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Archiv "Hans Wolf Muschallik ist tot" (17.07.1995)

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PERSONALIEN

Hans Wolf Muschallik ist tot

stete von 1941 bis 1945 Kriegsdienst, davon dreiein- halb Jahre an der Front, unter anderem als Regimentsarzt in Stalingrad; er wurde mehr- fach verwundet und mit dem Eisernen Kreuz I. und II.

Klasse, dem Silbernen Ver- wundetenabzeichen und an- deren Auszeichnungen hoch dekoriert. Er hat das eigene

gann er seine Karriere in der kassenärztlichen Selbstver- waltung als Vorsitzender der Bezirksstelle Köln der Kas- senärztlichen Vereinigung Nordrhein. Bereits 1961 wur- de er Vorsitzender der Kas- senärztlichen Vereinigung Nordrhein und Beisitzer im Vorstand der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung.

1968 übernahm er das Amt des Zweiten Vor- sitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung und trat 1969 die Nachfol- ge von Dr. Vages als Vorsitzender an. Diese Funk- tionen als Vorsit- zender der Kas- senärztlichen Ver- einigung Nord- rhein und der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung hatte er über vier Wahlperi- oden von 1969 bis 1985 inne.

Die Vertreterver- Die deutsche Ärzteschaft

trauert um Hans Wolf Mu- schallik, der am 27. Juni nach schwerer Erkrankung kurz nach Vollendung seines 84.

Lebensjahres in Düsseldorf verstorben ist. Mit dem Na- men des Verstorbenen ver- bindet sich untrennbar der Kampf der Kriegsgeneration um Zulassungsmöglichkeiten in freier Kassenpraxis, der Wiederaufbau der ärztlichen Selbstverwaltung und einer leistungsfähigen ambulanten Versorgung durch freiberufli- che Kassenärzte sowie die erfolgreiche Verteidigung des Sicherstellungsauftrages, der Vertragsfreiheit und der kas- senärztlichen Selbstverwal- tung gegenüber der Mitte der siebziger Jahre einsetzenden Banner Kostendämpfungs- politik. Die mit höchsten ärztlichen und staatlichen Auszeichnungen gewürdig- te 35jährige ehrenamtliche Tätigkeit von Hans Wolf Mu- schallik charakterisiert ihn als einen Mann von großer Ziel- strebigkeit und Durchset- zungskraft, der aber nie das laute Kampfgeschrei, son- dern immer den fairen Inter- essenausgleich mit der Politik und den Krankenkassen als Vertragspartnern gesucht hat und sich deswegen hohe Ach- tung und Anerkennung auch bei seinen Widerstreitern er- worben hat.

Hans Wolf Muschallik Foto: Josuweck, Köln samrnlung der

Seinen Lebensweg kenn- zeichnen folgende Markstei- ne:

Geboren am 4. Juni 1911 in Bismarckhütte/Oberschle- sien, wuchs Muschallik in Krefeld aufund studierte Me- dizin in Freiburg, Jena, Mün- chen und Köln, wo er 1936 sein Staatsexamen absolvier- te und promovierte. Zu- nächst war er Assistent in der Pathologie der Universität Köln, bevor er 1938 an der Klinik "Bergmannsheil" in Bochum Assistent bei den Professoren Bürkle de la Camp und Reichmann wur-

de. Der Zweite Weltkrieg un-

terbrach die zivile Karriere als Internist. Muschallik lei-

Risiko nie gescheut, wenn es galt, verletzten Kameraden auch in scheinbar ausweg- losen Situationen ärztlich bei- zustehen.

Nach Kriegsende ließ sich Dr. Hans Wolf Muschallik als Internist in Köln nieder, wo ihm aber zunächst wegen

"Überversorgung" die Zulas- sung als Kassenarzt verwei- gert wurde. Mit dem Ziel, den aus dem Krieg heimkehren- den Ärzten die Zulassungs- möglichkeit zu erstreiten, trat er 1950 als Mitbegründer des Verbandes der niedergelasse- nen Nicht-Kassenärzte (heu- te: NAV-Virchow-Bund) in die Berufspolitik ein und war bis 1953 dessen Erster Vorsit- zender.

Von 1952 bis 1957 war Muschallik Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorstandsmitglied der Bun- desärztekammer. 1959 be- A-2022 (64) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995

Kassenärztlichen Bundesvereinigung wählte ihn zum Ehrenvorsitzenden.

In die Amtszeit von Dr.

Muschallik fielen der Durch- bruch zum Einzelleistungs- vergütungssystem und die Einführung der Früherken- nungsuntersuchung als Lei- stung der GKV, wobei Dr.

