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Archiv "Das Gesundheitswesen in Schweden, von innen betrachtet" (25.03.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Erste Fortsetzung

Praktisch alle Krankenhäuser ge- hören den Gemeinden, der Patient wird dort „kostenlos" stationär be- handelt. Es gibt nur drei kleinere private Krankenhäuser in ganz Schweden, und die sind auch da- bei, einzugehen. Privatabteilungen an öffentlichen Krankenhäusern existieren schon seit den fünfziger Jahren nicht mehr. Die wenigen Patienten, die es sich heute noch leisten können, privat zu liegen, müssen in ein Privatkrankenhaus gehen. Die hohen Pflegekosten werden meist aus eigener Tasche bezahlt. Private Krankenkassen, die so etwas decken könnten, gibt es in Schweden überhaupt nicht, lediglich ausländische Versiche- rungsgesellschaften zahlen.

Krankenpflege

und Krankenkassen vor 1970 Bis 1970 wurde den öffentlich an- gestellten Ärzten ein relativ niedri- ges Grundgehalt gezahlt, das durch Patientenabgaben von der Poliklinik mehr oder weniger kräf- tig verstärkt wurde. Der Patient zahlte meist an den Arzt direkt eine Gebühr entsprechend der staatli- chen Gebührenordnung und konn- te sich dann zwei Drittel des ver- anschlagten Betrages von der Kran- kenkasse wieder erstatten lassen.

Von der Patientenabgabe entrichte- te der Arzt eine unbedeutende Summe für die Benutzung der Fazi- litäten an das Krankenhaus.

Ursprünglich hatte allein der Chef- arzt das Recht, gegen Bezahlung die Poliklinik zu betreiben, dieses Recht wurde dann durchwegs an die angestellten Ärzte delegiert, so daß im allgemeinen alle angestell- ten Ärzte verpflichtet waren, am Krankenhaus poliklinisch tätig zu sein. An den größeren Kliniken konnte man sich jedoch verschie- den aktiv an der Poliklinik beteili- gen. Wer beispielsweise wissen- schaftlich tätig sein wollte oder mehr Freizeit vorzog, konnte diese Tätigkeit und damit natürlich auch das Einkommen reduzieren. Diese Form des leistungsgebundenen Einkommens spornte das Interesse der Ärzte an, für Kontinuität in der Behandlung zu sorgen. Hier achte- te der klinisch behandelnde Arzt darauf, daß der Patient auch ambu- lant zu ihm kam. Bei Abwesenheit wurde für Vertretung gesorgt. Für die staatlich oder kommunal ange- stellten Distriktsärzte funktionierte ein ähnliches leistungsgebundenes System. Die Privatpraktiker konn- ten die Gebühren in einem gewis- sen Rahmen selber bestimmen, je- doch bekam der Patient nur gemäß der staatlichen Gebührenordnung seine begrenzte Rückerstattung.

Der Nachteil dieses Systems war für den Arzt, daß er kein Verhand- lungsrecht über die Gebühren hat- te, sondern der Ärzteverband bei der Gebührenfestsetzung nur kon- sultiert wurde. Die Gebühren la- gen oft jahrelang still und wurden schärfen — frei, geeignete Maßnah-

men zu ergreifen, auch um zu ver- hindern. daß ausländische Studen- ten das Medizinstudium in Deutsch- land künftig meiden.

Bleibt abschließend zu erwäh- nen, daß erstmals das Urteil ei- nes Verwaltungsgerichtes (Verwal- tungsgericht Stuttgart, 17. Juli 1975) das neue System medizini- scher Prüfungen anhand der Frage überprüft hat, ob Studenten gehal- ten sind, ihre Aufgabenlösungen, wie vom zentralen Institut vorgese- hen, nur in die Testbogen und nicht in die Aufgabenhefte einzu- tragen. Das Urteil darf zugleich als eine Bestätigung der ÄAppO von 1970 angesehen werden, weil das Gericht das Prüfungsverfahren als solches in Anbetracht der großen Zahl der Prüflinge als Rechtens an- sieht.

