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Archiv "Vierter Ärzteblatt-Wortwechsel: Rösler im kollegialen Verhör" (12.11.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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12. November 2010 A 2205

R

ösler kommt“: Bereits eine halbe Stunde vor Beginn des vierten „Wortwechsels“ des Deut- schen Ärzteblattes (DÄ) am 2. No- vember war der große Hufeland-Hör- saal im Bettenhaus der Charité – Uni- versitätsmedizin Berlin gut gefüllt.

Knapp 500 Medizinstudierende so- wie Ärztinnen und Ärzte lockte die Möglichkeit, Bundesgesundheits- minister Dr. med. Philipp Rösler (FDP) persönlich Fragen zu stellen.

„Das ist meine erste Berührung mit der politischen Seite der Medi- zin“, sagt Saineb Alaa Eddine, Medi- zinstudentin irakischer Herkunft im ersten Semester. „Ich bin gespannt, wie der Minister die ärztliche Ver - sorgung in den ländlichen Gebieten Brandenburgs gewährleisten will.“

Über ihre Zukunft als Ärztin will sich auch Studentin Barbara Wille informieren, die ihren zweijährigen Sohn zum DÄ-Wortwechsel mitge- bracht hat: „Ich hoffe, der Minister sagt auch etwas zum Numerus clau- sus.“ Röslers Vorschlag, ihn für die

Medizin abzuschaffen, hält sie für falsch. Die Studentin des neuen Ber- liner Modellstudiengangs ist über- zeugt: „Das würde nur eine hohe Ab- bruchquote nach sich ziehen.“ Ant- worten des Ministers auf Probleme speziell bei der hausärztlichen Ver- sorgung erhofft sich hingegen Ben - jamin Lott, Weiterbildungsassistent Allgemeinmedizin aus Berlin.

Frustrierende Papierflut

Tatsächlich standen an diesem Abend nicht gesetzgeberische De- tails zur Debatte, sondern die alltäg- lichen Probleme von Ärzten und Stu- dierenden. Auf den Punkt gebracht wurden sie von der Weiterbildungs- assistentin Andrea Wiese, der Stu- dentin Katharina Hofheinz, dem nie- dergelassenen internistischen Onko- logen Dr. med. Wolfgang Abenhardt und der Hausärztin Beate Mälzer.

Letztere kritisierte Rösler gegenüber den enormen Verwaltungsaufwand im Praxisalltag. Hierzu hatte die Ber- liner Hausärztin gleich einen Stapel

an Formularen mitgebracht: „Dies ist nur eine Auswahl dessen, was wir je- den Tag auszufüllen und zu bearbei- ten haben.“ Für absurd hält sie For- mulare, wie das Muster 60. „Dies braucht man nur, um das Muster 61 zu beantragen, also der Antrag für den Antrag auf medizinische Rehabi- litation.“ Damit nicht genug: Für Chroniker müssen aufgrund der bü- rokratischen Vorgaben viele Einzel- rezepte ausgestellt werden, anstatt al- le Verordnungen zusammen aufzu- schreiben. „Bei einem Typ-II-Diabe- tiker sind das bis zu 17 Formulare und Rezepte, die Sie am Quartalsan- fang auszufüllen haben“, unterstrich Abenhardt, Mitinhaber des Medizi- nischen Versorgungszentrums Mün- chener Onkologische Praxis Elisen- hof in München. „Sie haben uns doch versprochen, Bürokratie abzu- bauen, Herr Minister.“

„In der Tat gibt es viele Formula- re“, bestätigte Rösler, „aber die meis- ten stammen ja nicht vom Ministe - rium, sondern von den Kassen, und VIERTER ÄRZTEBLATT-WORTWECHSEL

Rösler im kollegialen Verhör

Was sagt der Bundesgesundheitsminister zu der unerträglichen Bürokratie in Praxis und Klinik? Was zu den Perspektiven der Medizin- studenten? Philipp Rösler stellte sich – und blieb länger als geplant.

Fotos: Georg J. Lopata

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12. November 2010 einige auch von der Selbstverwal-

tung.“ Das grundlegende Problem hinter Vorschriften und Formularen sei allerdings, dass man denen, die behandelten, nicht vertraue. Diese Mentalität müsse sich ändern. „Ich muss Ihnen vertrauen, dass Sie das, was Sie gelernt haben, auch anwen- den. Und das müssen auch die Kassenärztlichen Vereinigungen“, bekräftigte der Minister. Ein erster Schritt sei, das Zweitmeinungsver- fahren bei der Verschreibung so - genannter besonderer Arzneimittel abzuschaffen, wie im Arzneimittel- marktneuordnungsgesetz vorgese- hen. Bei allen Bemühungen um weniger Bürokratie dürfe man aber auch nicht vergessen: „Wenn etwas schiefgeht, dann fragen alle: ‚War - um wurde das nicht besser kontrol- liert?‘“ Deshalb könne auf ein ge- wisses Maß an Kontrolle und damit auch an Formularen nicht verzichtet werden.