Muschallik durch eine per- sönliche Erklärung gegen- über der Politik in entschei- dender Phase die Einbezie- hung der Prävention als Lei- stung in die kassenärztliche Versorgung erreichte. Im Jahre 1972 gründete er das Zentralinstitut für die kas- senärztliche Versorgung, des- sen Kuratoriumsvorsitzender er bis 1985 war. Das Zentral- institut widmete sich bereits damals vor allem der Förde- rung der Allgemeinmedizin an den Hochschulen und der Entwicklung von Maßnah- men zur Qualitätssicherung

in der kassenärztlichen Ver- sorgung.

Durch geschickte Ver- handlungen mit der Politik und den Krankenkassen ver- stand es Hans Wolf Muschal- lik, insbesondere durch das Instrument freiwilliger Emp- fehlungsvereinbarungen, das Kassenarzthonorar - trotz des ab 1975 zunehmenden Kostendrucks der gesetzli- chen Krankenversicherung - in vertretbarem Umfang zu steigern und politische Ten- denzen zur Beseitigung we- sentlicher Elemente der kas- senärztlichen Selbstverwal- tung und einer Vereinheitli- chung des gegliederten Sy- stems der Krankenversiche- rung abzuwenden. Sein "Cre- do" war die Erhaltung eines freiheitlichen Gesundheits- systems mit gegliederten Krankenkassen und einer ambulanten Versorgung durch freiberufliche Kas- senärzte. Die von ihm als un- verrückbar definierten Es- sentials dieser Freiberuflich- keit waren:

~ Erhaltung Kassen- ärztlicher Vereinigungen als Selbstverwaltung der Kas- senärzte,

~ Gewährleistung der Vertragsfreiheit zwischen kas- senärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen in der Gestaltung des Systems der vertragsärztlichen Versor- gung und der Vereinbarung einer angemessenen Gesamt- vergütung,

~ Übertragung des Si- cherstellungsauftrages für die ambulante ärztliche Versor- gung an die Kassenärztlichen Vereinigungen.

Auf dieser Grundlage hat sich Muschallik gegenüber der bereits damals ein- setzenden Kostendämp- fungspolitik und den Bestre- bungen zur Nivellierung und Gleichschaltung der Kran- kenkassen für eine system- immanente Weiterentwick- lung des für ihn als unver- zichtbar geltenden Systems der sozialen Krankenversi- cherung eingesetzt und von seinen Kollegen die Bereit- schaft zur Selbstbeschrän- kung im Honorarzuwachs als

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"Neuordnung des Gesundheitswesens

bedeutet für mich vor allem, die menschliche Grundlage in der Patient-Arzt-Beziehung zu bewahren."

Dr. Muschallik am 3. Juni 1989 VARIA PERSONALIEN

Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung der gesetzli- chen Krankenversicherung eingefordert. Dadurch ist es bis zum Gesundheitsreform- gesetz des Jahres 1988 gelun- gen, die Essentials freiberuf- licher kassenärztlicher Tätig- keit im wesentlichen unange- tastet zu erhalten und das Leistungsspektrum der kas- senärztlichen Versorgung im- mer weiter auszubauen.

Für Hans Wolf Muschallik war es deswegen besonders schmerzlich, daß, ausgelöst durch die extremen Ausga- benzuwächse der gesetzli- chen Krankenversicherung Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, nicht nur durch sektorale Ausgaben- budgetierungen die Vertrags- freiheit in ihren wesentlichen Elementen beseitigt und die Organisationsstrukturen der Krankenkassen grundsätzlich verändert wurden, sondern daß insbesondere der Status des freiberuflichen Kassen- arztes durch reglementieren- de Eingriffe verstümmelt wurde. Er, der 1945 als Kriegsheimkehrer gemein- sam mit vielen anderen seine berufliche Existenz neu auf- bauen mußte, empfand be- reits die noch relativ zurück- haltende Gesetzgebung des Gesundheitsreformgesetzes als so bedrückend, daß er in einer seiner letzten Veröf- fentlichungen 1989 feststellte:

„Heutzutage ist viel eher eine Stunde Null als 1945 — das ist meine Bewertung der Ent- wicklung der ambulanten Medizin vom Zusammen- bruch bis zum Jahre 1989. Ob es uns lieb ist oder nicht: die Medizin der industriellen Hochleistungsgesellschaft wird von der ambulanten Ver- sorgung bis zum Kranken- hausbetrieb und der Ver- sicherungsstruktur Wandlun- gen erzwingen, die mit Kor- rekturen am altbewährten Sy- stem nicht zu erreichen wären. Das Zeitalter der Mi- kroelektronik wird der patri- archalischen Einzelpraxis weitgehend die Basis entzie- hen. Ein Neuanfang im Sy- stem der medizinischen Ver- sorgung wird unvermeidlich

werden. Hoffen und wün- schen kann ich nur, daß sich dann, wie 1945, Persönlich- keiten finden, die Mut, Ener- gie und Visionen haben, um dieser Neuordnung jene menschliche Grundlage zu bewahren, ohne die ärztliche Tätigkeit für mich nicht denk- bar ist."

