Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 27⏐⏐3. Juli 2009 A1431
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reie Assistenzarztstellen zu besetzen, ist in vielen Klini- ken nicht mehr möglich. Nicht nur deshalb stellt sich die Frage, ob Ärz- tinnen und Ärzte auf den Stationen qualifikationskonform eingesetzt werden. Zweifelsfrei kann man seit Einführung der diagnoseorientier- ten Fallpauschalen und der damit einhergehenden drastischen Verkür- zung der Verweildauer von sta- tionären Patienten eine Veränderung des Aufgabenprofils von Stations- ärzten in Kliniken konstatieren.Der Arbeitsalltag der Ärzte ist heute oft mangelhaft organisiert und überfrachtet mit Tätigkeiten, die von nicht ärztlichem Assistenzpersonal erledigt werden könnten. Die Pflege sieht – zu Recht – ihre Aufgaben in der Patientenversorgung und nicht im Service für den Arzt. Ärzte führen Tätigkeiten zuweilen doppelt aus, müssen unnötige Telefonate führen, werden häufig gestört. Nicht einge- haltene oder nicht existente Zeitvor- gaben erschweren die Zusammenar- beit mit den anderen Berufsgruppen und verärgern die Patienten.
Es gilt, Auswege aus diesem Di- lemma zu finden. Der ärztliche Ar- beitstag ist daraufhin zu prüfen, in- wieweit die Tätigkeiten zwingend nur mit ärztlicher Kompetenz zu er-
bringen sind. Diese Erkenntnis und die oberärztliche Erfahrung, dass die Stationsärzte häufiger am Com- puter als beim Patienten angetroffen wurden, führte zu zwei in einem Schwerpunktkrankenhaus durchge- führten Projekten: Im ersten Projekt wurden alle Aufgaben des stations- ärztlichen Personals zweier internis- tischer Stationen mit kardiologi- schem Schwerpunkt aufgelistet, der Zeitbedarf abgeschätzt und die Art der Erledigung bewertet. Das zweite Projekt beschäftigte sich in der Fol-
ge mit der Einführung von Medizi- nischen Fachangestellten (früher:
Arzthelferinnen) als neue Berufs- gruppe auf der Station, mit dem Ziel, den ärztlichen Dienst zu entlasten.
Als nicht überraschendes Ergeb- nis des ersten Projekts bildete sich die enorme Arbeitsverdichtung der Stationsärzte, insbesondere im admi- nistrativen Bereich, ab. Ursache die- ser Mehrbelastung war die Steige- rung der Fallzahl bei verkürzter Lie- gedauer und gleichzeitig gestiegen- der Zahl der während des Aufenthalts durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Aller- dings bestätigte sich auch die zumin- dest partielle Ineffizienz des ärztli- chen Personaleinsatzes: Unter ande- rem werden Befunde lange gesucht,
Disketten hin- und hergetragen, Arzt- briefe von Ärzten selbst geschrieben und viele Telefonate mit Funktions- abteilungen geführt, die rein logisti- scher Natur sind. Das Ergebnis des Projekts 1 erschütterte vor dem Hin- tergrund, dass in dem Krankenhaus bereits grundlegende Organisations- änderungen zur Entlastung des Ärzt- lichen Dienstes eingeführt worden waren (medizinische Codierassisten- ten, Stationssekretärinnen, zentrale Bettendisposition, Entlassmanage- ment durch Pflege und Sozialdienst).
Auch wenn ein Teil der aufgeliste- ten Probleme durch wenige Ände- rungen gelöst werden konnte, war es die wesentliche Erkenntnis des ers- ten Projekts, dass eine effektive Ent- lastung der Stationsärzte nur mit Un- terstützung durch direkt zugeordne- tes Assistenzpersonal möglich ist.
Mit Blick auf gut organisierte Arzt- praxen, die ebenfalls hohe Patienten- zahlen zu meistern haben, fiel die ers- te Wahl auf die Medizinische Fach- angestellte. In der Arztpraxis gehört es zu den Aufgaben der Fachange- stellten, die ärztliche Arbeit vor- und nachzubereiten und auf das Notwen- dige zu beschränken. In keiner Praxis wird ärztlicherseits daran gedacht, Termine selbst zu vereinbaren, Be- funde zu sortieren oder Patienten ins Behandlungszimmer zu holen.
