• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Erhebung von Fehlbildungen" (05.03.1993)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Erhebung von Fehlbildungen" (05.03.1993)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Vorwort

Im Jahr 1989 wurden rund 880 000 Kinder in der Bun- desrepublik Deutschland geboren*). Bei einer Fehlbil- dungsrate um fünf Prozent ergibt sich eine Gesamtzahl von etwa 44 000 Neugeborenen mit Fehlbildungen, von denen rund 20 Prozent — das entspricht etwa 9000 Fäl- len — als „schwer" einzustufen sind. Die Ursachen von Fehlbildungen sind keineswegs befriedigend geklärt.

Neben den gen- und chromosomenbedingten Störun- gen kommen besonders exogene Verursachungen wie pränatale Infektionen (zum Beispiel Rötelnerkrankung in der Gravidität) oder pränatale Intoxikationen (zum Beispiel Abusus von Alkohol, Nikotin oder auch die Ein- nahme von Medikamenten, wie etwa in den sechziger Jahren Thalidomid = Contergan) in Betracht.

Mit angeborenen Fehlbildungssyndromen kann eine Disposition zu malignen Erkrankungen verbunden sein.

So ist bei Kindern mit DOWN-Syndrom im Alter unter zehn Jahren das Risiko für eine Leukämie-Erkrankung acht- zehnmal größer als bei gesunden Gleichaltrigen. Dar- über hinaus bestehen zwischen onkologischen Erkran- kungen und Fehlbildungen zwei weitere, schwerwiegen- de und in ihrer Auswirkung sehr negative Analogien.

Die erste Analogie betrifft die epidemiologische Er- fassung. Sie ist sowohl bei den Fehlbildungen wie bei den krebsartigen Erkrankungen sehr unbefriedigend.

Ihre Registrierung ist lückenhaft und entspricht keines- wegs dem internationalen Standard. Dadurch wird eine frühzeitige Erkennung dieser beiden, nicht selten mit Umwelt-Belastungen in Verbindung gebrachten Krank- heitskomplexe beträchtlich erschwert. Die zweite Ana- logie besteht in der unzureichenden Zusammenarbeit deutscher Arbeitsgruppen mit internationalen wissen- schaftlichen Dachorganisationen. Aus dem oben skiz- zierten Sachverhalt können die international geforder- ten Standards für die Datensammlung und Bearbeitung von den bundesdeutschen Institutionen — mit ganz we- nigen Ausnahmen — bisher nicht erfüllt werden.

*) Quelle: Statistisches Jahrbuch 1991

Wenn die Bundesrepublik Deutschland (alte Bun- desländer) auf dem Sektor der Krebsepidemiologie für ihre sechzig Millionen Einwohner einzig durch das Krebsregister des Saarlandes (eine Million Einwohner) vertreten war, dann besteht hier ein ganz offenkundiges Defizit. Dieser Rückstand wird nur dadurch gemildert, daß seinerzeit das in der ehemaligen „DDR" unter Mel- depflicht geführte Krebsregister dem internationalen Standard entsprach und der internationalen Vereini- gung der Krebsregister (International Association of Cancer Registries = IACR) angehörte.

Im Bereich der Fehlbildungen ist die Sachlage noch ungünstiger. Denn bisher ist nur der Arbeitsgruppe an der Universitätskinderklinik in Mainz, neuerdings im Verbund mit Magdeburg die Zusammenarbeit auf inter- nationaler Ebene gelungen (Eurocat = European Regi- stration of Congenital Anomalies and Twins). Die Mainzer Arbeitsgruppe überwacht pro Jahr etwa 4000 Früh- und Neugeborene sowie die pränatalen Schwan- gerschaftsabbrüche unter Bedingungen, die im euro- päischen Bereich als Standard gelten. Bei einer Gebur- tenzahl von etwa 880 000*) Kindern pro Jahr zeigt das numerische Mißverhältnis, wie dringlich die Überwin- dung dieses epidemiologischen Defizits ist. Fehlbil- dungsregister müssen zur Analyse von Umwelteinflüs- sen eingerichtet werden.

