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Archiv "Aus Not und Neigung der Apotheker als Berater" (03.10.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Im Bonner Hotel Bristol tagte Ende letz- ter Woche der Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller und sang das ho- he Lied der Selbstmedikation. Die Her- steller freiverkäuflicher Arzneimittel können zufrieden sein. Die Kosten- dämpfung zieht Nachfrage von den ver- schreibungs- und apothekenpflichtigen Medikamenten ab und lenkt sie auf die OTC-(over the counter-)Präparate. Und auch die Politiker scheinen den Arznei- mittel-(Heilmittel-)Fabrikanten günstig

gestimmt zu sein. Soeben erst hat sich eine kleine Kommission der Koalitions- fraktionen gegen stärkere gesetzliche Beschränkungen der Selbstbedienung und der Freiverkäuflichkeit ausgespro- chen. Den Apothekern hingegen läuft das gegen den Strich. Sie propagieren ja, entsprechend dem neuen und doch so alten Image vom klassischen ethischen Apotheker, die „Stärkung der Bera- tungsfunktion". Und die ist mit Selbst- bedienung schwerlich zu vereinbaren.

D

ie Apotheker, jedenfalls die, die in den öffentlichen Apo- theken tätig sind, und das sind fast 30 000 der insgesamt 35 000 Apotheker, stecken in der Klemme. Die Zahl der Apo- theken, derzeit fast 17 000, nimmt seit Jahren zu, die Umsät- ze pro Apotheke stagnieren — je- denfalls wenn sie „preisberei- nigt" werden.

Die Zahl der Apotheken ist zwar im letzten Jahr um nur 1,6 Pro- zent angewachsen, gegenüber 3,3 Prozent 1980 oder 1977.

Doch die hohe Zahl der Pharma- ziestudenten — etwa 10 000 — sorgt weiterhin für reichlich Nachwuchs; etwa 1600 Apothe- ker werden jährlich approbiert.

Die Apotheker, konfrontiert mit diesen Nachwuchszahlen, die doppelt so hoch sind wie der

„Ersatzbedarf", suchen nach neuen Aufgaben. Die Bemühun- gen lassen sich unter der Etiket- te „Stärkung der Beratungs- funktion" zusammenfassen.

Zwei Wege tun sich da auf — ei- ner ohne, einer mit dem Arzt.

Am Arzt vorbei läuft all das, was unter Selbstmedikation firmiert.

Aus Not

und Neigung der Apotheker als Berater

Dieser Sektor nimmt bei den Apotheken, gemessen am Um- satz, zu. Der Anteil der Selbst- medikation wird von der Bun- desvereinigung Deutscher Apo- thekerverbände (ABDA) heute auf etwa 18 Prozent des Arznei- mittelumsatzes der Apotheken geschätzt. Er liegt um zwei Pro- zentpunkte höher als vor einem Jahr. Eine wesentliche Ursache dafür dürfte die Einführung der Negativliste gewesen sein. Die ABDA schätzt jedenfalls, daß rund ein Drittel der nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordne- ten Arzneimittel von den Patien- ten direkt oder über Privatrezept in der Apotheke gekauft wird.

Der steigende Anteil der Selbst- medikation läßt steigenden Be- ratungsbedarf vermuten. Die fachliche Qualifikation hat der Apotheker; sie soll durch eine Änderung der Apothekerausbil- dung, die zur Zeit im Bundesge- sundheitsministerium vorberei- tet wird, noch verbessert wer- den. Auch in der Bevölkerung wird der Apotheker als kompe- tenter Fachmann geschätzt, wie kürzlich noch die Lintas-Studie nachwies. Allerdings wurden, zuletzt von der Stiftung Waren- test, Zweifel daran geäußert, ob der Apotheker die Beratungs- funktion auch tatsächlich aus- übt.

