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Archiv "Das Syndrom des toxischen Schocks" (08.12.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Das Syndrom

des toxischen Schocks

Karl-J. Wießmann

N

eunzehnhundertachtundsiebzig beschrieben Todd und Fishaut bei sieben Jugendlichen eine Er- krankung, die durch hohes Fie- ber, Kopfschmerzen, Verwirrt- heit, Konjunktivitis, ein skarlatiniformes Exan- them, Ödeme, Erbrechen, Diarrhöen, Oligurie mit Anzeichen eines akuten Nierenversagens, Leberfunktionsstörungen, Gerinnungsanoma- lien und einen prolongierten Schock gekenn- zeichnet war, und prägten hierfür den Begriff

„toxic shock syndrome" (TSS). Als Ursache fanden sich lokal begrenzte Staphylokokkenin- fekte .

Die Pathogenität verschiedener Staphylo- kokkentoxine wurde zwar bereits 1901 von Neis- ser und Wechsberg erkannt, Mitteilungen über Erkrankungen, die retrospektiv als TSS gedeu- tet werden müssen ( „Staphylokokkenschar- lach"), erschienen aber nur sporadisch seit Mit- te der zwanziger Jahre. Erst die explosionsartige Zunahme des TSS in den USA bei jungen und bis dahin gesunden Frauen während der Men- struation, wenn Tampons benutzt wurden, rück- te die Erkrankung in den Mittelpunkt wissen- schaftlichen und öffentlichen Interesses. Bis 1985 wurden mehr als tausend Publikationen zu dieser Krankheitsentität gezählt (1, 2).

Ätiologie

Der Infekt durch Staphylokokkus aureus bleibt in den meisten Fällen des TSS auf den Fo- cus begrenzt, und der Erreger erscheint nur in Ausnahmefällen einmal in der Blutkultur. Das Exotoxin TSST-1 mit einem Molekulargewicht von 24 000 Dalton wird jedoch absorbiert und stimuliert die Freisetzung von Interleukin 1 und Tumor-Nekrose-Faktor. Es ist bei langsamer Resorption hochgradig toxisch (150 !ig töten ein Kaninchen) und gemeinsam mit der Hypotonie verantwortlich für die Multiorganschädigung.

Die besondere Häufung der Erkrankungen zu

Beginn der achtziger Jahre wird mit der Ver- wendung neuartiger hochgradig saugfähiger Tampons aus Polyesterschaum mit eingebetteter Karboxymethylzellulose oder auch aus Poly- acrylfasern in Verbindung gebracht. Kass und Personnet (3) sehen in den ionenaustauschen- den Eigenschaften dieser Materialien für Ma- gnesium die Ursache: Der Verlust an Mg+ + fördert die Toxinbildung durch Staphylokokkus aureus, während ein Überschuß sie hemmt.

Nach der Rücknahme dieser Tampons vom Markt ist auch die Inzidenz des TSS rückläufig.

Dennoch treten weiterhin zwei Drittel der Er- krankungen gegen Ende der Menstruation auf.

Die restlichen sind durch Staphylokokkeninfek- te anderer Lokalisation bedingt

Definition

Da es bislang keinen eindeutigen laborche- mischen Nachweis gibt — die Bestimmung des Toxins TSST-1 erwies sich als zu wenig spezi- fisch —, hat das „Center of Disease Control" , Atlanta, die typischen Symptome zusammenge- stellt und hiernach für klinische und experimen- telle Zwecke eine Definition erarbeitet (nach Reingold et al., zitiert nach 1: Folgende vier Hauptkriterien müssen erfüllt sein:

■ Fieber über 38,9°C,

■ diffuses makuläres Exanthem,

■ Hypotension (590 mmHg systolisch) oder orthostatische Synkope,

■ Hautschuppung ein bis zwei Wochen nach Krankheitsbeginn, besonders an den Handflächen und Fußsohlen.

