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Archiv "KBV Kontrovers: „Ärzte können nicht alles selbst machen“" (07.11.2008)

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A2360 Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 105⏐Heft 45⏐7. November 2008

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chwester Agnes ist Mitte fünfzig, resolut und knattert seit mehr als 30 Jahren auf ihrem Motorroller über Land, um als Ge- meindeschwester ihre Patienten zu betreuen. Die beliebte Figur aus ei- nem DDR-Fernsehfilm von 1975 sorgt jetzt indirekt erneut für Schlagzeilen. Als AGnES (arztent- lastende, gemeindenahe, E-Health- gestützte systemische Intervention), Verah (Versorgungsassistentin in der hausärztlichen Praxis) oder Mo- Pra (Mobile Praxisassistentin) ist sie im Rahmen von Modellprojek- ten in der Wirklichkeit der medizi- nischen Versorgung angekommen.

Heftiger Streit ist nun darüber ent- brannt, inwieweit die wirklichen

„Gemeindeschwestern“ eigenverant- wortlich tätig sein dürfen. „AGnES und Co.: Wird die Schwester bald zum Doktor?“ lautete deshalb der Titel der Diskussionsrunde, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in ihrer Reihe „KBV kontro- vers“ am 30. Oktober in Berlin ver- anstaltete.

Die Bedarfsanalyse fällt dabei relativ eindeutig aus. „In unseren

heutigen Versorgungsstrukturen sind wir nicht in der Lage, in Zukunft die steigende Zahl chronisch Kranker und Multimorbider flächendeckend angemessen zu versorgen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Dr. med.

Andreas Köhler. In einigen struktur- schwachen Gebieten mangele es be- reits heute an Ärzten. Der KBV- Chef befürwortet deshalb, dass Pfle- gekräfte und andere Fachberufe, vor allem aber besonders qualifizierte

Medizinische Fachangestellte mehr Aufgaben übernehmen. „Ärzte kön- nen nicht alles selbst machen. Wo- gegen wir uns allerdings nachdrück- lich aussprechen, ist eine Substitu- tion ärztlicher Leistungen“, stellte Köhler klar. Die Substitution, also

die Verlagerung ärztlicher Tätigkei- ten in den Verantwortungsbereich anderer Fachberufe, lehnt auch Köhlers Vorstandskollege Dr. med.

Carl-Heinz Müller kategorisch ab:

„Das führt zu einer schleichenden Aushöhlung des medizinischen Ver- sorgungsniveaus.“ Müller plädierte in Berlin dafür, solche Leistungen zu delegieren, die die Patienten in ihrem Wohnumfeld unterstützen.

Das könne von der Anleitung der Angehörigen zur Überwachung der

Medikamentengabe über eine Früh- erkennung von Demenzen bis hin zur Sturzprävention oder der Kon- trolle von Blutdruck- oder Blut- zuckerwerten reichen.

Für diese arztentlastenden Tätig- keiten eignet sich nach Ansicht der KBV am besten eine Praxismitar- beiterin. Dafür sprechen die kurzen Kommunikationswege und die Ver- trautheit mit den Patienten. Außer- dem sei damit gewährleistet, dass die Delegationsleistungen unbüro- kratisch abgerechnet werden könn- ten. Denn die KBV und die Kran- kenkassen verhandeln zurzeit im Bewertungsausschuss über eine ei- gene Ziffer im Einheitlichen Bewer- tungsmaßstab.

Diese von den Ärzten bevorzugte Form der Aufgabenteilung ging Ma- rie-Luise Müller längst nicht weit genug. Die streitbare Präsidentin des Deutschen Pflegerats erklärte:

„Die Neuausrichtung, die wir brau- chen, ist mehr als eine Arztentlas- KBV KONTROVERS

„Ärzte können nicht alles selbst machen“

Vor allem auf dem Land zeichnet sich bereits heute ein Mangel an Ärzten ab. Dabei wird die Gesellschaft älter und kränker. Nicht ärztliche Gesundheitsberufe sollen die Lücke füllen.