Diese Aussage ist deshalb so gravierend, weil in Kreisen von Hochschullehrern der Medizin zu- weilen Bedenken erhoben werden, ob das neue Prüfungssystem ver- fassungsgemäß ist. Das Gericht bestätigte in dem genannten Urteil auch, daß eine Prüfung — um die verfassungsrechtlich verbürgte Chancengleichheit der Prüflinge zu wahren — auch dann zulässig ist, wenn hierzu der Einsatz elektroni- scher Datenverarbeitung erforder- lich wird.

Auf dieser Grundlage hat das Ver- waltungsgericht grundsätzlich das Erfordernis für rechtmäßig erach- tet, die Kandidaten zu verpflichten, ihre Lösungen nur auf den Antwort- belegen einzutragen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. jur. H.-J. Kraemer Direktor des Instituts für medizinische und

pharmazeutische Prüfungsfragen Große Langgasse 8

6500 Mainz

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Das Gesundheitswesen in Schweden,

von innen betrachtet

Dieter Lockner Examen

894 Heft 13 vom 25. März 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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nur unzureichend und schleppend der allgemeinen Verteuerung ange- paßt. Für die Gesichtspunkte des Ärzteverbandes hatte man im allge- meinen ziemlich taube Ohren. So lagen die Gebühren von 1970 bis 1975 trotz niedriger Ausgangslage und einer jährlichen Inflation von nahezu 10 Prozent fest. Der Privat- praktiker konnte sich durch Erhö- hung des Honorars Kostendeckung verschaffen, der Patient bekam je- doch immer nur den gleichen Be- trag von der Kasse zurück, der im Verhältnis zum Gesamthonorar pro- zentual immer geringer wurde.

Nachteilig für den Patienten war somit die wechselnde unbekannte Höhe des Ärztehonorars und die Notwendigkeit, sich einen Teil der verauslagten Gebühr wieder von der Kasse erstatten lassen zu müs- sen. Die Patienten schätzten die Möglichkeit, auch am Kranken- haus denselben Arzt behalten zu können. Bei chronischen Erkran- kungen konnte ambulante Be- handlung für den finanzschwachen Patienten doch teuer werden. Mit- tellose wurden gratis behandelt.

Andererseits bremste der Griff in die eigene Tasche Überkonsump- tion. Das System wurde außerdem durch die gelegentlich sehr hohen Einkünfte, die durch technische Neuerungen in gewissen Service- Disziplinen möglich wurden (z. B.

Autoanalyzer) und zuweilen in kei- ner Proportion zum Kosten- und Arbeitsaufwand standen, leider in Mißkredit gebracht.

Die Reform von 1970

Im Jahre 1970 wurde nach einer lebhaften öffentlichen Diskussion, bei der Ärzte und Patienten nicht viel zu Wort kamen, eine umfassen- de Krankenversicherungsreform ("Sieben-Kronen-Reform") durch- geführt, die von den Ärzten zuwei- len als "Sozialisierung" bezeich~

net wurde. Der Ärzteverband, ob- wohl eigentlich ohne Verhand- lungsrecht, wurde unter Androhung kompletter Zwangsverstaatlichung zum Unterschreiben gezwungen.

Das bisher angewendete Lei- stungssystem bei Krankenhaus- und Distriktärzten wurde abgeschafft und durch ein festes Gehalt er- setzt, das im wesentlichen aus dem damaligen Gesamteinkommen der betroffenen Ärzteschaft, dividiert durch ihre Anzahl, berechnet wur- de. Die Patienten brauchten bei ambulanter Behandlung nur mehr sieben Kronen pro Besuch bezah-

len. In diesen Betrag waren, im Ge- gensatz zur früheren Ordnung, wo jede Untersuchung (Röntgen, La- bor) extra kostete, alle direkten Folgeuntersuchungen eines Besu- ches eingeschlossen. Die Privat- praktiker wurden in das neue Sy- stem allerdings nicht einbezogen, sie konnten sich zwar selber Ko- stendeckung verschaffen, ihre Pa- tienten jedoch wurden auf Grund

"eingefrorener" Rückerstattung

von der Krankenkasse, und weil sie außerdem Teilbeträge aller Folge- untersuchungen selber bestreiten mußten, ohne daß man ihnen Aus- gleich bei den Krankenkassenprä- mien gewährte, kräftig diskriminiert.