Die im Sozialgesetzbuch V kodifizierte Gesundheits- berichterstattung hat die möglichen Zusammenhänge zwischen Umwelt und Krankheit zu beobachten und die Grundlagen zur Vorbeugung beziehungsweise Verhü- tung derartiger Zusammenhänge (Prävention) bereitzu- stellen. Zu den international bewährten Instrumenten für eine erfolgreiche Erkennung und Bearbeitung dieser Probleme gehören Register, die unter optimalen daten- schutzrechtlichen Bedingungen arbeiten können.

Eine angemessene und praktikable Lösung dieses Anliegens, insbesondere auch im datenschutzrechtli- chen Bereich mit Hilfe des sogenannten „Mainzer Mo- dells" wird in der nachfolgenden Empfehlung zur Ein- richtung von Fehlbildungsregistern von einer Experten- gruppe vorgeschlagen.

(Dr. med. Karsten Vilmar)

Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztestages

(Prof. Dr. med. Klaus-Ditmar Bachmann)

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bun- desärztekammer

BUNDESÄRZTEKAMMER

Erhebung von Fehlbildungen

Empfehlung des

Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer

A1 -648 (58) Dt. Ärztebi. 90, Heft 9, 5. März 1993

(2)

1. Ausgangssituation und Informationsbedarf

Angeborene morphologische De- fekte zählen zu den häufigsten Todes- ursachen bei Kindern. Aus internatio- nalen Studien ist bekannt, daß etwa fünf Prozent aller Neugeborenen ange- borene morphologische Defekte auf- weisen, von diesen sind etwa 20 Pro- zent als schwere Fehlbildungen zu cha- rakterisieren. Diese Zahlen vermitteln nur eine grobe Orientierung, sie sind definitions- und untersucherabhängig und variieren zwischen verschiedenen Erhebungen. Der weitaus größte Teil aller Fehlbildungen ist ätiologisch un- geklärt.

Zuverlässige, kontinuierliche und flächendeckende Angaben über die Häufigkeit und Art von Fehlbildungen werden benötigt, um zeitliche und re- gionale Häufungen zu entdecken. Die Erkennung derartiger Häufungen dient der Ursachenforschung, zum Beispiel der Entdeckung neuer oder bisher nicht bekannter mutagener, teratoge- ner oder fetotoxischer Noxen. Aber auch ohne das Auftreten örtlicher oder zeitlicher Häufungen können aus syste- matischen Fehlbildungserhebungen wichtige Erkenntnisse zur Ätiologie ge- wonnen werden.

Angesichts der in den letzten Jah- ren immer stärker ausgebauten präna- talen Diagnostik können Veränderun- gen von Fehlbildungshäufigkeiten nicht mehr allein im Rahmen der Dokumen- tation von Geburten festgestellt wer- den. Zum Beispiel wird eine Anenze- phalie heute bereits in der Früh- schwangerschaft diagnostiziert und geht damit in der Regel nicht mehr in eine konventionelle Fehlbildungsstati- stik ein. Zur Erkennung möglicher ge- netischer Gefährdungen der Gesamt- bevölkerung oder speziell exponierter Teilpopulationen müssen daher auch die Ergebnisse von pränatalen Chro- mosomen- und Ultraschalluntersu- chungen Berücksichtigung finden.

Obwohl. die Bundesrepublik Deutschland besonders stark von der Thalidomid-Katastrophe betroffen war, findet hier im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, darunter fast alle Staaten der EG, bis heute keine syste- matische, den qualitativen und quanti- tativen Erfordernissen genügende Er- hebung von Fehlbildungen statt. In der amtlichen Statistik werden trotz beste- hender Meldepflicht nur etwa zehn Prozent aller Fehlbildungen erfaßt, un- klare Definitionen der zu meldenden Fehlbildungen sowie unterschiedlicher

Kenntnis- und Motivationsstand der Meldepflichtigen bedingen die sub- stantiellen Mängel dieser Statistik, die zur Ursachenforschung nicht brauch- bar ist.

In Erkenntnis der bestehenden De- fizite hat der Deutsche Ärztetag 1991 den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer um eine Stellung- nahme und die Aufzeigung von Lö- sungsvorschlägen gebeten.

