Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 44⏐⏐2. November 2007 A2985
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ranz Knieps gab sich erleichtert und gut gelaunt. Fristgerecht hatte sich die gemeinsame Selbstver- waltung von Ärzten und Kranken- kassen am 19. Oktober auf den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) geeinigt. Er wird das Leis- tungsgeschehen in den Praxen in erster Linie über Pauschalen abbil- den und diese mit Punkten bewerten, die im Vergleich zu heute um rund zehn Prozent höher liegen. „Wir sind froh, dass wir keine Ersatzvornahmeerarbeiten mussten“, sagte der Abtei- lungsleiter im Bundesgesundheits- ministerium. Es sei die letzte Chance für die gemeinsame Selbstverwal- tung gewesen, die Struktur des EBM weiterzuentwickeln. „Die Politik hätte sonst über ein gänzlich anderes System nachdenken müssen“, erklär- te Knieps vor den Teilnehmern von
„KBV kontrovers“. Die Diskussi- onsveranstaltung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV) mit
dem Titel „Die Honorarreform: reich an Chancen oder arm an Perspekti- ven“ hatte am 25. Oktober in Berlin so viele Interessenten angelockt, dass kaum alle im Saal Platz fanden.
Knieps positionierte sich eindeu- tig: „Nun haben wir die echte Chan- ce, ein verständliches, gerechtes und umfassendes Vergütungssys- tem zu errichten. Die Verdienst- chancen werden sich verbessern, und das müssen sie auch. Wir müssen für junge Ärztinnen und
Ärzte attraktive Rahmenbedingun- gen schaffen.“ Die Politik, so be- tonte der BMG-Abteilungsleiter, strebe mit der Honorarreform keine kostenneutrale Lösung an. Mehr Geld für die ärztlichen Honorare müsse bei Bedarf über höhere Bei- tragssätze finanziert werden. Gleich- zeitig betonte Knieps jedoch auch:
„Es wird kein Schlaraffenland ge- ben.“ Man könne nicht auf jegliche Mengensteuerung verzichten. „Das
System würde vor die Wand fah- ren“, warnte Knieps.
Dabei ist die Mengensteuerung nur eine der umstrittenen Fragen, die in den kommenden Monaten noch entschieden werden müssen. Knack- punkte der Reform sind insbesonde- re die Morbiditätsorientierung des neuen EBM und die Einigung auf einen bundesweiten Orientierungs- punktwert, an dem sich ab 2009 die Höhe des ärztlichen Honorars be- messen wird. Das dürfte erklären, warum der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. med. Andreas Köhler, we- niger zufrieden wirkte als Knieps.
Zwar betonte Köhler: „Der entschei- dende Gewinn aus dieser Honorarre- form ist, dass bei einem steigenden Bedarf an ärztlicher Leistung durch höhere Morbidität künftig auch mehr Geld zur Verfügung stehen soll.“ Um aber angesichts der künf- tigen Pauschalierung Menge und Qualität der erbrachten Leistungen darzustellen, sei eine zusätzliche Dokumentation unbedingt erforder- lich. Zumal es Aufgabe der Kas- senärztlichen Vereinigungen sei, die Morbidität der Versicherten abzu- schätzen.
Von 2010 an, versprach der KBV- Vorsitzende, werde den Ärztinnen und Ärzten flächendeckend ein Do- kumentationssystem zur Verfügung stehen, dass den bürokratischen Aufwand bei dieser zusätzlichen Dokumentation in Grenzen halte und den Praxisablauf nicht störe.
Gelinge es den KVen, die Morbi- dität so zu schätzen, dass sie den Be- handlungsbedarf wirklich abbilde, bestehe die Hoffnung, dass das Morbiditätsrisiko tatsächlich wieder auf die Krankenkassen verlagert werde. „Wir sind zuversichtlich“, sagte Köhler.
Allerdings warnte der KBV-Vor- sitzende vor überzogenen Erwartun- KBV KONTROVERS ZUM NEUEN EBM
Es wird kein Schlaraffenland geben
Die Weichen für den Euro-EBM ab 2009 sind gestellt. Die Politik zeigt sich zufrieden und verspricht mehr Geld. Doch bei Ärzten und Krankenkassen
reichen die Reaktionen von vorsichtigem Optimismus bis hin zu offener Skepsis.
Großer Andrang bei KBV kontro- vers:Während der Vormittag ganz im Zeichen der EBM- Reform stand, ging es am Nachmittag um Grundsätzli- ches: „Ambulante Versorgung: mehr oder Um-Vertei- lung“ lautete eine der Fragen.
Fotos:Georg J.Lopata
Mehr Geld für die ärztlichen Honorare
muss bei Bedarf über höhere Beitragssätze finanziert werden.
Franz Knieps
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gen. „Die chronische Unterfinanzie- rung des Systems wird nicht sofort behoben.“ Das Übergangsjahr 2008 bis zum Inkrafttreten des Euro-EBM werde noch schwierig für die Ver- tragsärzte und -psychotherapeuten.
