendenzen zur Ausweitung zeigten sich heute beispielsweise bei den weitgefaßten Diagnoseberei- chen der Patientenverfügungen der
"Deutschen Gesellschaft für huma- nes Sterben". Darin werde eine
"schwere Dauerschädigung des Ge- hirns" als Indikation gegen die Er- haltung des Lebens angegeben.
Die Tendenz zur Ausweitung finde sich auch in den Schriften Sin- gers. Wollte er in seinen frühen Schriften lediglich anenzephale Kin- der unter seine Kategorie der Men- schen ohne Personeneigenschaften gerechnet wissen, so beziehe er in seinen jüngeren Veröffentlichungen bereits Kinder mit Spina bifida oder Down-Syndrom ein, sofern eine me- dizinische Komplikation vorliege.
Tendenzen zur Eskalation zeig- ten sich auch in der amerikanischen Diskussion um die Vorenthaltung von Nahrung und Flüssigkeitszufuhr, was viele Ärzte in den USA bereits
als "Abbruch lebenserhaltender
Maßnahmen" betrachten würden.
dazu das Memorandum: "In diesem Zusammenhang von mercy killing zu sprechen, von Gnadentod, ist der A-2878 (30) Dt. Ärztehl. 88, Heft 311, 5. Septernher 1991
glatte Hohn." Die "Bioethiker" grif- fen in ihrer Lebensunwert-Diskussi- on auch die Menschenrechtstraditi- on an, weil diese streng naturwissen- schaftlich-rational nicht begründbar sei. Im Gegensatz dazu ist der Ar- beitskreis zur Erforschung der
"Euthanasie"-Geschichte der An- sicht, daß die Menschenrechte unter großen Opfern erkämpft worden sei- en, sie "haben sich historisch be- währt und bedeuten einen entschei- denden Zuwachs an Humanität".
Die "Bioethik" verabsolutiere die Freiheit auf Kosten von Gleich- heit und GeschwisterlichkeiL Sie etabliere mit ihrer Forderung nach uneingeschränkter persönlicher Au- tonomie ein neues Menschenbild, das zentrale Menschenrechte außer Kraft setze.
Das Memorandum ist erhältlich beim Arbeitskreis zur Erforschung
der "Euthanasie" -Geschichte, Dr.
Michael Wunder, Himmelstraße 26, W-2000 Harnburg 60. Kli
FERNSEHKRITIK
Panorama (Dienstag, 27. Au- gust, ARD). Der Patient hat früher ständig seine Schlafanzüge zerrissen.
Um diese "Aggressivität" abzubauen, wurde er einer schweren Hirnopera- tion unterzogen. Seitdem dämmert der Mann apathisch in der Klinik Waldheim im Bezirk Leipzig dahin.
Hirnverstümmelungen und Röntgen- kastrationen mit völlig veralteten Geräten wurden in der ehemaligen DDR, wie der sorgfältig recherchier- te Beitrag des Magazins zeigte, re- gelmäßig ohne Einwilligung der Pa- tienten oder ihrer Angehörigen vor- genommen. Die meisten Ärzte, die diese unmenschlichen Operationen ausgeführt haben, praktizieren nach wie vor. Die Leipziger Staatsanwalt- schaft ermittelt seit einem Jahr.
Die schockierenden Bilder von den Operationen und den noch im- mer in der Klinik untergebrachten verstümmelten Patienten, die dem Fernsehteam von der - inzwischen ausgewechselten - Klinikleitung wie Tiere im Zoo vorgeführt wurden, verdeutlichten anschaulich die noch heute bestehenden Mißstände in der Psychiatrie der Ex-DDR. Kli