Von den sieben Anzeichen einer Multior- ganbeteiligung müssen drei zutreffen:© gastro- intestinal: Erbrechen oder Diarrhöen zu Krank- heitsbeginn; ® Muskel: schwere Myalgie oder CK-Anstieg; ® Schleimhaut: vaginale, oropha- ryngeale oder konjunktivale Hyperämie; ® re- nal: Harnstoff-N- oder Kreatininerhöhung oder Leukozyturie ohne Harnwegsinfekt; C hepa- A-3520 (56) Dt. Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988

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tisch: Bilirubin-, GOT- und GPT-Erhöhung; C) hämatologisch: Thrombozytopenie 5_100 000;

(1) ZNS: Desorientiertheit oder Verwirrung oh- ne fokale neurologische Zeichen.

Klinik

Das menstruationsgebundene TSS befällt vorwiegend junge Frauen im Alter von 15 bis 25 Jahren einige Tage nach Beginn der Menstrua- tion. Meist werden Tampons verwendet. Die nicht menstruellen Formen gehen mit vielfälti- gen mehr oder minder schweren Staphylokok- keninfekten einher (postpartal, nach chirurgi- scher Wundversorgung, Abszesse, Osteomyeli- tis, Lymphadenitis, Pneumonie und Empyem).

Häufiger sind infizierte Hauterkrankungen die Ursache, gelegentlich eine Nasentamponade aufgrund einer Blutung.

Fieber, Myalgien und Arthralgien, Kopf- schmerzen, Somnolenz, wäßrige Diarrhöen und Erbrechen sind die klinischen Hauptsymptome.

Bei der Untersuchung imponieren ein Erythem oder Exanthem, das an einen Sonnenbrand oder an Scharlach erinnern kann, und die Hypotonie.

Die Konjunktiven sind gerötet. Peritonitische Zeichen kommen vor. Die typische Hautschup- pung beginnt nach ca. einer Woche an den Handflächen und Fußsohlen.

Der Verlauf kann von geringem Unwohlsein bis hin zu Bewußtseinsstörungen und Schock- symptomen jeden Schweregrad annehmen. Zir- ka drei bis vier Prozent der Patienten sterben noch an den Folgen eines Multiorganversagens, nachdem anfangs über eine wesentlich höhere Letalität berichtet wurde.

Neben den in der Definition aufgezählten Organsystemen können auch die Lunge im Sin- ne eines ARDS (Syndrom der Schocklunge) und das Herz mit Anzeichen einer Myokarditis rich- tunggebend betroffen sein. Laufende Kontrol- len der Blutgase und des EKG sind ebenso not- wendig wie die Überwachung der anderen ge- nannten Organsysteme. Über ihre Beteiligung, soweit diese an den Laborwerten abzulesen ist, schwanken die Literaturangaben erheblich (6).

Regelmäßig werden eine Leukozytose, Leuko- zyturie und eine metabolische Azidose beschrie- ben, auch Gerinnungsstörungen im Sinne einer Verbrauchskoagulopathie. Ein Anstieg der Le- berwerte und des Kreatinins findet sich in mehr als der Hälfte der Patienten. Bei der Mehrzahl kommen eine Proteinurie, Leukozyturie und Mikrohämaturie vor, ohne Keimnachweis in der Urinkultur. Während sich die meisten Organ- funktionen nach Überwindung der kritischen Krankheitsphase in der Regel schnell normali-

sieren, so können, wenn auch in seltenen Fällen, Merkfähigkeitsstörungen und Rechenschwierig- keiten längere Zeit andauern. Auch über blei- bende Nierenschäden wird berichtet.

Differentialdiagnose

Aufgrund fehlender spezifischer Laborpara- meter und sehr unterschiedlicher Schweregrade mit durchaus auch unvollständiger Symptomatik im Sinne der Definition gewinnt die Differen- tialdiagnose besondere Bedeutung.