Solange es sein Gesund- heitszustand zuließ, hat sich Hans Wolf Muschallik auch nach Ausscheiden aus seinen Ämtern in politischen Ge- sprächskreisen für die Erhal- tung eines Systems der ambu- lanten ärztlichen Versorgung durch freiberufliche Kas- senärzte unter den von ihm

aufgezeigten gewandelten Bedingungen eingesetzt. Im- mer wieder hat er dabei die Ärzteschaft zu Einheit und Geschlossenheit ermahnt, ohne die gegenüber den er- neut stärker werdenden Ten- denzen zur Institutionalisie- rung der gesundheitlichen Versorgung (insbesondere durch Öffnung der Kranken- häuser) und zur Beseitigung bzw. Einschränkung der Selbstverwaltungskompetenz Kassenärztlicher Vereinigun- gen die Vertretung ärztlicher Interessen nicht gelingen kann. Wenn die deutsche Ärzteschaft heute in der Dis- kussion um die „dritte Stufe der Gesundheitsreform" die- se Geschlossenheit doku- mentiert und gemeinsam für die Aufrechterhaltung eines selbstverwalteten Systems der ärztlichen Versorgung eintritt, so ist dies nicht zu- letzt auch auf die mahnenden und zugleich ermutigenden Worte von Hans Wolf Mu- schallik zurückzuführen.

In Anerkennung seiner großen Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen ist Hans Wolf Muschallik mit dem Großen Verdienstkreuz

mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutsch- land ausgezeichnet worden.

Ihm ist mit der Paracelsus- Medaille die höchste Aus- zeichnung verliehen worden, welche die deutsche Ärzte- schaft zu vergeben hat. Am Empfang zum 80. Geburts- tag von Hans Wolf Muschal- lik haben mit Hans Katzer, Walter Arendt, Dr. Herbert Ehrenberg, Heinz Westphal und Dr. Norbert Blüm vier ehemalige und der amtieren- de Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sowie Prof. Dr. Friedhelm Farth- mann als damaliger Minister

für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nord- rhein-Westfalen und der Bundestagsvizepräsident Dr.

Julius Cronenberg teilge- nommen. Dies zeigt die hohe Anerkennung und Wertschätzung, die sich der Verstorbene bei seinen politi- schen Ansprechpartnern, un- abhängig von deren politi- scher. Parteizugehörigkeit, erworben hat. Fragt man nach den Gründen, so liegen sie in einer in der Person be- scheidenen, in der Sache har- ten, aber auch vermittelnden, und im Umgang humorvollen Persönlichkeitsstruktur des Verstorbenen. Hans Wolf Muschallik war wegen seiner Bescheidenheit und Geradli- nigkeit ein glaubwürdiger Vertreter ärztlicher Interes- sen. Er war bei aller gebote- nen Härte in der Geltend- machung berechtigter kas- senärztlicher Positionen ein Mann des Ausgleichs, der seine Vertragspartner nie überfordert hat, sondern im Interesse einer dauerhaften Vertragspartnerschaft auf die Ausgewogenheit vertragli- cher Regelungen bewußt Be- dacht genommen hat. Und er

hat vor allem durch seine bis ins hohe Alter erhaltene Ge- selligkeit und Vitalität seine jeweiligen Gesprächspartner fasziniert. Ernst-Eberhard Weinhold hat es als langjähri- ger Mitstreiter von Hans Wolf Muschallik im Vorstand der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung zu dessen 75.

Geburtstag in Gedichtform wie folgt formuliert:

„Dann gab es den

„Musch" bei Bier und Remy, und die Wirksamkeit in der Stille,

so von Mensch zu Mensch, genau vis-ä-vis,

mit geschärfter persönli- cher Brille.

Da saßen Minister von Schwarz und von Rot

beim Zaubern, beim Skat und bei Witzen,

und wer's überlebte, den überbot

er mit zwanzig und mehr Liegestützen.

Vielleicht hat der eine, der andre gedacht:

der Kerl ist nicht kleiner- zukriegen,

und hat uns Verständnis entgegengebracht

statt Streites auf Brechen und Biegen —."

Wolf Muschallik hat testa- mentarisch verfügt, daß ihm kein großes Begräbnis zuteil werden möge, sondern daß die Nachricht von seinem To- de erst nach der von ihm ge- wünschten Seebestattung die Öffentlichkeit erreichen soll.

Der Verstorbene gibt uns da- mit das deutliche Signal, nicht an seinem Grabe zu trauern, sondern — getreu seinem Wahlspruch „carpe diem" — ihn so in Erinnerung zu be- halten, wie er unter uns aktiv gelebt und gewirkt hat. Die deutsche Ärzteschaft wird die Erinnerung an Hans Wolf Muschallik als aufrichtigen Mann und überzeugten Arzt wahren und ehren.

Dr. KarstenVilmar, Präsident der Bundesärztekammer Dr. Winfried Schone, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 28/29, 17. Juli 1995 (65) A-2023

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