2. Verbundkonzept zur Erfassung

von Fehlbildungen

Die Einrichtung eines bundeswei- ten, flächendeckenden Fehlbildungsre- gisters kommt derzeit aus Gründen der Praktikabilität und Finanzierbarkeit sowie der politischen Durchsetzbarkeit nicht in Betracht, auch wenn die gründ- liche und umfassende Erhebung sämtli- cher Fehlbildungen, zum Beispiel nach dem Vorbild des „Northern Regional Fetal Abnormalities Survey" in Großbri-

2.1 Flächendeckende, bundes- weite Informationen aus den Perinatalstudien

Nachdem in den Perinatalstudien der größte Teil aller Geburten in den alten und auch zunehmend in den neu- en Bundesländern erfaßt wird, könnten die Perinatalerhebungen prinzipiell und zukünftig eine gute Grundlage für die flächendeckende Erfassung von den bei Geburt deutlich erkennbaren Fehlbildungen bieten. Die Erhebungs- qualität kann durch erweiterte Doku-

2.2 Koordinierte Fehlbildungs- erhebung in perinatologischen Zentren

Seit 1990 werden in einem Mcdell- versuch in Mainz (Leitung: Prof. Dr.

Spranger) an drei Kliniken sämtliche Neugeborenen nach einem einheitli- chen Schema von in Neonatologie und klinischer Genetik besonders ausgebil- deten Ärzten für Kinderheilkunde ein- gehend klinisch und sonographisch un- tersucht. Zusätzlich werden wichtige Bereiche der Schwangerschaftsana- mnese und allgemeine Expositionsda-

tannien, unter wissenschaftlichen und präventivmedizinischen Aspekten be- sonders attraktiv und sinnvoll wäre.

Stattdessen wird ein Verbundkonzept zur koordinierten Datenerhebung vor- geschlagen, das vorhandene und sich er- gänzende Datenquellen systematisch erschließt, auf bereits realisierten Pro- jekten aufsetzt und nur für einige Teilbe- reiche Erweiterungen der gegenwärti- gen Informationsbasis erfordert.

Ähnlich wie bei den epidemiologi- schen Krebsregistern können mit ei- nem solchen Ansatz allein in der Regel nicht die Ursachen von Fehlbildungen aufgeklärt werden. Die epidemiologi- schen Daten ermöglichen jedoch den Einstieg in eine weiterführende ätiolo- gische und pathogenetische Forschung, etwa mit Hilfe von ökologischen Studi- en und Fall-Kontroll-Studien, aber auch mit sorgfältigen Einzelbeobach- tungen. Globale Veränderungen von Fehlbildungshäufigkeiten können mit dem Verbundsystem relativ zuverlässig erfaßt werden; Einzelgefährdungen (zum Beispiel für Mitglieder von selte- nen Berufsgruppen) müssen jedoch in einem solchen System nicht auffallen.

mentationsanleitungen und standardi- sierte Vorgaben noch verbessert wer- den, so daß auch viele Indikatorfehlbil- dungen flächendeckend erfaßt werden können. Die diagnostische Standardi- sierung und Differenzierung läßt sich jedoch nicht so weit führen wie in den unter 2.2 beschriebenen perinatologi- schen Zentren. Die Datensätze der Pe- rinatalerhebungen werden bereits heu- te in faktisch standardisierter Form in den verschiedenen Bundesländern er- stellt und sollten, soweit dies vertrag- lich und datenschutzrechtlich möglich ist, einer zusammenfassenden Auswer- tung (vgl. 3) zugeführt werden.

ten erhoben und EDV-gerecht zusam- men mit den festgestellten Befunden dokumentiert. Hiermit ist es möglich, auch klinisch diskrete Entwicklungsde- fekte zuverlässig zu beobachten und äußerlich nicht erkennbare Fehlbildun- gen (zum Beispiel der Nieren) festzu- stellen. Weiterhin lassen sich in Quer- schnittsansätzen Hinweise auf mögli- che Ursachen gewinnen, zum Beispiel über die Erhebung der Medikamenten- einnahme in der Schwangerschaft. Die- se Studie ist derzeit der einzige deut- sche Beitrag zum europäischen Erfas- sungssystem EUROCAT.