Diese Schwierigkeiten verschlech- terten zwar die Konkurrenzsitua- tion der Privatpraktiker, die zuneh- mende Insuffizienz der öffentlichen Krankenpflege erhöhte jedoch eher den Zustrom zu den Privatärzten.

Der Leidtragende war der Patient.

Während der ersten fünf Jahre nach der Reform sind bei fest- liegenden Rückerstattungen an die Patienten der Privatärzte, die Patientenabgaben in der öffentli- chen Krankenpflege mit über 100 Prozent gestiegen. Es ist interes- sant zu verfolgen, wie hier eine Neuerung populär gemacht wurde, indem man mit Hinweis auf die sehr niedrigen Anfangskosten die notwendige Majorität bekam, die wirklichen Kosten erschienen aber erst dann auf der Rechnung, als es schon zu spät war.

..".. Die Senkung der Patientenabga- b-en an cten öffentlichen Institutio-- nen und die notwendigen Kosten- steigerungen für die Patienten der Privatpraktiker führten zu einer er- höhten Inanspruchnahme der Poli- kliniken und Distriktsärzte, was

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Gesundheitswesen in Schweden

eine kräftige Verlängerung der Wartezeiten nach sich zog. Eine weitere Ursache der verlängerten Wartezeiten war der Wegfall des Leistungsprinzips, der die Ärzte praktisch zu Beamten machte.

..".. Man hoffte, daß die Reform den öffentlich angestellten Ärzten mehr Zeit für ihre Patienten lassen wür- de als ein hetzendes Akkordsy- stem. Dem wirkten aber die Kran- kenhausträger alsbald mit sehr knapp bemessenen Zeitvorschrif- ten entgegen. Das Abwürgen des Leistungsprinzips verminderte auch das Interesse der Ärzte am einzelnen Patienten, da die Be- handlung eines Patienten jetzt mehr an einen gewissen Stellenin- haber als an einen bestimmten Arzt gebunden wurde, die Stellen- inhaber wegen des neuen Ausbil- dungssystems aber mehr denn je zu wechseln anfingen. Es wurde

immer schwerer, in der öffentli-

chen Krankenpflege ein und den- selben Arzt zu behalten. Diese mangelnde Kontinuität ist zu einem der Kardinalprobleme der letzten Jahre geworden.

Die gesenkten Patientenabgaben führten zu einer gesteigerten Kran- kenpflege-Konsumption. Die zuwei- len imperativen Forderungen nach ärztlich oft nicht motivierten Unter- suchungen von seiten der Patien- ten führten im Lichte einer stei- genden Frequenz von Kunstfehler- Anzeigen auch zu einer erhöhten Inanspruchnahme der medizini- schen Service-Disziplinen, mit auch dort verlängerten Wartezeiten und kräftig gesteigerten Kosten als Resultat. So verbrauchte zum Bei- spiel die Röntgenabteilung der Stockholmer Universitätsklinik im ersten Halbjahr 1970 (unmittelbar nach der Reform) ebenso viele Röntgenfilme wie im ganzen Jahre zuvor!

Man hat von verschiedenen Seiten eine- allseitige- Untersuchung- d-er Vor- und Nachteile des neuen Sy- stems, verglichen mit dem vorher- gehenden gefordert, den Forderun- gen ist aber nicht nachgegeben

worden. C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 13 vom 25. März 1976

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Gesundheitswesen in Schweden

Groteske Konsequenzen der Planwirtschaft und Zentralsteuerung

Die mit der Reform eingeführten neuen Gehälter nahmen im Sinne der schwedischen Planwirtschaft nicht ausreichend Rücksicht auf die negativen Seiten einer Arbeits- stelle, wie beispielsweise hohe Ar- beitsbelastung, fachliche und kul- turelle Isolierung in gewissen Lan- desteilen usw., was zu Besetzungs- schwierigkeiten für viele Stellen führte.

