A-92
S P E K T R U M
AKUT
(4) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 3, 22. Januar 1999
Körpergewicht
Wenn Kalorien
nicht „anschlagen“
E
s gibt Menschen, die anscheinend alles essen
können, ohne an Gewicht zuzunehmen. US-
Forscher glauben, jetzt entdeckt zu haben, was
das Geheimnis der Schlanken sein könnte: Wenn sie
mehr essen, als sie benötigen, werden sie „ruhelos“.
Bis zu zwei Drittel der überschüssigen Kalorien, die
andere als Speck auf den Hüften ablagern, verpul-
vern Schlanke offenbar, weil der Überschuß ver-
mehrte kleine Bewegungen und Tätigkeiten des All-
tags auslöst. Das zumindest folgern James Levine,
Norman Eberhardt und Michael Jensen von der
Mayo Clinic in Rochester (Science 1999; 283: 212).
Die Forscher sind der bislang vernachlässigten Kom-
ponente in der menschlichen Energiebilanz durch ex-
trem aufwendige Messungen an 16 normalgewichti-
gen Freiwilligen auf die Spur gekommen.
S
ie hatten sich bereit erklärt, acht Wochen lang
täglich 1 000 „Kalorien“ (Kcal) mehr zu essen,
als sie benötigten. Nach zwei Monaten hatten
die Probanden zwischen 1,4 und 7,2 Kilogramm zuge-
legt. Berechnungen zeigten, daß einige Personen of-
fenbar mehr als 90 Prozent der überschüssigen Kalo-
rien wieder losgeworden waren, während andere fast
70 Prozent als Speck abgelagert hatten. Um heraus-
zubekommen, wo die fehlenden Kalorien geblieben
waren, verglichen die Forscher den täglichen Ener-
gieverbrauch vor und während der „Stopfkur“. Da-
bei zeigte sich, daß die Überernährung zu einem
leichten Anstieg des Grundumsatzes um durch-
schnittlich 80 Kalorien führte; auch der Energiebe-
darf für Aufnahme, Verdauung und Verarbeitung der
überschüssigen Nahrung stieg um 140 Kalorien.
A
llerdings zeigten sich in diesen beiden Varia-
blen keine systematischen Unterschiede zwi-
schen den schnell und langsam zunehmen-
den Versuchspersonen. Den Glauben, daß Schlanke
schlechtere „Kostverwerter“ seien, konnte die Studie
also nicht bestätigen. Die größten individuellen Un-
terschiede zeigten sich vielmehr in der Menge der Ka-
lorien, die durch Bewegung verbraucht wurden. Alle
Probanden hatten im Studienverlauf ihre Sportge-
wohnheiten nicht ändern dürfen. Deshalb konnten die
Forscher berechnen, wieviel Energie sie durch Ände-
rungen der körperlichen Betätigung im Alltag ver-
brauchten. Ein Proband wurde unter der Stopfdiät of-
fenbar so ruhelos, daß er durch Tätigkeiten des tägli-
chen Lebens, durch gesteigerte Körperspannkraft
oder auch spontane Muskelkontraktionen 700 der
1 000 Kalorien verbrannte – das entspricht ein bis zwei
Stunden Radfahren oder Joggen am Tag. Klaus Koch