Streptokokkeninfektionen mit skarlatinifor- mem Exanthem können ähnlich verlaufen wie das TSS. Auch das Enanthem (Himbeerzunge) ist differentialdiagnostisch nicht zu verwerten, da es auch beim TSS in den meisten Fällen auf- tritt. Allerdings sind Schockzustände und Multi- organbeteiligung bei Streptokokkeninfekten sehr selten.

Das Kawasaki-Syndrom betrifft Kinder und Jugendliche. Das Erythem ist hier allerdings eher makulopapulär. Leptospirose und Röteln lassen sich ebenfalls bereits an den petechialen beziehungsweise makulopapulären Hauterschei- nungen unterscheiden, zusätzlich ist aber der se- rologische Ausschluß notwendig.

Fehlt die Erythrodermie, so ist am ehesten an eine Sepsis zu denken, vor allem durch gram- negative Erreger.

Bei mildem Verlauf würde wohl mancher Casus übersehen werden, wenn die Diagnose ausschließlich anhand der in der Definition auf- gezählten strengen Kriterien gestellt würde. Der kulturelle Nachweis von S. aureus im Vaginal- abstrich oder in dem vermuteten Fokus anderer Lokalisation kann in Zweifelsfällen den ent- scheidenden Hinweis liefern.

Therapie

Die Behandlung besteht in erster Linie in der Sanierung des Fokus und der Schockbe- handlung. Letztere erfolgt symptomorientiert (Hypotension), und reicht von der Infusion phy- siologischer Kochsalzlösung bis zur Anwendung von Dopamin und Dobutrex. Elektrolytstörun- gen und Multiorganbeteiligung erfordern eine intensivmedizinische Betreuung.

Zur Herdsanierung ist bei dem menstruellen TSS die Entfernung des Tampons im allgemei- nen ausreichend Eine antibiotische Therapie mit einem penicillasefesten Penicillin (z. B.

Flucloxacillin), Clindamycin oder Vancomycin ist bei schweren Fällen indiziert sowie bei allen nicht menstruellen Formen des TSS, neben der selbstverständlich notwendigen Herdsanierung.

Dt. Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988 (59) A-3521

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Die Rate überwiegend milde verlaufender Rezi- dive des menstruellen TSS ist mit 20 bis 30 Pro- zent recht hoch.

Eine vorbeugende antibiotische Behandlung soll zwar auch die Rezidivrate des menstruellen TSS mindern, die Empfehlung, auf Tampons zu verzichten, wird aber im allgemeinen zur Pro- phylaxe ausreichen.

Besonders gefährdet erscheinen Patienten, bei denen im Serum keine Antikörper gegen das TSS-Toxin nachgewiesen werden können.

Epidemiologie

Als das TSS Anfang der achtziger Jahre in den USA seinen Häufigkeitsgipfel erreichte (im Juni 1983 waren 2204 Fälle registriert), wurden dort 6 bis 14 Erkrankungen auf 100 000 men- struierende Frauen pro Jahr errechnet. Nur in vier bis-fünf Prozent der Fälle waren männliche Patienten betroffen.

In Europa ist das TSS wesentlich seltener, und die Mitteilungen aus dem deutschsprachi- gen Raum beschränken sich auf Einzelbeobach- tungen (Übersicht bei 4, 5). 1980 traten 93 Pro- zent des TSS während der Menses auf, 1983 noch 73 Prozent. Dieser Rückgang verläuft pa- rallel zur Inzidenz, die nach der freiwilligen Zu-

rücknahme hochsaugfähiger Tampons vom Markt Ende 1980 um die Hälfte zurückging.

Nicht alle menstruellen TSS lassen sich durch den Gebrauch von Tampons erklären. Auch an- tikonzeptive Schwämme, Spiralen und postpar- tale Infektionen kommen in Betracht.

Eine allgemeine Empfehlung gegen die An- wendung von Tampons kann man mit der Ge- fahr eines drohenden toxischen Schocks aber kaum begründen, dazu tritt die Erkrankung hierzulande zu selten auf. Der hauptsächlich an- geschuldigte Supertampon (Handelsname: Re- ly®) war in der Bundesrepublik nicht im Handel.