Streit gibt es darüber, wie weit deren Eigenständigkeit gehen soll.

Schwester Agnes im Einsatz: Schauspielerin Agnes Kraus verkörperte die Gemeindeschwes- ter im DDR-Fernsehen. Das DÄ widmete dem Thema 2006 in Heft 44 eine Titelgeschichte.

Die Substitution ärztlicher Leistungen führt zu einer schleichen- den Aushöhlung des medizinischen Versorgungsniveaus.

Dr. med. Carl-Heinz Müller, KBV-Vorstand

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Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 105⏐Heft 45⏐7. November 2008 A2361

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tung. Hier geht es um das Teilen von Wissen, von Macht und von Geld.“ Es gehe um ein neues Mit- einander der Gesundheitsberufe.

Müller forderte vor dem Hinter- grund der fortschreitenden Akade- misierung erweiterte Kompetenzen für die Pflegenden. Dazu zählte sie die Verordnung von Heil- und Hilfs- mitteln ebenso wie ein eigenstän- diges Pflege-Assessment. „Warum muss ein Arzt Windeln verordnen?“, fragte Müller. „Das ist doch gar nicht sein Thema, sondern das der- jenigen, die dafür ausgebildet wor- den sind.“

Das Zukunftsszenario, das die Prä- sidentin des Pflegerats in Berlin ent- warf, hörte so mancher Vertreter der Ärzteschaft mit Schrecken. Ihr Vor- bild sind die selbstständig tätigen Hebammen. Analog könnten auch Pflegekräfte in eigenen Praxen tätig sein und in Ergänzung zur ärztlichen Therapie prophylaktisch und pflege- risch tätig werden. „Ein Mensch ist nicht nur krank. Es gilt, durch hoch qualifizierte Pflegekräfte die gesun- den Anteile zu fördern“, sagte Müller.

Mit diesen Thesen stieß sie nicht nur beim KBV-Vorstand auf Wi- derstand. Auch die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Cornelia Goesmann, warn- te am Rande des KBV-Kongresses davor, ureigene ärztliche Aufgaben an andere Gesundheitsberufe abzu- geben. „Patienten wollen eine ganz- heitliche Versorgung. Sie wollen keine Zwischenversorgungsebene.

Konzepte und Modellvorhaben, die auf eine Lockerung des Arztvorbe- halts in Diagnostik und Therapie hinauslaufen, lehnen wir grundsätz- lich ab“, betonte die Vizepräsidentin.

In einem gemeinsamen Positions- papier zur Delegation ärztlicher Leis- tungen weisen BÄK und KBV dar- auf hin, dass Patienten bei Leistun- gen, die unter Arztvorbehalt stehen, einen Anspruch auf Behandlung nach Facharztstandard haben. Dies gilt in Praxen und Krankenhäusern gleichermaßen. Genau dies könnte nach Meinung des Medizinrechtlers Prof. Dr. Christian Katzenmeier bei einer kompletten Übertragung (also Substitution) ärztlicher Leistungen und Verantwortlichkeiten auf nicht ärztliche Berufe rechtliche Probleme

bereiten. Noch gebe es keine Urteile in Schadensfällen, die durch selbst- ständig tätige Pflegekräfte hervorge- rufen worden seien. „Wenn die Ge- richte darüber zum ersten Mal ent- scheiden müssen, werden sie mit Si- cherheit den Facharztstandard anset- zen“, sagte Katzenmeier bei „KBV kontrovers“. Pflegekräfte hätten aber keine Facharztweiterbildung.

Bei der reinen Delegation von Leistungen bleibe dagegen die Ver- antwortung beim Arzt. Denn Ärzte

haften nicht nur für eigene Fehler, sondern auch für Pflichtverletzun- gen ihrer Mitarbeiter.

