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Archiv "KBV kontrovers: „Wir leben heute schon auf Pump“" (14.04.2006)

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s war ein großes Aufgebot. Viele Repräsentanten von Ärzte- und Pa- tientenverbänden sowie der Kran- kenversicherung hatten sich am 4. April in Berlin eingefunden. Mit Spannung erwartet wurde der prominenteste Gast bei „kontrovers“, dem regelmäßig statt- findenden Diskussionsforum der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV):

Ulla Schmidt.

Doch die Bundesgesundheitsmini- sterin hielt sich in Sachen Gesundheits-

reform bedeckt. „Wir sind noch nicht so weit, dass wir Ergebnisse vorlegen kön- nen“, sagte Schmidt. Einzig der Zeit- plan steht. Bis zum Sommer will die Re- gierung Eckpunkte mit den Grundzü- gen der Reform vorlegen. „Wir arbeiten an einer soliden Reform, die über diese Legislaturperiode hinaus Antworten gibt“, erklärte die Ministerin. Die Re- gierung werde die einmalige Chance nutzen, dass sie über Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat verfüge.

Oberstes Ziel, so die Ministerin, sei es sicherzustellen, dass auch künftig alle Menschen an der Entwicklung des me- dizinischen Fortschritts teilnehmen und der universelle Zugang zum Gesund-

heitssystem erhalten bleibt. Ein hehres Ziel und zugleich ein teures Unterfan- gen. Allein um das heutige Niveau zu erhalten, müssten die Leistungsausga- ben der gesetzlichen Krankenkassen um rund zehn Milliarden Euro erhöht werden, rechnete Dr. med. Andreas Köhler vor. „Die langjährige Budgetie- rung hat bereits zu Rationierung ge- führt. Ärzte in Krankenhäusern fordern zu Recht 30 Prozent mehr Gehalt, in der ambulanten Versorgung werden 30 Pro-

zent der erbrachten Leistungen nicht vergütet“, kritisierte der KBV-Vorsit- zende. Perspektivlosigkeit treibe die Ärzte auf die Straße. Für Köhler ist klar, dass mehr Geld ins System muss:

„Wir müssen entweder die finanziellen Belastungen möglichst gerecht er- höhen, oder wir müssen drastische Ein- schnitte bei den Leistungsausgaben der GKV vornehmen. Und zwar schnell, denn bereits heute leben wir zu einem guten Teil auf Pump.“

Gegenüber der Ministerin erneuerte Köhler die Kernforderungen der Kas- senärzte für eine Gesundheitsreform.

Dazu gehören die Steuerfinanzierung familienpolitischer Leistungen wie et-

wa die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der GKV, der Erhalt der privaten Krankenversicherung und die Abkoppelung der Beiträge für die Krankenversicherung von den Er- werbseinkommen. Zugleich forderte Köhler mehr Eigenverantwortung der Patienten. Darunter verstehe er aber nicht nur höhere Zuzahlungen, sondern auch mehr Wahlfreiheit. Die Versicher- ten müssten sich zwischen unterschied- lichen Versicherungstarifen und ver-

schiedenen Versorgungsformen ent- scheiden können. Die beklagte man- gelnde Transparenz ließe sich Köhler zufolge beheben, wenn das bisherige Sachleistungssystem auf Kostenerstat- tung umgestellt würde. In jedem Fall plädierte er für eine Vertragsgebühren- ordnung in Euro und Cent.

Die Unzufriedenheit der ärztlichen Basis mit ihren Arbeitsbedingungen und der chronischen Unterfinanzierung des Systems hat die KBV veranlasst, ei- ne Mitgliederbefragung zur Zukunft des KV-Systems vorzubereiten. „Der Spagat zwischen dem Körperschaftssta- tus und unserer Rolle als Interessenver- tretung der Ärzte ist kaum noch zu lei- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 15⏐⏐14. April 2006 AA973

KBV kontrovers

„Wir leben heute schon auf Pump“

Dem Gesundheitssystem fehlen KBV-Chef Andreas Köhler zufolge zehn Milliarden Euro. Über den Weg aus der Misere

verrät Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt noch wenig.