Literatur

1. Greenman, R. L. and R. P. Immerman: Toxic shock syndrome.

What have we learned? Postgrad Med 8 (1987) 147-160 2. Hirsch, M. L. and E. H. Kass: An annotated bibliography of

toxic shock syndrome. Rev Infect Dis 8, Suppl 1 (1986) 1-104 3. Kass, E. H. and J. Parsonnet: On the Pathogenesis of Toxic

Shock Syndrome. Rev Infect Dis 9, Suppl 5 (1987) 482-489 4. Niebel, J.: Das Toxinschock-Syndrom. Internist 24 (1983)

638-647

5. Schwarting, K.; T. Mansky und K.-J. Wießmann- Das toxische Schocksyndrom. Internist Prax 28 (1988) 287-294

6. Wager, G. P.: Toxic shock syndrome: A review. Am J Obstet Gynecol 146 (1983) 93-102

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Karl-J. Wießmann Klinik für Innere Medizin

Medizinische Universität zu Lübeck Ratzeburger Allee 160 • 2400 Lübeck 1

Schlaganfall und KHK bei milder Hypertonie

Vom britischen Medical Re- search Council wurden Analysen zur Studie der Arzneimitteltherapie bei milder Hypertonie zur detaillierten Information über die günstigen Aus- wirkungen der Behandlung in diver- sen Untergruppen durchgeführt.

Die vier Hauptprämissen bei der Aufstellung einer rationalen Therapie waren:

1. eine deutliche Senkung der Schlaganfall-Häufigkeit durch aktive Behandlung;

2. das Fehlen einer signifikanten Gesamtwirkung der Behandlung auf den Myokard-Infarkt;

3. das Wissen, daß von 100 unbe- handelten Patienten der höchsten Risikogruppe (Patienten im Alter von 55 bis 64 Jahren mit systoli- schem Bluthochdruck, die zu Beginn der Studie rauchten) innerhalb von fünf Jahren fünf Patienten einen Schlaganfall und zehn Patienten ei-

ne Koronarerkrankung bekommen würden, und

4. die Kosten der verlängerten Be- handlung - sowohl hinsichtlich der Dauer des Klinikaufenthaltes als auch finanziell gesehen.

In der Gruppe mit hohem Risi- ko würde die Behandlung der 100 Patienten mit Bendrofluazid in der

FÜR SIE REFERIERT

Verhütung von drei oder vier der fünf Schlaganfälle resultieren, hätte jedoch wenig Auswirkungen auf die erwartete Anzahl der Myokardin- farkte. Die Behandlung mit Propra- nolol bei nichtrauchenden Männern in der höchsten Alters- und Blut- druckkategorie würde zu einer Re- duktion der Zahl der Schlaganfall- Patienten von drei auf einen oder zwei führen und könnte die Zahl der

Myokardinfarkte von sieben auf vier reduzieren. Mit Propranolol behan- delte Raucher hätten vermutlich kei- ne Vorteile.

Bei Frauen waren die Betrach- tungen zur Schlaganfallverhütung ähnlich wie die bei Männern; bei der Wirkung der Senkung des Bluthoch- drucks zur Verhütung von Myokard- infarkten bei Frauen war keine klare Aussage möglich. Arzneimittelbe- handlung reduziert - so das Ergebnis der Autoren - die Zahl bestimmter Anfälle bei leichtem Bluthochdruck, sollte jedoch nicht routinemäßig für alle Patienten mit dieser Erkran- kung empfohlen werden. Jhn

Medical Research Council Working Party:

Stroke and coronary heart disease in mild hypertension: risk factors and the value of treatment, Brit. Med. Journal 296 (1988) 1565-1570.

Prof. W. S. Peart, MRC Epidemiology and Medical Care Unit, Northwick Park Hospital, Harrow, Middlesex HM 3UJ, England.

A-3522 (60) Dt. Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988

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