„Erst mit den Euro-Gebührenord- nungen auf regionaler Ebene wird es zu einer Entspannung ihrer extrem schwierigen wirtschaftlichen Lage kommen“, betonte Köhler.
Auf die Frage, wie man den bun- desweiten Orientierungspunktwert für die ärztlichen Leistungen an die regionalen Verhältnisse anpassen kann, ohne dass es zu Verwerfungen zwischen den einzelnen KVen kommt, kann zurzeit jedoch noch niemand eine befriedigende Antwort
geben. Die wirtschaftlichen Bedin- gungen seien nicht einmal innerhalb einer KV einheitlich, räumte Köhler ein. „Wie wir das austarieren, ist mir noch nicht klar.“ Gerade in wirtschaftlich schwachen Gebieten mit entsprechend finanzschwachen Krankenkassen sei die Morbidität, an der sich künftig die Gesamtvergü- tung bemessen soll, häufig sehr hoch. Man könne sich deshalb bei
der Anpassung des Orientierungs- punktwerts nicht an der Wirtschafts- kraft eines Landes orientieren. Wirt- schaftlich starke Länder wie Bayern hätten dann allerdings Nachteile.
„Bayern wird ein Zehntel der bishe- rigen Vergütung an die Ostländer verlieren“, kritisierte der Vorsitzen- de der dortigen KV, Dr. med. Axel Munte. Das könne er seinen Ärztin- nen und Ärzten nicht vermitteln. Ei- ne Antwort, wie man hier gegensteu- ern will und in welcher Höhe der re- gionale Anpassungswert vom Orien- tierungspunktwert abweichen darf, musste der KBV-Vorsitzende Köhler noch schuldig bleiben.
Auch bei manchen Verbänden überwiegt derzeit noch die Skepsis angesichts des neuen EBM. „Kein Mensch weiß heute, was die Punkte ab 2009 wirklich wert sind“, bemän- gelte Dr. med. Kuno Winn, Vorsit- zender des Hartmannbundes. Ein
weiterer Kritikpunkt von ihm: So- lange notwendige und wirtschaftli- che ärztliche Leistungen über das Regelleistungsvolumen hinaus ab- gestaffelt vergütet werden, ersetzt man lediglich floatende Punktwerte durch floatende Eurowerte. Bereits die Einführung des EBM 2000plus hat nach Ansicht von Winn schmerz- lich belegt, wie aus einem kalkulato- rischen Punktwert von 5,11 Cent am
Ende in der durchschnittlichen Aus- zahlung 3,7 Cent wurden.
Bislang hätten sich noch bei kei- nem neuen EBM die Hoffnungen be- stätigt, gibt Dr. med. Klaus Bittmann zu bedenken. Der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes rechnet zudem mit Verwerfungen zwischen den Bundesländern wie zwischen Arztgruppen, wenn von 2009 an der einheitliche Orientierungspunktwert festgesetzt wird. Dass die Politik al- lerdings Honorarerhöhungen akzep- tieren wird, selbst wenn dadurch der Beitragssatz erhöht werden muss, hält er für möglich. Schließlich gebe es zunehmend Überlegungen bei Ärztinnen und Ärzten, sich aus dem KV-System zu verabschieden. Mög- lich also, dass die Große Koalition ein spürbares Honorarplus ermöglicht – sozusagen, um die Ärzte bei Laune zu
halten. I
Heike Korzilius, Sabine Rieser
EBM-ZEITPLAN
Mit der Einigung über den „Pau- schalen-EBM“ 2008 im Erweiterten Bewertungsausschuss sind die Ar- beiten an einer neuen Gebühren- ordnung noch lange nicht zu Ende.
So sieht der Zeitplan für die nächs- ten Monate aus:
>Bis 31.10.: letzte redaktionel- le Anpassungen. Angestrebt wurde bis zu diesem Termin auch die Neustrukturierung der Gebühren- ordnungspositionen für die schmerztherapeutische Versorgung gemäß der Qualitätssicherungsver- einbarung Schmerztherapie.
>Bis 15.11.: Überprüfung – der Leistungsbewertungen im EBM 2008
– der bisherigen Beschlüsse zur Festlegung von Regelleistungsvolu- men durch die KVen
– der angemessenen Höhe der Vergütung von ausschließlich psy- chotherapeutisch tätigen Ver- tragsärztinnen und -ärzten
– der Kriterien zur Verteilung von Gesamtvergütungen, insbeson- dere der Anteile für die haus- und die fachärztliche Versorgung
>Bis zum Jahresende: KBV- und KV-Informationsveranstaltun- gen zum neuen EBM
>Bis 1. Juli 2008: Einführung von elf Qualitätszuschlägen für Hausärzte nach Abschluss einer Qualitätssicherungsvereinbarung
Erst mit den Euro-Gebührenordnungen auf regionaler Ebene wird es zu einer Entspannung der wirtschaftlichen Lage kommen.
Andreas Köhler