Bevölkerungsbezogene Fehlbil- dungsraten lassen sich mit diesem An-

Dt. Ärztebl. 90, Heft 9, 5. März 1993 (59) A1-649

(3)

satz nicht ermitteln. Unter der Voraus- setzung einer geringen Schwankung des regionalen Zuweisungsverhaltens lassen sich jedoch zeitliche Trends der Fehlbildungshäufigkeiten beobachten.

Durch eine genaue Beschreibung des Einzugsgebietes sowie den Vergleich mit Daten aus der Perinatalerhebung und der Bevölkerungsstatistik dessel- ben Gebietes läßt sich das Ausmaß der Repräsentativität abschätzen, weiter- hin können sich hieraus Hinweise auf Veränderungen des Zuweisungsverhal- tens ergeben.

In dem Mainzer Projekt werden zur Zeit jährlich etwa 4000 Geburten er- faßt. Dieses Modell sollte unter Einbe- ziehung von etwa zehn weiteren peri- natologischen Zentren, die in geeigne- ter Weise über die Bundesrepublik ver- teilt, siedlungsstrukturell unterschiedli- che Regionen abdecken müssen, weiter ausgebaut werden. Das damit entste- hende Netz perinatologischer Zentren ermöglicht pro Jahr differenzierte Fehlbildungserhebungen bei etwa 50 000 Neugeborenen. Trendanalysen lassen unter den oben genannten Prä- missen auch für seltene Fehlbildungen relevante Häufigkeitsveränderungen frühzeitig erkennen. Wichtig ist die en- ge Koordination dieser Fehlbildungser-

2.3 Pränatale

Chromosomenuntersuchungen Veränderungen der Chromosomen- zahlen und -struktur tragen wesentlich zur Morbidität und Mortalität neuge- borener Kinder bei und sind die Ursa- che für nahezu 50 Prozent aller Spon- tanaborte.

Im Rahmen der pränatalen Diagno- stik werden in der Bundesrepublik zur Zeit mehr als 50 000 Chromosomen- analysen pro Jahr nach Amniozentese oder Chorionbiopsie durchgeführt. Da diese Untersuchungen nur in einer be- grenzten Zahl von spezialisierten La- boratorien vorgenommen werden, ist eine bundesweite Zusammenfassung der Ergebnisse unter logistischen Aspekten relativ leicht durchführbar, obwohl eine Zunahme entsprechender Untersuchungsstellen erkennbar ist.

Vorarbeiten hierzu wurden bereits vom Institut für Humangenetik der Freien Universität Berlin (Leitung: Prof. Dr.

Sperling) durchgeführt.

Wichtig ist, daß neben der Erfas- sung struktureller und numerischer Chromosomenanomalien auch relevan- te Angaben der .Mutter erfaßt werden, insbesondere auch die Indikationsstel-

hebungen, insbesondere die Standardi- sierung von Untersuchungstechniken und die Schulung der mitarbeitenden Ärzte.

Die perinatologischen Zentren müssen eng mit Kinderpathologen zu- sammenarbeiten, um die klinische Dia- gnostik im notwendigen Umfang zu er- gänzen. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei den fetalpathologischen Untersuchungen und der systemati- schen Untersuchung pränatal oder pe- rinatal verstorbener Kinder zu. Die von den Kinderpathologen hierzu bereits erarbeiteten Empfehlungen sind zu be- achten. Die Vollständigkeit und Doku- mentation paidopathologischer Unter- suchungen sowie einer begleitenden standardisierten Anamneseerhebung bei in den Zentren aufgetretenen Aborten muß sichergestellt werden.

In Kontakt mit den zuweisenden Ärzten soll von den perinatologischen Zentren ferner erhoben werden, wie- viel Schwangerschaftsabbrüche im Ein- zugsbereich aufgrund pränatal diagno- stizierter Fehlbildungen durchgeführt wurden. Neben der Erfassung von Indi- kationsdiagnosen sollten auch in die- sem Bereich paidopathologische Un- tersuchungen angestrebt und doku- mentiert werden.

lung zur Chromosomenuntersuchung.