Vor der Reform von 1970 arbeiteten schwedische und vorwiegend aus- ländische Kollegen gerne auf iso- lierten und damit oft schwerbesetz- ten Stellen, weil man dort mehr ge- braucht wurde und demzufolge auch durch das Leistungsprinzip mehr verdiente. Die Gemeinden halfen oft, die Lebenshaltungsko- sten niedrig zu halten, indem sie große Häuser oder Wohnungen bei geringerer Miete zurVerfügung stell- ten, um damit Stellensucher anzu- locken. Auch wurde die Dienstzeit an solchen Stellen im allgemeinen bei Bewerbungen besonders hoch angerechnet. Die zeitliche Be- grenztheit eines solchen Einsatzes ließ viele manches ertragen.

Ein nicht geringer Teil, vor allem ausländischer Kollegen, hat sich die finanzielle Basis für eine schlechter bezahlte Tätigkeit an angenehmerer Stelle auf solchen Posten erplagt. Nach der Reform verließ ein Teil dieser Ärzte das Land ganz, vor allem viele Dänen.

Andere zogen es vor, bei überall fast gleichen Gehältern und gerin- gerer Arbeitsbelastung lieber in der Nähe von Theatern, Kinos, Schulen oder einfach nur mehr Mitmenschen zu sein. Das führte, vor allem in den nördlichen Teilen des Landes, mit seinen enormen Entfernungen, zu einer beschwerli- chen Situation, wo es plötzlich auf Hunderte von Kilometern keinen Arzt mehr gab. Selbst leitende Po- sten in den sonst begehrenswerten Hauptdisziplinen stehen dort an modernsten Kliniken oft monate- lang ohne Inhaber. Die meist

schwerer zu besetzenden Stellen an psychiatrischen und Chroniker- kliniken standen nun ständig leer.

Getreu der hiesigen Planwirtschaft, zwingt man deshalb die jungen Ärzte zur Dienstleistung an solchen Kliniken, indem man entsprechen- de Dienstpflichten in die Facharzt- bestimmungen eingebaut hat.

In der nordschwedischen Stadt Bo- den litt das große und moderne Zentralkrankenhaus seit Jahren an Ärztemangel. Es wird behauptet, daß dort oft mehr Ausländer als Schweden tätig waren. Nach der Reform wurde die Situation noch beschwerlicher. Es gelang der Ge- meinde jedoch, unter anderem durch Wohnvorteile, Ärzte anzulok- ken. Dies wurde jedoch kürzlich von der Steuerbehörde zunichte gemacht. Man verlangte plötzlich von einer großen Anzahl im Norden tätiger Ärzte, bis auf sieben Jahre rückwirkend, Steuernachzahlungen für die verbilligten Wohnungen, die man als eine Art „Einkommen" an- sieht. Da reagierten sogar die, ver- glichen mit Kontinentaleuropäern, engelsgeduldigen schwedischen Kollegen, und ein guter Teil kün- digte. Der Röntgenchefarzt nahm einen Teil seines seit langem we- gen Vertretermangel eingefrorenen Urlaubs, um den Wahnsinn der Si- tuation zu unterstreichen. Die Kata- strophe war ein Faktum. Um die Si- tuation zu retten, fliegen jetzt je- weils für Zweiwochenperioden Röntgenologen aus Lund 1300 km nach Boden, um auszuhelfen.

Bei der Debatte über die Ursachen des Malheurs diskutiert man statt dessen, auch unter Ärzten, die Not- wendigkeit, die Röntgenologie als Fach attraktiver machen zu müs- sen, und beschimpft diejenigen Ärzte, die es vorziehen sich ad- äquatere Bezahlung in anderen Län- dern, wie zum Beispiel in Saudi- Arabien, zu holen. Die nordschwe- dischen Steuerbehörden behan- deln zur Zeit mehr als 500(!) sol- cher Steuerprozesse, das betrifft etwa 3 Prozent der gesamten schwedischen Ärzteschaft, und der Ärzteverband hat extra einen Juri- sten zur Assistenz abgestellt.

Anstellungsverhältnisse

Die Gehälter der öffentlich ange- stellten Ärzte sind sämtlich tarifge- regelt, persönliche Verträge gibt es nicht. Die angestellten Ärzte ver- dienen zwischen 55 000 (Pflichtas- sistent, 39 Prozent Steuern) und 180 000 Kronen (klinischer Ordina- rius, 64 Prozent Steuern) im Jahr.