Für Abenhardt grenzt der heutige Zustand an „bürokratische Schika- ne“. „Durch den morbiditätsorien- tierten Strukturausgleich (Morbi- RSA) gibt es keine selbst geschrie- benen Diagnosen mehr, sondern man muss alles nach ICD-10 codie- ren – und das bis in die letzte Stelle hinein.“ Gerade in der Onkologie sei dies jedoch wenig sinnvoll: „Da der ICD-10-Code keine Aussage über die T-Stadien gibt, ist er gar nicht in der Lage, die Morbidität ab- zubilden, die die Kassen brauchen.“

Das Problem sei die hohe Zahl der Morbi-RSA-relevanten Krankheiten, sagte Rösler. Und versprach: „Wir wollen sehen, ob wir das vereinfa- chen können.“ Er stellte aber auch klar, dass es nicht ohne Dokumen - tation gehen wird. Aber man könne versuchen, Daten besser zusammen-

zuführen. Beispielsweise müssten für einen onkologische Patienten die Da- ten parallel an mehrere Stellen gege- ben werden – an die Krankenkasse, an das Krebsregister et cetera. Durch bessere Abstimmung könnte hier Bü- rokratie abgebaut werden. Rösler betonte, dafür sei aber auch die Mit- arbeit der Ärzte notwendig: „Gerade der ambulante Bereich hinkt hinter- her, wenn es um moderne Telematik geht.“ Doch gerade diese sei in der Lage, vieles zu vereinfachen.

Kein Aus für die Praxisgebühr Die Allgemeinmedizinerin Mälzer verwies darauf, dass auch die Praxis- gebühr einen enormen Verwaltungs- aufwand bedeute, der durchaus in die Verantwortung des Ministeriums fal- le. „Für Ärzte ist das ein durchlau- fender Posten, der viel Zeit unserer Mitarbeiter in Anspruch nimmt.“

Man müsse Gelder für die Kassen einziehen, die das ja ebenso gut selbst tun könnten: „Wie lange soll dieser Spuk noch dauern?“

„Die Praxisgebühr bringt der ge- setzlichen Krankenversicherung 1,5 Milliarden Euro im Jahr“, antworte- te Rösler. „Angesichts der Finanzsi- tuation kann ich nicht versprechen, dass wir darauf verzichten werden.“

Aber die Koalition habe ein unbü- rokratisches Einziehungsverfahren verabredet. „Es gibt Modelle, die Praxisgebühr über die elektronische Gesundheitskarte automatisch ein- ziehen zu lassen – ähnlich wie man auch im Internet über spezielle Dienste abrechnen kann.“ Dafür müsse die elektronische Gesund- heitskarte allerdings weiter verbrei- tet und von mehr Praxen akzeptiert werden, betonte der Minister.

Neben der Bürokratie ist die komplizierte und unsichere Abrech- nungssystematik ein alltägliches Problem der niedergelassenen Ärz- te. „Wir haben viele verschiedene Regelwerke für die Honorarabrech- nung: den Einheitlichen Bewer- tungsmaßstab (EBM), die Amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), Mit Bundesge-

sundheitsminis- ter Philipp Rösler

diskutierten: (von links nach rechts) Wolfgang Aben- hardt, Beate Mälzer,

Katharina Hofheinz und Andrea Wiese

(ganz rechts).

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12. November 2010 A 2207 die Gebührenordnung für Ärzte für

die Leistungs- und Kostenabrech- nung mit den gesetzlichen Unfallver- sicherungsträgern (UV-GOÄ) und so weiter“, sagte Mälzer. Man werde nach komplizierten Regeln bezahlt und erfahre erst nach vier Monaten, wie viel man im letzten Quartal ver- dient habe. „Wir sind aber selbst- ständig und tragen in der Zeit das volle finanzielle Risiko, müssen Mieten und Personal bezahlen. Wir brauchen keine vier Gebührenord- nungen, sondern nur eine“, stellte die Hausärztin fest. Rösler stimmte ihr zu: „Die Zufriedenheit liegt nicht nur in der Höhe der Vergütung, sondern auch im Gefühl, gerecht entlohnt zu werden.“ Deshalb wolle er im kom- menden Jahr ein klares, einfaches und transparentes Honorarsystem auf den Weg bringen.

Unzufriedenheit brächten aber auch die vielen Verwaltungsaufga- ben im Krankenhaus, ergänzte Wie- se, Weiterbildungsassistentin in der Unfallchirurgie/Orthopädie am Uni-

versitätsklinikum Aachen. „Sortie- ren von Akten, Codieren, Telefonie- ren mit Kostenträgern – habe ich da- für Medizin studiert?“, fragte sie.

