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Archiv "Alte und neue Bundesländer: Mehr Patienten, weniger Ärzte und geringere Finanzmittel" (04.11.2005)

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uch fünfzehn Jahre nach der deut- schen Wiedervereinigung ist im- mer noch die Frage aktuell, inwie- weit sich die anfangs sehr unterschied- lichen Verhältnisse in Ost- und West- deutschland, sowohl was den Gesund- heitszustand der Bevölkerung als auch was die gesundheitliche Versorgungslage betrifft, einander angeglichen haben.

Bei den gesundheitlichen Lebenschan- cen der Menschen in den neuen Bundes- ländern lassen sich heute deutliche Fort- schritte erkennen, wenngleich die ge- sundheitliche Lage im Osten weiterhin ungünstiger zu bewerten ist als die im Westen. Zu diesem Schluss kommt das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Berlin, aufgrund aktua- lisierter Daten.

Noch vor fünf Jahren, als das ZI seine erste Analyse zur gesundheitlichen Lage in Ost- und Westdeutschland veröffent- lichte, gaben die Kennzahlen wenig An- lass zu Optimismus, was eine Überwin- dung der Ungleichheiten betrifft. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete damals unter der Überschrift:„Die Gesundheits- mauer besteht weiter“. Noch Jahre nach dem Systemwechsel kam in den gesund- heitlichen Ergebnisindikatoren die rela- tiv begrenzte Leistungsfähigkeit des ehe- maligen DDR-Gesundheitswesens zum Ausdruck. Seither hat sich einiges geän- dert. Vor allem anhand der Indikatoren zur Mortalität, deren Daten man fort- schreiben konnte, lässt sich erkennen, was erreicht wurde.

Lebenserwartungen haben sich angeglichen

So ist seit den 1990er-Jahren die Sterb- lichkeitsentwicklung im Osten auffal- lend günstig verlaufen. Frauen haben 2002 deutschlandweit fast die gleiche

Lebenserwartung (80,6 beziehungswei- se 80,8 Jahre), wohingegen sie noch 1990 im Osten (76,2 Jahre) 31 Monaten weniger betragen hatte als im Westen (79,0 Jahre). Nach wie vor geringer als die Lebenserwartung von Männern im Westen (76,0 Jahre) ist allerdings die von Männern im Osten (74,2 Jahre).

Aber auch der Abstand hat sich seit 1990 verringert, und zwar von 30 auf 20 Monate.

Immer weniger Ostdeutsche sterben in einem relativ frühen Alter von unter 65 Jahren. Während sich 1990 die auf- grund früher Sterbefälle „verlorenen Lebensjahre“ im Osten auf 5 927 je 100 000 Einwohner summierten, betru- gen sie im Westen 4 181. Damit lag die Summe der verlorenen Lebensjahre im Osten um 42 Prozent höher. Bis zum Jahr 2003 haben sich die Summen ver- lorener Lebensjahre auf 3 462 (Ost) beziehungsweise auf 3 047 (West) je 100 000 verringert. Damit ist der Ab- stand Ost gegenüber West von 42 Pro- zent auf 14 Prozent zurückgegangen.

Auch die nach der Wiedervereini- gung im Zuge stärkerer Motorisierung im Osten zeitweilig höhere Zahl von Verkehrsverletzten ist deutlich zurück- gegangen und hat inzwischen ein dem Westen vergleichbares Niveau erreicht.

Die Zahlen der bei Verkehrsunfällen getöteten und verletzten Personen je Tausend Einwohner betrugen im Jahr 2002 im Osten 5,7 und im Westen 5,9.

Die perinatale Sterblichkeit, das heißt die Sterberate von Neugebore- nen bis zum Ende der ersten Lebens- woche, die ursprünglich im Osten höher war als im Westen, hat sich in den neuen Bundesländern stärker verrin- gert als in den alten. Im Jahr 2001 ster- ben im Osten (5,6) etwas weniger Neu- geborene je tausend Geburten als im Westen (6,0).

Die positive Mortalitätsentwicklung, die sich in jüngerer Zeit im Osten voll- zogen hat, stellt aber nur einen Aspekt der Realität dar. Die Krankheitshäu- figkeiten der Bewohner und die zu versorgenden Behandlungslasten sind im Osten nach wie vor höher als im Westen.