Mehr noch, die Verfechter der Selbstbedienung bezweifeln, daß Arzneimittel (Heilmittel) überhaupt so beratungsbedürf- tig sind, wie die Apotheker, de- ren Politik dahingeht, die Frei- verkäuflichkeit zu beschränken angeben. Die Apothekervertre- ter haben bei ihren Bemühun- gen, die OTC-Präparate mög- lichst vollständig über die Apo- theke zu leiten —, es geht dabei immerhin um zusätzlich eine Milliarde Mark —gegen starke In- teressengruppen zu kämpfen.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 40 vom 3. Oktober 1984 (17) 2861

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Apotheker

Zur Unterstützung ihrer Position haben die Apotheker im Grunde nur ein — gewichtiges — Argu- ment zur Hand, nämlich das der gesundheitlichen Risiken bei Selbstbedienung. Die Gegner in dieser Frage haben hingegen die stärkeren Bataillone. Im Bundesfachverband der Arznei- mittelhersteller etwa sind nicht nur kleinere Hersteller von Hausmitteln versammelt, son- dern nicht zuletzt auch eine stol- ze Reihe von Heilmitteltöchtern der großen, zweigleisig fahren- den Pharmaunternehmen. Die Gegner sind auch im Einzelhan- del von den Drogerien bis zu den großen Kaufhäusern zu su- chen. Sie haben sich bisher ge- gen die Apothekerbemühungen bestens behaupten können.

Im Sande verlief auch ein ande- res Vorhaben, ein Modellver- such in Bayern. Treibende Kraft dafür war allerdings kein Apo- theker, sondern der allzeit akti- ve Geschäftsführer des Landes- verbandes der Ortskrankenkas- sen in Bayern, der daran dachte, den Arzt nurmehr Wirkstoffe, nicht aber Präparate verordnen zu lassen. Hans Sitzmann vom LdO erläutert: „Die Überlegung liegt nahe, den Apotheker als ausgebildeten Akademiker nach entsprechenden Direktiven des Kassenarztes dort verantwort- lich in die Auswahl eines preis- günstigen Präparates einzube- ziehen, wo dies ohne Schaden für den Patienten möglich ist.

Das kann dadurch geschehen, daß der behandelnde Arzt im be- grenzten Mono-Bereich nicht mehr den Handelsnamen des einzelnen Medikamentes auf das Verordnungsblatt schreibt, sondern den Namen des Wirk- stoffes, die Darreichungsstärke und die Packungsgröße." Laut Sitzmann greift der Apotheker damit nicht in die Verordnung des Kassenarztes ein, er nimmt dem Arzt „nur die Verpflichtung ab, daß auch im Arzneiverord- nungsbereich preisbewußt ge- handelt wird".

Noch im Mai tönten markige Worte aus der Apothekerschaft:

die Ärzte würden mit Zuckerbrot (= wirtschaftliche Anreize) und Peitsche (= Regreßdrohung) ge- zwungen, mitzumachen. Die ABDA äußerte sich einen Monat später aber schon vorsichtiger:

Über das Modell gebe es Mei- nungsverschiedenheiten, es werde kritisch überdacht. Kri- tisch überdacht wurde Sitz- manns Vorschlag auch bei den bayerischen Kassenärzten.

Der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Vereinigung Bayerns, Prof. Hans-Joachim Sewering, distanzierte sich: solange die Vergleichbarkeit nicht gewähr- leistet sei, könne der Arzt dem Apotheker nicht die Auswahl des Präparates überlassen. Da- mit ist das Modell fürs erste ge- platzt. Und auch die Frage, wie die Beratung und Auswahl durch den Apotheker zu hono- rieren wäre, braucht einstweilen nicht beantwortet zu werden.