Katzenmeier glaubt, dass die De- legation ärztlicher Leistungen noch weiter gefasst werden könnte: „Das Recht bietet hierfür ausreichend Spielraum.“ Es setze erst dort Gren- zen, wo die Patienteninteressen ge- fährdet seien. Die Substitution ärzt- licher Leistungen hält Katzenmeier allerdings für „rechtlich sehr be- denklich“.

„Das sollte uns aber nicht daran hindern, über neue Kooperations- formen in der Patientenversorgung nachzudenken, denn bestehendes Recht kann man ändern“, erläuterte der Vorsitzende des Sachverständi- genrats zur Begutachtung der Ent- wicklung im Gesundheitswesen, Prof. Dr. Eberhard Wille. Das Gre-

mium hatte sich bereits 2007 in ei- nem Gutachten für mehr Kooperati- on zwischen den Gesundheitsberu- fen ausgesprochen. Danach sei eine neue Aufgabenverteilung nicht nur wegen der fortschreitenden Spezia- lisierung im Gesundheitswesen, des demografischen Wandels und der Veränderung des Morbiditätsspek- trums geboten. Vielmehr ließe sich die Arbeitszufriedenheit aller Ge- sundheitsberufe durch sinnvolle Ar- beitsteilung verbessern. „Viele Ärz-

te müssen heute Tätigkeiten verrich- ten, für die sie überqualifiziert sind“, stellte Wille fest. Auf der anderen Seite wünschten sich Pflegekräfte oder Medizinische Fachangestellte mehr Verantwortung. Selbstverständ- lich dürfe die Qualität der Versor- gung nicht leiden: „Der Sachverstän- digenrat hat aber auch nicht gefor- dert, dass künftig Krankenschwes- tern Organe transplantieren sollen.“

Dass die medizinische Versor- gung günstiger werde, wenn Kran- kenschwestern oder Medizinische Fachangestellte ärztliche Aufgaben übernähmen, glaubt der Gesund- heitsökonom nicht. Die Ärzte hät- ten in diesem Fall mehr Freiräume, sich anderen Aufgaben zu widmen.

Deshalb würden die Ausgaben der Krankenkassen nicht geringer. I Heike Korzilius, Samir Rabbata

AGNES BALD BUNDESWEIT IM EINSATZ?

Politik und Wissenschaft sind mit dem Modellprojekt „Schwester AGnES“ zufrieden. Als „wegweisendes Projekt für die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen“ bezeichnete es der Beauftragte der Bun- desregierung für die neuen Länder, Bundesminister Wolfgang Tiefensee, auf einer Konferenz zum Ab- schluss der Initiative in Berlin. Vom 1. Januar 2009 an soll AGnES deshalb auf alle vom demografischen Wandel besonders betroffenen Regionen ausgedehnt werden.

Das Institut für Community Medicine an der Universität Greifswald hat in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsministerien der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen- Anhalt vor vier Jahren ein Konzept zur Entlastung von Hausärzten in ländlichen und von hausärztlichen Unterversorgung bedrohten Regionen entwickelt (AGnES = arztentlastende, gemeindenahe, E-Health- gestützte systemische Intervention). In zurzeit vier Modellprojekten wird untersucht, ob speziell qualifi- zierte Praxismitarbeiter, sogenannte AGnES-Fachkräfte, den Hausarzt durch die Übernahme von medizi- nischen Tätigkeiten unterstützen können. Insbesondere geht es dabei um Hausbesuche. Bisher waren in den AGnES-Projekten 38 Fachkräfte für 53 Hausärzte im Einsatz, die insgesamt 1 545 Patienten be-

treut haben. hil

Die Neuausrichtung, die wir brauchen, ist mehr als eine Arztent- lastung. Es geht um das Teilen von Wissen, Macht und Geld.

Marie-Luise Müller, Präsidentin des Deutschen Pflegerats e.V.

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