Die Einführung der Medizinischen Fachangestellten als zusätzliche Be- rufsgruppe auf einer Krankenstation ist keineswegs trivial. Nachdem über Jahrzehnte die Arbeit des stations- ärztlichen Dienstes wenig Beachtung seitens der Verwaltung gefunden hat, kommt der Neudefinition der Aufga- ben und die Erbringung eines Teils derselben durch nicht ärztliches Per- sonal einem Paradigmenwechsel gleich. In einem komplexen und tra- ditionell gewachsenen Gefüge eines großen Krankenhauses sind hausin- terne politische Überlegungen genau- so zu beachten wie die zahlreichen Schnittstellen der Tätigkeiten.
MEDIZINISCHE FACHANGESTELLTE IM KRANKENHAUS
Ärzte und Pflegekräfte werden entlastet
Erfolgreiches Pilotprojekt am Klinikum Coburg
Foto:Harald Pless
Delegation statt Substitution – die Arztsekretärinnen Nadine Streng (l.) und Kathrin Ölzner übernehmen adminis- trative Tätigkeiten, die keine spezielle medizinische Aus- bildung erfordern.
Harald Pless (l.) und Dirk Günthel gewin- nen Zeit für ihre Pati- enten.
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Folgende Aufgaben wurden am Klinikum Coburg von den Arztse- kretärinnen übernommen:
> Strukturierung des ärztlichen Arbeitstages
>Vor- und Nachbereitung der Vi- siten sowie aller Kontakte des Arz- tes mit Patienten und Angehörigen
>Begleitung der Visiten, Doku- mentation des Behandlungsverlaufs und der ärztlichen Anordnungen
>Informationsaustausch mit der Pflege, den Funktionsabteilungen, sowie Patienten und Angehörigen
> Eingabe von Anforderungen mit den Vorbefunden und bei der Vi- site kommunizierten Fragestellun- gen in das Krankenhausinformati- onssystem
> Präsentation und Einordnung der Befunde
> Erledigung aller logistischen Aufgaben und Vereinbarungen
>Filterung der Telefonate insbe- sondere bei der Visite
>Vorbereitung der Aufklärungs- gespräche sowie
>Blutentnahmen.
Vor der Einführung der Arztse- kretärinnen auf der Station waren ei- nige Hemmnisse zwischen den Be- rufsgruppen zu überwinden: mögli- che Überschneidungen der Aufga- ben von Arzt, Arztsekretärin, Pflege-
kraft, Stationsleitung und Stations- sekretärin, der beengte Raum auf dem Stützpunkt durch weitere Mit- arbeiter, die Vidierungskompetenz im EDV-System und vieles mehr.
Im Zuge der Projektumsetzung wurde der historisch entstandene Workflow überprüft und verbessert.
Im Ergebnis wurde ein Teil der bis- her im Stützpunkt durchgeführten Arbeiten der Pflege sinnvoll in weni- ger genutzte Nebenräume verlagert und baulich eine Trennung zwischen Arbeitsraum Pflege und Arbeitsraum Ärzte/Arztsekretärin vollzogen. Da- durch konnten die sich bisher oft überkreuzenden Wege der verschie- denen Berufsgruppen entflochten werden. Der Umbau der Stations- zimmer brachte eine zusätzliche Ordnung: Statt eines engen Büros mit flankierenden schmalen Gängen gibt es nun zwei optisch und akus- tisch getrennte Arbeitsräume, die auch Platz für Computerarbeitsplätze für ärztliches, pflegerisches und zu- sätzliches Assistenzpersonal bieten.
Neben den baulichen und organi- satorischen Änderungen war die be- gleitende Schulung der neuen Mit- arbeiterinnen sowie der Stations- ärzte und Pflegekräfte ein wichtiger Bestandteil für die erfolgreiche Um- setzung des Projektes.