Höheres Niveau an Krankheiten im Osten

Betrachtet man als einen übergreifen- den Indikator behandelter Morbidität die jährliche Zahl von Behandlungsfäl- len je tausend gesetzlich Versicherten, so zeigt sich ein höheres Morbiditätsni- veau in den neuen Bundesländern. 2004 wurden je 1 000 Versicherten im Osten 855 ambulante Behandlungsfälle ärzt- lich versorgt, im Westen waren es 794.

Zwar hat die in den Regionen vonein- ander abweichende Altersverteilung der Versicherten Einfluss auf die Krank- heitshäufigkeiten. Es konnte aber mit- hilfe der ZI-Panel-Daten zur behandel- ten Morbidität, die in ausgewählten Ver- tragsarzt-Praxen in Brandenburg und Nordrhein erhoben und vom ZI fortlau- fend auswertet werden, der Nachweis geführt werden, dass die in diesen Regio- nen ermittelten Morbiditätsunterschie- de im Wesentlichen offenbar nicht durch das unterschiedliche Durchschnittsalter der Versicherten erklärt werden (Heuer, 2002). Beim Vergleich standardisierter Daten zeigte sich, dass auch nach Abzug des Alterseffekts weiterhin Unterschie- de in den Behandlungsprävalenzen be- stehen bleiben.

Die Analysen des Zentralinstituts zeigen im Übrigen, dass in verschiede- nen östlichen Regionen im Vergleich zu westlichen Regionen jeweils die Anteile chronisch kranker Patienten P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 44⏐⏐4. November 2005 AA2987

Alte und neue Bundesländer

Mehr Patienten, weniger Ärzte und geringere Finanzmittel

Unzureichende Ressourcen für die ambulante Versorgung in den neuen Ländern

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mit Diagnosen wie etwa ischämische Herzkrankheit, Hypertonie oder Typ-2- Diabetes an allen Behandlungsfällen der ausgewerteten Arztpraxen häufiger sind. Diese höheren Prävalenzen von ambulant behandelten chronisch Kran- ken wurden sowohl für das Jahr 1997 als auch für das Stichjahr 2004 gefun- den, das heißt, es scheint sich auch in der Längsschnittbetrachtung um stabile Unterschiede zu handeln.

Vor diesem Hintergrund lässt sich fol- gern, dass die im Bereich ambulanter ärztlicher Versorgung in den neuen Bun- desländern zu bewältigenden Aufgaben keineswegs geringer zu sein scheinen als in den alten Ländern. Die Bedeutung höherer Krankheitsprävalenzen erhält ein besonderes Gewicht angesichts der geringeren Arztdichte im Osten.

Unabhängig vom Morbiditätsniveau ist für die vertragsärztliche Tätigkeit im Osten die dort vorherrschende gerin- ge ambulante Arztdichte entscheidend.

Vertragsärzte im Osten sind jeweils für eine größere Zahl von Patienten zustän- dig als Ärzte im Westen. So entfallen im Jahr 2003 auf einen Arzt im Osten stati- stisch 607 GKV-Versicherte, auf einen Arzt im Westen dagegen 527 Versicher- te. Dem entspricht, gleiche Inanspruch- nahme von Ärzten vorausgesetzt, eine um 15 Prozent höhere Versorgungs- leistung je Arzt im Osten im Vergleich zum Arzt im Westen. Tatsächlich ist aber die ärztliche Inanspruchnahme im Osten sogar höher als im Westen.

Geringere Arztdichte und rechneri- sche Mehrleistung von Ärzten im Osten sind kein neues Phänomen: Sie existie-

ren in ähnlichem Ausmaß schon seit Jahren (2000 = +18 Prozent, 1998 = +16 Prozent).

Den statistisch unterschiedlichen Arzt- dichten in Ost und West entsprechen auch real unterschiedliche Ausmaße an Arbeitsbelastung niedergelassener Ärz- te: 2001 wurden je Arzt im Osten durch- schnittlich 5 429 Behandlungsfälle ver- sorgt, je Arzt im Westen waren es 4 232.

Dem entspricht eine Mehrleistung bei Ärzten im Osten in Höhe von 29 Pro- zent im Vergleich zu Ärzten im We- sten. Stellt man diesbezüglich einen Vergleich zu den Verhältnissen im Jahr 1997 an, so hatte damals die Mehrlei- stung der Ost-Ärzte 15 Prozent betra- gen; sie hat sich also fast verdoppelt.

