A 1504 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 107|
Heft 31–32|
9. August 2010FEHLBILDUNGEN BEI KINDERN
Keine Gefahr in zehn Kilometern Umkreis
Haben Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft in der Nähe von Kernkraftwerken gewohnt haben, häufiger Fehlbildungen? Nein, lautet das Ergebnis einer Studie.
A
nders als bei den kindlichen Leukämien (Dtsch Arztebl 2008; 105[42]: A 725) steigt das Risiko für große Fehlbildungen bei Kindern in der Nähe von Kern- kraftwerken nicht signifikant. Es besteht auch keine negative Ab- standsrelation, vielmehr ist das Ri- siko für Mal formationen im direk- ten Umfeld von Leistungsreakto - ren nahezu identisch mit dem in Kontrollregionen. Dieses Ergebnis der prospektiven epidemiologi- schen Untersuchung „Kind und Kernkraftwerk“ (KuK) wertet An- nette Queißer-Wahrendorf (Mainz) als Studienleiterin in erster Linie als beruhigend für die Eltern.Der Abschlussbericht der Unter- suchung ist jetzt in Mainz vorgestellt worden. Im Rahmen der Studie ha- ben acht speziell geschulte Pädiater
standardisiert über 14 Monate bei 5 273 Kindern die Rate und Art gro- ßer Fehlbildungen erhoben. Es gab ein vorgeburtliches Aufnahmege- spräch und nach der Geburt standar- disierte klinische und sonographi- sche Untersuchungen. Verglichen wurden 2 423 Kinder der Studienre- gion, deren Mütter während der Schwangerschaft in einem Radius von zehn Kilometern um die beiden Kernreaktoren Biblis und Philipps- burg gewohnt hatten. Als Kontrollen dienten 2 850 Kinder aus den Regio- nen Kaiserslautern, Zweibrücken und Pirmasens, alle circa 20 Kilo- meter entfernt. Insgesamt wurden 90 Prozent der Geburten und 95 Pro- zent der Fehlbildungen erfasst.
In der Studienregion wiesen 108 Kinder (4,5 Prozent) eine große Malformation auf, in der Kontroll-
region 135 (4,7 Prozent). Insgesamt wurden 200 Malformationen (181 Einzelfehlbildungen, 17 kombinier- te Fehlbildungen) erhoben. Neun Fälle wurden ausgeschlossen, da ein ursächlicher Zusammenhang be- kannt war. Bei der Risikoberech- nung wurden bekannte Kofaktoren berücksichtigt (mütterliches Alter, familiäre Fehlbildungen et cetera).
Keiner der getesteten Einflussfak - to ren habe nach Adjustierung einen re lativen Einfluss auf das Ergeb- nis (Odds Ratio unadjustiert 0,94, adjustiert 0,90) gehabt, berichtete Claudia Spix (Mainz) vom Institut für Medizinische Biometrie, Epide- miologie und Informatik. Wurden Deformationen durch genetische Vorbelastung ausgeschlossen, ergab sich ein relatives Risiko von 1,0. In den Prüfregionen gab es auch keine erhöhten Fehlbildungsraten für be- stimmte Organsysteme und keine erhöhte Rate induzierter Aborte.
Der im Vergleich zur Perinatalerhe- bung höhere Prozentsatz von gro- ßen Fehlbildungen ist bedingt durch die aktive und standardisierte Erfas- sung von Lebend- und Totgeburten (ab 20. Schwangerschaftswoche) sowie Abbrüchen nach der ehemali- gen „embryopa thischen Indikation“.
Dieses Vor gehen hat sich bereits seit 20 Jahren im Rahmen des Mainzer Modells bewährt, bei dem systema- tisch die Fehlbildungen in Rhein- hessen exemplarisch für Deutsch- land populationsbezogen erhoben werden. Die Häufigkeit von Fehlbil- dungen schwankt dabei zwischen 4,5 und etwa sechs Prozent.
Eine Erhöhung auf sieben Pro- zent wäre mit der Population der KuK-Studie erfasst worden. Zeit- dauer und Radius der Studienregion waren nach Angaben von Spix aus- gelegt, um eine Erhöhung der Mal- formationsrate um 32 Prozent mit einer „power“ von 80 Prozent zu objektivieren. In die Kohortenstu- die wurden 31 Kliniken und Institu- te einbezogen. Die Finanzierung er- folgte nach dem Zuschlag für ein Ausschreibungsprojekt vom Bun- desamt für Strahlenschutz. ■ Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
@
Der Forschungsbericht im Internet:www.aerzteblatt.de/101504
Foto: Visum