Privatpraktiker verdienen nach Ab- zug aller laufenden Praxiskosten ein Bruttoeinkommen von gut 100 000 Kronen jährlich (1 skr = 0,60 DM).

Krankenhausärzte haben eine Wo- chenarbeitszeit von 50 bis 60 Stun- den, Nachtdienste nicht mitgerech- net. Sie haben je nach Alter und Dienstjahren 30 bis 40 Arbeitstage Urlaub im Jahr, Samstag ist Feier- tag. Für eine im Nachtdienst gear- beitete Stunde, gleich ob Werktag oder Feiertag, bekommt man eine Stunde frei. Dies steht im Gegen- satz zu anderen Berufsgruppen, bei denen ein Mehrfaches für Dienstleistungen zu „unbequemen"

Zeiten berechnet wird. Bei Bereit- schaft im Krankenhaus oder zu Hause werden gestufte Stunden- bruchteile Freizeit gegeben. Man kann sich auch die so erarbeitete Freizeit ausbezahlen lassen, tut es aber ungern, weil für Beträge, die das Einkommen aufstocken, die konfiskatorische Steuer 80 bis über 100 Prozent beträgt.

Während der Teilnahme an den für die Fachausbildung obligatorisch vorgeschriebenen Fortbildungskur- sen oder anderen öffentlichen Auf- trägen, die im Interesse der Arbeit oder des Arbeitgebers liegen, wer- den die Gehälter weitergezahlt so- wie Spesen vergütet. Angestellte Ärzte sind deshalb oft drei und mehr Monate im Jahr nicht an ihrem Arbeitsplatz.

Solche Vakanzen werden nicht etwa durch Mehrarbeit der Kolle- gen kompensiert, sondern man stellt Vertreter an, indem man die Abwesenheiten so zu legen ver- sucht, daß länger zusammenhän- gende Perioden für den Vertreter herausspringen. Dieses System

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Spektrum der Woche Aufsätze .Notizen

Gesundheitswesen in Schweden

wird auch bei anderen Berufsgrup- pen in der Krankenpflege prakti- ziert. Früher hat man Vertreter, die sich bewährt hatten, behalten und ihnen allmählich eine „feste" (ma- ximal für drei Jahre) Stelle gege- ben. Auf diese Weise hat sich bis- her im allgemeinen der Nachwuchs an den Kliniken rekrutiert. Wie be- reits erwähnt, hindert das neue Sy- stem, der vom Arbeitgeber vorge- planten Fachausbildung, diese Re- krutierung; man sieht üble Folgen voraus. Das System, abwesende Ärzte durch Vertreter zu ersetzen, bedingt, daß an den Kliniken viel mehr Ärzte als eigentliche Stellen- inhaber tätig sind, bei Budgetbe- rechnungen wird mit 1,5 Personen für jede Stelle gerechnet.

Zunehmende Unpersönlichkeit begünstigt „Freizeitpraxis"

Die Sieben-Kronen-Reform von 1970 begünstigte eine unpersönli- che Krankenfürsorge an öffentli- chen Instituten. Die neuen Ausbil- dungsbestimmungen und der Aus- sperrungszwang von Spezialisten haben den Ärzteumsatz wesentlich erhöht, was es für den Patienten noch schwerer macht, denselben Arzt zu behalten. Die Mehrzahl der Patienten sieht de facto bei jedem Poliklinikbesuch, aber auch oft beim Distriktarzt, einen anderen Doktor. Was dies für Patient und Arzt, vor allem bei langen und komplizierten Erkrankungen be- deutet, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Diese Verhältnisse sind ein ernsthaftes Problem für viele Patienten gewor- den, die mit allen Mitteln versu- chen, ihren Arzt zu behalten.

Eines der Argumente für die Ein- führung der Sieben-Kronen-Reform war, daß man die Privilegien wohl- gestellter Patienten beseitigen wol- le. Eine sehr streitbare sozialdemo- kratische Abgeordnete fragte im Reichstag ihre Parteibrüder, wer von ihnen sich denn nun in die Warteräume von Krankenhäusern oder Distriktsarztsprechstunden setzen würde, um den Doktor zu akzeptieren, der gerade Dienst hat.