Damit können bei langfristigen Trend- analysen mögliche Veränderungen des Inanspruchnahmeverhaltens und deren Auswirkungen auf die beobachtete Häufigkeit von Chromosomenanoma- lien berücksichtigt werden.

Es muß sichergestellt werden, daß tatsächlich alle einschlägig tätigen La- bors sich an der Befund- und Daten- übermittlung beteiligen. Die damit er- reichbare flächendeckende Erfassung bestimmter Chromosomenanomalien kann einen Hinweis auf die genetische Belastung der Bevölkerung geben und unter Berücksichtigung der miterfaß- ten demographischen Daten und von Daten aus den Perinatalerhebungen sowie den perinatologischen Zentren wichtige Erkenntnisse liefern.

2.4 Spezialerhebungen in Zen- tren für pränatale Diagnostik Im Rahmen der pränatalen Betreu- ung von Schwangeren werden Ultra- schalluntersuchungen entsprechend den gültigen Mutterschaftsrichtlinien allgemein in der 16. bis 20. sowie in der 32. bis 36. Schwangerschaftswoche

durchgeführt. Zur Abklärung von in der Praxis erhobenen pathologischen Befunden ist ein Mehrstufenkonzept etabliert mit einer Überweisung an spezialisierte Untersucher in der Stufe II und an Zentren für pränatale Dia- gnostik in der Stufe III. In diesen Zen- tren erfolgt ein umfassendes diagnosti- sches und gegebenenfalls auch thera- peutisches Management mit speziali- sierten Eingriffen, wie etwa der Nabel- schnurpunktion zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken. Gemäß die- ser Aufgabenstellung werden in sol- chen Zentren relativ große Zahlen auch seltener Fehlbildungen beobach- tet.

Für ein epidemiologisches Monito- ring anfallender Beobachtungen sind diese Zentren nicht geeignet, da ihr Einzugsgebiet nur unscharf beschrie- ben werden kann und erfahrungsge- mäß vielfachen, zum Teil wechselnden Einflüssen unterliegt. Andererseits er- öffnet die hohe Konzentration beson- ders gut untersuchter Fehlbildungsfälle die Möglichkeit, gezielt Studien zur Fehlbildungsgenese durchzuführen.

Die Zentren müssen anstreben, die pränatal erhobenen Befunde auch durch postnatale und gegebenenfalls feto- oder paidopathologische Untersu- chungen sowie durch humangenetische Beratungen zu ergänzen. Dies würde durch einen räumlichen und organisa- torischen Verbund mit perinatologi- schen Zentren (2.2) erleichtert. Durch Vergleich und Summierung prä- und postnatal entdeckter Defekte könnten Gesamthäufigkeiten ermittelt werden.

Eine zentrumsübergreifende, einheitli- che Dokumentation ist für zusammen- fassende Analysen wünschenswert.

3. Zusammenfassende Datenaufbereitung

Die in den Ansätzen nach 2.1 bis 2.4 erhobenen Daten müssen einer zusam- menfassenden Auswertung zugeführt und ihre Erhebung muß kontinuierlich überwacht werden. Hierbei kommt die Übermittlung von aggregierten Daten (vorzugsweise aus den Perinatalerhe- bungen) sowie auch von fallorientier- ten Datensätzen in Betracht. Die mit der Überwachung und zusammenfas- senden Auswertung zu beauftragende Stelle hat vor allem folgende Aufga- ben:

• Koordination der Datenerhebung in den verschiedenen Bereichen) hierbei insbesondere:

0 Sicherstellung einer kontinuierli-

A1 -650 (60) Dt. Ärztebl. 90, Heft 9, 5. März 1993

(4)

chen, standardisierten Datenerhebung (Qualitätssicherung),

O Definition von Datenformaten, O Erstellung und Pflege von Merk- malskatalogen,

O Unterstützung der Standardisierung von diagnostischen Nomenklaturen;

• kontinuierliches Monitoring des Fehlbildungsgeschehens,

• umfassende Datenanalysen und re- gelmäßige Berichterstellung,

• Erstellung von Schwerpunktauswer- tungen mit wechselnder Thematik,

• Initiierung und gegebenenfalls auch Durchführung spezieller epidemiologi- scher Untersuchungen.