Das Streitgespräch zwi- schen Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt und KBV-Chef Andreas Köhler verdeutlichte eines ganz klar: Das KV-System wird nicht unverändert aus der anstehenden Gesund- heitsreform hervorgehen.

Fotos:Georg J.Lopata

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sten“, begründete Köhler die Aktion, die der KBV bereits jetzt einigen Ärger mit dem Gesundheitsministerium ein- getragen hat. Obwohl er sich klar zu KV-System und Kollektivvertrag be- kennt, hält der KBV-Chef eine Positi- onsbestimmung für notwendig. „Die Debatte über eine KV-Reform würde ich seit Jahren schon gerne führen“, konterte Ministerin Schmidt. „Eine sol- che Debatte über mehr Vertragsfrei- heit, über eine eigene Hausarzt-KV oder eine Öffnung der Krankenhäuser war allerdings bisher nicht gewünscht.“

Dieser Schlagabtausch signalisiert zu- mindest, dass das KV-System nicht un- verändert aus der Gesundheitsreform hervorgehen dürfte. Denn Schmidt sparte nicht mit Kritik an der Selbstver- waltung aus Ärzten und Kassen. Durch deren Blockadehaltung seien wichtige Reformen verhindert oder verzögert worden. „Wir mussten sie ja ausschal- ten, sonst hätten wir bis heute keinen einzigen Vertrag zur Integrierten Ver- sorgung“, entgegnete Schmidt beispiels- weise auf die Forderung von KBV-Chef Köhler, die KVen endlich an der Inte- grationsversorgung zu beteiligen.

Aus ihrer Sympathie für die Haus- ärzte machte Schmidt hingegen keinen

Hehl: „Wir brauchen in einer älter wer- denden Gesellschaft eine gute hausärzt- liche Versorgung und müssen deshalb über klare, abgestimmte Strukturen zwischen Hausärzten, Fachärzten und Krankenhäusern diskutieren.“ Für ver- nünftig hält sie auch den Vorschlag des Deutschen Hausärzteverbandes für ei- ne Honorarreform, die eine weitgehen- de Pauschalierung vorsieht. Sie wolle ein festes Honorarsystem, in dem über Preise und Mengen verhandelt werde, erklärte Schmidt. Außerdem müssten die Vergütungssysteme für ambulante und stationäre Leistungen angeglichen werden. Der Selbstverwaltung warf sie vor, den gesetzlichen Auftrag zur Ho- norarreform bislang nicht umgesetzt zu haben. Dabei steht eine grundlegende Veränderung der ärztlichen Vergütung neben der Reform des Vertragsarzt- rechts und der GKV-Finanzierungsre- form ganz oben auf der gesundheitspo- litischen Tagesordnung. Bis 1. Januar 2008 wolle sie eine gleiche Vergütung in Praxen und Krankenhäusern realisiert sehen, so Schmidt.

Ein wenig zu kurz kam – wie häufig bei gesundheitspolitischen Debatten – der Patient. Dabei lautete der „kontro- vers“-Titel „Neue Balance: der Patient

zwischen Eigenverantwortung und Soli- darität“. Mit Blick auf die anstehende Gesundheitsreform sagte die Patienten- beauftragte für Berlin, Karin Stötzner:

„Die Sorge bei den Patienten ist groß, dass sie mehr bezahlen müssen, denn viele stoßen schon jetzt an ihre Gren- zen.“ Die Alternative zur Erhöhung der Eigenbeteiligung der Patienten sei die weitere Ausdünnung des Leistungskata- loges, hatte zuvor KBV-Chef Köhler ge- warnt. Dieser sei jedoch bereits sehr stark darauf ausgerichtet, nur noch das medizinisch nachgewiesen Wirksame und Notwendige zuzulassen. Würden weitere Leistungen gestrichen, wäre da- mit der Verzicht auf bestimmte medizi- nisch notwendige Leistungen für die Pa- tienten verbunden, die sich diese nicht aus eigener Tasche leisten könnten.