Mittlerweile sind die Arztse- kretärinnen im Stationsalltag kaum mehr wegzudenken und als „Wett- bewerbsvorteil“ bei der Akquise neuer ärztlicher Mitarbeiter einzu- bringen. Auch in der Pflege wech- selte die Stimmung von anfängli- cher Ablehnung über Skepsis hin zu ausdrücklicher Befürwortung.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Delegation administrativer ärztlicher Tätigkeiten auf nachgeord- netes Assistenzpersonal effektiv und effizient. Gerade in Zeiten des Ärz- temangels lässt sich die Leistungs- fähigkeit einer Abteilung steigern, wenn nicht an die Person des Arztes gebundene Tätigkeiten sinnvoll dele- giert werden. Für eine Arztstelle kön- nen die Personalkosten von zwei bis drei Medizinischen Fachangestellten refinanziert werden. Mit Unterstüt- zung der Arztsekretärinnen entstehen professionelle, von Kontinuität getra- gene Arbeitsabläufe. Vor allem ge- winnen die Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Weiterbildung. Hierdurch er- höht sich die Arbeitszufriedenheit deutlich. Zusätzlich steigt die Patien- tenzufriedenheit, weil die Ärzte mehr Zeit mit Patienten- und Angehörigen- gesprächen verbringen können. I Dr. med. Harald Pless MBA Dr. rer. oec. Sylvia Schafmeister
GOÄ-RATGEBER
Soll der Arzt eine Bescheinigung für den Kin- dergarten oder die Schule ausstellen, die die
„Freiheit von ansteckenden Krankheiten“ attes- tiert, so hängt die Rechnungslegung nach der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) von Art und Umfang der dazu vom Arzt notwen- digerweise zu erbringenden Leistungen ab.
Dies gilt für privat als auch für gesetzlich versi- cherte Patienten.
Bei gesetzlich versicherten Patienten bezie- hungsweise deren Erziehungsberechtigten gilt, dass diese vor Erbringung der Wunschleistung schriftlich zustimmen müssen. Sie müssen dar- auf hingewiesen werden, dass sie die Kosten selbst tragen müssen, weil diese nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Die priva- ten Krankenversicherungen sind ebenfalls nicht verpflichtet, die Kosten für Wunschleistungen (die gemäß § 12 Absatz 3 GOÄ als solche auf
der Rechnung zu kennzeichnen sind) zu über- nehmen. Nach Erbringen der Leistung wird eine Rechnung nach GOÄ erstellt und fällig. Vorkas- se oder Pauschalen sind nicht zulässig.
Wird der Arzt ausschließlich aufgesucht, damit er das Kind per Attest für „kindergarten- oder schulfähig“ erklärt, so können neben dem Attest (nach Nr. 70 GOÄ) auch die Beratung und Untersuchung privat in Rechnung gestellt werden. Je nach Dauer können für die Bera- tung die Nrn. 1 oder 3 GOÄ, für die Untersu- chung die Nrn. 5, 6, 7 (oder im Ausnahmefall Nr. 8) GOÄ und gegebenenfalls der Kinderzu- schlag gemäß K1 angesetzt werden.
Ist das Attest hingegen „Nebenprodukt“ ei- nes – etwa zur Behandlung oder Vorsorgeun- tersuchung – geplanten oder medizinisch not- wendigen Besuchs, gehen Beratung und Unter- suchung zulasten der gesetzlichen oder priva-
ten Krankenversicherung. Das Attest ist von den Eltern zu bezahlen.
Eine Mutter, die nach der kurativen Behand- lung einer Konjunktivitis ihres Kindes den Arzt nur zu dem Zweck aufsuchte, damit er per At- test für den Kindergarten bestätigte, dass das Kind „frei von ansteckenden Krankheiten“ sei, meinte, dass der Arzt sich auf die Untersu- chung des Auges habe beschränken müssen.
Dieser Protest schlug fehl, weil der Arzt das ge- wünschte Attest ohne eine entsprechende Un- tersuchung nicht hätte ausstellen können.
Aus diesem Grund ist es wichtig, die Eltern entsprechend zu informieren und sich vor Er- bringung der Wunschleistung eine Zustimmung mit Kostenaufstellung (detailliert nach GOÄ) unterschreiben zu lassen. Sollten trotzdem Pro- bleme oder Streitigkeiten auftreten, kann die zuständige Ärztekammer aufklärend, gegebe- nenfalls auch schlichtend, tätig werden.
Dr. med. Anja Pieritz
Beratung und Untersuchung bei Kindergartenattesten