4. Ethische Aspekte, Datenschutz

Die unter dem Aspekt der Quali- tätssicherung bundesweit durchgeführ- ten Perinatalstudien erfassen lediglich ärztliche Maßnahmen und deren Er- gebnisse, die im Rahmen der Regelver- sorgung erbracht werden; sie bedürfen daher keiner besonderen ethischen Er- wägungen. Auch die pränatalen Chro- mosomenuntersuchungen und die Be- treuung in Zentren zur pränatalen Dia- gnostik und Therapie sind in allgemein ärztlich anerkannte Strategien einge- bunden und werfen damit keine neuen ethischen Probleme auf.

Die in diesen Empfehlungen vorge- schlagenen eingehenden Untersuchun- gen in den perinatologischen Zentren gehen über den allgemein praktizierten Umfang ärztlicher Untersuchungen hinaus. Die Betroffenen können damit grundsätzlich von einer verbesserten Diagnostik profitieren. Die Freiwillig- keit der Inanspruchnahme von Lei- stungen, die über die klinische Unter- suchung hinausgehen, muß gewährlei- stet sein. Die Schwangeren oder Wöch- nerinnen müssen über das weiterge- hende Untersuchungsangebot und die daraus resultierenden Konsequenzen aufgeklärt werden, bevor sie sich für die freiwillige Inanspruchnahme ent- scheiden. Eine angemessene, nicht di- rektive Beratung muß vor Inanspruch- nahme weiterer Untersuchungen und bei der Mitteilung von Untersuchungs- ergebnissen an die Betroffenen sicher- gestellt sein. Die Problematik des Rechts auf Nichtwissen muß beachtet werden.

Im Rahmen der Verbunddokumen- tation darf die Übermittlung personen- bezogener Daten nur in anonymisierter Form erfolgen. Dies ist datenschutz- rechtlich verträglich und bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelungen.

Zeigt sich bei der Analyse der ano- nymisierten Daten, daß zur Abklärung auffälliger Auswertungsergebnisse Zu- satzuntersuchungen erforderlich wer- den, für deren Durchführung ein Per- sonenbezug benötigt wird, zum Bei- spiel, um nachträglich noch zusätzliche relevante Daten zu erheben, so muß hierzu mit Hilfe von Referenznum- mern über den jeweils betreuenden Arzt das Einverständnis der Betroffe- nen zur weiteren Datenerhebung ein- geholt werden. In vielen Fällen wird es auch bereits genügen, daß der betreu- ende Arzt ergänzende medizinische In- formationen in anomysierter, zum Teil möglicherweise sogar aggregierter Form für zentrale Auswertungen zur Verfügung stellt, wozu dann das Ein- verständnis der Betroffenen nicht be- nötigt wird.

5. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

In der Bundesrepublik Deutschland besteht zur Zeit ein erhebliches Infor- mationsdefizit über das Fehlbildungs- geschehen. Damit können mögliche, neu auftretende Gefährdungen der Be- völkerung nicht rechtzeitig erkannt werden, und es fehlt eine wesentliche Basis für die systematische Erfor- schung von Fehlbildungsursachen. Ei- ne medizinisch umfassende, flächen- deckende Erhebung von Fehlbildun- gen, wie sie im internationalen Bereich vereinzelt erfolgt, erscheint zwar wis- senschaftlich attraktiv, ist jedoch me- thodisch schwierig und derzeit in der Bundesrepublik nicht erreichbar. Zum Abbau des Defizits wird ein Verbund- konzept zur systematischen Erhebung von Fehlbildungen empfohlen, das be- stehende Informationsquellen aus- schöpft und an wichtigen Punkten er- gänzt. Die Ergänzungen beziehen sich insbesondere auf den Ausbau eines Netzes koordinierter, differenzierter Fehlbildungserhebungen in perinatolo- gischen Zentren sowie auf die systema- tische Datenzusammenführung und -auswertung. Im Rahmen des Verbund- konzeptes muß die Kooperation der be- teiligten Fachdisziplinen verbessert und organisatorisch unterstützt werden, hier sind vor allem zu nennen: Gynäkologen und Geburtshelfer, Kinderärzte, Kin- derchirurgen, Perinatologen, klinische Genetiker, Kinderpathologen, Epide- miologen und Biostatistiker.