Für die Balance zwischen der Ratio- nierung von Leistungen und dem Heben von Effizienzreserven ist derzeit der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zusammen mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits- wesen (IQWiG) zuständig. Unerwarte- tes Lob für deren Arbeit kam von Prof.

Dr. med. Karl Lauterbach: „Die Koope- ration zwischen G-BA und IQWiG funktioniert besser als erwartet. Ich war ja für ein staatliches System“, sagte der SPD-Politiker. „Der eigentliche Bela- stungstest sind aber die Insulinanaloga.“

Über deren Erstattungsfähigkeit bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes wird der G-BA in Kürze befinden. Der Aus- schuss vertritt die Auffassung, dass die teureren Präparate keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber dem herkömmlichen Humaninsulin haben und deshalb nicht zulasten des Solidarsystems verord- nungsfähig sein sollten. In dieser Ent- scheidung weiß der G-BA offenbar auch die Patientenvertreter in dem Gremium hinter sich. „Es ist auch im Interesse der Patienten, den Leistungskatalog dyna- misch zu halten“, sagte Stefan Edgeton vom Verbraucherzentrale-Bundesver- band. „Eigenverantwortung bedeutet für die Patienten auch, bei mangelndem Nutzen die Therapie umstellen zu las- sen.“ Bei den Insulinanaloga sei die be- hauptete Verbesserung der Lebensqua- lität nicht durch Studien belegt. Edge- ton: „Stellt sich aber heraus, dass es eine Verbesserung gibt, sollte die Leistung in den Katalog.“ Heike Korzilius P O L I T I K

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A974 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 15⏐⏐14. April 2006

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat nun doch eine Schlüsselposition bei den Verhandlungen für die nächste Gesundheits- reform inne. Die SPD-Politikerin leitet eine 16- köpfige Arbeitsgruppe von Union und SPD, die die Vorarbeiten für die Verhandlungen der Ko- alitionspartner leisten soll. Schmidt und ihr Stellvertreter in der Arbeitsgruppe, Unions- fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU), wollen bis zum 1. Mai Reformvorschläge vorlegen.

Auf deren Grundlage beraten dann die Koali- tionsspitzen, die bis zum Sommer Eckpunkte für die Gesundheitsreform beschließen wol- len. Dieser Runde unter Leitung von Bundes- kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehören Schmidt und Zöller nicht an.

Unklar ist nach wie vor die inhaltliche Aus- gestaltung der Reform. Einig sind sich beide Seiten bisher lediglich über die Ziele des Ge- setzesvorhabens. So bekräftigten Schmidt und Zöller, dass künftig alle Bürger über einen Versicherungsschutz verfügen und sich alle an

der Finanzierung des Systems beteiligen sol- len. Zunächst werde man ausloten, wie der Wettbewerb zwischen den Akteuren im Ge- sundheitswesen gestärkt werden kann und Patienten mehr Wahlmöglichkeiten einge- räumt werden können. Man wolle auch dafür sorgen, dass die überbordende Bürokratie ab- gebaut werde. „Es kann nicht sein, dass sich Ärzte mehr mit Formularen beschäftigen müs- sen, als sie Zeit haben, sich mit den Patienten zu beschäftigen“, sagte Zöller.

Schwerpunkt der Beratungen ist die Ausge- staltung der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Arbeitsgruppe wird die sitzungsfreien Wochen um die Osterfeier- tage nutzen, um hierfür Vorschläge auszuar- beiten. „Dabei wird es keine Tabus geben“, sagte ein leitender Mitarbeiter des Bundesge- sundheitsministeriums. Mit einem Gesetzent- wurf der Koalitionäre wird im Herbst gerech- net. Anfang nächsten Jahres soll die Gesund- heitsreform in Kraft treten. SR

Der Fahrplan zur Gesundheitsreform steht

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