Höhere Kompetenz

Dr. Erika Hickel, Bundestagsab- geordnete der „Grünen" und Pro- fessorin (derzeit a. D.) für Chemie, Pharmakologie und Biologie der TU Braunschweig, sieht den Apo- theker in einem Zwiespalt zwi- schen Profitorientierung und Exi- stenzkampf einerseits und der

„ungeheuren Übermacht der pharmazeutisch-chemischen In- dustrie" andererseits bei der In- formation über Arzneimittel. Die Lösung dieses Dilemmas sucht Frau Professor Nickel allerdings nicht in der Verstaatlichung der deutschen Apotheken. Die zen- tralistisch gelenkte Staatsapothe- ke stehe nämlich der Manipula- tion der Meinungen durch die In- dustrie ebenso hilflos, womöglich sogar desinteressierter gegen- über. Einen Ausweg sieht sie viel- mehr einmal mehr in der Genos- senschaftsapotheke, im gemein- samen Eigentum der jeweiligen

Belegschaft. In „Gesundheitszen-

tren", wie es sie in der Bundesre- publik bereits vereinzelt gebe, sollten die Apotheken dann mit al- len erdenklichen Zweigen der Heilberufe zusammenarbeiten.

Diese Vorschläge von der Zukunft der heilenden Berufe und vor al- lem der Apotheker stellte die Ab- geordnete der „Grünen" auf ei- nem Seminarkongreß der Bun- desapothekerkammer in Wester- land Mitte September vor. Frau Professor Nickel schlug ferner (um „aus der zwanghaften Profit- orientierung in der Apothekenpra- xis herauszukommen") die Ein- richtung eines Beraterhonorars für Apotheker im Zusammenhang mit der Einrichtung von Patienten- karteien vor. Wie am Rande des Kongresses zu erfahren war, will die deutsche Apothekerschaft 1985 Patientenkarteien — in der die ausgegebenen Arzneimittel, unter anderem zur Vermeidung von Interaktionen, aufgeführt wer- den — auf freiwilliger Basis einfüh- ren. Der Düsseldorfer Pharmako- loge Dr. Eike Noak entwickelt der- zeit eine solche Kartei.

Bessere Voraussetzungen für ei- ne kompetente Arzneimittelinfor- mation oridinär durch den Apo- theker soll die von der Bundesre- gierung geplante Einführung ei- nes Praxissemesters schaffen, über die in Westerland der Esse- ner Apotheker Dr. Klaus G. Brauer sprach. Die Verlängerung des Pharmaziestudiums mit Blick auf Brüssel und Straßburg, die derzeit nur als Referentenentwurf exi- stiert und eine Änderung der Ap- probationsordnung bedingt, kann nach Brauers Meinung eine Stär- kung der physiologisch-pharma- kologischen Lehrinhalte bedeu- ten: „Die Fähigkeit zur verglei- chenden Beurteilung der Arznei- mittelqualität sollte profiliert wer- den, u. a. durch eine bessere Aus- bildung in instrumenteller Analy- tik." Zudem müsse der künftige Apotheker sich auf einem Gebiet besonders bewähren: in der kriti- schen Aufarbeitung und Beurtei- lung von Informationen über Arz- neimittel.

2862 (18) Heft 40 vom 3. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Joseph Scholmer — hier am Rande des Berliner Ärztetages 1974 beim Interview mit Carmen Thomas vom WDR. Kundige werden sich erinnern, daß Scholmer (eigent- lich Schölmerich) zu dieser Zeit oppositionelle Gruppen innerhalb und vor allem au- ßerhalb des Deutschen Arztetages unterstützte. Schon damals rechnete er in Veröf- fentlichungen wie „Patient und Profitmedizin" und „Die Krankheit der Medizin" mit Kollegen und Gesundheitswesen ab. Heute, zehn Jahre später, kommt er, nach lan- gem Schweigen, auf die alten Themen zurück. Foto: Bohnert-Neusch

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Apotheker KURZBERICHTE

In Berlin und Rheinland-Pfalz gibt es bereits pharmazeutische Fach- gebiete, erläuterte der Geschäfts- führer der Apothekerkammer Nie- dersachsen, Dr. Herbert Gebler, Hannover. Bei den Diskussionen um die Novellierung der Approba- tionsordnung habe sich immer wieder gezeigt, daß wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten, die für spezialisierte Tätigkeiten in verschiedenen Berufsfeldern not- wendig seien, auf der Hochschule nicht vermittelt werden könnten.