Der Ausbau von perinatologischen Zentren für differenzierte Fehlbil- dungserhebungen muß durch die ein- zelnen Bundesländer vorangetrieben

werden, ebenso die Zusammenführung von Daten auf regionaler Ebene. Die bundesweite Zusammenführung und Auswertung von Daten und die dazu erforderliche Koordination sollte bei einer vom Bund auszustattenden, zen- tralen Einrichtung erfolgen.

Mitglieder der Arbeitsgruppe Prof. Dr. med.

Klaus-Ditmar Bachmann

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates, Münster

Prof. Dr. med. Karl E. Bergmann Institut für Sozialmedizin und Epi- demiologie des Bundesgesundheits- amtes, Berlin

San.-Rat Dr. med. Roland Busch Kinderabteilung Medizinisches Zen- trum Mitte, Rostock

Prof. Dr. med.

Waldemar Ch. Hecker

em. Direktor der Kinderchirurgi- schen Klinik im Dr. von Hauner- schen Kinderspital der Universität München

Prof. Dr. med. Wolfgang Holzgreve Zentrum für Frauenheilkunde der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Priv.-Doz. Dr. med. Rüdiger von Kries

Kinderklinik und Poliklinik, Abt. für Allgemeine Pädiatrie, Neonatologie, Gastroenterologie, Stoffwechsel und Ernährung, Heinrich-Heine-Univer- sität Düsseldorf

Univ.-Prof. Dr. med. Jörg Michaelis (Federführung)

Direktor des Instituts für Med. Stati- stik und Dokumentation, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Prof. Dr. med. Helga Rehder Leiterin der Abt. für Klinische Ge- netik, Medizinisches Zentrum für Humangenetik, Klinikum der Phi- lipps-Universität Marburg

Prof. Dr. rer. nat. Karl Sperling Institut für Humangenetik, Geneti- sche Beratungsstelle Berlin, Univer- sitätsklinikum Rudolf Virchow Charlottenburg, Freie Universität Berlin

Univ.-Prof. Dr. med. J. Spranger Direktor der Kinderklinik und Kin- derpoliklinik, Johannes Gutenberg- Universität Mainz

Korrespondenzanschrift:

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer Herbert-Lewin-Straße 1 W-5000 Köln 41

A.,-652 (62) Dt. Ärztebl. 90, Heft 9, 5. März 1993

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es ist deshalb folgerichtig, dass die Fruchtwasseruntersuchung für Frau- en ab 35 Jahren sowie bei sonstigen Risikokonstellationen für eine Chro- mosomenveränderung eine Leistung

Schwangerschaftsabbruch noch möglich ist. Die Metho- den sind ausgere ift und kli- nisch bewährt. Für die Indika- tionsstellung muß der Arzt ih- re Möglichkeiten,

Eine Hepatitis B in der Schwan- gerschaft, akut oder persistierend, läuft ebenfalls im allgemeinen kom- plikationslos ohne Schädigung des Feten ab, doch kommt es zu einer

Denkbar sind auch Bedingungen, unter denen der Arzt auf die Aufklä- rung verzichten kann, zum Beispiel etwa dann, wenn zu befürchten steht, daß der Patient durch eine

Ärztliche und zusätzliche psychosoziale Beratung sind aber an diesem Punkt gefordert, um hektische Entscheidungen zu vermeiden.“ Die Gynäkologen halten eine Bedenkzeit von drei

Wichtig ist, daß nach Amoxicillin- Einmalgabe gegenüber der 7-Ta- ges-Therapie eine besondere Re- sistenzentwicklung nicht gesehen wurde, jedoch hatte die Einmalga- be den Vorteil

Im Rahmen einer Studie an 219 Studenten, die sieben lateinamerika- nische Länder bereisten oder dort, beispielsweise im Rahmen der Ent- wicklungshilfe, für längere Zeit tätig

Die frühere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer befürchtet, „dass sich bei der Präimplantationsdiagnostik eine Be- grenzung nicht einhalten lässt, dass die