Beim Minister lief sie damit offene Türen ein, wenngleich er auf die Verantwortung der Krankenhäuser verwies. „Es macht Sinn, zusätzli- che Verwaltungskräfte einzustellen und Aufgaben an medizinische Fachberufe zu delegieren“, entgeg- nete Rösler. Dies betone er auch im- mer im Gespräch mit den Kranken- hausgesellschaften. Die Qualität der ärztlichen Weiterbildung müsse sich dringend verbessern. „Sonst kann ich so viel Medizinstudienplätze schaffen, wie ich will – die jungen Ärzte werden nicht an den Kranken- häusern bleiben.“

Weitere Kritikpunkte Wieses wa- ren eine mangelnde Wertschätzung an deutschen Krankenhäusern sowie Schwierigkeiten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. „Ärzte sollten ihren Beruf lieben. Was kann die Politik dafür tun?“, fragte sie den Minister. Er sei im Gespräch mit dem Verband der leitenden Kranken- hausärzte, erwiderte dieser. „Denn die Zeiten, in denen sich die Ärzte anschreien ließen und die Männer operierten, während sich die Frauen um die Kinder kümmerten, sind vor- bei.“ Dabei verwies Rösler auf seine Frau, eine Internistin in Weiterbil- dung. „Es war für sie nicht leicht, nach der Geburt unserer Zwillinge eine Stelle zu finden, bei der sie halbtags arbeiten konnte“, berichtete er. „Zwei Wochen voll, zwei Wochen frei“, so habe zunächst das Angebot einer Klinik gelautet. „Die Kranken- häuser müssen ihre Stellen attraktiv gestalten, sonst werden sie keinen Nachwuchs mehr bekommen“, ist der Bundesgesundheitsminister über- zeugt. Dem könne man nur mit Flexibilität entgegenwirken.

Um die Qualität des Medizinstu- diums sorgt sich Katharina Hof- heinz, Medizinstudentin im siebten Semester des Berliner Regelstu- diengangs. Auf das Führen ärztli- cher Gespräche beispielsweise wür- den die Studierenden unzureichend vorbereitet. Ändern an der medizi- nischen Ausbildung möchte der Minister in nächsten Zeit jedoch nichts. „Jetzt treten die ersten Ab-

solventen nach der Reform der ärzt- lichen Approbationsordnung im Jahr 2003 in den Beruf ein. Da soll- te man erst mal abwarten, wie diese gewirkt hat“, meinte er.

Mehr Studienplätze benötigt Grundsätzlich zeigte sich Rösler auch weiterhin davon überzeugt, dass man auf die Qualität des künf - tigen medizinischen Nachwuchses bereits bei der Zulassung zum Medi- zinstudium Einfluss nehmen könnte.

„Die Qualität eines Arztes hängt nicht von seinem Abiturnotendurch- schnitt ab“, sagte er. Die Universi - täten müssten ihre Möglichkeiten, weitere Auswahlkriterien hinzuzie- hen, intensiver nutzen, forderte er.

Gleichwohl versuche er gemeinsam mit Bundesbildungsministerin An- nette Schavan (CDU), die Länder zu überzeugen, noch mehr Medizinstu- dienplätze zu schaffen.

Studierende waren mit dieser Antwort nicht ganz zufrieden: „Lei- der hat der Minister nicht konkret gesagt, wann es mehr Studienplätze geben soll“, bedauerte Alaa Eddine.

Rösler habe „viel geredet, aber we- nig gesagt“. Enttäuscht zeigte sich auch Lott, der in etwa einem Jahr die Hausarztpraxis seiner Eltern in Berlin-Charlottenburg übernehmen will: „Rösler hat zu oft die Verant- wortung anderen Organisationen zu- geschoben, anstatt sich für eine Än- derung der Strukturen einzusetzen.“

Hausbesuche beispielsweise blieben angesichts der geringen Vergütung nach wie vor ein wirtschaftliches Risiko für Allgemeinmediziner, ob- wohl sie eigentlich viele teure Ret- tungseinsätze verhindern könnten.

Ansonsten konnte man nach dem Ärzteblatt-Wortwechsel in viele zu- friedene Gesichter blicken. Rösler ließ sich von der angenehmen At- mosphäre anstecken und blieb noch mehr als eine Stunde im Gespräch mit Studierenden und jungen Ärz- ten. Auch Wille hatte mit ihrem Kind der gesamten Diskussion bei- gewohnt. Trotz noch offener Fra- gen, blickt sie positiv in die Zu- kunft. „Ich bin überzeugt, dass ich die richtige Berufswahl getroffen habe“, konstatierte sie. ■

Dr. rer. nat. Marc Meißner Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Der Ärzteblatt-

Wortwechsel traf offensicht- lich den Nerv der Zeit: Fast 500 Teilnehmer drängten sich in den Hufeland- Hörsaal der Cha- rité.

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