• Nach meiner Erfahrung ist es gelungen, die Schwierigkeit der freien Arztwahl für alle Bürger ziemlich gleich groß zu machen.

Politiker haben nach wie vor ihre Privilegien.

• Die Unmöglichkeit der freien Arztwahl, die Schwierigkeit, densel- ben Arzt zu behalten, und die enor- men Wartezeiten in der öffentli- chen Krankenfürsorge führten dazu, daß viele angestellte Ärzte, nachdem es 1970 verboten wurde, dies am Arbeitsplatz zu tun, von ih- ren alten Patienten gedrängt wur- den, sie statt dessen außerhalb der Klinik privat weiterzubehandeln, da es jedem approbierten Arzt in Schweden erlaubt ist, Privatpraxis zu machen. Aus den gleichen Gründen kamen viele neue Patien- ten zu den alten hinzu. Man miete- te stundenweise Praxen von Privat- praktikern, schloß sich zu Ärzte- gruppen zusammen, richtete selber Praxen ein oder fing Praxis im ei- genen Hause an. Da dies wegen der festen Anstellung nur abends möglich war, kam man damit vielen Berufstätigen entgegen. Die Pa- tienten bekamen, wie bei ganztags tätigen Privatpraktikern, einen Teil ihrer Unkosten von der Kranken- kasse ersetzt, Preisbindung gab es nicht. Auf diese Weise wurden von solchen sogenannten „Freizeit- praktikern" z. B. im Raume von Stockholm, mit etwa 1,2 Millionen Einwohnern, pro Jahr etwa 800 000 Konsultationen versteuert. Den kräftig überlasteten Privatprakti- kern tat dies keinen Abbruch, die

„Freizeitpraktiker" behandelten ja hauptsächlich Patienten aus den Schlangen der öffentlichen Kran- kenversorgung.

• Schluß folgt

Anschrift des Verfassers:

Dozent Dr. med. Dieter Lockner Universitätsklinikum

Huddinge / Medizinische Klinik S-14186 Huddinge

Schweden

AUS DEM BUNDESTAG

Pflichtquote für

Schwerbehinderte bleibt

Die Verpflichtung aller öffentlichen und privaten Arbeitgeber, die über mehr als 15 Arbeitsplätze verfügen, sechs Prozent dieser Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu beset- zen, soll nach Mitteilung des Parla- mentarischen Staatssekretärs des Bundesarbeitsministeriums, Her- mann Buschfort, nicht ermäßigt werden. Auf den Hinweis des CSU- Abgeordneten Eberhard Pohlmann, daß eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Pflichtplatz-Soll und den vorhandenen Schwerbehinder- ten bestehe, erwiderte Buschfort, daß eine große Zahl von Anträgen auf Zuerkennung der Schwerbehin- derteneigenschaft noch nicht erle- digt sei. Die Bundesregierung wol- le deshalb zunächst die Erfahrung des Jahres 1976 abwarten.

Krebs durch Asbest

Der Umgang mit Asbest kann zu Asbeststaublungen-Erkrankungen (Asbestose) und zu Asbestose in Verbindung mit Lungenkrebs füh- ren. Hingegen sind bisher noch keine Fälle von Berufserkrankun- gen, die ausschließlich auf das Tragen asbesthaltiger Schutzklei- dung zurückgeführt werden könn- ten, bekanntgeworden. Diese Aus- kunft erteilte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesarbeits- ministeriums, Hermann Buschfort, auf Anfrage des SPD-Abgeordne- ten Helwin Peter. Er teilte mit, daß im Jahre 1974 82 Fälle von Asbe- stose und 20 Fälle von Asbestose in Verbindung mit Lungenkrebs, die zum Teil auf angezeigte Fälle aus den Vorjahren zurückzuführen seien, erstmals als Berufskrankhei- ten entschädigt worden sind. Um den schon vorhandenen Schutz vor krebserzeugenden Stoffen noch zu verbessern, sei vorgesehen daß diese Stoffe, darunter auch Asbest, künftig nur verwendet werden dür- fen, wenn sie nicht durch weniger schädliche Stoffe ersetzt werden können.

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