Hier verwies Dr. Gebler auf die Weiterbildung. Damit bliebe die Approbation als Abschluß der Ausbildung erhalten. Die Einfüh- rung der Weiterbildung trete auch Zweifeln am akademischen Status des Apothekers entgegen. Wie bei den Ärzten werde sich für das eine oder andere Gebiet auf lange Sicht die Einrichtung entspre- chender Lehrstühle die Folge sein.

Der Hamburger Kammerpräsident Dr. Ernst-Dietrich Ahlgrimm ap- pellierte bei einem Ausblick auf die Entwicklung des Apotheker- berufs aus EG-Sicht an die Kon- greßteilnehmer (und die Politi- ker), den Widerstand gegenüber europäischen Richtlinien aufzu- geben: Nur so könne die unge- steuerte Zuwanderung von Apo- thekern aus EG-Ländern mit Niederlassungsbeschränkung er- reicht werden.

Oberregierungsrat Dr. Gert Schorn vom Bundesfamilienmini- sterium dämpfte in der Diskussion allerdings die Hoffnungen auf ei- ne schnelle Einigung. Zwar sehe der Zeitplan des (hierfür zuständi- gen) EG-Wirtschaftsministerrates einen Abschluß der Diskussions- runde noch für 1984 vor, doch lä- gen noch Vorbehalte von drei EG- Mitgliedstaaten vor. Und auch in seinem Ministerium komme das Gespräch über die neue Bundes- apothekerordnung und die Apothekenbetriebsordnung nicht recht voran, weil zum Beispiel die Probleme um Formaldehyd zu vie- le Kräfte binde. EWC

Beratungsdienst für verschreckte Leser

„Bücher machen Mut", hieß es kürzlich in der Werbezeitschrift

„buch aktuell" des Buchhandels.

Als Mutmacher wurde auch die

„giftige Reihe" eingestuft: Bü- cher wie „Das Geschäft mit der Krankheit", „Bittere Pillen", „Iß und stirb", erschienen beim Ver- lag Kiepenheuer & Witsch und mit bis zu 100 000 Exemplaren pro Ti- tel verkauft an „mündiges Publi- kum".

„Bücher machen Beratungsdien- ste", sollte es eher heißen. Denn nach lobender Buchbesprechung war am Ende der Satz zu finden:

„Die Autoren der ,giftigen Reihe' planen, einen unabhängigen Be- ratungsdienst zu installieren, der diese offenkundige Not (das Be- dürfnis des Patienten nach Aufklä- rung, Anm. d. V.) — außerhalb der 3-Minuten-Praxis — auffängt."

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat mit einem solchen Beratungs- dienst indes nichts im Sinn. „Um

Himmels willen", hieß es dort spontan. „Wir waren total überfor- dert", erinnert sich Christine Hassmans, Leiterin der Verlags- pressestelle, an zahlreiche Anrufe und briefliche Anfragen als Käu- ferreaktion auf die „Mutmacher".

In der Presseabteilung brach Hilf- losigkeit aus, als Leser um prakti- schen Rat baten: So erkundigte sich ein Vater am Telefon, ob er seiner Tochter eine bestimmte Salbe geben solle. In dem ent- sprechenden Buch seien so viele Nebenwirkungen aufgeführt ...

Der Verlag verweigert sich, die Autoren wollen es offenbar nicht.

„Der Beratungsdienst kommt, aber ich weiß nicht, wann und wie", versicherte Joseph Schol- mer, Autor von „Das Geschäft mit der Krankheit", Arzt und seit Jah- ren Gegner des bundesdeutschen Gesundheitswesens. Mehr werde er zumindest dem „Ärzteblatt"

nicht enthüllen: „Die Dinge sind noch nicht spruchreif." „Aber schreiben Sie", so diktierte Jo- seph Scholmer, „daß der zukünfti- ge Beratungsdienst eine Menge gegen die Bundesärztekammer plant." Sabine Dauth

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 40 vom 3. Oktober 1984 (19) 2863

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