Vor dem Hintergrund einer höheren Zahl von Behandlungsfällen ist plausi- bel, dass Vertragsärzte in den neuen Ländern mehr Arbeitszeit aufwenden als ihre Kollegen in den alten Bundes- ländern. 2 121 Arbeitsstunden leistete der Arzt im Westen im Jahr 2001 zur Versorgung seiner Patienten der Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV), 2 484 Stunden leistete der Arzt im Osten und damit 17 Prozent mehr.

Angesichts dieser Sachlage ist unver- ständlich, dass der Umfang der von der GKV für die Gesundheitsversorgung im Osten zur Verfügung gestellten Fi- nanzmittel je Versicherten geringer ist als die für den gleichen Zweck im Westen ausgegebenen Mittel. Die Ost- West-Differenz an Ressourcen lässt sich benennen: Die GKV gibt für die ambu- lante ärztliche Behandlung ihrer Versi- cherten in den neuen Ländern jährlich etwa 740 Millionen Euro (2004) weni- ger aus, als man nach Maßgabe des im Westen ermittelten Ausgabenvolumens für die GKV-Versicherten erwarten müsste. Diesen Betrag von 740 Millio- nen Euro müsste die GKV zusätzlich aufbringen, wollte sie den gleichen Be- trag an Finanzmitteln je Versicherten im Osten zur Verfügung stellen, den sie für ihre Versicherten im Westen ausgibt.

Die Zahl zu versorgender Patienten je Arzt liegt in den neuen Bundes- ländern um fast 30 Prozent höher als im Westen. Bezogen auf den Arbeits- aufwand wird bei der Vergütung der ärztlichen Tätigkeit im Osten und We- sten Deutschlands mit zweierlei Maß gemessen. Dr. phil. Ingbert Weber P O L I T I K

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A2988 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 44⏐⏐4. November 2005

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eit der deutschen Einheit vor 15 Jah- ren ist die Lebenserwartung von Männern und Frauen in den neuen Bundesländern deutlich gestiegen.

Gab es Anfang der Neunzigerjahre noch gravierende Unterschiede bei beiden Geschlechtern, so haben heute Frauen in Ost und West mit 80,6 und 80,8 Jahren nahezu die gleiche Lebenserwartung. Bei den Männern besteht nach wie vor eine Differenz, aber sie ist geringer geworden.

Das sind gute Nachrichten, die zu einem Teil auf wesentlich verbesser- te Umweltbedin-

gungen in den neuen Ländern, zum anderen Teil aber auf die Qua- lität der medizini- schen Versorgung zurückzuführen

sind. Dass Menschen länger leben, ist sicher eines der wichtigsten Ziele der Gesundheitspolitik. Aber leben sie zu- gleich „gesünder“, mit weniger Krank- heiten behaftet?

Auch im Hinblick auf die Morbi- dität verzeichnen die neuen Bundes- länder eine positive Entwicklung. An- ders als bei der Lebenserwartung sind aber die Unterschiede zum Westen der Republik immer noch groß. Die vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) ermittelten Zahlen belegen, dass insbesondere die Häu- figkeit der chronischen Krankheiten

in den neuen Ländern nach wie vor Anlass zur Sorge gibt. Dies und eine älter werdende Bevölkerung sind Her- ausforderungen, denen sich die Ge- sundheitspolitik stellen muss.

Allerdings steht zu befürchten, dass die Politik offenkundige Warnsignale nicht erkennt oder aber ignoriert. Viele Ärzte im Osten arbeiten seit Jahren an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.

Das ZI weist in seiner Vergleichsstudie nach, dass in der ambulanten Versor- gung in den neuen Bundesländern weitaus mehr Behandlungsfälle auf den einzelnen Arzt entfallen als im Westen. Die Ärzte im Osten haben längere Arbeits- zeiten, aber immer noch eine geringe- re Vergütung. Der ambulanten Versorgung fehlen die Mit- tel, um die höhere Morbidität wirkungs- voll zu bekämpfen. Das frustriert. Kein Wunder, dass die Nachwuchssorgen nicht nur in der hausärztlichen Versor- gung noch größer sind als im Westen.

Gesundheit gilt den Bürgern als das höchste Gut. Daran sollten die beiden großen Volksparteien denken, wenn sie in diesen Tagen die Ziele einer großen Koalition festklopfen. Gleiche Lebensbedingungen schaffen: Die Ärzte können erwiesenermaßen erfolg- reich daran mitwirken – wenn man

sie lässt. Josef Maus

Warnsignale im Osten

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